ich bin Andre, 32 Jahre als und komme aus Dortmund. Ich habe mich mal hier angemeldet, um dem ein oder anderen Mut zu machen, der ähnliche Probleme hat, wie ich sie hatte.
Und zwar litt ich 6 Jahre lang unter eine Angst- und Panikstörung ( Emetophobie + Panikstörung ) und möchte hier mal meine Geschichte mit euch teilen.
Und zwar hat ein katastrophaler Lebensstil gepaart mit chronischem Stress dazu geführt, dass ich meine erste Panikattacke erlebt habe, bei er ich mich in einer großen Menschenmasse übergeben musste.
Dieses Erlebnis hat mich so traumatisiert, dass ich eine Angst vor der nächstmöglichen Panikattacke entwickelt habe. So habe ich nicht nur angefangen, bestimmte Situationen zu vermeiden, sondern von einen auf den anderen Tag waren alltägliche Dinge nicht mehr möglich, ohne kurz vor einer Panikattacke oder direkt mittendrin zu stehen.
Einkaufen, Bus- und Bahnfahren, ins Restaurant gehen und besonders Situationen die mit dem Thema Essen und Erbrechen zu tun hatten, sind augenscheinlich unmöglich geworden. Nachdem von mehreren Ärzten alle körperlichen Ursachen ausgeschlossen worden sind, blieb die Diagnose Angststörung (Emetophobie Panikstörung).
Vor Ausbruch der Angst habe ich mich dafür angemeldet, mein Abitur nachzuholen, was dann zirka ein halbes Jahr nach Ausbruch der Angst angefangen hat. Das Schlimmste daran war, dass ich jeden Morgen 30 Minuten mit der Bahn zur Schule fahren musste, was für mich die ersten 20-30 Fahrten mit heftigen Panikattacken verbunden war. Zu dieser Zeit hatte ich mein jetziges Wissen noch nicht und somit bestand mein Ansatz aus stupider Konfrontation. Es hat zwar geholfen, sodass ich relativ schnell wieder normal Bahnfahren konnte, doch wie ich feststellen musste, kann Konfrontation auch nervenschonender umgesetzt werden.
Etwas Gutes hatte das Abitur auch, denn dadurch dass ich abgelenkt war, ist die Angst teilweise für Wochen in den Hintergrund gerückt, so dass ich in diesen Pausen zur Ruhe kommen konnte. In meinem Leichtsinn habe ich diese Angstfreiheit schnell mit Heilung verwechselt. Sehr schnell wurde ich dann wieder erbarmungslos auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und habe die Angst und Panik dann meist noch schlimmer erlebt. Rückblickend weiß ich jetzt natürlich, dass Ablenkung nie zu nachhaltiger Angstbewältigung führen kann. Diese Erkenntnis musste ich schmerzhaft verinnerlichen.
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Ich bin noch lange nicht an meinem Tiefpunkt angekommen. Ein weiterer Faktor, der die Problematik verschlimmert hat, war, dass ich mich frisch in einer neuen Beziehung befunden habe und diese Beziehung logischerweise sehr unter der Angststörung gelitten hat. Alles was man normalerweise mit seinem Partner macht, war für mich unmöglich bzw. mit sehr viel Stress und Angst verbunden. Ins Restaurant oder ins Kino zu gehen, war für mich zum Beispiel zu diesem Zeitpunkt noch unmöglich. So kamen häufig quälende Gedanken auf, dass ich nur eine Last für meine Freundin bin und hinzukommend machte sich die Verlustangst breit. Wer will schon einen Partner, der nicht in der Lage ist, richtig am Leben teilzunehmen?
So kam es dann bei dem Versuch mit meiner Freundin ins Kino zu gehen zu der heftigsten Panikattacke, die ich bis zu diesem Zeitpunkt erlebt habe. Das Ende vom Lied: Wir sind ohne den Film zu gucken wieder nach Hause gefahren, was meinem Selbstwertgefühl dann den Gnadenstoß verpasst hat.
Die folgenden drei Monate waren die schlimmste Zeit meines Lebens. Ich habe kaum noch Essen runtergekriegt und innerhalb von drei Monaten 15 KG abgenommen. Ich konnte kaum noch schlafen, soziale Kontakte sind komplett weggefallen, da ich mein Haus zu diesem Zeitpunk nicht mehr verlassen konnte, ohne heftige Panikattacken zu kriegen.
Jetzt machten sich Gedanken einer ganz neuen negativen Qualität breit. Ich war davon überzeugt, dass es nie wieder besser werden kann. Ich bin jetzt wohl ein Pflegefall, der sich mit seinem Schicksal abfinden muss. Ich stehe kurz davor verrückt zu werden und in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen zu werden, in der ich mit Medikamenten ruhiggestellt werde. So habe ich mir den Rest meines Lebens ausgemalt. Halluzinationen und Suizidgedanken waren der krönende Abschluss der Problematik und gleichzeitig der lang ersehnte Wendepunkt.
Ab diesem Punkt habe ich begriffen, dass es nur zwei Optionen gibt. Entweder ich mache weiterhin nichts und hoffe auf ein Wunder von außen, das mich von meinem Leid befreit.
ODER ich übernehme die Verantwortung und suche mir Hilfe. Da ich ein großes Problem damit hatte, die Kontrolle abzugeben, kam bei mir eine Therapie und Medikamente nicht in Frage, auch wenn es zwischendurch immer Punkte gab, an denen ich mit diesem Gedanken gespielt habe. Außerdem habe ich in hunderten Erfahrungsberichten von starken Nebenwirkungen dieser Medikamente und ausbleibenden Erfolgen bei Therapien wie zum Beispiel kognitiven Verhaltenstherapien gelesen (was natürlich nicht heißen soll, dass es keine Therapieerfolge gibt).
Für mich sah es so aus, als wäre das Ziel von Therapien lediglich, zu lernen mit der Angst zu leben. Und das war ganz weit von meinem Ziel entfernt. Ich wollte wieder ein normales Leben führen, in dem es keinen Platz für übermäßige Ängste gibt.
Mein Ansatz bestand bis zu diesem Zeitpunkt nur aus Symptombehandlung. Ich wollte einfach nur, dass die Symptome verschwinden. Das das der schlechteste Ansatz war, den ich wählen konnte, wusste ich zu dieser Zeit natürlich nicht. Was ich außerdem für eine gute Idee hielt: Da mein Hauptproblem ja die Angst vor dem Erbrechen war, dachte ich, dass es eine gute Idee ist, einfach nichts zu essen, besonders vor Situationen von denen ich wusste, dass die Angst sich einschleicht. Da Kaloriendefizite ein riesiger Stressor für den Körper sind und es mit einem leeren Magen auch irgendwann zu Übelkeit kommt, saß ich in der Zwickmühle. Irgendwann musste ich mein Essen regelrecht herunterzwingen. Ein erwachsener Mann der heult, während er eine Schüssel Haferflocken isst, sieht man wahrscheinlich auch nicht alle Tage.
Eine der größten Errungenschaften bestand darin, dass meine Freundin mit einer (nennen wir es mal) extremen Art der Gesprächstherapie dafür gesorgt hat, dass ich meine Opferrolle ablegen konnte, die auf dem Weg der Angstbewältigung meist das größte Hindernis darstellt.
Wie durch einen Zufall bin ich wieder auf das Thema Achtsamkeit aufmerksam geworden und habe mich nun aktiv und im Vollzeit-Modus mit diesem Thema beschäftigt. Ich hatte vor meinem Tiefpunkt schon einen Berührungspunkt mit diesem Thema, habe es aber nach kurzer Zeit als Esoterik und Unsinn abgetan, der sowieso keine Wirkung hat. Nach genauer Analyse musste ich nun aber feststellen, dass Achtsamkeit auch wissenschaftlich Hand und Fuß hat.
Je weiter ich in den Kaninchenbau gelangt bin, desto mehr Werkzeuge habe ich kennengelernt, die oft nicht einmal in der westlichen Psychologie erwähnt werden. Außerdem musste ich feststellen, das Angst nicht (wie oft behauptet) nur Kopfsache ist. Das war übrigens eine meiner WICHTIGSTEN Einsichten! Angstbewältigung, die nur den Kopf behandelt kann nicht nachhaltig sein. Also hab ich meinen kompletten Lebensstil umgestellt.
Das Ganze habe ich mit meinem Achtsamkeits-Training und einem weiteren wichtigen Werkzeug verbunden: der Akzeptanz. Die Angst zu akzeptieren heißt nicht, ein Leben mit Angst zu akzeptieren! So habe ich allein durch die Achtsamkeit nach wenigen Wochen eine deutliche und vor allem bewusste Besserung verspürt. Warum das wichtig ist, erkläre ich gleich.
Letztendlich habe ich es geschafft, meine Angststörung komplett zu überwinden. Zu sagen, dass es für mich manchmal unmöglich aussah, die Angst aus eigener Kraft zu überwinden, ist untertrieben.
Wenn du glaubst, dass ich ein besonderes Wunderkind bin, muss ich dich enttäuschen. Ich war genauso verzweifelt, genauso hoffnungslos und habe teilweise kein Licht am Ende des Tunnels gesehen.
Heute Lebe ich ein glückliches, achtsames und bewusstes Leben, dass mein Leben vor der Angststörung in einen großen Schatten stellt. Ich führe übrigens immer noch eine Beziehung mit der gleichen Freundin, die mich von Anfang an auf meinem Weg aus der Angst begleitet hat.
Ich bin mir sicher, dass es JEDER schaffen kann, wenn er in die richtige Richtung schaut und einen Fuß vor den anderen setzt.
Ich rede zwar andauernd von meiner wichtigsten Einsicht, aber die wichtigste Einsicht war wahrscheinlich, dass Ängste nur nachhaltig überwunden werden können, wenn der Prozess bewusst stattfindet. Nur dann kann man nicht mehr zufällig zurück in alte Verhaltensmuster fallen, die einen Rückfall auslösen. Wenn die Angst nur durch Ablenkung in den Hintergrund rückt, und dann irgendwann die Ablenkung wegfällt, zeigt sich natürlich auch die Angst wieder. Daraus entstehen dann so abenteuerliche Aussagen wie: Angststörungen kann man nicht überwinden. Du wirst schon noch sehen, dich wird es auch wieder erwischen.
Wer erkannt hat, wie die Angst funktioniert, auf welche Faktoren es ankommt und sich die nötigen Fähigkeiten antrainiert hat, um diese Angst bewusst aus der Welt zu schaffen, der wird meiner Meinung nach nie wieder unter anhaltender Angst leiden.
Kurzfristig gestresst zu sein und Angst zu haben ist menschlich und völlig natürlich. Es gibt niemanden, der völlig stress- und angstfrei ist, da es einfach ein natürlicher Mechanismus ist. Ich rede hier von anhaltender und einschränkender Angst. Diese wird meiner Meinung nach unmöglich, wenn man sie einmal bewusst überwunden hat.
LG Andre
20.11.2020 13:18 • • 22.11.2020 x 7 #1