Ich denke, es wird langsam Zeit für den nächsten Teil meiner Geschichte. Wer Lust und Zeit hat sie zu lesen ist herzlich Willkommen. Ich stelle mal virtuell Kaffee und Kekse hin
Ende Oktober letzten Jahres hat es mir von jetzt auf gleich den Boden unter den Füßen weggerissen, ich wusste echt nicht mehr, wo unten und wo oben ist. Es fing an, nachdem ich einen weiteren Absetzschritt vom Mirtazapin in Angriff genommen hatte (was aber wohl im Nachhinein betrachtet nichts miteinander zu tun hatte). Die Absetzsymptome hatten mich ziemlich im Griff, waren aber auszuhalten.
Wir sind übers Wochenende weggefahren, Bekannte in Köln besuchen. Die Hinfahrt verlief für meine Verhältnisse sehr gut (das ist für mich immer das Schlimmste, zurück läuft es immer besser). Mein Toilettenproblem war zwar sehr präsent, aber beherrschbar. Nach dem Essen im Restaurant gingen wir noch mit zu den Bekannten auf ein Glas Wein. Und plötzlich bekam ich eine Durchfallattacke (das hatte ich kurz vorher schon mal nach einem Restaurantbesuch). Und zack – war wieder eine neue Angst vor der Angst geboren: nach dem Essen im Restaurant bekomme ich Durchfall Ich habe die Nacht sehr schlecht geschlafen und hatte dann am Morgen vor der Rückfahrt zum ersten Mal das, was ich bisher noch nicht kannte – eine Panikattacke. Mein Mann wusste nicht, wie er mich nach Hause bekommen sollte; Tavor hatte ich leider auch nicht dabei. Irgendwie hat es dann geklappt. Ich war fix und fertig. Nun war mir eine der wenigen Dinge, die noch gut klappten – Essen im Restaurant – auch genommen und extrem schwierig geworden. Ich hätte heulen und schreien können.
Von da an erreichte meine Angst einen neuen Höhepunkt. Hatte ich bis dahin nur Angst, wenn längere Fahrten oder Termine anstanden, fühlte ich mich jetzt auch zu Hause nicht mehr sicher. Alles machte mir Angst, und wenn es nur die Fahrt zum Bäcker war. Ich baute körperlich komplett ab. Dann bekam ich einen grippalen Infekt. Ganz normal, mit Schnupfen, Husten, erhöhter Temperatur. Und kurz danach brach bei mir alles zusammen - körperlich wie seelisch. Extreme innere Unruhe und inneres Zittern, das Herz ballerte wie bekloppt, Puls war permanent erhöht, ich habe nur noch gefroren, das Gehirn war permanent wie im Nebel, null Konzentrationsfähigkeit, ich kam kaum noch die Treppe hoch, Wellen von Übelkeit. überrollten mich, jedes Geräusch, jeder optische Reiz war zu viel für das Gehirn. Ich habe echt nur noch gedacht: Lieber Gott, wenn das jetzt so bleibt, will ich nicht mehr leben. Ich sah mich schon in der nächsten psychiatrischen Klinik.
Meine Hausärztin hat mich dann nochmal durchgecheckt – so weit alles ok bis auf viel zu hohes Cholesterin. Die Gynäkologin vermutete, dass auch die Hormone mit reinspielen, und hat mir bioidentische Hormone verschrieben. Die haben tatsächlich auch was gebracht (ich hatte dazu hier mal einen eigenen Beitrag verfasst) und ich nehme sie immer noch.
Aber immer wieder überrollte mich die Panik in den absurdesten Situationen, z.B. bei meinen Eltern beim Kaffeetrinken, beim Fernsehen auf dem Sofa. Ich hatte „Toilettenpanik“ obwohl ich z.B. im Autohaus das Klo direkt im Zugriff hatte. Es war einfach nur noch absurd. Ich verstand mich und die Welt nicht mehr.
Mein Therapeut hat sich das eine Weile angeschaut, und dann vorgeschlagen, komplett die Marschrichtung zu ändern. Wir hatten bis dahin zwar auch Atem-, Achtsamkeits- und Energieübungen gemacht, hatten das größte Augenmerk aber auf die Gesprächstherapie gelegt. Jetzt schwenkten wir um und konzentrierten uns nur noch auf die oben beschriebene Energiearbeit, um meine Körperwahrnehmung weiter zu schulen und zu verfeinern. Das Problem ist nämlich nicht, dass die Energie nicht da wäre, sondern dass der Zensor im Kopf sie uns nicht fühlen lässt. Wir zeigten meinem Körper jetzt, wie er die Energie fließen lassen kann und wie er die negative Energie (Angst), die er sonst immer über den Durchfall abgeleitet hat, alternativ nach unten durch die Füße in den Boden ableiten kann.
Wir zeigten meinem Körper, wie es sich eigentlich anfühlt, entspannt zu sein und vor Energie zu vibrieren. Der hatte das komplett verlernt und vergessen.
Diese Energiearbeit ist im Grunde auch ein Gespräch, aber auf einer anderen Ebene. Mein Therapeut sagte, wenn Körper und Seele merken, dass wieder Stabilität einzieht und Ressourcen da sind, wird er ganz von selbst die negativen Dinge und Verletzungen ins Bewusstsein spülen, die er loswerden will und die die ganze Zeit im Körper gehalten werden.
Ich muss dazu sagen, dass ich mich erst sehr schwer damit tat (und es noch tue). Es fällt mir schwer, den Prozess in Worte zu fassen, denn dieser Weg, den er geht, widerspricht komplett allem, was die Medizin der westlichen Welt uns erzählt und allem, was wir glauben zu wissen. Ich kann eigentlich mit niemandem wirklich darüber sprechen, denn ich begreife eigentlich selbst nicht genau, was da mit mir passiert.
Fakt ist aber, dass ich innerhalb von kürzester Zeit (in der ich auch zu Hause sehr intensiv geübt habe!) ein unglaubliches Körpergefühl entwickelt habe. Ich spüre diese Energie in mir, ich kann sie lenken und fließen lassen. Ich kann auch im Alltag innerhalb von Sekunden vom Außen in den Körper umschalten, die Energie fühlen und mich damit beruhigen. Der ganze Körper fährt dann runter und das vegetative Nervensystem beruhigt sich.
Und tatsächlich kam – wie von meinem Therapeuten prognostiziert – etwas tief aus meinem inneren hoch. Ich hatte eine Auseinandersetzung mit meinem Mann, nach der er ziemlich beleidigt war und eine Zeit lang nicht mit mir gesprochen hat. Und ganz plötzlich hatte ich wieder eine Auseinandersetzung mit meinem Vater im Kopf. Es war nicht so, dass ich mich daran vorher nicht erinnert hätte, aber ich hätte sie nicht als so entscheidend angesehen.
Scheinbar haben mich die Vorwürfe meines Vaters tiefer getroffen, als ich gedacht hätte. Und Sie haben eines hinterlassen: die Gewissheit, dass mein Vater mir nicht vertraut, dass ich nicht in der Lage bin, allein in der Welt klarzukommen. Von meiner Mutter hätte ich erwartet, dass sie sich in der Situation vor mich stellt, aber mein Vater hat sie auch noch in den Konflikt reingezogen und einen Keil zwischen uns getrieben.
Und wenn man mir so deutlich gezeigt hat, dass man mir nicht vertraut – wie sollte ich da Selbst-Vertrauen aufbauen? Meine immerwährende Angst vor Auseinandersetzungen (und in der folge ein absolut ungesundes Harmoniebedürfnis) – geboren durch den Liebesentzug und das eisige Schweigen meines Vaters nach jedem „Fehltritt“. Mein quasi nicht vorhandenes Verhältnis zur Sexualität – weil ich ständig vom anderen Geschlecht ferngehalten wurde und mir immer gepredigt wurde, mich nie mit einem Jungen „einzulassen“.
Ich habe Bauklötze gestaunt, als das alles hochkam. Ich habe dann in der Therapiestunde angefangen, den ganzen alten Rotz erst mal auszusprechen (schon seltsam, wenn man mit einem leeren Stuhl spricht…). Wenn man solche Dinge nie aussprechen durfte, ist es echt schwer, Worte zu finden. Beim zweiten Mal ging es schon besser. Ich merkte, wie „sprachlos“ ich eigentlich war.
Und auf einmal merkte ich, wie ich stabiler wurde. Die körperlichen Symptome verschwanden. Ich musste nicht mehr so viel auf Klo rennen. Der Durchfall ging zurück. Wenn ich das Haus verließ und mich im Auto eine leichte Angstwelle erfasste, war es, als wenn tief aus mir die Gewissheit aufstieg „Du schaffst das schon!“. Ich fühle plötzlich wieder etwas – ich kann mich freuen, ich kann Dinge genießen, ich kann traurig sein, ich kann lustig sein. Ich fühle mich fitter, stabiler. Und das jetzt schon eine ganze Woche – für mich eine Ewigkeit. Ich fühle ganz intensiv, wie mein Körper in Stresssituationen automatisch umschaltet und mich Ruhe und Energie fühlen lässt.
Ich bin sehr gespannt, wie lange das jetzt anhält und ob und wann es wieder umschlägt. Fakt ist, dass ich in den letzten drei Wochen einen riesigen Berg alten Ballast „weggesprengt“ habe. Und eine wichtige Erkenntnis gewonnen habe: es müssen nicht immer die großen, schrecklichen Dinge wie Unfälle, Vergewaltigung etc. sein, die einen Impact auf uns haben. Es sind oft kleine Dinge, die die Verursacher schnell wieder vergessen haben und die für Außenstehende unwichtig erscheinen. Aber sie hinterlassen Spuren und Glaubenssätze, die unser weiteres Leben steuern und unser Körpergedächtnis bewahrt den negativen Impact schön säuberlich auf. Und solange wir diese negativen Dinge nicht bearbeiten und loslassen, könnten wir Medikamente schlucken bis der Arzt kommt und Verhaltenstherapie machen bis wir schwarz werden – die Körpersymptome werden immer wieder kommen und sie werden immer lauter werden, bis wir zuhören.