Ich schalte meine Stirnlampe ein, die von der Zeltdecke baumelt. Mein Blick fällt auf den gepackten Rucksack, und sofort überkommt mich der Impuls, schnell alles zusammenzupacken und zuzusehen, dass ich in bewohntes Gebiet komme. Oder zumindest auf den Forstweg zurück. Da, wo ich jetzt bin, findet man mich vermutlich erst, wenn ich ausreichend stinke.
Während ich das denke, befreie ich mich hektisch strampelnd aus meinem Schlafsack. Und während ich das tue, habe ich das Bild vor Augen, wie ein dicker Labrador seinem nicht minder dicken Frauchen den Sonntagsspaziergang versa.ut, wenn er begeistert wedelnd meinen Kadaver entdeckt. Ich halte inne. Mein Hirn generiert ganz offensichtlich medienwirksame Bilder, obwohl ich gerade Infarkt habe. Ich überlege kurz, warum Hund und Frauchen dick sein müssen, komme aber zu keinem befriedigenden Ergebnis. So ganz ausgereift scheinen meine Ablebe-Szenarien noch nicht zu sein.
Ich stoße gegen die Stirnlampe und halte in meinem Rumgestrampel inne, um sie festzuhalten. Das Licht wackelt wild hin und her und erzeugt bizarre Schatten. Ich fange die Lampe ein und muss plötzlich grinsen: Welch eine abstruse Szenerie! Innerhalb von Sekunden erzeugt durch einen einzigen blöden Gedanken. Wie bescheuert bin ich eigentlich? frage ich laut in die nächtliche Regenkulisse. Vermutlich ist es gut, dass ich keine Antwort kriege.
Mein Puls beruhigt sich allmählich, das Herzchen befindet sich derweil noch tatkräftig im Unruhemodus. Ich ertappe mich dabei, es genauer beobachten zu wollen und lenke meine Gedanken mit einiger Anstrengung wieder zum dicken Labrador. Das hilft ein bisschen, reicht aber nicht. Ich muss irgendwas tun. Die Idee, mitten in der Nacht das Zelt abzubauen und durch den Wald zu stolpern, verwerfe ich nach kurzem Überlegen. Dass ich keine Lust habe, jetzt in der nassen, kalten Finsternis rumzukriechen, reduziert die Wahrscheinlichkeit auf meinen direkt bevorstehenden Herztod deutlich.
Trotzdem checke ich, ob ich eventuell doch Netz habe. Habe ich natürlich nicht. Dafür fällt mir beim Blick aufs Display meine Playlist ein. Ich habe die Zufallswiedergabe aktiviert und fünf Sekunden später träumen die Moody Blues von Nights in white Satin - irgendwie passend, wie ich angesichts des gerade heftig prasselnden Regens befinde. Ich krame noch mal den Kocher aus meinem Rucksack und mache mir eine Tasse Tee. Kaminfeuer - und ich kann nicht anders, als die Stirnlampe noch mal anzustupsen und das Licht flackern zu lassen.
Der Tee ist der Oberhammer, ich stelle die Satin-Nächte auf Replay und kuschle mich wieder in die Penntüte. Im letzten Moment vor dem Wegdämmern schalte ich das Handy aus. Herztod abwendet.
Die Nacht verläuft störungsfrei, wenngleich ich dennoch unruhig schlafe. Das kenne ich aber schon von Nächten im Freien: Die Erste ist immer zum Drangewöhnen. Als ich aufwache ist es 7.30 Uhr. Es regnet noch immer in Strömen, und ich stelle zufrieden fest, dass das Zelt dicht ist. Kondenswasser gibts es leider trotzdem, und das Kochen im Zelt ist dabei auch nicht die beste Idee. Trotzdem schmeiße ich den Kocher erneut an, erhitze erst Wasser für's Müsli und befülle dann die Mini-Bialetti mit Espressopulver: Mein 180g- Zusatzgewicht-Luxus, über den ich mich gerade freue wie Bolle.
Knie und Hüfte tun leider ziemlich weh. Ich verpflastere das Knie neu und versehe es dabei mit ein wenig Jodsalbe, an dem fetten Bluterguss an meiner Hüfte kann ich nichts machen. Mit zwei Feuchttüchern und etwas Deospray erledige ich den ersten Teil der Morgentoilette und krabble fröstelnd in die - trotz nächtlicher Verpackung klammen - Klamotten. Dann sind Müsli und Espresso ein Genuss, der nur dadurch geschmälert wird, dass ich keine bequeme Sitzposition mehr finde. Ich bin halt noch immer keine Elfe und außerdem keine 20 mehr. Trotzdem schiebe ich den Aufbruch vor mir her: Ich habe grade so gar keine Lust, gleich im strömenden Regen das Zelt abzubauen und zu verpacken.
Hilft aber irgendwie nix, und so räume ich den Rucksack ein, ziehe die Regenklamotten an und krieche ächzend nach draußen. Der heimischen Übung sei Dank, gelingt mir der Abbau trotz Nässe recht zügig, und nach einem kurzen Gassi im Gebüsch und Zähneputzen stapfe ich los. Die ersten hundert Meter tun echt weh, aber dann ist die Gelenkschmiere wohl ausreichend angewärmt, und ich falle wieder in meinen ruhigen, aber zügigen Wanderschritt, der mich gut voran bringt.
Das GPS meldet 15 Kilometer bis zum nächsten Etappenziel. Mal gespannt, wo ich heute ankommen werde.
27.09.2020 12:35 • x 17 #81