Eine Welle warmer, dankbarer Zuneigung überspült mich. Der Wert einer Freundschaft. Und auch wenn gerade sämtliche Schweinehunde an ihren Ketten zerren, weil die Vorstellung, noch immer fett und unsportlich in ein solches Etablissement zu gehen, Herpes verursacht, würde ich mir eher einen Finger abhacken, als diesen Vorschlag ablehnen. Challenge accepted schreibe ich zurück.
Und so vereinbaren wir postwendend ein Probetraining und treffen uns am Nachmittag zum Sportklamotten shoppen. Da Übergewicht unser gemeinsames Problem ist, bleibt mir zumindest der Teil des Frustes erspart, der mich gerne mal überkommt, wenn ich mit schlanken Menschen einkaufen gehen soll. Trotzdem bleibt es eine Herausforderung, ein geeignetes Outfit in Zeltgröße zu finden. Dicke Menschen machen anscheinend keinen Sport. Zumindest kaufen sie wohl nicht in gewöhnlichen Sportgeschäften.
Schließlich werden wir bei Tchibo fündig. Zwar kann man den Kaffee nicht trinken, aber wir erbeuten beide je zwei Garnituren Funktionsklamotten, die erfreulicherweise weder neonpink noch abstrus gemustert sind. Die Designer von Kleidung in Übergrößen scheinen ohnehin allesamt Frauenhasser zu sein oder sonstige schwerwiegende Traumata erlitten zu haben. Das ist einer der Gründe, warum ich nur das Allernötigste an Kleidung besitze. Der andere ist, dass ich mein Fett nie akzeptieren wollte und demzufolge auch die Dekoration desselben mit Stoff für verzichtbar erachte. Das Schlimmste verhüllen muss reichen.
Ich finde mich dick immer unattraktiv, egal, was ich trage. Und wenn mir jemand sagt, dass ich ein hübsches Gesicht hätte, läuft er Gefahr, dass ich ihm selbiges verunstalte. Wenn einem partout nichts Positives zum Aussehen einer Person einfallen will, ist das hübsche Gesicht - gerne noch Diminutiv als Gesichtchen verbrämt - das verbale Pendant zum Echt Kölnisch Wasser für die Oma. Ich war die meiste Zeit meines Lebens eine schlanke, schöne Frau. Und während ich mit meinem Alter gut zurechtkomme, kann und will ich das mit meinem Übergewicht nicht.
Ebenso wenig wie mit meiner Angst. Die begleitet mich wie selbstverständlich auch bei diesem Einkaufsbummel. Ich habe Herzstechen, zeitweise einen Puls von 150, obwohl ich nur vor einem Regal stehe und immer wieder heftige Schwindelattacken. Noch vor wenigen Tagen hätte die Freundin mein Beistand sein und mich beruhigen und unterstützen müssen. Ab heute missbrauche ich sie nicht mehr für meine Befindlichkeiten. Stattdessen setze ich mich heimlich ab und zu kurz hin oder gehe unter dem Vorwand, nach etwas Bestimmtem schauen zu wollen, zügig durch den Laden, um etwas runterzukommen.
Die Freundin tut, als bemerke sie es nicht, aber ich weiß, dass das nicht stimmt. Sie kennt mich zu lange und zu gut. Doch sie schweigt, und als ich von einer Laufrunde durch den Sportladen zurückkomme, zwinkert sie mir kurz zu. Ich zwinkere zurück. Sie ist wunderbar und ich liebe sie.
Als sich die Beute schließlich erfolgreich in unseren Rucksäcken befindet, würde die Freundin gerne noch mit mir Essen gehen. Ich bin eigentlich ziemlich durch, aber ich widerstehe dem Impuls, meine Befindlichkeit in den Vordergrund zu stellen und komme mit. Wir finden einen Platz bei einem Thai, der ohne Geschmacksverstärker kocht und genießen Essen und Zusammensein.
Auf der Fahrt nach Hause lasse ich mir Jefferson Airplane um die Ohren fliegen und singe lauthals mit. Es geht mir gut wie lange nicht mehr.
Wieder ein a.rschlochfreier Tag. Yeehaw.
23.05.2020 15:44 • x 9 #41