Ich amüsiere mich erneut köstlich über all die Diätmythen und Ausreden, die ich allesamt schon selber von mir gegeben habe. Klasse ist auch, dass ich abnehmen kann, ohne eine Sportskanone zu sein/ werden. Das entlastet mich, weil ich früher oft Abnehmversuche abgebrochen habe, wenn ich den Sport wegfallen ließ und dann frustriert dachte, jetzt sei es eh sinnlos.
Mit dem Vorsatz, morgen mit gesunder, kalorienreduzierter Ernährung anzufangen, schlafe ich ein.
Beim Aufwachen bin ich diesmal schlauer und stehe SOFORT auf, sobald ich die Augen 3 Sekunden am Stück offen lassen kann. Ich klettere im Halbschlaf in meine Sportklamotten und stehe nach kurzem Stopp im Badezimmer 5 Minuten später auf dem Laufband.
Kein Eichhörnchen heute - schade irgendwie. Dafür aber auch grade kein Herztod, und ich lasse nicht zu, das näher zu hinterfragen. Ich weiß ja, wo das enden wird. Stattdessen besinne ich mich auf gestern und nehme mir vor, mindestens 20 Minuten auf Stufe 4 zu gehen. Ganz schön schnell, finde ich, als das Band anläuft, und ich mich in Bewegung setze.
Egal. Es hat gestern geklappt, es wird heute wieder klappen. Basta. Mein Vater fällt mir ein: Eine Leistung ist immer erst dann eine Leistung, wenn sie wiederholbar ist. Vorher ist sie Zufall. Stimmt das? Ich diskutiere ein Weilchen mit mir, was nicht so ergiebig ist, weil ich mich für keine Wahrheit entscheiden kann. Den gestrigen Tag werte ich schon als Leistung, schließlich habe ich der Herzinfarkt-Panik erfolgreich getrotzt.
Die Funktionsweise meines Hirns erstaunt mich mal wieder. Ich bin 57 Jahre alt und Großmutter. Was suchen die Weisheiten meines werten Herrn Papa in meinem Kopf? Und was treibt mich dazu, mich von ihnen hinterfragen zu lassen? Ich überlege kurz, ob ich mich davon ärgern lassen will und komme zu dem Schluss, dass es mich eigentlich gerade ganz prima davon ablenkt, über mein körperliches Befinden nachzudenken.
Also gut, Papa, was hattest du denn sonst noch an Sprüchen auf Lager? Die Erinnerung kommt prompt: Geht nicht, gibt's nicht. Ich kann nicht heißt, ich will nicht. Geholfen wird nur dem, der sich selber bemüht. Oha. Widerspruch regt sich. Es gibt sehr wohl Lebenslagen, in denen etwas nicht geht. Wenn man krank ist, zum Beispiel. Ich höre es förmlich in meinem Hirn knirschen.
Sind meine Krankheitsängste ein Versuch, mich vom Funktionieren-Müssen abzuhalten? Ich bin tatsächlich eine Macherin. Wenn ich recht überlege, gab es keine einzige Situation in meinem Leben, in der ich resigniert oder aufgegeben habe. Ich bin durchaus recht häufig auf dem Bauch gelandet - aber irgendwann war die Schockstarre zu Ende und ich habe mich wieder aufgerappelt. Dabei habe ich mich immer wieder als enorm selbstwirksam erlebt - ein gutes Gefühl.
Der Tod lässt sich nicht beeinflussen - auch von einer Macherin nicht. Womit ich beim Thema Kontrolle wäre. Und bei der - schon in der Therapie gefundenen - Erkenntnis, dass ich alles andere als ein Kontrollfreak bin. Eher das Gegenteil. Ich kann prima planen und organisieren, liebe zum Beispiel gute Unterrichtsvorbereitungen, aber ich kann ebenso gut alle Pläne über den Haufen werfen, wenn die Situation sich anders entwickelt.
Das stresst mich nicht, sondern bringt meine Gehirnwindungen in Schwung und führt mich öfter mal zu regelrechten Höhenflügen an kreativen Lösungen. Mich stört Unordnung nicht sonderlich, solange ich finde, was ich suche. Ich mag Abenteuer, bin viel gereist und habe als Backpackerin im asiatischen, südamerikanischen und afrikanischen Ausland mehr als einmal Situationen erlebt, die auch unschön hätten enden können.
Passt also nicht so recht zum Kontrollthema. Ich besitze nur die allernötigsten Versicherungen. Klingt auch nicht nach extremem Sicherheitsbedürfnis. Und ich brauche immer das Gefühl von Freiheit in meinen Beziehungen. Sowohl was mich selbst betrifft, als auch in Bezug auf meinen Partner. Ich könnte niemals mit einem Mann leben, der sich nicht selbst genug ist und nicht auch ohne mich zurecht käme. Ich hasse Abhängigkeiten. Wirtschaftliche wie persönliche.
Meine Kinder habe ich immer zur Selbstständigkeit erzogen.Und jetzt bin ich gerne Oma, aber ich lasse mich als solche nicht in die Pflicht nehmen.
Das Wort Abhängigkeit schlägt ein paar Kapriolen in meinem Hirn. Gesund sein, heißt unabhängig sein. (Schwer) krank sein bedeutet, sich in Abhängigkeiten zu befinden. Holla, die Waldfee!
In diesem Moment bremst mein Laufband: Die 25 Minuten, die ich vorhin einprogrammiert habe, sind um. 20 waren mein Ziel, jetzt sind es 5 mehr geworden. Die Leistung ist wiederholt und übertroffen! schießt es durch meinen Kopf.
Yesssss, Papa.
15.04.2020 12:53 • x 12 #21