Vielen Dank, @hereingeschneit, jetzt ist es mir klarer, was Du meintest, dann habe ich Dich ja doch auch richtig verstanden. Und ich kann das voll unterschreiben.
Noch eine kleine Korrektur, Du hast es ja aber trotzdem richtig verstanden. In meinem Beitrag fehlte einmal ein nicht:
Zitat:Und wenn das Ziel dann vielleicht einfach wäre, im Jetzt bewusst zu leben und einen Schritt bewusst nach dem anderen zu tun, dabei immer auch darauf zu achten, was einem selbst gut tut, dann wäre man in jedem Moment sehr klar und würde wahrscheinlich eben deswegen die Chancen, die sich einem auf diesem Weg bieten, viel eher wahrnehmen und so am Ende gar nicht weit weg von dem zunächst krampfhaft fixierten Fernziel landen.
Aber das nur der Vollständigkeit halber.
Ja, ich sehe das mit dem
Bewerten auch so. Gerade, wenn es um das Bewerten von Zukünftigem geht – also von Dingen, über die wir ja doch eigentlich gar keine
Kontrolle haben, engt uns das ein. Denn wir schließen dabei konkrete Ziele und damit oft auch Wege von vorneherein aus, ohne wissen zu können, ob unsere Bewertung überhaupt stimmt.
(Ein Beispiel für das, was ich mit einem konkreten (zu konkretem) Ziel meine: du willst Werkschef bei VW werden. Vielleicht wäre es genauso gut für dich, den Posten bei Mercedes zu haben, vielleicht sogar noch besser. Das kannst du aber heute gar nicht wissen. Indem du dich auf VW fixierst, verlierst alle anderen Möglichkeiten aus dem Blick – und bist am Boden, wenn es bei VW nicht klappt.)
Um im Bild zu bleiben: Wir erzeugen rund um das gewählte, als gut bewertete Ziel ganz viel
Nebel, räumlich betrachtet bis zu uns selbst zurück, alle alternativen Wege und Ziele blenden wir damit aus. Stellt sich dann heraus, dass wir das fixierte Ziel nur schwer oder gar nicht erreichen, sind wir mittendrin in diesem Nebel und spüren Hilflosigkeit und Kontrollverlust. (Mist, Ziel verfehlt, da bin ich wohl selbst dran schuld, hab' versagt, oder mir das falsche Ziel gewählt, keine Ahnung, was ich jetzt machen soll, ich krieg' mein Leben nicht auf die Reihe, bin ein schlechter Mensch, unfähig.)
Ich denke, dass das
Kontroll-Bedürfnis (Erwartung: Kontrolle = Sicherheit) auf diese Art genauso toxisch, respektive vernebelnd wirkt wie das
Bewerten (Erwartung: Bewerten = Sicherheit, das Richtige zu tun). Und ich denke, dass beides oft im Tandem auftritt. Ich habe aufgrund von traumatischen Hilflosigkeits- und Totalverlusterfahrungen als Kind persönlich ein starkes Bedürfnis nach
Kontrolle, wobei freilich die
Bewertung stets der Kompass ist, der entscheidet, was es wie zu kontrollieren/zu erstreben/zu vermeiden gilt.
Für mich kann ich – paradoxerweise – sagen, ich bin davon ausgegangen, dass ich Handlungsfähigkeit/Selbstwirksamkeit mit Hilfe der Bewertung (Wohin soll es gehen?) erreiche, um aus der erlebten Hilflosigkeit mittels Kontrolle auszubrechen. Oder anders gesagt, ich habe gedacht, dass Bewertung und Kontrolle die besten Begleiter aus den Kindheitserfahrungen heraus in das Erwachsenenleben seien, um endlich die Fremdbestimmtheit zu überwinden. Natürlich will man in diesem Moment ja auch selber kontrollieren, wohin es jetzt geht. Und bewerten muss man da ja auch, um zu entscheiden, welchen neuen Weg man einschlagen will (bloß raus aus dem alten Kindheitssetting).
Diese Entwicklung erscheint mir erstmal auch logisch. Und da das ja eine sehr bewusste Überlegung war, dachte ich auch immer, dass damit Klarheit einherginge. Es klingt ja auch erstmal so. Klare Werte, klares Ziel.
Nun habe ich eine Zutat nicht gehabt, die es ebenfalls braucht, um seinen eigenen Weg zu gehen. Nämlich das
Vertrauen in sich selbst – man kann ja schlicht nicht alles kontrollieren. Wenn man so eine Kindheit hatte, wie ich, hat man aber ungefähr
null Urvertrauen. Das habe ich versucht, krampfhaft zu kompensieren durch Kontrolle und Bewertung. Das geht aber eben nicht, wie ich heute weiss, das ist kein Ersatz. Ohne Vertrauen in sich selbst, kommt man keinem Ziel nahe. Das hat mich regelmäßig scheitern lassen und gefühlsmäßig in einen Nebel versetzt, aus dem ich keinen Ausweg gesehen habe. Ergebnis sind eine Retraumatisierung, Angst und Panik, denn das fühlt sich dann alles genauso an wie als Kind.
Das Vertrauen in sich selbst braucht man also einerseits, um mittels Bewerten/Kontrollieren einen nebligen Weg zu gehen, andererseits aber noch viel mehr, wenn man sich ohne (Halt gebendes, durch Bewertung und Kontrolle angestrebtes) Ziel einfach auf den Weg macht. Für diese einfach Loslaufen können braucht es sehr viel Vertrauen in einen selbst (Du kannst doch nicht einfach loslaufen, ohne zu wissen, wohin, wer weiss, was da passieren kann, wenn Du es nicht vorher zu Ende denkst, alle Eventualitäten in Betracht ziehst und versuchst zu kontrollieren!)
Heute denke ich, dass beim sich einfach auf den Weg machen am meisten
Klarheit herrscht. Man ist dabei nämlich in der Gegenwart, nicht gedanklich in der Zukunft, die man mit einem fixierten Ziel anstrebt. In der Gegenwart kann man sich selbst viel klarer wahrnehmen, seine Möglichkeiten, seine Grenzen, man ist sich selbst bewusster. Erst in diesem Zustand macht es überhaupt Sinn, etwas unverkrampft für gut oder schlecht
für einen selbst zu befinden, nicht kategorisch, sondern jeweils für den
gegenwärtigen Schritt auf diesem Weg. Und auch erst dann hat man tatsächlich so etwas wie bewusste Kontrolle über eben den einen gerade gegenwärtigen Schritt. Man ist sich sich selbst bewusst – das bedeutet für mich Klarheit.
Der Nebel kommt nach dieser Theorie dann also immer dann auf, wenn wir uns von unserem gegenwärtigen Sein entfernen. Wenn wir uns nicht selbst im jeweiligen Moment
bewusst sind und auf uns
vertrauen können. Wenn wir statt dessen über Gebühr in die Zukunft (Ziel!) abschweifen, die immer unsicher ist und dadurch immer potenziell Angst macht.
Ich würde also denken,
je gegenwärtiger, je bewusster, desto klarer. Und ja, die Varianten des Spruchs finde ich schön:
Zitat von hereingeschneit: Jetzt habe ich für mich erkannt, dass ich kein Ziel brauche um einen Weg zu haben.
Zitat von hereingeschneit:Der Weg ist der Sinn des Lebens. Es gibt kein Ziel, wir sind schon da.
Zitat von hereingeschneit: Ich denke, wir stehen immer im Nebel und nur durch das Gehen können wir immer wieder Neues entdecken/erfahren/erkennen.
Wichtig scheint mir nochmal, aus der eigenen Erfahrung, der Gedanke mit den
Chancen. Die ergeben sich im Leben sekündlich. Wir können jederzeit entscheiden, Chancen, die sich bieten, zu ergreifen. Eben auch solche, die uns (hätten wir eins formuliert) unserem Ziel näherbringen würden. Wir müssen sie nur überhaupt sehen/wahrnehmen. Und das geht mit dem aufs Ziel gerichteten Tunnelblick nicht. Das geht
nur, wenn man bewusst im Moment lebt mit etwas Selbstvertrauen. Dann sieht man überhaupt erst.
Seit ich es aufgegeben habe, krampfhaft ein Ziel zu verfolgen, habe ich in meinem Leben unglaublich viele Chancen überhaupt erst bemerken können. Ich habe Dinge getan/gelernt, die ich mir nie hätte vorstellen können. Ich lebe heute von etwas komplett anderem als vor zehn Jahren und verbringe Zeit mit Leuten, mit denen ich mir das nie hätte vorstellen können. Von vielen dieser Sachen hätten mich Zielfixierung und Bewertung kategorisch abgehalten.
Insofern finde ich heute, dass der Sinn darin besteht, sich einfach auf den Weg zu machen, dabei immer in der Gegenwart zu bleiben, sich selbst zu vertrauen bei jedem Schritt (bei nur einem Schritt ist das auch nicht so schwer ). Das
bewusste Gehen jedes Schrittes im Jetzt ist dann wiederum eigentlich
Klarheit.
PS: Das klingt jetzt alles vielleicht so logisch und einfach, das ist es leider aber gar nicht, sonst würde ich ja nicht in diesem Forum schreiben. Ich denke, ich selbst muss bei dem Ganzen noch sehr viel an den zwei Zutaten im Jetzt sein und Selbstvertrauen arbeiten.