Da mich - aber scheinbar auch einige andere - immer wieder die Frage beschäftigt wann und wie kann ich meine Medikamente absetzen ohne den Behandlungserfolg zu gefährden, würde ich auch hierzu gern in diesem Thread ausschliesslich positive Beispiele sammeln.
Die Ausgangssituation
Angst- und Panikstörungen, die sich über einen längeren Zeitraum entwickelt und in meinem Leben eine immer beherrschendere Rolle eingenommen haben. Es hat lange gedauert bis das was ich - aufgrund fehlenden Wissens und Verständnis für meine Situation - als Schwindel beschrieben hab, als Angst- und Panikstörung diagnostiziert wurde. Gleichzeitig war die begleitende Diagnose Erschöpfungsdepression (Burn out) ein anfangs schwer verdaulicher Brocken für mich. Ich war bislang immer sehr leistungsorientiert, mental wie körperlich sehr belastbar und konnte es mir anfangs schwer eingestehen, dass ausgerechnet ich an solchen Erkrankungen leide.
Was hat mir geholfen?
1. Zeit und Krankschreibung
Nun zum einen möchte ich sagen, dass die Hilfe sich nicht von jetzt auf gleich positiv bemerkbar gemacht hat. Ich war alles in allem fast ein Jahr krank geschrieben, davon am Ende einige Wochen in einer Reha-Klinik (AHG Psychosomatische Klinik in Bad Dürkheim, seither für mich Good Dürkheim), anschl. einige Wochen Betriebliche Wiedereingliederung in den alten Job.
2. Medikamente
Ich nehme seit ca. 1,5 Jahren ein SSRI (Paroxetin, Anfangsdosis für ca. 3/4 Jahr 20mg, seit ca. Mitte der Reha also jetzt schon ca. ein weiteres 3/4 Jahr 10 mg). Nebenwirkungen gab's auch, aber eben auch positive Wirkungen. So bin ich dadurch überhaupt erstmal wieder zur Ruhe gekommen. Das war echt klasse. Mit der Dosisreduzierung im November sind auch einige der lästigen Nebenwirkungen sprichwörtlich von jetzt auf gleich verschhwunden. Ein bißchen ist aber geblieben. Aber das krieg ich auch noch hin.
3. Ausschluss anderer Krankheiten
Ich hatte in den Monaten vor der Krankschreibung schon einen wahrlichen Ärztemarathon hinter mir. Weiß gar nicht mehr ob ich alle Fachrichtungen aufgezählt bekomme: Nephrologe, Kardiologe, Orthopäde, Innere, HNO, Augenarzt, Radiologe, diverse Male Notaufnahme, Neurologe, Psychiater.
Rückblickend betrachtet war es für mich wichtig die tatsächliche Diagnose annehmen zu können, indem ich wusste es kann einfach nix anderes sein.
4. Bewegung und Vermeidung aufgeben
Nachdem ich endlich zur Ruhe gekommen bin, konnte ich nach einigen Wochen bzw. vielleicht gut ca. 3 Monaten auch wieder mit moderater Bewegung loslegen. Das war für mich, der ich vorher immer sehr aktiv war, ein ganz wichtiger Schritt. In der heißen Phase konnte ich kaum noch das Haus verlassen, einkaufen oder schwimmen war eigentlich gar nicht mehr möglich. Arbeiten ja auch nicht, da mich auf dem Weg dorthin schon eine Panikattacke nach der nächsten lahmgelegt hatte.
Anfangs durch eher kurze Spaziergänge in Begleitung oder auch einkaufen in Begleitung hab ich wieder einzelne Lebensbereiche für mich zurückerobert.
Bis ich aber bspw. wieder ins Schwimmbad gehen konnte (und das als Triathlet, der vorher regelmäßig dreimal die Woche im Wasser war), hat es fast ein 3/4 Jahr gedauert.
Lockeres Radfahren hat mir auch geholfen. Und nachdem ich anfangs in Begleitung aktiv war, hab ich bewusst Situationen gesucht in denen Angst und Panik sich breit gemacht hatten. Ich hab also das Vermeidungsverhalten aufgegeben. Das war echt nicht leicht, lief aber wohl bilderbuchmäßig ab. Also die Situation vorher überlegen und unterstützende Sätze bereitlegen, ebenso Handlungsalternativen.
Dann rein in die Situation. Warten auf die Angst. Angst aushalten. Selber beruhigen durch Selbstgespräche (vorher vorbereitet), tiefe Bauchatmung und so gelang es schrittweise diese Situationen wieder als beherrschbar und nicht beunruhigend zu erleben.
Das liest sich jetzt vermutlich leichter als es in den Momentan war. Aber es hat geklappt.
5. Literatur und Wissensaufbau
5.1. Prof. Google
Suchmaschinen in allen Ehren, aber mich hat das nicht wirklich weitergebracht.
5.2. Verdauliche Fachliteratur
Ich hatte im Sommer ein Erstgespräch mit einer Psychotherapeutin, die mir für die Überbrückung der Wartezeit bis zum Therapiebeginn (der dann erst im Dezember stattfand) Bücher empfohlen hatte. Und zwar ging es hier um zwei Autoren aus dem PAL Verlag. Wolf und Merkle.
Es gibt sicher auch andere gute Autoren und Verlage, aber das war das war mir gut weitergeholfen hatte.
5.3. Weitere Literatur
In der Reha wurden mir noch andere Bücher empfohlen (Lerne siegen ohne zu kämpfen = Shaolin; Anleitung zum Unglücklichsein; Ängste verstehen und besiegen, etc.). Mir hat das alles gut geholfen. Ich hab auch einiges ausprobiert, ein paar Dinge weiter beibehalten und anderes wieder verworfen.
5.4. KEINE Fachliteratur
Ich hab dann auch irgendwann den Punkt erreicht, da hatte ich wirklich die Schnauze voll von dem ganzen Krankheitsmist. Mein ganzes Leben hatte sich irgendwann nur noch um die Krankheit gedreht. Ohne großen Plan hab ich einfach den Wunsch gehabt, dass da doch mehr im Leben sein muss. Und so hab ich neben den o.g. Fachbüchern auch wieder angefangen andere Bücher zu lesen. Insbesondere komische Kurzgeschichten waren zu der Zeit für mich spannend. Warum?
Nun, es fiel mir schwer mich zu konzentrieren. Anfangs hatte ich Mühe für länger als 10 Minuten am Stück etwas zu lesen. Fernsehen oder DVD war gleich gar nicht drin. Alles viel zu lang für meine Aufmerksamkeitsspanne.
Aber die lustigen Kurzgeschichten bspw. von Horst Evers, haben mir wieder Spass bereitet, den Blick auf anderes gelenkt und nebenbei mir auch geholfen mich wieder zu konzentrieren.
6. Psychotherapie
In der Reha (Mitte 10/14) hatte ich meine erste wirkliche Therapie (kognitive Verhaltenstherapie). Meine Bezugsärztin in der Reha war auch gleich meine Bezugstherapeutin und die Chemie hatte gut gepasst. Auch die Kombination mit den Gruppengesprächen (Problemlösegruppen, kleine Depressionsgruppe, etc.) waren für mich lehrreich. Ich konnte mich soweit öffnen, wie es mir zu dem Zeitpunkt möglich war, hatte verständnisvolle aber auch kritisch-begleitende Kommentare der Therapeuten und Mitpatienten erlebt.
Schön war, dass nicht immer die Probleme im Raum standen sondern oft von dem woran erkenne ich das es mir wieder gut geht die Rede war. Daran hatte sich nämlich der Lösungsweg orientiert. Aber natürlich war auch das aufarbeiten der eigenen Situation und vor allen Dingen das Aufzeigen und Erarbeiten von Handlungsalternativen sehr hilfreich. Hilfreich insbesondere um das vorher so lähmende Gefühl der Hilflosigkeit, des ausgeliefert seins bewältigen zu können.
Die anschließende ambulante Psychotherapie dauert noch an. Ich kann hieran schwer festmachen, was mir das bringt. Hab aber den Eindruck, dass es für meine Stabilisierung und Rückkehr in die Verantwortung im Job notwendig war und ist.
7. Entspannung und begleitendes Programm in der Reha
Aber auch das begleitende Programm in der Reha war wichtig. Das offizielle Programm bestehend aus Teamsport, Aqua-Jogging, Mass., Rückenschule, Progressive Muskelentspannung, viele Vorträge, die dann tags darauf in Kleingruppen aufgearbeitet wurden und etwas Ergotherapie.
Das inoffizielle Programm:
GANZ WICHTIG: Wieder unter Leute kommen. Aktivität in den Alltag einbauen, den Tag wieder selber zu gestalten, viele und zwischendurch auch wieder längere Spaziergänge, jeden Tag mehrfach Bewegung, kein TV, nicht auf dem Zimmer einigeln, Sauna, Ausflüge machen, radeln, schwimmen und sich auch mal wieder etwas gönnen und sich selber belohnen.
8. Sich selber wieder wertschätzen
Das spielt wohl bei vielen der o.g. Punkte eine Rolle, das Selbstvertrauen wieder aufzubauen. Wieder lernen mehr auch mich selber acht zu geben, wieder zu merken welche Signale der Körper oder auch die Psyche mir sendet. Dies neu interpretieren und mir und meinen Bedürfnissen wieder mehr Gewicht schenken.
Geduld haben.
9. Vertrauen
Vertrauen entwickeln zum Doc, in meinem Fall zur Hausärztin, die mich wirklich super begleitet hat. Aber auch Vertrauen in mich und in meine Umwelt zu entwickeln.
Nachdem also vieles mittlerweile wieder gut läuft und auch echt viel Zeit ins Land gegangen ist, folgt bei mir nun in Kürze der nächste Schritt. Nämlich das Absetzen bzw. Ausschleichen des SSRI (zur Erinnerung = ich bin schon runter auf 10mg Paroxetin).
Hierüber hab ich im Internet eigentlich fast nur abschreckende Erlebnisse gefunden. Und das aus unterschiedlichen Gründen, die da wären:
- als Patient war man vielleicht noch nicht so weit
- die Absetzschritte waren zu groß
- die Absetzintervalle waren zu kurz (in einem Beispiel hab ich gelesen, wie jemand von 50 mg in 10 mg pro Woche Schritten runter ist und dies trotz Entzugssymptomen durchgezogen hat, nur um dann am Ende doch wieder die Dosis raufzusetzen).
Hab jetzt hier einen Link gefunden, den ich für ganz vielversprechend halte:
http://antidepressiva-absetzen.de/Stufe_1.html
Ganz kurz meine Zusammenfassung dazu:
1. Man muss soweit bereit sein für das Absetzen, d.h. die Grunderkrankung sollte hinreichend therapiert sein. = in meinen Augen der am schwersten zu beurteilende Schritt, da man selber oft nicht wirklich objektiv genug ist, sondern oft der bloße Wunsch des Absetzens im Vordergrund steht
Anhaltspunkte = sind die Ursachen für meine Probleme noch da, hab ich meine Lebenssituation verändern können, hab ich evtl. Handlungsalternativen oder andere Sichtweisen mir zu eigen machen können?
2. Sich Zeit nehmen zum Ausschleichen
Nicht von jetzt auf gleich auf Null runter. Bei dem o.g. Link sind für verschiedene Medikamente grobe Anleitung zum Absetzen / Ausschleichen in einer Tabelle ausgewiesen. Faustregel bei Paroxetin = nicht mehr als 10mg auf einmal absetzen, dem Körper die Chance geben sich an die neue, geringere Dosis zu gewöhnen.
Erst wenn man auf der neuen Stufe stabil ist bzw. nicht vor einem Monat, dann den nächsten Schritt wagen.
3. Jeder ist anders
Nur weil es anderen gelingt jeden Monat um 10mg zu reduzieren, muss es nicht dem nächsten auch gelingen. Deswegen ist man kein besserer oder schlechterer Mensch. Die eigenen Erfahrungen berücksichtigen. Also wenn ich einmal feststelle, dass ein 10mg Schritt für mich zu groß ist, dann bereit sein wieder den Schritt zurück zu gehen, neu stabilisieren und dann mit kleinerem Schritt bspw. 5 mg einen neuen Versuch starten.
Sooooo, eigentlich wollte ich gar nicht so viel schreiben, auch wenn es sicher nicht den Anspruch auf Vollständigkeit hat. Aber es sprudelte nur so aus mir heraus.
Das ist nämlich auch eine Erfahrung aus meinen letzten 1,5 - 2 Jahren: Drüber reden können. Das gelingt mir nicht mit jedem und muss es auch nicht. Meinen Chef und meine Arbeitskollegen gehen bestimmte Dinge einfach nichts an. Aber um Verständnis für die eigene Situation zu bekommen, hab ich für mich den Schritt gemacht mein berufliches wie mein privates Umfeld stückweise und wohldosiert in meinen Weg zurück einzubinden.
Ohne meine Hausärztin hätte ich glaub ich diesen Weg nicht so gut gehen können, wie ich ihn rückblickend gegangen bin.
Ach eins noch:
Man kann als Erwachsener unheimlich gut auch von Kindern lernen. Von meinem Patenkind hab ich mir wieder das Leben im Moment wieder abgeschaut. Kinder machen sich oft nicht so viele Sorgen und grübeln nicht so viel. Das und die kindliche Offenheit für Neues und Begeisterungsfähigkeit haben mir zu mehr Lebensmut verholfen.
Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn sich einige von euch anschließen mögen und einen kurzen oder langen Abrisss über die eigene Erkrankung und den Weg der Erholung und Genesung geben können. Damit so auch diejenigen, die noch ganz am Anfang des Weges stehen sich ermutigt fühlen und auf Ideen kommen, was individuell helfen kann.
Für mich speziell wäre es nochmal eine Bereicherung positive Erfahrungsberichte zu lesen aus der Ausschleichphase von SSRI (egal ob Paroxetin oder ein anderes Medikament).
Sowas wie Rückfallgefahr hab ich hier übrigens bewusst ausgespart. Warum? Meine Ärztin und Therapeutin aus der Reha hat mir mal gesagt, wenn jemand eine Grippe überstanden hat, dann würde man bei demjenigen doch auch nicht erwarten, dass er Zeit seines Lebens nie wieder an einer Grippe erkrankt. Gleichwohl scheint mir dies ein Makel zu sein, der uns seitens der Gesellschaft anhaftet.
Vielen Dank für's Lesen und an Jeden, der sich hier sinnvoll anschließen mag.
Alles Gute
14.08.2015 10:52 • • 22.04.2021 #1