wie ich hier an einigen Stellen schon geschrieben habe, leide ich unter Agoraphobie mit Panik-Attacken. Besonders schlimm ist es,
- je weiter ich mich von daheim entferne und/oder
- wenn ich nicht weiß, wo ich bin und/oder
- ich mir (schon fast zwanghaft) eine Landkarte vorstelle und meinen Standpunkt darauf zu bestimmen versuche und/oder
- Zug/Reisebus fahre, weil ich nicht jederzeit raus kann und keine Fenster da sind
- wenn ich nur an Flughäfen/Flugzeuge denke, geschweige denn sehe!
Nun bin ich ja in Therapie und habe in der Vergangenheit bereits einige kleine und große Fortschritte für mich verbuchen können: allein mit dem Zug nach Hamburg, mit dem Auto nach Hamburg, eine Freundin im Frankfurter Raum besuchen, Besichtigung des Frankfurter Flughafens etc.
Ich stelle fest, dass es immer leichter wird, je öfter ich es tue! Es ist wirklich wahr, was die anderen sagen und auch mein Therapeut hat da recht: Du tust es und Du merkst, es geht gut, es passiert nichts Schlimmes!
Diese Erkenntnnis berauscht mich regelrecht und ich würde es am Liebsten sofort noch steigern: Kurzflug oder ab nach Süddeutschland fahren, was kostet die Welt?!
Nun zu meinem eigentlichen Erlebnis, das ich hatte, und deren Erfolg ich noch immer nicht glauben kann. Ich möchte an dieser Stelle gern weiter über meine Reise-Angst berichten.
- Dienstreise an den Niederrhein hinter Köln, ein Winzig-Kaff mit nur einem Gleis am Bahnhof. Zugreise dorthin mit den Kollegen. Ich bin vorbereitet, konzentriere mich auf meine ruhige Atmung, bin zwar angespannt und habe Angst, aber keine Panik! Unterhalte mich, lache mit den Anderen, lese und esse was, gucke kaum aus dem Fenster, sondern freue mich auf unser Ziel: Ein verschlafenes Nest, in dem ich meine Kollegen aus dem Süden kennen lernen werde. Den zerstörerischen Gedanken Hilfe, ich entferne mich immer weiter von dem sicheren Zuhause schiebe ich sofort wieder weg - es ist ja nur ein Gefühl! sage ich mir und lenke die Aufmerksamkeit sofort wieder zurück nach außen - ICH HABE DIE KONTROLLE ÜBER MEINE GEDANKEN! Die Fahrt war angenehm. Eine liebe Kollegin verrät mir, dass sie nicht gern auf Reisen gehe und dass es ihr nicht so gut gehe... ich bin ungemein erleichtert und leide mit ihr. Eine Verbündete, mit der ich mich stillschweigend verständige.
- Unser Ort/Hotel war klein, am Ende der Welt - aber nett! ich merke, sie kommt, weil meine Konzentration schwindet, die Müdigkeit kommt und ich deshalb meine Aufmerksamkeit kurzfristig wieder auf mich (nach innen) gerichtet habe. Schnapp, da klappte die Falle zu. Wo bin ich? Oh mein Gott, sooo weit weg, fast schon in Holland! Ich wurde unruhig und sprach mit meiner Sitznachbarin, dass der Tag echt lang sei... ja, das stimme, sehe sie auch so... schon waren wir im Gespräch und die Panik verschwand, wie sie kam... löste sich in Luft auf, weil ich meine Gedanken auf etwas/jemand Anderes richtete als auf mich.
Der Rest des Abends war schön, ich habe interessante Leute und Dinge kennengelernt.
Als es dann ans Schlafen ging, wuchs die Angst - ich, allein auf meinem Zimmer, entspannen, die Kontrolle über meinen Körper abgeben... würde ich überhaupt ein Auge zumachen können? Kaum, dass ich lag, merkte ich, wie müde ich war. Mir graute es vor morgen - Busfahrt mit den Kollegen, Besuch einer km-großen Grube, in der Monstermaschinen stehen, die wir besichtigen werden, eine Mondlandschaft ohne fixen Punkt am Horizont - ein Albtraum für Agoraphobiker wie mich!
Überraschenderweise schlief ich und zwar relativ gut!
Es war so schön und spannend, dass ich gut gelaunt beim Essen saß und mich sogar auf die Rückfahrt mit dem Zug freute.
Doch dann der Schock: Sämtliche Züge, die unseren Abfahrtsbahnhof verließen, wurden gestrichen!
Meine größte Furcht bewahrheitete sich. Was nun? Panik wollte kommen... ich hörte sie klopfen: Darf ich eintreten? Ich wollte sie schon hereinlassen, mich ganz auf mich konzentrieren, doch da hatte ich meine Rechnung ohne meine Kollegen gemacht. Sie lachten!
In Köln begann ich zu zittern und alles um mich sich zu drehen. Die Erschöpfung war enorm, meine Nerven arg angefressen... aber was das Wichtigste war: Ich war noch da und ich lebte noch und es war nichts Schlimmes passiert! Im Zug Richtung Berlin dann war ich so entpsannt, dass ich beinahe eingeschlafen wäre. Und gestern dann dachte ich: NOCHMAL, NOCHMAL!
Mir ist klar, dass meine Kollegen mir viel gholfen haben, das alles durchzustehen. Ohne sie wäre ich vermutlich panisch geworden. Aber sie waren da. Und auch, wenn sie beim nächsten Mal vielleicht nicht da und ich auf mich allein gestellt sein sollte, so weiß ich doch: Ich werde es überleben! Ich werde es schaffen! Ich weiß, wie!
Das große Abenteuer, das hinter diesen 2 Tagen steckte, war so gewaltig, dass meine Lust geweckt worden ist, mehr davon zu entdecken. Ich weiß, dass die Angst mich womöglich wieder begleiten wird. Aber ich weiß auch, wie ich die Panik zurückhalten oder mich ihr schnell wieder entziehen kann. Indem ich meine Aufmerksamkeit weg von ihr richte und mich mit anderen Dingen beschäftige. Meine Gedanken auf was Anderes richte: Mitreisende, Eindrücke, die sich mir optisch bieten, oder - im Notfall - einfach auf die Lösung eines Problems. Ich habe keine Zeit für diesen Luxus Panik, wenn ich irgendwo in der Pampa festsitze oder vor mir eine 17 Tonnen schwere Maschine steht: Dann muss meine Aufmerksamkeit einfach nach außen gehen und das tut sie auch- zurück in die Wirklichkeit!
Liebe Grüße von einer berauschten Isi - die noch diesen Monat erneut verreisen wird!
09.10.2010 14:41 • • 25.04.2011 x 1 #1