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Vor kurzer Zeit schrieb ich, 30, männlich, über ein paar Probleme in der WG, worauf leider niemand antwortete. Nun gut, daß es eher eine Art Tagebucheintrag wird, war mir bereits vorher klar.

Jetzt jedenfalls herscht Gewißheit. Gut? Nein, schlecht!

Ich war einige Tage nicht hier, und als ich mit ohnehin schon unwohligem Gefühl nach Hause zurückkehrte, wurde ich schnell damit konfrontiert, daß ich ein Störfaktor sei und besser ausziehen solle, auch im eigenen Interesse, da ich zukünftig ausgegrenzt werden werde.

Das ganze geht in erster Linie von einer Mitbewohnerin aus, die den drei übrigen Mitbewohnern anfreundete, aus mir unerklärlichen Gründen einen regelrechten Haß auf mich hat und mich loswerden möchte -- und wenn es über den Mieter geht, der Eigenbedarf geltend machen soll (und würde). Notfalls, meinte sie, ziehe sie aus, dann aber würden zwei weitere Mädels mit ihr ausziehen, und das sei nicht im Interesse des Vermieters.

Ich habe ohnehin ein extremes Problem damit, ausgrenzt zu werden, und wenn es nur um die kleinsten Kleinigkeiten geht. Das hier ist für mich eine Katastrophe, obwohl ich von denen eigentlich sowieso nichts mehr zu tun haben möchte. Psyche -- Verstand, Psyche gewinnt.

Es reicht ein gemeinsames Lachen in der Küche, um mich aus der Bahn zu werfen. Ausziehen! Tja, wenn denn das nächste halbe Jahr in meinem Leben klar wäre, wenn da nicht Abschluß und Arbeitssuche anstünden, so daß ich gar nicht weiß, wohin es mich verschlägt, könnte ich mir hier einfach eine eigene Wohnung suchen.

Ich hatte nie viele Freunde (das ist stark aufgerundet) und hatte schon immer meine Probleme, überhaupt Kontakte zu knüpfen. Ein Jahr lang hatte ich eine Freundin -- sie beging vor 10 Monaten Selbstmord --, die den Verdacht äußerte, ich habe das Asperger-Syndrom. Eigentlich sprechen sehr viele Anzeichen dagegen, aber was die Einsamkeit betrifft, den Smalltalk, da kommt es nur allzu gut hin.

Es ist eigentlich auch egal, wie man das nennt, denn Tatsache ist, daß ich alleine bin. Mir fällt es schwer, Kontakte zu knüpfen, und inzwischen habe ich daraus gelernt, Angst zu haben, ich könne etwas falsches gesagt haben. Ich mag keine großen Gruppen; vier Augen sind mir genug, meine mitgezählt. Ich suche Miteinander, Freundschaft, Verständnis, aber das ist alles nur ein Wunschtraum.

Ich bin nett, lieb, kann witzig sein, wenn es mir denn gut geht, bin nachdenklich, aber ich habe wohl mein Problem mit unbeschwerter Unterhaltung und dem Abschätzen, wann ich auf jemanden zugehen und wann ich ihn besser in Ruhe lassen sollte. Warum dann beispielsweise eine Mitbewohnerin nicht einfach mal bei mir klopft und sich einfach mit mir unterhält, weiß ich nicht. Ich weiß nicht, was ich da für Signale aussende. Ich weiß auch nicht, ob es überhaupt an mir liegt. Zwar bin ich eigen, aber bisher konnte ich alles auf Unstimmigkeiten, verschiedene Charakter oder so etwas abschieben, aber gerade bin ich in einer Phase echten Zweifels.

Hinzu kommt dann eben die Einsamkeit, die Angst vor Einsamkeit, Depressionen, und das macht die das Knüpfen von Kontakten, was ich sowieso nie konnte, quasi noch unmöglicher.

Dabei suche ich doch eigentlich nur einen verläßlichen Menschen zum Reden, zum Unterhalten, zum Spaßhaben und gerne auch zum Aussprechen und Zuhören.

Tagebucheintrag zuende.

30.10.2009 20:33 • 31.10.2009 #1


Damit dein Beitrag nicht wieder als einsamer Tagebucheintrag endet, schreibe ich dir.

Ich hab mich in deiner Geschichte recht gut wieder erkennen können.
Allerdings hab ich diese Art von Problemen schon vor längerer Zeit hinter mir gelassen -was mich dazu animiert, dir zu schreiben.

Um dir zu zeigen: Man kann etwas ändern und man kann Alles lernen.
Auch Selbstvertrauen, Selbsterkenntnis, Gespräche zu führen.
Man kann lernen, sich selber unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Aber mal von Anfang an: Ich litt schon ab dem sechsten Lebensjahr an einer unheilbaren Krankheit, was dazu führte, dass ich die meiste Zeit meines jungen Lebens im Krankenhaus verbrachte. Deswegen war ich ein sehr nachdenklicher und grüblerischerMensch, und lange Zeit ein Außenseiter -auch dann noch, als ich schon gar nicht mehr ins Krankenhaus musste, sondern ambulant behandelt werden konnte.
Ich hab mich schwer getan, auf Andere zuzugehen, und war der festen Überzeugung, dass ich für immer ein Eigenbrötler sein werde, ein Freak, ein Außenseiter mit dem keiner was zu tun haben will.
Die Meinung Anderer war mir sehr wichtig, also habe ich mich verstellt, um Anderen zu gefallen, oder hab überlegt, was ich sagen muss, damit se mich mögen -und blieb im Endeffekt trotz all meiner Überlegungen dazu allein. Ich wollte, dass man mich mag, und hab es mit aller Verzweiflung versucht -und bin gerade darum immer gescheitert.
Denn Verzweiflung ist ein ganz schlechter Antrieb.
Nur, wer sich selbst mag, den können auch Andere mögen.
Das ist ein ganz alter Spruch -aber er stimmt noch immer.

Irgendwann hab ich erkannt, dass es so nicht weiter gehen soll, dass ich etwas verändern will. Also hab ich mich zu einem Gesprächstraining angemeldet. Dort wurde uns beigebracht, wie man Smalltalk führt, wie man einen Streit führt, Konfikte löst -wie man sich selbst im Gespräch behauptet. Gleichzeitig hab ich mich auch von einer ganz neuen Seite kennen gelernt, Dinge an mir entdeckt, die ich noch gar nicht kannte.
Ich wurde viel lockerer im Umgang mit Anderen.
Danach hab ich begonnen, meinen Blickwinkel aktiv wieder richtig zu stellen.
Denn ich hab damals, wie du jetzt, mich selbst nur durch die Augen Anderer betrachtet. Das führt aber dazu, dass man sich selbst aus dem Fokus verliert, dass man sich selbst vergisst und verkennt.
Darum hab ich begonnen, meinen Blickwinkel von innen nach außen zu richten. Also: Was tut mir gut? Wen mag ich? Wer ist mir wichtig? Wer nicht? Wer macht mich glücklich?
Ich hab mich selbst akzeptiert, so wie ich eben bin. Mit den Ecken und Kanten, mit meiner Krankheit, und auch mit den schönen Seiten.
Ich hab mir jedne Tag selbst gesagt: Ich mag mich, Ich bin ein toller Mensch, ich kann Alles erreichen, was ich nur will.
Am Anfang waren es leere Phrasen, dann wurden sie wie eine Art Meditation für mich, und inzwischen lebe ich, wie ich es mir immer gewünscht habe: Als beliebter und lockerer und umgänglicher Mensch, der überall mit Leichtigkeit Anschluss findet.

Menschen, die dir gut tun, in die solltest du Zeit investieren. Deren Meinung von dir ist auch wichtig. Aber fremde Menschen, Menschen wie die in der WG, die du selber nicht mehr leiden kannst -deren Meinung ist doch zwangsläufig egal für dich. Du willst mit ihnen doch sowieso nichts mehr zu tun haben.
Vor Allem aber solltest du dir klar werden:
Deine eigene Meinung ist wichtiger als ihre.
Wenn du dich selbst magst, ist es vorrangig egal, was Andere von dir denken. Denn dann können dir Ausgrenzung, Spott, etc. nichts mehr anhaben.

Deine Angst vor dem bewertet werden, vor der Ausgrenzung, die kann ich sehr gut verstehen -ich hatte sie ja selber.
Aber es ist eine völlig absurde Angst.
Menschen bewerten einander ständig, Menschen grenzen aus.
Auch du kannst Andere bewerten, und ausgrenzen, sagen, wen du magst und wen nicht, mit wem du etwas zu tun haben willst und mit wem nicht.
Du musst kein Opfer sein von Bewertung und Ausgrenzung -du kannst es auch selber machen. Vielleicht wäre es eine ganz nette Übung für dich, einfach mal unterwegs Andere zu bewerten und über sie zu urteilen.
Einfach irgendwelche fremden Leute anzuschauen und dir im Kopf ein Urteil über sie zu bilden.
Denn jemanden zu bewerten, das ist nichts Böses.
Auch Ausgrenzen ist nichts Böses.
Man kann eben nicht jeden mögen, mit manchen Leuten will man einfach nichts zu tun haben. Auch das ist nicht schlimm, sondern einfach menschlich und ganz normal.

Ich vermute (aus Erfahrung), dass du auch deinen Blickwinkel ändern musst.
Im Moment ist dein Fokus ja sehr auf andere gerichtet, darauf, wie sie über dich denken. Aber du solltest ihn ganz allein auf dich richten.
Und eine Art gesunden Egoismus aufbauen und erlernen.
Denn dann kannst du es dir leisten, die Meinungen von Anderen zwar zu hören -aber sie auch mal zu ignorieren, weil du weißt, dass sie nicht recht haben
Du musst wissen, wer du bist.
Und die Meinung Anderer hat wenig damit zu tun.
Das muss aus dir selbst heraus kommen.

Denn wer sich selber kennt, wer um seine Stärken und Schwächen weiß, wer Selbstvertrauen hat und sich selbst lieben kann, der ist auch nicht mehr so abhängig von der Meinung Anderer.
Der kann offen und ohne Angst auf andere Menschen zugehen.
Weil er weiß: Entweder man mag mich, oder eben nicht.
Das ist ganz normal, und solange man sich selbst gut leiden kann und mit sich selbst im Reinen ist, kommt man auch mit Ablehnung zurecht.

Solange du dich nicht selbst annehmen kannst, können Andere das auch nicht. Denn wenn du mit jemandem redest und deine Gedanken kreisen nur darum, wie er dich findet, was er von dir denkt, dann strahlst du Unsicherheit aus. Und das wirkt verklemmt und vor Allem wirkt man unecht. Nicht authentisch. Und das merken Andere sofort.
Sie können dich nicht einschätzen, weil du nicht du selber bist.
Und dann wenden sie sich wieder von dir ab, weil sie nicht wissen, woran sie bei dir sind.
Es liegt also nicht primär an dir, sondern schlicht und ergreifend daran, dass dein Fokus falsch ausgerichtet ist.
Weil du nicht selbst mit dir im Reinen bist, können Andere dich nicht einschätzen. Du musst lernen, mehr du selbst zu sein, dir weniger Gedanken zu machen. Dann tust du dich auch leichter im Gespräch mit Anderen.

Bevor du also das Problem mit der Kontaktaufnahme, der Einsamkeit und den belanglosen Gesprächen angehen kannst, musst du also erst einmal mit dir selbst ins Reine kommen.
Du kannst auch die Probleme im Verbund angehen.
Also z.B. eine Selbsthilfegruppe besuchen, einen Gruppenkurs machen, Gesprächstraining beginnen, Gruppenaktivitäten beiwohnen wie etwa im Verein, eine Therapie machen, dir Bücher kaufen und sie lesen, und vor Allem an deinem Blickwinkel und deinem Selbstvertrauen arbeiten.
Dein Selbstvertrauen muss so groß werden, dass dir die Meinung Anderer ganz egal sein kann Meistens erledigen sich dann die anderen Probleme von ganz allein.

(So war es auch bei mir und das ist das Absurde daran: Solange man krampfhaft versucht, von Anderen gemocht zu werden, geht es nicht, weil man falsch und vekrlemmt wirkt. Sobald es einem egal ist, was Andere denken, wird man offen und ungezwungen -und dann wird man beliebt.)

Wie hast du eigentlich die Sache mit deiner Freundin überstanden?
Bist du deswegen sehr in dich gekehrt im Moment, oder war das schon immer so?

Ich denke, dass man auch mit schicksalsreicher Vergangenheit unkomplizierte und lustige Gespräche führen kann.
Ich hatte es selber bisher auch nicht leicht, und hab auch vor ziemlich genau 10 Monaten meinen Vater plötzlich verloren. Ich bin ein Mensch, der aufgrund seiner Vergangenheit mehr nachdenkt als Andere. Aber ich kann trotzdem Smalltalk führen, ungezwungene Unterhaltungen führen, und lachen.
Das eine hat mit dem Anderen, finde ich, nichts zu tun.
Man kann beliebt sein und sich trotzdem viele Gedanken machen.
Aber eben Alles zu seiner Zeit.
(Und auch mit den richtigen Leuten. Es gibt Menschen, mit denen kann ich über Gott und die Welt sprechen, über Religion und Quantenphysik, über Leben und Tod, über Alles eben. Dann gibt es aber auch welche, mit denen komme ich über Smalltalk und Politik nicht hinaus. Auch das ist normal. Mit Manchen kann man über mehr reden als mit Anderen.)

Bei der Sache mit der WG kann ich dir nicht weiter helfen.
Entweder, du bleibst noch als Übergangslösung dort, und erklärst das auch deinen Mitbewohnern, und lebst dafür mit dem Druck, der durch die Ausgrenzung entsteht. Oder du ziehst kurzfristig nochmal um, obwohl du vielleicht in 6 Monaten dann schon wieder umziehen musst. Dann hättest du auf der positiven Seite die Möglichkeit neuer Kontakte und vorbehaltsloser Gespräche, auf der anderen Seite aber den Stress eines Umzuges. Das musst du entscheiden, das kann dir keiner abnehmen.
Aber es ist schon eine blöde Situation.

Zusammenfassend kann ich nur sagen:
Man kann Alles ändern und Alles lernen.
Du kannst lernen, ein umgänglicher und positiv denkender Mensch zu sein, der beliebt ist, locker, und der bei Anderen gut ankommt.
Du kannst lernen, der Meinung Anderer nicht mehr so viel Bedeutung beizumessen, wie du es jetzt tust.
Du kannst lernen, dich selber mehr in den Mittelpunkt deines Denkens zu setzen.

Geh das an, was dich stört.
Ändere was.
Bring was in Bewegung, egal in welche Richtung.
Denn Veränderung bringt uns immer nach Vorn.


Alles Gute,
Pilongo
(Hau nei würden wir jetzt hier in Bayern sagen )

Vielen Dank für Deine ausführliche Antwort. Ich würde gerne genauso ausführlich darauf eingehen, aber mir geht es gerade wirklich nicht gut. Der ein oder andere kennt es bestimmt: man möchte am liebsten, daß andere etwas wissen, nur es selbst erzählen möchte man nicht.

Natürlich hast Du damit recht, daß man sich selbst mögen muß, mit sich selbst klarkommen muß. Bei mir hat es sich aber andersherum entwickelt, denke ich. Verstand hatte ich immer, ich hatte immer meine eigenen Ansichten, und die sprach ich auch aus. Hingegen konnte ich nie etwas mit der Meinung der Masse anfangen, nicht mit Feiern, nichts mit Kneipen, nichts mit Medienberieselung, und Gespräche über das neuste Album von Sonstwie oder den neusten Film waren mir immer zu einfach gestrickt -- zumal mein Geschmack nicht massenkompatibel ist.

Ich wollte mich nie anderen anpassen. Klar, es gab hier und da einen Versuch, einen vielleicht vorerst unbewußten Versuch, aber dabei fühlte ich mich selbst nie wohl.

Und doch war ich mit meinen Ansichten und meinen Meinungen, auch von mir selbst, immer zufrieden. Mir war klar, daß sie alles schwieriger machen, aber das nahm ich als so gegeben hin, ohne mich oder meine Gedanken selbst in Frage zu stellen.

Aber seit ziemlich genau einem Jahr war ich mit den Eltern meiner Freundin, und natürlich mit der Freundin selbst, im Urlaub. Sie empfanden mich als schwierigen Menschen und fragten, hinter meinem Rücken, wie meine Freundin das denn mit mir aushalten würde. Lieb, nett, freundlich, aber eben auch schwierig. Seitdem weiß ich nicht mehr, wie ich mich einschätzen soll, seitdem kann ich mich nicht mehr beurteilen und jetzt gerade weiß ich nicht, was ich falsch gemacht habe, was überhaupt falsch ist. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.

Wie hast du eigentlich die Sache mit deiner Freundin überstanden?

Gar nicht. Aber dahinter stecken noch ganz andere und viel mehr Probleme. Wir hatten beispielsweise eine Beziehung, nur verliebt, das war ich noch nie in meinem Leben. Ich bin der Überzeugung, das auch nicht zu können. (Das soll nicht bedeuten, mir sei die Freundin unwichtig gewesen, denn das war sie keineswegs!)

Bist du deswegen sehr in dich gekehrt im Moment, oder war das schon
immer so?

Das war schon immer so.

Ich denke, man merkt es meinem Text gerade nicht an, aber ich sitze hier leicht weinend. Was Du schreibst, ist ja alles trotzdem richtig. Irgendwie ist gerade alles so schwer greifbar.




Dr. Reinhard Pichler
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