Nach Ausbildung und nachgeholtem Abi begann ich ein Studium als einziger aus meinem Bekanntenkreis, der aber bis dahin schon auf sehr sporadische Kontakte geschrumpft war. Zunächst hatte ich die Hoffnung, an der Hochschule auf Leute zu treffen die mir ähnlicher wären. Leider täuschte ich mich und stellte fest, dass auch hier das was man Party machen nennt im Vordergrund stand. Zwar kannte ich ein paar Personen, weil man häufig nebeneinander im Hörsaal saß, aus gemeinsamen Projektarbeiten und ähnlichem. Bei den meisten Personen ging das aber kaum über das kennen des Vornamens hinaus. Insgesamt kam und ging das Studium genauso wie die Schulzeit, es gab ein paar wenige Kontakte, aber kaum etwas darüber hinaus. Freunde gefunden habe ich hier nicht und auch später nie wieder.
Ähnlich verlief es mit der Frauenwelt. Ich war immer fasziniert, wie scheinbar mühelos und leicht andere in Kontakt zu Frauen kamen. Leider ging bei mir, wie könnte es anders sein, wenig. Obwohl ich nicht zu den hässlichsten Kerlen gezählt habe und ich mir auch nicht vorwerfen kann, dass ich mich nicht getraut hätte bei den passenden Gelegenheiten. Es ist nur schlicht so, dass es praktisch keine Gelegenheiten gab. Natürlich versucht man es früher oder später doch mal in Clubs, Discos und auf Partys, allerdings war das natürlich nie erfolgreich, wie könnte es wenn man sich ringsum nur unwohl fühlt und sich dort hinquält. Nichts desto trotz habe ich eine überschaubare Zahl gemischter Erfahrungen mit Frauen gesammelt. Allerdings ist auch das heute schon kaum mehr als eine schwache Erinnerung. Mittlerweile bin ich seit gut 12 Jahren Single. Und Single sein heißt bei mir nicht, dass ich alle paar Wochen eine andere belanglose Affäre habe, sondern es heißt tatsächlich es war in der ganzen Zeit kein Kontakt zu Frauen vorhanden. Garnichts. Kein Sex, kein Kuss, keine körperliche Zuneigung um ehrlich zu sein noch nicht einmal etwas das man als verpasste Gelegenheit bezeichnen könnte. Ich habe alles versucht, von Hobbies und Verein bis Online-Dating, von der Kuppel-Party bis zum Single-Urlaub. Erfolg hatte nichts davon. Ich lerne niemandem im Job kennen, laufe auch nicht zufällig der großen Liebe im Supermarkt über den Weg und egal ob Tinder oder seriöseres, nichts funktioniert. Und zwar schon von Grund auf nicht, da ich mit niemandem in Kontakt komme und nicht deshalb weil man mich nicht mögen würde nachdem man mich etwas kennen gelernt hätte.
Man könnte jetzt vermuten, andere Menschen wollen vielleicht einfach nichts mit mir zu tun haben. Das seltsame dabei ist aber, dass mein Job geprägt vom Kontakt zu Menschen ist, das sind hunderte von Kontakten wenn nicht mehr. Ich verbringe mindestens 75% meiner Arbeitszeit mit Kommunikation mit anderen. Ich löse Probleme, leiste Überzeugungsarbeit, vermittle in Konflikten, unterstütze bei schwierigen Fragen, spreche auch mal ein Machtwort und bringe Dinge in die richtige Spur. Ich kann Menschen und ihre Interessen hervorragend einschätzen, auf Menschen zugehen, Kommunikation fällt mir leicht und ich habe wahrlich kein Problem mit Selbstbewusstsein. Dafür werde ich was ich sagen kann sehr geschätzt. Nicht von allen natürlich, aber im Wesentlichen höre ich von den relevanten Personen eigentlich nur positives. Die Leute kommen im Normalfall gerne zu mir. Auch an meiner vorherigen Arbeitsstelle wollte man mich kaum gehen lassen und noch immer ist man voll des Lobs für die Zeit ist, in der ich dort war. Insofern kann es nicht gänzlich falsch sein wie ich bin und was ich tue.
Privat bin ich für andere Menschen dennoch Luft. Vor knapp zwei Jahren, habe ich meine jetzige Stelle angenommen, was mich mehrere hundert Kilometer weit weg von meiner Heimat geführt hat. Das hatte vielfältige Gründe, neben der absolut beträchtlichen Bezahlung, viel größerer Verantwortung und besseren Arbeitsbedingungen hegte ich auch die vage Hoffnung, dass mir vielleicht ein anderer Ort hilft jemand kennen zu lernen. Raus aus der Komfortzone und bla-bla. Aber wie sollte es anders zu erwarten sein, natürlich hat auch das zu nichts geführt. Mittlerweile bin ich 38, habe eigentlich auf der beruflich-materiellen Seite alles erreicht was ich je wollte. Ich habe ein schönes Haus das auch schon zum Großteil mir gehört, habe einen tollen Job der mir Spaß macht, in dem ich angesehen bin und in dem ich viel bewege. Ich hab mehr Geld netto im Monat als die meisten Menschen brutto je haben werden und ich kann mir im Regelfall einfach alles kaufen was ich gerne hätte. Nicht schlecht für ein Kind aus der Arbeiterklasse wenn man plötzlich zu den oberen 3% gehört. Aber privat habe ich eigentlich nichts zu Stande gebracht. Sehr deutlich geworden ist mir das vor ein paar Monaten, als ich auf der Treppe ausgerutscht bin und mich nur mit Glück am Geländer und am Fenstersims festhalten konnte. Zwei Stufen tiefer geplumpst, eine ordentliche Prellung am Steißbein und ein kurzer Schock war eigentlich alles. Aber man fängt an nachzudenken, was wäre gewesen wenn mir schlimmeres passiert wäre. Das Handy lag im Obergeschoss, wenn ich schwerer verletzt wäre hätte ich keine Chance Hilfe zu rufen. Und es würde niemandem auffallen bis ich nicht bei der Arbeit erscheinen würde. Je nachdem wann mir das passiert, wäre das Tage später. Auch Familie habe ich fast keine mehr. Eine Tante die mit 88 dement im Heim lebt. Meinen Cousin zu dem praktisch kein Kontakt besteht. Und nach dem Tod meiner Mutter ist da nur noch mein Vater, der mit seinen 76 zwar unglaublich rüstig ist, aber auch er wird nicht immer da sein. Und er ist eigentlich der einzige Mensch mit dem ich privat Kontakt habe wenn wir etwa alle zwei Wochen miteinander telefonieren und uns zweimal im Jahr sehen. Wenn man mal von einem gelegentlich oberflächlichen Plausch mit der Kassiererin im Supermarkt, dem Postboten oder den Nachbarn absieht. Bei letzteren falle ich auch massiv auf, da die vollständige Nachbarschaft aus Familien mit Kindern oder Kindern in Arbeit besteht. Ich bin der einzige Alleinstehende der hier im weiten Umfeld wohnt. Und dann merkt man einfach selbst, dass einem im Leben etwas fehlt. Ich hätte gern auch eine Frau und Kinder. Aber ehrlich gesagt habe ich diesen Wunsch inzwischen aufgegeben, da es ist mir völlig rätselhaft ist, wie ich das realisieren sollte.
Nun ist es nicht so, dass ich das Bedürfnis nach einer volldurchplanten Bespaßung meiner freien Zeit habe, in der keine Minute für mich selbst bleibt. Ich bin auch gerne eine Weile allein, beschäftige mich mit lesen und Themen die mich interessieren, erhole mich auch vom Stress bei der Arbeit, die im Regelfall 10- bis 12-Stundentage mit sich bringt. Allerdings überfällt einen gerade am Abend, am Wochenende oder Feiertagen dann doch das Gefühl, dass das Leben völlig leer ist. Auch aktuell quäle ich mich wieder durch die wohl schlimmste Zeit des Jahres für mich: Urlaub. Einerseits ist es gut auszuspannen und sich zu erholen, da man es durchaus merkt das man viel arbeitet. Andererseits ist es eine einzige Qual die Zeit herumzubringen wenn man nicht arbeiten kann. Zwar kann man sich erst noch beschäftigen mit Dingen zu denen man bisher nicht gekommen ist. Irgendwann merkt man aber wieder, dass man niemanden hat. Niemanden der mit einem redet, niemanden der sich nach einem erkundigt, niemand mit dem man mal etwas unternehmen könnte. Sei es nur zusammen spazieren zu gehen, ein Eis zu essen oder zusammen irgendwo zu sitzen und sich zu unterhalten.
Durch Corona kam mir für meine Situation der passende Vergleich: stellt euch vor, euer ganzes Leben ist wie der Corona-Lockdown. Ihr steht auf, geht zur Arbeit, kommt nach Haus und bleibt dort bis am nächsten Morgen. Ihr geht einkaufen oder macht dringende Erledigungen, ansonsten seid ihr immer allein. Ihr könnt nirgendwo hin, keiner kommt zu euch. Anders als die meisten Menschen habt ihr aber auch niemand der euch schreibt, anruft, mit dem ihr skypen könnten oder sonst etwas. So ist etwa mein Leben seit vielen Jahren. Der Lockdown erfüllte mich daher mit einer gewissen Schadenfreude, weil ich sehen konnte wie andere gezwungen waren, zumindest eine Zeit lang genauso einsam zu sein wie ich immer bin. Das nach wenigen Wochen hieraus resultierende Gejammer, wie allein man doch ist, hatte aus meiner Perspektive durchaus etwas Komödiantisches. Ich selbst konnte während dem Lockdown praktisch keinerlei Unterschied zu meinem sonstigen Leben feststellen. So traurig das auch ist.
Ja ich bin sehr einsam. Und ich gehöre ganz bestimmt zu der Gruppe der am stärksten sozial isoliert lebenden Personen. Und ich habe keine Ahnung was ich dagegen noch tun könnte.
Wieder ein Jammer-Thread. Aber ich wollte es trotzdem mal geschrieben haben.
04.08.2020 15:30 • • 06.02.2022 x 10 #1