Hallo GastB!
Zitat von GastB:Zitat von Auch-einsam?:Warum gibt es wenig Kontakte unter Einsamen?
Noch ein Versuch:
Das ist doch ganz einfach: Die Einsamen wären nicht einsam, wenn sie kein
Problem mit Kontakten hätten.
Entweder beim Eingehen neuer Kontakte oder beim Weiterführen und Halten derselben.
Die einen haben dabei den Eindruck, dass die anderen Menschen sich von ihnen abwenden,
die anderen wenden sich selber ab und wissen oft nicht recht, warum sie das tun, oder sind hin und her gerissen zwischen dem Wunsch nach Kontakt und dem Wunsch nach Freiheit.
Das ist m.E. alles, was es dazu allgemein zu sagen gibt. An einer allgemeinen Diskussion dieses Themas bin zumindest ich - und viele andere hier - nicht interessiert. Denn allgemeine Aussagen nützen niemandem etwas.
Richtig – solche allgemeinen Aussagen nützen vermutlich niemandem etwas.
Liegt aus meiner Sicht daran, dass sie nicht „richtig“ sind...
Ich nehme mal Deinen Kernsatz raus: „Die Einsamen wären nicht einsam, wenn sie kein
Problem mit Kontakten hätten.“
Ja, klingt erst mal einleuchtend. Und es ist wahrscheinlich auch so, dass „die Einsamen“ ihr Problem als „ich habe eine Problem mit Kontakten“ ERLEBEN (womöglich erleben sie es nicht nur so, sondern im Laufe der Zeit wird das vielleicht wirklich irgendwann zum „Problem“ – aber zumindest anfangs glaube ich das nicht – dazu weiter unten mehr). Und was Du da wiedergibst ist sicher auch die gängige Erklärung, selbst von Seiten der üblichen Psychotherapien. Da wird nämlich i.d.R. noch einseitig davon ausgegangen, dass es relativ klar definierte Probleme gibt und diese Probleme dann zu dem jeweiligen Menschen „gehören“. D.h. die Menschen werden i.d.R. individuell pathologisiert.
Bis vor einiger Zeit hätte ich das alles vielleicht sogar noch genau so gesehen wie Du oder vermutlich auch sonst die meisten überhaupt. In den letzten Jahren habe ich mich u.a. ein bisschen mit systemischen Ansätzen beschäftigt. Lösungsorientierte Kurzzeittherapie hat vielleicht schon jemand mal gehört? Hypnosystemische Therapie? Konstruktivismus?
Im letzten Jahrhundert sind einige neue Ansätze entstanden, die mein Weltbild gehörig auf den Kopf gestellt haben. Aber diese Ansätze sind noch nicht allgemein gesellschaftlich zu uns durchgedrungen obwohl sie in vielen Wissenschaftsgebieten schon länger Einzug erhalten haben. Mir fällt da immer ein Zitat von Max Planck ein: „Irrtümer der Wissenschaft brauchen 50 Jahre, bis sie durch neue Erkenntnisse abgelöst werden, weil nicht nur die alten Professoren, sondern auch deren Schüler aussterben müssen.“
Ich möchte nicht zu weit ausholen – versuche, mich möglichst kurz zu fassen... Ich fang mal so an: Meine Vermutung ist, ganz banal gesagt, dass wir vermutlich alle hier im Einsamkeitsforum schreiben weil wir für das, was wir hier schreiben (oder auch nur mitlesen), nur wenige Leute oder sogar niemanden haben, mit dem wir das „besprechen“ können was uns hier auf dem Herzen liegt. Soweit einig?
Und woran liegt es, dass wir das nicht besprechen können (oder meinen, dass wir es nicht besprechen könnten)? Sicher liegt es auch daran, dass wir uns vielleicht nicht trauen, andere Leute anzusprechen, uns Sorgen machen wie sie reagieren könnten usw. usf. Ich schreibe es jetzt mal bewusst verallgemeinernd in „wir“ auch wenn es sicherlich nicht auf alle zutrifft – aber so ist’s einfacher für mich zu beschreiben.
Aber es liegt doch genauso auch daran, ob die anderen hören möchten, was ich zu sagen habe! Wenn das kaum einer oder sogar niemand hören will – aus welchen Gründen auch immer – dann werde ich wenige oder keine Leute haben, denen ich das dann sagen kann. So simpel eigentlich.
Von mir kann ich sagen, dass es eigentlich genau so ist. Schon auf dem Gymnasium fing ich an – aus welchen Gründen auch immer – oft eine andere Meinung zu haben wie mancher Lehrer (je nach Fach) bzw. meine Mitschüler. Natürlich war es früher so (keine Ahnung ob es heute noch so ist) dass die Meinung des Lehrers i.d.R. die alleinig richtige war und entsprechend gut benotet wurde, wenn man diese Meinung traf. Abweichende Meinungen wurden eher schlecht benotet. Dadurch – und vermutlich auch weil ich meiner Familie oft den Satz gehört habe „das bildest Du Dir alles nur ein“ – habe ich erst mal viele Jahre sehr an mir, meiner Wahrnehmung und meinen Gedankengängen gezweifelt, weil ich teilweise so sehr von den Ansichten der „Norm“ abweiche. Heute vertraue ich mir selbst viel mehr und versuche trotzdem offen zu bleiben für „Kurskorrekturen“ und glaube auch trotzdem nicht, dass ich die letztliche Wahrheit gefunden habe – aber wie gesagt, ich vertraue meinen Einschätzungen mehr – sie sind nicht mehr und nicht weniger wahr wie die Ansichten aller anderen Menschen auch...
So, und worauf ich hinaus will: Meine Ansichten wollen nur selten Menschen hören. Schlicht und ergreifend vermute ich, weil sie für viele Menschen zu „anders“ sind. Sie rufen Widerspruch hervor, weil sie sich oft gegen gängige Überzeugungen und Weltbilder richten bzw. sie hinterfragen oder irgendwie so. Das möchte wohl selten jemand hören.
Und da schließt sich jetzt der Kreis: Bin ich einsam, weil ich ein Problem mit Kontakten habe? Oder bin ich einsam, weil auch andere weniger gut mit mir umgehen können, weil ich nicht so angepasst bin und manchmal Dinge anspreche oder sage, die sie nicht hören wollen, mit denen sie nicht umgehen können?
Mir ist „Balance“ in letzter Zeit sehr wichtig, deswegen wäre nicht für ein „entweder - oder“ sondern ein „sowohl - als auch“. Ich denke es liegt SOWOHL daran, dass „wir“ uns wahrscheinlich schwer tun, auf andere zuzugehen, uns ihnen „zuzumuten“ mit unserem Themenberg o.ä. ALS AUCH wie andere (Familie, Freunde, Mitschüler/Kollegen...) auf uns reagieren. Reines Gedankenspiel: wenn die ganzen Themen, die wir hier im Forum austauschen, gesellschaftlich hoch angesehen wären – sprich wenn man z.B. ganz entspannt über seine Ängste, Sorgen, Unsicherheiten, Traurigkeit, Einsamkeit, Depressivität usw. reden könnte (oder was auch immer für euch zu kurz kommt mit anderen und zu eurer Einsamkeit führt oder beiträgt) – dann hätten wir doch prinzipiell alle kein Problem mehr mit Einsamkeit! „Man“ sagt ja auch: zu einem Problem gehören immer mindestens zwei Leute.
Und alles hat ja Vor- und Nachteile. Es ist natürlich gut, bei sich zu gucken. Aber da setz dann meine Kritik an: wenn die Gesellschaft keinen Raum bietet für die Einsamen – und allein schon wenn man „anders“ ist wird man eben fast überall zum Außenseiter – dann liegt das nicht nur an den Einsamen selbst sondern auch an den gesellschaftlichen Verhältnissen und Strukturen. Und deshalb finde ich es geradezu verheerend, wenn die Verantwortlichkeit für die Einsamkeit einseitig nur dem einzelnen Individuum zugeschoben wird – und man dann auch noch sagt „bist halt krank/gestört“. Je länger dies anhält, umso mehr wird das aus meiner Sicht dann alles tatsächlich zum Problem - und dann wird man wahrscheinlich irgendwann auch richtig krank. Manche psychologischen Überzeugungen finde ich dann ja geradezu „perv.“ denn wenn man dann eben z.B. auch mal nach der Rolle der Gesellschaft fragt dann wird man ja noch mitunter diffamiert, weil man ja „im Widerstand“ ist, seine eigene Störung „verleugnet“ und auf andere „projiziert“, die „Krankheitseinsicht“ fehlt noch, womöglich das alles dann auch weil man noch nicht genug gelitten hat („der Leidensdruck ist noch nicht groß genug“) – also da wird mir mittlerweile ganz anders wenn ich sowas höre oder lese...
Ja... und deswegen erwähnte ich am Anfang den systemischen Ansatz. Hier geht man davon aus, dass es Probleme nicht an sich gibt und schon gar nicht bei einem einzelnen Menschen nur für „in“ demjenigen selbst quasi als feststehende Eigenschaft oder „Krankheit“ – sondern Probleme ergeben sich aus den Interaktionen und gegenseitigen Wechselwirkungen aller Beteiligter. Zum „dem Einsamen“ gehören auch „die anderen“ von denen der Einsame sich als getrennt erlebt. Und da sind aus meiner Sicht beide Seiten dran beteiligt – praktisch ohne Ausnahme. Selbst bei dem (sogenannten) „Gestörtesten“ ist IMMER NOCH die Frage: wie geht eine Gesellschaft mit so jemandem dann um. Integriert sie alle Leute, lädt sie ein, so zu sein wie sie „sind“? Werden Unterschiede wertgeschätzt und berücksichtigt? Werden Leute, die „anders“ sind damit willkommen geheißen oder lässt man sie spüren, dass sie nicht dazu gehören?
Ich vermute mal, dass wir alle, die wir hier sind, mehr „dazu“ gehören wollen als gerade im Moment. Und da finde ich es regelrecht einen Skandal, dass wir uns dann mitunter noch mehr fertig machen indem wir teilweise mehr damit beschäftigt sind, uns schuldig zu fühlen weil wir uns Gedanken machen was mit „uns“ nicht stimmt. Weil uns womöglich gesagt wird, wir wären „krank“. Und viele (nicht alle!) der sogenannten Experten wie Psychotherapeuten machen da mit und blasen in das gleiche Horn... Über die Gründe könnte man auch noch mal lange spekulieren... Ich merke, dass ich mich gerade zunehmend aufrege – deshalb stoppe ich lieber mal.
Ganz praktisch führt mich das alles dazu (weil wir „die Gesellschaft“ ja leider nicht so direkt und schnell ändern können) mich zumindest zu fragen, wie gehe ich mit mir um? Und wie gehe ich mit anderen um? Ich finde es aus meiner Sicht fast eine ethische Pflicht, soweit ich kann dazu beizutragen, dass in den Interaktionen die ich habe, alle Themen sein dürfen z.B. Dass ich nicht so schnell urteile. Dass ich versuche mir selbst und anderen erst mal zuzuhören. Und was ich ganz wichtig finde: mich selbst „ertragen“ zu lernen – und andere ertragen zu lernen. Ich glaube solange wir weder uns selbst noch andere ertragen können, wird das alles nicht besser – weder für uns selbst noch für die Menschen mit denen wir zu tun haben. Naja – da könnte man wahrscheinlich auch noch ein eigenes Thema draus machen.
Wahrscheinlich hat sowieso kaum einer bis hierhin gelesen.
Ich mache einen Punkt: .
Zitat von GastB:Wenn DU wissen willst, warum DU einsam bist, falls du einsam bist, dann wäre es besser, du würdest die Problem- und Fragestellung eben darauf ausrichten.
Falls du aber nicht einsam bist - wozu dann eine theoretische Diskussion über andere, wo dann sowieso nur herumspekuliert werden kann und es niemandem etwas bringt? Denn es bringt jedem nur dann etwas, wenn er/sie vorbehaltlos und ehrlich seine ganz persönlichen Gefühle, Gedanken, sozialen Umstände dazu beleuchtet.
Oh ja doch, ich bin öfter mal einsam. Es ist nicht nur eine theoretische Diskussion, aber auch. Und statt herumzuspekulieren wem was bringt oder nichts bringt würde ich vorschlagen, dass wir das objektiv nicht lösen können. Ich finde eine theoretische Diskussion AUCH interessant und MIR bringt sie etwas. U.a. allein schon deshalb weil es ja sogar sinnlos sein könnte, ein Problem *alleine* lösen zu wollen wenn ich aber gar nicht alleinig für mein Problem verantwortlich bin! Mir hat das einiges gebracht, das zu erkennen und ich persönlich finde das eine sehr interessante Erkenntnis für mich! U.a. erklärt es auch, warum Lösungsversuche oft nicht funktionieren - weil sie meist nur an einem Teil des Problems ansetzen! Und deswegen finde ich ja die Ausgangsfrage des Threads auch nach wie vor eine wichtige Frage. Ich bin etwas irritiert darüber, woher Du die Gewissheit nimmst, dass das niemandem etwas bringen würde. Vielleicht nicht so vielen, das kann sein – aber ein paaren schon, wie ich in den paar PNs erfahren habe.
Übrigens: Ich habe lange versucht, weniger „anders“ zu sein und mich anzupassen, damit mich die Leute mögen, damit ich dazugehöre u.ä. Es hat mir nicht so viel gebracht, ich habe mich weiter einsam gefühlt. Und wenn ich die Wahl habe, mich anzupassen und einsam zu fühlen – oder mehr „ich“ zu sein/mich nicht so sehr anzupassen und einsam zu sein – dann wähle ich mittlerweile letzteres... Das Resultat, die Einsamkeit, ist so ziemlich die selbe, aber insgesamt mehr zu mir zu stehen – damit geht es mir insgesamt besser.
Und zu mir gehören scheinbar auch hin und wieder „viele Worte“. Mit drei Sätzen wäre ich nicht so wirklich ausgekommen, weil ich nicht alles zum Ausdruck hätte bringen können – aus meiner Sicht.
Letzter Absatz: In Deinen Worten schwingt für mich auch wieder das einseitige Beleuchten meines Anteils. Ist ja alles nicht völlig verkehrt – aber einseitig, denke ich. Auch meine Einsamkeit liegt nicht nur an mir. Aber natürlich auch. Und ich fände es schön, wenn mehr Leute erkennen würden, dass ihre Einsamkeit nicht nur Ausdruck eines individuellen Problems oder einer „Störung“ ist. Ich glaube das wäre nämlich auch entlastend, den Fehler nicht nur bei sich zu suchen. Und ich glaube das könnte auch dazu führen, dass man vielleicht auch selbst anfängt mitfühlender mit Leuten umzugehen, die „anders“ sind... (hat zumindest bei mir dazu geführt) Und irgendwo würde ich mir persönlich ja auch wünschen, dass noch viel mehr versucht würde, die gesellschaftlichen Bedingungen zu ändern (u.a. indem man schon selbst was bei sich ändert) – es müsste eigentlich ein Aufschrei durch die Gesellschaft gehen, dass wir solche Vorgänge (u.a. eben die Ausgrenzung von Leuten die „anders“ sind) nicht weiter einfach so hinnehmen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum mich so Sätze wie „ist halt so“ unruhig machen. So vieles könnte geändert werden – wenn nicht fast alle sagen würden „so ist es – so war es schon immer – so bleibt es – es ist nicht zu ändern“ oder so. – Nun gut, die letzten Absätzen sind vielleicht etwas pathetisch geworden! Ich bin auch schon etwas müde und merke, dass das Denken schon schwerfällt. Es ist gut, dass ich jetzt aufhöre.
Viele Grüße allen da draußen!
(insbesondere an die, die bis hierhin durchgehalten haben)