Divio
seit etwa zwei Wochen darf ich mich Student nennen und bin eigentlich ganz froh, dass das so ist. Ich habe sehr hart für mein Abi und jetzt für das Studium kämpfen müssen. Komme aus schlechten Verhältnissen (Mutter ALG-2-Bezieher, Vater ins Ausland abgehauen, gesamte Familie zerstritten, der höchste Abschluss in meiner Familie ist mit Ausnahme von mir der qualifizierte Hauptschulabschluss) und bin daher auch recht orientierungslos im gesamten akademischen Betrieb. Meine Familie kann ich in dieser Hinsicht nicht um Rat bitten, denn fast alle halten mich für ein Spinner (Was? Du studierst noch in deinem Alter?). Wenn ich mich mal so richtig demotivieren will, dann suche ich das Gespräch mit meiner Mutter, für die meine Zukunft als arbeitsloser Akademiker schon feststeht, da die Zeiten eh nur schlechter werden. Auch meine Cousins sind ziemlich überheblich, das sie ständig mir unter der Nase reiben, dass sie nur mit dem Hauptschulabschluss die Summe X verdienen. Dass das alles kurzgedachtes und blödes Zeugs ist, weiß ich zum Glück selbst. Dennoch tut es meinem (geringen) Selbstbewusstsein nicht gerade gut. Zusammengefasst: Ich bin auf meinem weiteren Weg vollkommen auf mich gestellt. (Daher bin ich dem Staat sehr zum Dank verpflichtet, dass es so etwas wie Bafög gibt. )
Zu meiner Person: Ich bin 25 Jahre und habe eine Ausbildung und war insgesamt 7 Jahren in einem relativ großen Unternehmen tätig. War sogar 1,5 Jahr Abteilungsleiter. Aus dieser Warte ist es für meine Familie sogar noch unverständlicher, warum ich gekündigt habe und mein Abi nachgeholt habe. Leider begleitet mich eine soziale Phobie seit meiner Jugend. Ich habe in meiner Freizeit nur wenig Kontakt zu anderen Menschen (auch wenn sich das in den letzten zwei Jahren stark gebessert hat), kann aber im beruflichen Kontext professionell und phobielos auftreten.
Mit dem Studium sollte der ganz große Neubeginn gewagt werden. Ich habe sehr naiv den Verheißungen des Studentenlebens geglaubt: Interessante Gespräche, fachlicher Austausch, gemeinsame Unternehmungen und eine irgendwie geartete intellektuelle Freiheit. Die ersten zwei Wochen haben mir aber deutlich gezeigt: Es war nur eine Illusion. Das Studium wird ein hartes Brot und das meine ich nicht nur bezogen auf die fachlichen Inhalte.
Zunächst muss ich erwähnen, dass in meinem Studiengang kaum ältere Personen zu finden sind. Nach meiner Einschätzung bin ich tatsächlich der Älteste. Die Leute sind größtenteils 18, teilweise auch 17 (!). Also sehr jung und kommen meist frisch von dem Gymnasium oder einer beruflichen Oberschule. Damit habe ich schon gerechnet, denn das ist einfach das typische Alter zum Studieren (wenn gleich ich gehofft hatte, dass ein paar Leute in meinem Alter dabei wären). Auch optisch unterscheide ich mich sehr. Während die Jungs echt alle schlanke Kerle sind, teilweise gestylt sind wie sonst was, bin ich eher etwas rundlicher und nun ja... nicht so in Modefragen kundig. Ich falle allein optisch schon auf . Das hat mich ehrlich gesagt schon beim ersten Tag etwas irritiert. Da ich etwas technisches studiere, habe ich mich schon auf den ein oder anderen Nerd gefreut. Ehrlich gesagt, machen die Jungs und Mädels eher den Eindruck als würde wir uns in der Disko befinden. Kurz: Das hat mich ganz schön eingeschüchtert. Dennoch war ich optimistisch und habe versucht so offen wie möglich zu sein.
Dann aber der zweite Schock: Am ersten Tag gab es schon Grüppchen, da die meisten sich schon aus dem Sommer-Vorkurs kannten. Und viele kamen auch von der selben Schule. Nach der ersten Einführungsveranstaltung haben sich schon Gruppen gebildet und ich stand allein da, und dachte nur wtf? o.O . Schon am ersten Tag war ich nur Luft. Vielleicht lag es an meiner eingeengten Wahrnehmung an dem Tag, aber ich hatte schon nach 2 Stunden das Gefühl total allein zu sein, während die anderen sich kannten. Hab allerdings meinen ganzen Mut zusammengenommen und die Jungs in den Gruppen angesprochen. Und da der nächste Schock: Die Leute sprachen in der einen Gruppe nur über Computergames oder irgendwelchen komischen Kartenspielen o.O . Ich konnte kein Wort mitreden. Bin dann auch eher gefrustet wieder der Gruppe gewichen. Hab dann einen anderen Typen angesprochen. Um irgendwie ein Gespräch mit den zu beginnen, habe ich halt gefragt, wie es heute weitergeht (Veranstaltungen usw.). Der Typ war leider total arrogant. Er gab mir eine Antwort,die war aber mit einer recht merkwürdigen Geste begleitet (herablassend, leicht lachend zu seinen Kumpels geguckt). Aus seinem Verhalten habe ich geschlossen, dass er mich für ein Vollpfosten hält. Nach der zweiten Schlappe habe ich an diesem Tag niemand mehr angesprochen und die Einführungsveranstaltungen über mich ergehen lassen. Eine anschließende Studi-Party habe ich aus der negativen Erfahrung aus dem Vormittag und der Tatsache völlig allein da aufzutauchen gemieden.
Dennoch war ich optimistisch. Das wird schon, dachte ich mir. Mit dem Studium wollte ich meine soziale Phobie endgültig besiegen. Vorher war ich auf einer beruflichen Oberschule, wo ich sehr gut in der Klasse integriert war. So viele Freunde und Bekanntschaften, wie in den letzten zwei Jahren hatte ich noch nie in meinem Leben. In der Schule war ich sehr beliebt und bekannt. Insgeheim hoffte ich diese Erfolgsgeschichte im Studium fortsetzen zu dürfen.
Das Studium ist sehr lose. Viele Studis im Hörsaal (an die 200 Leute oder so), selbst in den Seminaren sind es noch an die 50 Studenten. Die Übungsgruppen haben die gleichen Größe und sind im Grund wild durcheinander gewürfelt. Leider muss man tatsächlich teilweise im Raum stehen oder sich am Boden hinsetzen. Es ist sehr chaostisch. Für mich als ein Sozialphobiker im Grund der Alptraum schlechthin. Aufgrund eines sehr straffen Stundenplans, habe ich zwischen Vorlesungen nur 15 Minuten Pause, die aber dadurch verplempert werden um von Raum A nach Raum B zu laufen. Effektiv an Redezeit habe ich nur 2-3min vor und nach Vorlesung. Dann muss man schon unterwegs sein, wenn man einen Platz im Seminarraum haben möchte -.- . Jeden Tag habe ich einen neuen Sitznachbar und die Mensa ist einfach nur hoffnungslos überfüllt. Ich sehe keine Gelegenheit (für mich) irgendwie irgendjemand kennenzulernen, auch wenn ich weiß, dass das anderen Menschen in derselben Situation locker gelingt. Dem Studium fehlt es an Konstanz. :-/ Ich hab das Gefühl, dass ich nur ein Gespräch habe, und ich danach gleich abgestempelt werde. Ich brauche aber für gewöhnlich ne Auftauzeit. Aber die geht total verloren, weil es keine Konstanz im Studium gibt. Da ich 3 Übungsgruppen habe und zwei 2 Seminare, und jede sich total neu zusammensetzt, ist mein Namens- und Gesichtsspeicher total überfordert.
Zudem kommt die doch leicht ignorante Einstellung vieler Studis, die mich echt erschüttert. Da setzen sich Leute neben mich und sagen... nichts. Kein Hallo oder so. Einfach nichts. Ab und zu habe ich die versucht zu grüßen, aber manche reagierten so, als würde ich an eine geistige Behinderung leiden. Ich bin nur noch gefrustet. Und das sind die ersten zwei Wochen! Ich dachte, die Leute wären offener! Ich muss gestehen, dass ich unendlich enttäuscht bin. Noch nie habe ich mich so ignoriert gefühlt, wie jetzt im Studium. Bislang konnte ich in jeder Schule und Beruf Leute für die Pause und den Austausch finden.
Die Krönung war der letzte Freitag die Mathe-Übungsgruppe. Der Übungsleiter hatte den Übungszettel vergessen online zu stellen und der Beamer war irgendwie defekt. Da sehr viele Studis mit dem Laptop da waren, hatte der Leiter den Zettel online gestellt und gebeten sich doch so zu verteilen, dass alle einigermaßen an die Aufgaben kommen. Ein Großteil der Studenten hat sich kein Zentimeter gerührt. Ganz vorne war ne ganze Bank voller Laptop-Studenten... aber nö, die blieben einfach sitzen. Zum Glück hatte mein Nachbar ein Laptop, der ihn aber so stellte, dass ich nicht hineinsehen konnte . Auf zweimalige Nachfrage hatte er mir eher widerwillig die Aufgabenstellung diktiert (und das auch noch falsch -.- ). In den Moment dachte ich mir nur: Wo um Gottes Willen bin ich nur gelandet.
Entweder ich strahle eine dermaßen feindliche Aura aus oder das ist das tatsächlich Fehlern von Soft Skills bei den jetzt 18-Jährigen, das in den Medien immer propagiert wurde und ich eigentlich für Blödsinn hielt. Nach der ersten Woche war ich der Meinung, dass ich einfach auf die falschen Leute gestoßen bin. Heute kam ich von der Vorlesung und muss feststellen, dass ich den Anschluss zu verpassen drohe. Tag für Tag werden die Gruppen irgendwie fester und ich stehe alleine da. Ich drohe zu vereinsame, mittem im Meer von jungen Leuten.
14.10.2013 15:15 • • 21.01.2014 #1