So sein, wie ich bin? Authentisch? Aber was ist, wenn ich gar nicht weiß, wie ich eigentlich bin? Oder wenn ich immer geglaubt habe, so oder so zu sein, das aber in Wirklichkeit gar nicht stimmt, sondern nur das ist, wie ich mich gerne gesehen hätte? Was ist, wenn ich in Wirklichkeit lauter Eigenschaften habe, die ich gar nicht haben will und mich die anderen deswegen ablehnen?
Oder wenn ich immer ganz anders wirke, als ich denke, dass ich wirke? Wenn ich ein bestimmtes Repertoire an Gesichtsausdrücken und Körperhaltungen entwickelt habe, die mich einst schützen sollten, die sich aber inzwischen selbständig gemacht haben und mir nach außen einen völlig verzerrten Eindruck auf andere verschaffen?
Und wann fing das an, dass ich abgelehnt wurde? War ich erst komisch, traurig, einsam, unsicher oder war ich erst einsam und bin dann merkwürdig geworden? Hatte ich schon immer diese immense Erwartungshaltung, dass für mich doch eigentlich mehr vorhanden sein sollte, dass ich eigentlich mehr verdient hätte und war dann enttäuscht, weil ich eben nichts besonderes war und hat sich dann die Enttäuschung eingefressen? Mein Gesicht eine ständig verzerrte Maske der Enttäuschung, der Empörung über das wenige, was ich bekomme?
Was war zuerst da? Wann hat alles angefangen? Und warum ist es so geworden, wie es ist? Kann ich den Lauf noch ändern oder ist der Zug abgefahren? Bin ich an einem stillgelegten Bahnhof gestrandet und werde dort verrosten?
Sehr gute Beobachtung. Bei mir geht es soweit, dass ich mir bestimmte Gesten oder Wörter von anderen Menschen abkupfere, wenn ich das Gefühl habe, diese würden cool und anziehend wirken. Ich sage seit kurzem immer ciao, ciao zur Verabschiedung, was ich mir aus dem Fitness-Studio geklaut habe.
Ich habe soweit keine negativen Erfahrungen gemacht. Die Verabschiedung stimmt.
Was wäre wohl, wenn ich so schauen würde, wenn ich so sprechen würde, wie ich mich in Wirklichkeit fühle? Wie fühle ich überhaupt? Was sind meine Ziele? Wer bin ich? Wenn ich so wäre, wie ich bin, wie ich mich fühle, wäre ich noch viel einsamer und ausgeschlossener. Vielleicht bin ich ja die absolute Stimmungskanone, vielleicht ein brillianter Redner, wenn ich nicht so gehemmt wäre? Vielleicht ein leidenschaftlicher Liebhaber, ein guter Zuhörer, ein Erfinder oder ein Mensch mit sozialem Gewissen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich weiß nicht, was in meinem Leben schief gelaufen ist.
Wenn es mir gut geht, habe ich vor anderen Menschen eine große Achtung, während ich an mir selber zweifele. Wenn es mir schlecht geht, dann beneide ich andere, ja verachte sie, dass sie trotz ihrer Gewöhnlichkeit Beruf, Freunde und Familie haben.
Zur Zeit werde ich öfters zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Eigentlich ein Erfolg, wenn man meinen Lebenslauf ansieht. Aber ich muss mich verstellen. Ich würde gerne die Wahrheit sagen, wenn ich meinen lückenhaften Lebenslauf, mein Scheitern erklären muss. Einmal den Frust rauslassen, die Verzweiflung, die nicht verarbeitete Ablehnung, die Perspektivlosigkeit. Was möchten sie denn im Leben erreichen, lieber Frederick? Was haben sie in den zwei Jahren nach Beendigung ihres Studiums gemacht? Wo liegen ihre Stärken? Wo ihre Schwächen?
Warum fragen mich die Personalchefs Dinge, auf die ich keine Antworten weiß.
Heute abend habe ich mich mit den ganzen Persönlichkeitsstörungen befasst. Wieder. Der Vorgang ist immer derselbe. Fachbegriff wiki, Fachbegriff Symptome, Fachbegriff Therapie. Selbst hier schein nichts richtig zu passen. Bindungsangst ? Narzistische Persönlichkeitsstörung? Gefühlskälte? Mangelndes Selbstwertgefühl? Dysmorphophobie?
Ich bin müde und traurig. Wobei - nein, nicht traurig. Müde und abgestumpft trifft es besser. Ich höre mir seit einer Stunde dasselbe Lied an. Ich bin in einem Chat angemeldet, obwohl ich gar nicht chatten will. Ich hatte gerade ein Treffen, welches gar nicht so schlecht verlief. Es war sogar richtig gut. Ausbaufähig. Trotzdem fühle ich mich einsam und wie ein Versager ohne Perspektive.
Es hilft nichts. Morgen werde ich wieder aufstehen, in den Kampf ziehen, in den großen Kampf gegen die Einsamkeit und Sinnlosigkeit. Ich habe ihn noch nicht gewonnen und vielleicht werde ich ihn nie gewinnen (können). Ich werde aber kämpfen und lernen dann zufrieden zu sein, wenn ich ihn manchmal gewinne. Und wenn es nur für einen kurzen Moment ist.
24.01.2012 00:20 •
#151