Mann, Mann, Mann, Mann.
Was ich mir hier schon wieder zusammenschreibe ...
Also, ich habe den Eindruck, dass ich zwei Konzepte in mir habe.
A) Die
Beschönigung.
Damit meine ich, sobald ich mal etwas hinkriege, bilde ich mir etwas darauf ein. Möchte ich mir selbst (noch mehr als anderen) damit imponieren.
Mir wohlwollend (und als wollte ich damit glänzen) zureden: Du bist doch eigentlich ein liebenswürdiger, talentierter, intelligenter, einfühlsamer, neugieriger und sonstwie positiver Typ. (Wenngleich ich auch weiß, dass ich oft überempfindlich reagiere, zu wenig selbstbewusst bin und dass ich nicht gut mit Aggressionen umgehe.) Eigentlich will ich Harmonie und nett sein. Absolut. Scheint im Prinzip keine so falsche Wahrnehmung zu sein: Die meisten meiner Kollegen (z. B.) halten mich für einen umgänglichen, netten Typen. Ich rede mir das zu, nicht mit voller Überzeugung, aber in Wahrheit bin ich (auf unangenehme Weise) stolz oder bedacht darauf, Gutes an mir festzustellen.
Ein Beispiel:
Am Samstag habe ich bei IKEA ein Portemonnaie gefunden. Mein erster Impuls war: Es einstecken und für mich ausschlachten. Eigentlich dachte ich dabei weniger an die hundert Euro (um den Dreh war etwa so viel darin), als daran, dass ich ziemlich gerne durchstöbere, was Menschen so für Karten und Dokumente in ihrer Brieftasche haben. (Ich gucke übrigens auch gerne in anderer Leute Wohnungen; kann ich nicht ändern, diese Schwäche. Nicht um zu stalken, sondern aus Neugier, wie sie ihr gemütliches Heim hinkriegen! Wie machen das die anderen? - immer spannend für mich!)
Das Portemonnaie war dick und überladen, so was macht mich wuschig vor Neugier. (Übrigens hatte ich auch die Assoziation, der Besitzer müsse genauso dick sein. Oder ein bisschen tollpatschig.) Andererseits ist es ja auch banal, es ist doch immer dasselbe in diesen Börsen. Doch herauszufinden über den Besitzer, was aus der Brieftasche herauszufinden ist, das reizte mich ungemein. Die Euros zu stehlen, war ebenfalls eine Versuchung, doch deutlich die kleinere.
Dann schlug nach ein oder zwei Sekunden mein moralisches Gewissen zu. NATÜRLICH gibst du das Teil im Fundbüro ab, schon aus Prinzip, von wegen Kant und der kategorische Imperativ. In was für einer Welt willst du leben? In einer, in dem die Leute stehlen, bei der erstbesten Gelegenheit? Natürlich NICHT. Also stehle ich auch selbst nicht. Ich bin ein guter Mensch - daher gebe ich das Ding logischerweise ab.
So weit, so okay. Es ist aber sehr interessant, was danach mit mir passierte.
Ich achtete sehr darauf, ob der IKEA-Mitarbeiter nicht dubios wirkt (und das Portemonnaie am Ende selbst einsteckt). Ich achtete darauf, ob der Name bei der darauffolgenden IKEA-Durchsage richtig ausgesprochen wird. Eigentlich war ich versessen, dem Besitzer zu begegnen und mich von ihm herzen zu lassen. Dafür, dass ich ihm den Tag gerettet habe.
Ich habe einen Tag später allen Ernstes im Internet gegoogelt, ob ich die Email-Adresse dieses Mannes finden könnte. Wollte mich vor ihm als guter Mensch von Sezuan präsentieren. Ist das nicht extrem geltungsbedürftig? Ja. Ein guter Mensch handelt einfach nach seinen Maximen, und macht daraus keine Selbstinszenierung. Er spekuliert nicht auf Applaus oder wohlwollendes Schulterklopfen.
Aber ich kam anscheinend nicht ohne aus. Habe den Typen ernsthaft im Netz gesucht, gefunden und angemailt. Schrieb in die Mail so etwas rein wie: Wollte nur wissen, ob die Brieftasche wirklich angekommen ist?!?
In Wahrheit wollte ich Applaus. Fand ich den Gedanken unangenehm, dass ich unbekannt und unentdeckt vom Finder blieb. Wenn ich schon gut bin, will ich auch, dass alle es merken.
Dies ist anscheinend wirklich meine Art. Mindestens zum Teil.
Ich deute das eher so: Ich bin so sehnsüchtig nach ein bisschen Stellung und Stand im Leben, dass ich aus allem bisschen Positiven eine Show mache. Seht her, ich bin ja doch nicht durchsichtig! Ich bin gar nicht so ein Loser, wie ich mir ständig vorkomme! An mir ist auch Vorzeigenswertes dran! Habe ich das nicht gut gemacht? Will nicht in Wahrheit jeder mit mir zusammen sein? Mich als Freund haben? Ich bin gar nicht so unterqualifiziert für alles, für Beziehungen, für Nähe, fürs Leben. Ich will mir das einreden können. Applaus, Applaus! Hier komme ich! Wie süchtig ich nach Anerkennung und Zuneigung bin. Weil sie mir fehlt. Ich habe niemanden, der mich gerne küsst oder mal in den Arm nimmt.
Mit mir wollte noch nie jemand ernsthaft Freund sein. Noch nie. (Ich habe einen Beinahe-Freund, kurz gesagt, das war´s).
Übrigens hat dieser Finder mir dann 50 Euro angeboten, aus Dankbarkeit. Nahm ich natürlich nicht an.
Ich will, dass du mir applaudierst und mich umarmst, nicht, dass du mich mit einem Geldschein abspeist. Diesen schrägen Gedanken hatte ich irgendwo im Hinterkopf.
B) Das zweite Konzept ist das des
Mich-Niedermachens. Die Selbstabwertung. Dieses Konzept ist komplementär zum ersten. Wer sich häufiger abwertet, der entwickelt als Ausgleich die (fast schon narzisstische) Bestätigungsgier. Oder aber wer ständig Mangel an Zuspruch erfährt, der übernimmt dieses negative Bild natürlich in die Selbstbewertung. Zumal ihn ständig eine Art Schuldgefühl, dass er zu viel von den anderen erwartet/ verlangt. Er weiß, dass es unangemessen ist, auf Applaus und Belohnungen zu spekulieren. Was wiederum die innere Unruhe erhöht.
Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich die Bedürftigkeit in mir DROSSELN; dieses Anliegen spüre ich jeden Tag, jede Stunde. Wäre ich doch bloß nicht so bedürftig. Wäre ich bloß nicht so angewiesen auf andere! Zusammen mit der Erfolglosigkeit all meiner (zaghaften) Bemühungen führt das in die Depression.
Das ist kein geringer Anteil in mir, der am liebsten alle körperlichen und sonstigen Wünsche in mir zum Schweigen bringen möchte. Ohne Gier, ohne Bedürftigkeit lebt es sich leichter. Aber sich selbst zu bekämpfen, statt sich und seine Regungen willkommen zu heißen, mündet in Depressivität. Und es hat mich überhaupt nicht gewundert, dass dieses Zeug namens Sertralin ein wenig meinen inneren Zensor zum Schweigen brachte; der Zensor, der einem einsagt, dass alles nicht gut genug ist in und an mir. Ich war mit dem Medikament ein kleines bisschen weniger selbstskeptisch. Nicht jede geistige oder körperliche Regung wurde bombardiert mit der Überzeugung, sie sei unangemessen, fordernd und unzureichend. Dieses Bombardement ließ ein wenig nach. Das ist an sich gut. Gesunde Menschen hinterfragen nicht permanent, ob ihre Regungen okay sind;
sie haben sie einfach, und leben sie aus. Die Wahrheit ist wohl der Mittelweg, auch Gesunde kennen den Selbstzweifel, nur ist er nicht sonderlich stark oder bestimmend.
Anderes Beispiel: Jemand fällt hin, rappelt sich auf und geht weiter. Ein übersensibler und frustrierter Mensch wie ich begleitet das mit vielen Wertungen: Es ist peinlich, dass ich hinfiel. Wie dumm bin ich, hinzufallen! Ich werde beim Aufstehen so tun, als wäre ich gar nicht gefallen, dann ist die Gefahr geringer, jemand lacht mich aus. Ich werde es nie hinkriegen, gut zu laufen! Wie hässlich mein Körper ist! Wie ungeschickt! Ich kriege nichts hin! Nicht mal das. Und auch, wenn ich es schaffe, wieder aufzustehen: So großartig war diese Leistung nicht. Sie war in Wahrheit läppisch. Was anderes als einfache Aufgaben kriege ich eh nicht hin. Also muss es läppisch gewesen sein. Und ich schreibe auch noch fast zehn Zeilen darüber! Was für ein Nerd und Loser ich bin ... Ein gesunder Mensch würde vielleicht kurz Aua! ausrufen, sich wieder aufrappeln, sich zwar nicht wohl fühlen dabei, aber im Großen und Ganzen bringt ihn solch ein Stolpern nicht in eine negative Gefühlslage. Er hat Verständnis für sich selbst, statt sich für so einen kleinen Fehler runterzuputzen. Kann jedem mal passieren! Das denkt der Normale. Ich aber nehme es als weitere Bestätigung für meine Untauglichkeit. Und werte mich übrigens auch dafür ab, dass ich mich ständig abwerte. Es ist ein Teufelskreis.
Auf den Trichter, dass ALLE Menschen bedürftig sind und ich auch etwas geben kann; anders formuliert, dass es am besten ist, in einem
Gleichgewicht aus Geben und Nehmen zu sein, komme ich in hundert Jahren nicht.
Da ich das nicht hinkriege, ist (an stressigen Tagen wie derzeit besonders) in mir fast permanent das mulmige Gefühl, nicht zu reichen. Oder das Gefühl, es braucht nur noch eine negative Meldung, eine kleine Auflösung, ein Versäumnis, ein Autounfall oder eine
Prüfung meiner Bilanzen, metaphorisch gesprochen, um mein Kartenhaus des nur vorgetäuschten Selbstbewusstseins einstürzen zu lassen.
Guckt jemand näher hin, tritt mein Scheitern und meine Untauglichkeit zum Vorschein.
Das Konzept der Selbstabwertung hat auch positive, entlastende Aspekte. Wer ohnehin einen geringen Selbstwert hat, der ist nicht mehr so anfällig für Enttäuschungen. Ich bin es z. B. gewohnt, dass Frauen mich links liegen lassen. Habe ich erst ein negatives Selbstbild entwickelt, stößt mich ein weiterer Korb nicht so gravierend tief herab, weil ich eh schon im Keller hause. Es ist also in gewisser Weise auch eine Schutzmaßnahme. Wie ein Deichbauer sorge ich vor, indem ich meine Umgebung über mich erhöhe. Dann kann meine Welt nicht überflutet werden. Dummerweise mache ich mich dabei selbst so klein, dass ich die Anderen nicht mehr erreiche.
C) gibt es natürlich auch noch. Ein drittes Konzept. Ich meine den Anteil in mir, der mich (ernsthaft) okay findet. Manchmal bin ich auch halbwegs ausgeglichen, das gibt es ja auch. Es ist allerdings ein geringer Anteil und eher ein fragiles, schnell auszuhebelndes Selbstbild.