Hallo zusammen,
ich möchte mich gerne vorstellen und meine Geschichte erzählen:
Im September 2012 bin ich am Tiefpunkt meines Lebens angelangt.
Es hatte sich alles schleichend entwickelt. Ich kann mich noch an den Tag erinnern, es war im Mai 2012, als ich mich mit ehemaligen Kollegen getroffen habe und einer von ihnen mich lange ansah und dann zu mir sagte: „Stimmt etwas nicht, du siehst so blass aus?“. Ich konnte diese Aussage nicht nachvollziehen, da es mir wirklich gut ging, aber im Nachhinein scheint es mir, als hätte diese Person das sich aufbrausende Gewitter noch lange vor mir kommen sehen. Am nächsten Tag fand die Firmung meines Bruder statt und die ganze Familie kam zusammen. Ich fühlte mich bereits am frühen Morgen nicht sonderlich gut, mir war etwas flau im Magen und ich hatte das Gefühl, immer wieder von einer Art Schwindel gepackt zu werden. Wir saßen gerade beim Essen, als ich plötzlich einen Bissen im Mund hatte, den ich einfach nicht herunterschlucken konnte. Es war, als hätte ich keinen Schluckreflex mehr. Ich fühlte mich wie gelähmt. Eine starke Hitze stieg in mir auf und ich fing an zu zittern, mein Herz pochte wie wild und für eine kurzen Augenblick wurde mir ganz schwarz vor Augen. Als ich es trotzdem endlich schaffte, den Bissen herunterzuschlucken, war das Thema Essen für mich erledigt. Ich fühlte mich von da an immer schlechter, entschuldigte mich und verließ die Feier früher, als ursprünglich geplant.
Nach diesem Ereignis kam es zunächst vereinzelt immer wieder vor, dass ich von einem komischen Gefühl gepackt wurde, wenn ich etwas aß. Die Erinnerung an jenen Vorfall schoss wie ein Blitz in meinen Kopf und ich konnte keinen weiteren Bissen mehr nehmen. Es war wie eine dunkle Wolke, die mich umhüllte und handlungsunfähig machte. Dieses Gefühl weitete sich mit der Zeit auf immer mehr Bereiche aus. Bald kam das selbe unbehagliche Gefühl in mir auf, sobald ich einen Laden betrat, wenn ich auf einer Rolltreppe stand, selbst wenn ich einfach nur die Straße entlang ging. Etwas Unbehagliches stieg in mir auf und ich verspürte den Drang, der Situation in der ich mich gerade befand, zu entfliehen.
Ich habe diese Symptome jedoch lange Zeit nicht so ernst genommen, wie ich es im Nachhinein betrachtet hätte tun sollen, da sie für mich einfach keinen logischen Ursprung zu haben schienen.
Eines Tages, Anfang September 2012, saß ich in der Mittagspause zusammen mit meinem Kollegen im Büro. Wir aßen oft zusammen, doch dieses Mal bekam ich keinen Bissen herunter, allein der Gedanke an Essen löste einen Würgreflex in mir aus. Dieser wurde immer stärker, bis ich mich entschuldigte und die Toilette aufsuchte. Ich betrat eine Kabine, schloss hinter mir zu und beugte mich über die Schüssel. Ich merkte, dass ich furchtbar zitterte und mein Herz pochte. Doch ich musste mich nicht übergeben, die Übelkeit schwand langsam wieder. Ich wusch mein Gesicht mit kaltem Wasser und ging wieder zurück ins Büro. Sobald ich dort angelangt war und mein Kollege mich fragte, was los sei, wurde es wieder schlimmer. Ich sagte ihm, dass ich mich nicht wohl fühle und wohl besser nach Hause gehen sollte, dann rannte ich wieder zur Toilette. Wieder von Würgereiz geplagt und wieder wurde es besser, sobald ich mich in der Kabine befand. Unsere Sekretärin kam auf mich zu, als ich die Toilette verließ und erschrak bei meinem Anblick, da ich wohl furchtbar bleich ausgesehen haben muss. Obwohl ich nur einige Schritte von meiner Arbeitsstelle entfernt wohnte, bestand sie darauf, mich nach Hause zu begleiten, aus Angst ich könnte zusammenbrechen. Zu einem Arzt, wie von ihr vorgeschlagen, wollte ich nicht gehen. Sobald ich zu Hause war, ging es mir von Minute zu Minute deutlich besser. Ich machte mir bald darauf sogar eine Pizza im Backofen warm und hatte völlig normalen Appetit. Ich fühlte mich ganz schlecht, bei dem Gedanken, dass es mir so blendend geht, obwohl ich doch „krank“ von der Arbeit nach Hause gegangen bin. Ich tat das Ganze als komischen Anfall von Unwohlsein ab und war mir sicher, am nächsten Tag wieder zur Arbeit gehen zu können. Ich hatte in der darauffolgenden Nacht auch relativ gut geschlafen, doch als mein Wecker klingelte, weckte mich ein erneuter Würgereiz. Erneut rannte ich zur Toilette, musste mich aber nicht übergeben. Dafür zitterte ich wie Espenlaub und konnte mein Herz fast aus der Brust springen fühlen. Ich öffnete die Balkontür, um frische Luft schnappen zu können, und wartete darauf, dass ich mich doch noch übergeben muss. Doch es passierte nicht. Als es wieder einigermaßen ging, rief ich in der Arbeit an und meldete mich krank. Kurze Zeit später fühlte ich mich wieder deutlich besser.
Der erste Arzt, den ich aufsuchte, diagnostiziere aufgrund meiner Schilderungen - welche zugegebenermaßen lückenhaft waren, da ich die psychische Komponente, der ich mir im Grunde bereits bewusst war, nicht erwähnte - einen Magen-Darm-Virus und tat mir auf, mich ein paar Tage ins Bett zu legen, Tee zu trinken und leichte Kost zu mir zu nehmen. Ich wusste, dass dies kein Magen-Darm-Virus ist. Ich wusste es, da schon allein der Fußmarsch zum Arzt, der durch die Fußgängerzone führte, eine derartige Verschlechterung meines Zustands hervorgerufen hat, dass es sich mit einem Magen-Darm-Virus nicht erklären ließ. Ich wusste es, da ich im Wartezimmer zitterte und schwitze und mein Herz pochte; alles Symptome, welche in meinen eigenen vier Wänden noch nicht aufgetreten waren. Doch ich versuchte ihm zu glauben; so ein Magen-Darm-Virus klingt ja auch viel annehmbarer, als diese psychischen „Hirngespinste“, auf die ich durch Eingabe meiner Symptome bei google gestoßen bin. Das wäre auch völlig indiskutabel, schließlich war ich zu dem Zeitpunkt Beamtin auf Probe.
Natürlich wurde nichts besser; meine Situation verschlechterte sich zunehmend.
Ich hatte es noch nie sonderlich leicht im Leben. Meine Kindheit war ein Alptraum; ich habe bis heute keinerlei Bezug zu meiner Mutter, von meinem Vater kenne ich noch nicht einmal den Namen. In der Schule wurde ich seit ich denken kann von meinen Mitschülern gemobbt. Als ich schließlich mein Studium begann, zog ich völlig alleine 300 km von meinem Wohnort weg, in eine mir unbekannte Stadt. Ich stand durchgehend unter psychischem Stress und Leistungsdruck, zudem habe ich mich im Studentenwohnheim sehr unwohl gefühlt. Es waren so unglaublich viele mir fremde Menschen da, die ständig um mich herum waren. Es war mir zu viel, ich fühlte mich erdrückt und meiner Privatsphäre beraubt. Noch heute - Jahre später - leide ich regelmäßig unter Alpträumen, in denen ich davon träume, ich hätte noch ein Semester vor mir und müsste wieder zurück in das Studentenwohnheim ziehen.
Als das Studium schließlich geschafft war, folgte ein kräfteraubender Vorstellungs-Marathon bei allen möglichen Behörden, um einen Arbeitsplatz zu ergattern. Es kamen viele Absagen. In dieser Zeit fühlte ich eine erdrückende Angst vor der Zukunft, hatte das Gefühl, nicht gut genug zu sein.
Als endlich eine Zusage erfolgte, war die Zeit zu kurz, um noch vor Arbeitsbeginn eine Wohnung zu finden. Die einzige Möglichkeit, welche mir blieb, war es, vorübergehend wieder bei meiner Mutter einzuziehen. Das war eine grauenvolle Vorstellung für mich, doch mir blieb keine Wahl. Ich wurde wieder in die Zeit meiner Kindheit hinein befördert; was dies psychisch für mich bedeutete, wurde mir nachts regelmäßig bewusst, indem ich oft aufwachte, von Übelkeit geplagt und furchtbar zitternd. Damals war ich weit davon entfernt zu erkennen, dass dies bereits Panikattacken waren.
Die Wohnungssuche gestaltete sich sehr schwierig, sodass mir - wenn ich nicht noch länger bei meiner Mutter bleiben wollte - nur das Anmieten eines WG-Zimmers in einer 2er-WG übrig blieb.
Dies war nicht optimal, da ich lieber eigenständig gelebte und meine Ruhe gehabt hätte, anstatt dauernde Gesellschaft. Aber es war die bessere der zwei Optionen, die ich hatte.
In der Arbeit hatte ich ebenfalls einen schweren Start. Der Großteil der Kollegen war sehr abweisend und unfreundlich, weshalb ich mir eher wie ein Fremdkörper, als ein Mitglied des Teams vorgekommen bin. Ich habe lange gebraucht, um die Arbeitsabläufe zu verstehen, da keiner bereit war, den „Neuling“ einzulernen, weshalb ich zunächst mit meiner Tätigkeit völlig überfordert war und an mir selbst zu zweifeln begann.
Doch ich bin immer stark gewesen, habe alles hinter mich gebracht und heil überstanden.
Was passierte jetzt also plötzlich mit mir? Warum rast mein Herz, warum zittere und schwitze ich, warum wird mir so elend, sobald ich das Haus verlasse? Als schließlich meine kompletten Tage - vom Aufwachen bis zum Schlafengehen - nur noch eine Tortur darstellten, suchte ich einen weiteren Arzt bzw. eine Ärztin auf. Sie war Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie, weshalb ich mir von diesem Besuch viel versprach. Diesmal wollte ich offen und ehrlich sein. Ich war mir längst bewusst, tatsächlich ein psychisches Problem zu haben.
Als ich kreidebleich und zitternd im Wartezimmer ankam, erkannte man sofort, dass mit mir etwas nicht stimmt und schickte mich auf eine Liege im Nebenzimmer. Die Ärztin checkte mich komplett durch; körperlich war alles in Ordnung. Dann fing sie an, private Fragen zu stellen und alles was ich tun konnte, war zu weinen. Ich weinte Rotz und Wasser, brauchte lange, um mich zu beruhigen. Daraufhin verschrieb sie mir zunächst ein pflanzliches Beruhigungsmittel sowie Lorazepam für den Notfall und überwies mich an einen Neurologen/Psychologen. Die Krankschreibung, die sie mir anbat, schlug ich aus. Wie bereits erwähnt: Ich war Beamtin auf Probe, alles nicht so einfach.
Ich war entschlossen, erst dann „aufzugeben“, wenn ich wirklich völlig am Boden liege. Solange ich noch kriechen konnte, wollte ich weiterarbeiten.
Doch es kam der Zeitpunkt, an dem ich selbst unter dem Einfluss von Lorazepam nur unter Höllenqualen einen Schritt aus meiner Wohnung machen konnte. Hatte ich mich ein paar Meter von zu Hause entfernt, fühlte ich mich bereits völlig ausgeliefert, schutzlos und unerrettbar. Ich hatte immer eine Spucktüte dabei, sie wurde zu meinem ständigen Begleiter. Ich hatte das Gefühl, mich jederzeit erbrechen zu müssen oder ohnmächtig zu werden. Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding, mein Mund war trocken, meine Hände schweißnass, ich nahm alles um mich herum nur noch verschwommen wahr. Konnte kaum noch hören oder sehen, was um mich herum geschah. Essen konnte ich inzwischen selbst dann nicht mehr, wenn ich allein zu Hause war. Wenn auch nur ein Pizza-Werbespot im Fernseher lief, musste ich augenblicklich umschalten, da ich einen Würgereiz bekam. Mein Gewicht belief sich auf nur noch 43 kg, eine Nacht durchgeschlafen hatte ich seit Monaten nicht mehr. Es war geschehen: Ich lag am Boden.
Die Diagnose des Spezialisten: Agoraphobie mit Panikstörung und starker Depression.
Ich lies mich also krankschreiben, insgesamt 3 Monate lang. Zunächst wurde mir eine Hohe Tagesdosis Lorazepam verschrieben und ich sollte mich einfach nur ins Bett legen und ausruhen, möglichst viel Schlaf nachholen. Das tat unheimlich gut. Ich bekam auch etwas gegen den Würgereiz, um möglichst bald wieder einigermaßen normal essen zu können. Im Anschluss daran wurde mir Cipralex verschrieben, welches ich bis heute noch einnehme. Zusätzlich habe ich eine Verhaltenstherapie gemacht und meinen Arbeitsplatz sowie den Wohnort gewechselt. Völliger Neuanfang.
In der Therapie habe ich auch verstanden, weshalb sich bei mir die Panik immer so stark in Bezug aufs Essen äußert, weshalb ich einen solchen Würgereiz spüre. Ich hatte als Kind stets Prügel bezogen, wenn ich meinen Teller nicht aufaß. Dies führte dazu, dass ich mit so viel Angst am Esstisch saß, dass ich von vornherein Übelkeit und Ekel statt Hunger verspürte, was wiederum zu Prügel führte. Ein ewiger Teufelskreis. Der Esstisch war während meiner gesamten Kindheit ein angstbehafteter Ort des Grauens für mich. Diese Angst kam schließlich zu mir zurück.
Inzwischen geht es mir soweit gut. Ich bin relativ stabil. Zwar kommen immer wieder mal Phasen vor, in denen ich Panikattacken erleide, aber im Großen und Ganzen komme ich klar. Es wird immer kleine Rückschläge geben, denn die Angst ist allgegenwärtig. Immer.
Man darf sie nur nicht gewinnen lassen.
PS: Ich habe inzwischen wieder Normalgewicht und bin Beamtin auf Lebenszeit.
ich möchte mich gerne vorstellen und meine Geschichte erzählen:
Im September 2012 bin ich am Tiefpunkt meines Lebens angelangt.
Es hatte sich alles schleichend entwickelt. Ich kann mich noch an den Tag erinnern, es war im Mai 2012, als ich mich mit ehemaligen Kollegen getroffen habe und einer von ihnen mich lange ansah und dann zu mir sagte: „Stimmt etwas nicht, du siehst so blass aus?“. Ich konnte diese Aussage nicht nachvollziehen, da es mir wirklich gut ging, aber im Nachhinein scheint es mir, als hätte diese Person das sich aufbrausende Gewitter noch lange vor mir kommen sehen. Am nächsten Tag fand die Firmung meines Bruder statt und die ganze Familie kam zusammen. Ich fühlte mich bereits am frühen Morgen nicht sonderlich gut, mir war etwas flau im Magen und ich hatte das Gefühl, immer wieder von einer Art Schwindel gepackt zu werden. Wir saßen gerade beim Essen, als ich plötzlich einen Bissen im Mund hatte, den ich einfach nicht herunterschlucken konnte. Es war, als hätte ich keinen Schluckreflex mehr. Ich fühlte mich wie gelähmt. Eine starke Hitze stieg in mir auf und ich fing an zu zittern, mein Herz pochte wie wild und für eine kurzen Augenblick wurde mir ganz schwarz vor Augen. Als ich es trotzdem endlich schaffte, den Bissen herunterzuschlucken, war das Thema Essen für mich erledigt. Ich fühlte mich von da an immer schlechter, entschuldigte mich und verließ die Feier früher, als ursprünglich geplant.
Nach diesem Ereignis kam es zunächst vereinzelt immer wieder vor, dass ich von einem komischen Gefühl gepackt wurde, wenn ich etwas aß. Die Erinnerung an jenen Vorfall schoss wie ein Blitz in meinen Kopf und ich konnte keinen weiteren Bissen mehr nehmen. Es war wie eine dunkle Wolke, die mich umhüllte und handlungsunfähig machte. Dieses Gefühl weitete sich mit der Zeit auf immer mehr Bereiche aus. Bald kam das selbe unbehagliche Gefühl in mir auf, sobald ich einen Laden betrat, wenn ich auf einer Rolltreppe stand, selbst wenn ich einfach nur die Straße entlang ging. Etwas Unbehagliches stieg in mir auf und ich verspürte den Drang, der Situation in der ich mich gerade befand, zu entfliehen.
Ich habe diese Symptome jedoch lange Zeit nicht so ernst genommen, wie ich es im Nachhinein betrachtet hätte tun sollen, da sie für mich einfach keinen logischen Ursprung zu haben schienen.
Eines Tages, Anfang September 2012, saß ich in der Mittagspause zusammen mit meinem Kollegen im Büro. Wir aßen oft zusammen, doch dieses Mal bekam ich keinen Bissen herunter, allein der Gedanke an Essen löste einen Würgreflex in mir aus. Dieser wurde immer stärker, bis ich mich entschuldigte und die Toilette aufsuchte. Ich betrat eine Kabine, schloss hinter mir zu und beugte mich über die Schüssel. Ich merkte, dass ich furchtbar zitterte und mein Herz pochte. Doch ich musste mich nicht übergeben, die Übelkeit schwand langsam wieder. Ich wusch mein Gesicht mit kaltem Wasser und ging wieder zurück ins Büro. Sobald ich dort angelangt war und mein Kollege mich fragte, was los sei, wurde es wieder schlimmer. Ich sagte ihm, dass ich mich nicht wohl fühle und wohl besser nach Hause gehen sollte, dann rannte ich wieder zur Toilette. Wieder von Würgereiz geplagt und wieder wurde es besser, sobald ich mich in der Kabine befand. Unsere Sekretärin kam auf mich zu, als ich die Toilette verließ und erschrak bei meinem Anblick, da ich wohl furchtbar bleich ausgesehen haben muss. Obwohl ich nur einige Schritte von meiner Arbeitsstelle entfernt wohnte, bestand sie darauf, mich nach Hause zu begleiten, aus Angst ich könnte zusammenbrechen. Zu einem Arzt, wie von ihr vorgeschlagen, wollte ich nicht gehen. Sobald ich zu Hause war, ging es mir von Minute zu Minute deutlich besser. Ich machte mir bald darauf sogar eine Pizza im Backofen warm und hatte völlig normalen Appetit. Ich fühlte mich ganz schlecht, bei dem Gedanken, dass es mir so blendend geht, obwohl ich doch „krank“ von der Arbeit nach Hause gegangen bin. Ich tat das Ganze als komischen Anfall von Unwohlsein ab und war mir sicher, am nächsten Tag wieder zur Arbeit gehen zu können. Ich hatte in der darauffolgenden Nacht auch relativ gut geschlafen, doch als mein Wecker klingelte, weckte mich ein erneuter Würgereiz. Erneut rannte ich zur Toilette, musste mich aber nicht übergeben. Dafür zitterte ich wie Espenlaub und konnte mein Herz fast aus der Brust springen fühlen. Ich öffnete die Balkontür, um frische Luft schnappen zu können, und wartete darauf, dass ich mich doch noch übergeben muss. Doch es passierte nicht. Als es wieder einigermaßen ging, rief ich in der Arbeit an und meldete mich krank. Kurze Zeit später fühlte ich mich wieder deutlich besser.
Der erste Arzt, den ich aufsuchte, diagnostiziere aufgrund meiner Schilderungen - welche zugegebenermaßen lückenhaft waren, da ich die psychische Komponente, der ich mir im Grunde bereits bewusst war, nicht erwähnte - einen Magen-Darm-Virus und tat mir auf, mich ein paar Tage ins Bett zu legen, Tee zu trinken und leichte Kost zu mir zu nehmen. Ich wusste, dass dies kein Magen-Darm-Virus ist. Ich wusste es, da schon allein der Fußmarsch zum Arzt, der durch die Fußgängerzone führte, eine derartige Verschlechterung meines Zustands hervorgerufen hat, dass es sich mit einem Magen-Darm-Virus nicht erklären ließ. Ich wusste es, da ich im Wartezimmer zitterte und schwitze und mein Herz pochte; alles Symptome, welche in meinen eigenen vier Wänden noch nicht aufgetreten waren. Doch ich versuchte ihm zu glauben; so ein Magen-Darm-Virus klingt ja auch viel annehmbarer, als diese psychischen „Hirngespinste“, auf die ich durch Eingabe meiner Symptome bei google gestoßen bin. Das wäre auch völlig indiskutabel, schließlich war ich zu dem Zeitpunkt Beamtin auf Probe.
Natürlich wurde nichts besser; meine Situation verschlechterte sich zunehmend.
Ich hatte es noch nie sonderlich leicht im Leben. Meine Kindheit war ein Alptraum; ich habe bis heute keinerlei Bezug zu meiner Mutter, von meinem Vater kenne ich noch nicht einmal den Namen. In der Schule wurde ich seit ich denken kann von meinen Mitschülern gemobbt. Als ich schließlich mein Studium begann, zog ich völlig alleine 300 km von meinem Wohnort weg, in eine mir unbekannte Stadt. Ich stand durchgehend unter psychischem Stress und Leistungsdruck, zudem habe ich mich im Studentenwohnheim sehr unwohl gefühlt. Es waren so unglaublich viele mir fremde Menschen da, die ständig um mich herum waren. Es war mir zu viel, ich fühlte mich erdrückt und meiner Privatsphäre beraubt. Noch heute - Jahre später - leide ich regelmäßig unter Alpträumen, in denen ich davon träume, ich hätte noch ein Semester vor mir und müsste wieder zurück in das Studentenwohnheim ziehen.
Als das Studium schließlich geschafft war, folgte ein kräfteraubender Vorstellungs-Marathon bei allen möglichen Behörden, um einen Arbeitsplatz zu ergattern. Es kamen viele Absagen. In dieser Zeit fühlte ich eine erdrückende Angst vor der Zukunft, hatte das Gefühl, nicht gut genug zu sein.
Als endlich eine Zusage erfolgte, war die Zeit zu kurz, um noch vor Arbeitsbeginn eine Wohnung zu finden. Die einzige Möglichkeit, welche mir blieb, war es, vorübergehend wieder bei meiner Mutter einzuziehen. Das war eine grauenvolle Vorstellung für mich, doch mir blieb keine Wahl. Ich wurde wieder in die Zeit meiner Kindheit hinein befördert; was dies psychisch für mich bedeutete, wurde mir nachts regelmäßig bewusst, indem ich oft aufwachte, von Übelkeit geplagt und furchtbar zitternd. Damals war ich weit davon entfernt zu erkennen, dass dies bereits Panikattacken waren.
Die Wohnungssuche gestaltete sich sehr schwierig, sodass mir - wenn ich nicht noch länger bei meiner Mutter bleiben wollte - nur das Anmieten eines WG-Zimmers in einer 2er-WG übrig blieb.
Dies war nicht optimal, da ich lieber eigenständig gelebte und meine Ruhe gehabt hätte, anstatt dauernde Gesellschaft. Aber es war die bessere der zwei Optionen, die ich hatte.
In der Arbeit hatte ich ebenfalls einen schweren Start. Der Großteil der Kollegen war sehr abweisend und unfreundlich, weshalb ich mir eher wie ein Fremdkörper, als ein Mitglied des Teams vorgekommen bin. Ich habe lange gebraucht, um die Arbeitsabläufe zu verstehen, da keiner bereit war, den „Neuling“ einzulernen, weshalb ich zunächst mit meiner Tätigkeit völlig überfordert war und an mir selbst zu zweifeln begann.
Doch ich bin immer stark gewesen, habe alles hinter mich gebracht und heil überstanden.
Was passierte jetzt also plötzlich mit mir? Warum rast mein Herz, warum zittere und schwitze ich, warum wird mir so elend, sobald ich das Haus verlasse? Als schließlich meine kompletten Tage - vom Aufwachen bis zum Schlafengehen - nur noch eine Tortur darstellten, suchte ich einen weiteren Arzt bzw. eine Ärztin auf. Sie war Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie, weshalb ich mir von diesem Besuch viel versprach. Diesmal wollte ich offen und ehrlich sein. Ich war mir längst bewusst, tatsächlich ein psychisches Problem zu haben.
Als ich kreidebleich und zitternd im Wartezimmer ankam, erkannte man sofort, dass mit mir etwas nicht stimmt und schickte mich auf eine Liege im Nebenzimmer. Die Ärztin checkte mich komplett durch; körperlich war alles in Ordnung. Dann fing sie an, private Fragen zu stellen und alles was ich tun konnte, war zu weinen. Ich weinte Rotz und Wasser, brauchte lange, um mich zu beruhigen. Daraufhin verschrieb sie mir zunächst ein pflanzliches Beruhigungsmittel sowie Lorazepam für den Notfall und überwies mich an einen Neurologen/Psychologen. Die Krankschreibung, die sie mir anbat, schlug ich aus. Wie bereits erwähnt: Ich war Beamtin auf Probe, alles nicht so einfach.
Ich war entschlossen, erst dann „aufzugeben“, wenn ich wirklich völlig am Boden liege. Solange ich noch kriechen konnte, wollte ich weiterarbeiten.
Doch es kam der Zeitpunkt, an dem ich selbst unter dem Einfluss von Lorazepam nur unter Höllenqualen einen Schritt aus meiner Wohnung machen konnte. Hatte ich mich ein paar Meter von zu Hause entfernt, fühlte ich mich bereits völlig ausgeliefert, schutzlos und unerrettbar. Ich hatte immer eine Spucktüte dabei, sie wurde zu meinem ständigen Begleiter. Ich hatte das Gefühl, mich jederzeit erbrechen zu müssen oder ohnmächtig zu werden. Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding, mein Mund war trocken, meine Hände schweißnass, ich nahm alles um mich herum nur noch verschwommen wahr. Konnte kaum noch hören oder sehen, was um mich herum geschah. Essen konnte ich inzwischen selbst dann nicht mehr, wenn ich allein zu Hause war. Wenn auch nur ein Pizza-Werbespot im Fernseher lief, musste ich augenblicklich umschalten, da ich einen Würgereiz bekam. Mein Gewicht belief sich auf nur noch 43 kg, eine Nacht durchgeschlafen hatte ich seit Monaten nicht mehr. Es war geschehen: Ich lag am Boden.
Die Diagnose des Spezialisten: Agoraphobie mit Panikstörung und starker Depression.
Ich lies mich also krankschreiben, insgesamt 3 Monate lang. Zunächst wurde mir eine Hohe Tagesdosis Lorazepam verschrieben und ich sollte mich einfach nur ins Bett legen und ausruhen, möglichst viel Schlaf nachholen. Das tat unheimlich gut. Ich bekam auch etwas gegen den Würgereiz, um möglichst bald wieder einigermaßen normal essen zu können. Im Anschluss daran wurde mir Cipralex verschrieben, welches ich bis heute noch einnehme. Zusätzlich habe ich eine Verhaltenstherapie gemacht und meinen Arbeitsplatz sowie den Wohnort gewechselt. Völliger Neuanfang.
In der Therapie habe ich auch verstanden, weshalb sich bei mir die Panik immer so stark in Bezug aufs Essen äußert, weshalb ich einen solchen Würgereiz spüre. Ich hatte als Kind stets Prügel bezogen, wenn ich meinen Teller nicht aufaß. Dies führte dazu, dass ich mit so viel Angst am Esstisch saß, dass ich von vornherein Übelkeit und Ekel statt Hunger verspürte, was wiederum zu Prügel führte. Ein ewiger Teufelskreis. Der Esstisch war während meiner gesamten Kindheit ein angstbehafteter Ort des Grauens für mich. Diese Angst kam schließlich zu mir zurück.
Inzwischen geht es mir soweit gut. Ich bin relativ stabil. Zwar kommen immer wieder mal Phasen vor, in denen ich Panikattacken erleide, aber im Großen und Ganzen komme ich klar. Es wird immer kleine Rückschläge geben, denn die Angst ist allgegenwärtig. Immer.
Man darf sie nur nicht gewinnen lassen.
PS: Ich habe inzwischen wieder Normalgewicht und bin Beamtin auf Lebenszeit.
07.01.2016 22:31 • • 08.01.2016 #1