ich bin neu hier und habe schon einige Beiträge gelesen. Es ist wirklich sehr traurig zu sehen, dass es da draußen auch noch so viele andere einsame Menschen gibt. Wenn man erstmal in der Einsamkeit drin steckt, dann denkt man, man wäre ganz alleine damit. Gerade jetzt, wo der Sommer da ist und die ganze Welt draußen glücklich zu sein scheint.
Ich wollte euch einfach mal meine Geschichte in „Kurzform“ erzählen. Dadurch will ich kein Mitleid erregen, sondern einfach nur mal darauf aufmerksam machen, wie schnell das manchmal gehen kann mit der Einsamkeit und dass es jeden treffen kann. Auch für Menschen, die sich Jahre lang eingebildet haben glücklich zu sein, so wie ich das getan habe, kann es ein böses Erwachen geben. Ich persönlich hatte letztes Jahr trotz vieler Schwierigkeiten den schönsten Sommer meines Lebens, der jetzige ist so ziemlich der schlimmste und vor allem der einsamste. Aber nun zu meiner Geschichte…
Ich war bis vor wenigen Jahren beruflich sehr erfolgreich. Ich bin viel rumgekommen, war beliebt und hatte viele soziale Kontakte. Schließlich hat es mich ins Ausland verschlagen. Es war ein Traumjob in einer Traumstadt. Ich hatte ziemlich schnell Anschluss gefunden und fühlte mich für den Anfang ganz gut integriert. Ziemlich kurz nach meiner Ankunft war ich auch schon frisch verliebt. Alles schien perfekt. Doch die Beziehung endete so schnell, wie sie begonnen hatte. Ein furchtbares Ende mit Lügen und Betrügen und andauerndem Psychoterror. Das hat mich wirklich fertig gemacht und ich hätte dringend gute Freunde gebraucht. Es war nicht so, dass ich von Seiten der Kollegen nicht angesehen und beliebt gewesen wäre und ich hatte in der Tat auch viele Bekanntschaften. Aber es waren eben leider nur Bekanntschaften und keine Freunde. Es war einfach niemand da um mich in dieser schwierigen Zeit aufzufangen…
Meine sozialen Aktivitäten haben sich fast immer nur von Montag bis Freitag abgespielt, am Wochenende war ich fast immer alleine und habe mich sehr einsam gefühlt. Da bin ich natürlich viel ins Grübeln gekommen, habe sehr unter der gescheiterten Beziehung gelitten und mich von niemandem geliebt gefühlt. Schließlich bin ich depressiv geworden. Auf der Arbeit habe ich versucht von Montag bis Freitag die heile Welt vorzuspielen und das hat meistens auch ganz gut funktioniert, hat mich aber natürlich sehr viel Kraft gekostet. Donnerstag- oder Freitagnachmittag hat dann meistens schon die Angst vor dem Wochenende eingesetzt – die Aussicht auf zwei weitere Tage voller Einsamkeit hat mich regelmäßig zur Verzweiflung getrieben. Von meinen Empfindungen am Wochenende selber möchte ich erst gar nicht anfangen. Das ging ungefähr ein Jahr so. Dann konnte ich nicht mehr und habe mich schließlich von einer Brücke gestürzt. Was soll ich sagen, sicherlich keine Entscheidung auf die ich besonders stolz bin. Nun ja, ich habe es überlebt aber habe einen hohen Preis bezahlt – seit diesem Tag bin ich querschnittsgelähmt. Dafür habe ich bestimmt kein Mitleid verdient und möchte dieses auch gar nicht haben…
Zur Rehabilitation wurde ich zurück in die Heimat gebracht und es ging mir Schritt für Schritt körperlich und auch psychisch besser. In der Klinik bekam ich viel Aufmerksamkeit und auch Freunde und Familie waren sehr bemüht. Ich konnte der ganzen Geschichte sogar etwas Positives abgewinnen, da viele alte Kontakte wieder neu aufgeblüht sind. Das Gefühl der Einsamkeit war verschwunden. So habe ich mich dann schließlich entschieden auch nach der Reha in der Heimat zu bleiben und ein neues Leben anzufangen. Ich war mir sicher, hier würde es mir besser gehen in einem stabilen sozialen Umfeld. Als ich dann kurze Zeit später auch noch eine liebe Partnerin kennengelernt habe, die zwei Kinder mit in die Beziehung gebracht hat, schien das Glück trotz aller Schwierigkeiten perfekt zu sein…
Leider war dieses nur von kurzer Dauer. Am Anfang schien alles wie aus einem Märchen. Meine Freundin und ich hatten beide viel durchgemacht im Leben. Wir schienen wie füreinander bestimmt, zwei einsame, verletzte Seelen, die sich endlich gefunden haben und sich so akzeptieren, wie sie sind. Wir waren verliebt und leidenschaftlich und waren gleichzeitig die besten Freunde, haben viel geredet und waren füreinander da. Auch mit ihren Kindern und ihrer Familie und Freunden kam ich wunderbar zurecht. Wir haben viel zusammen unternommen, waren zusammen im Urlaub und hatten Pläne für die Zukunft. Wir waren eine richtige kleine Familie. Es war einer der schönsten Sommer meines Lebens. Doch nach einiger Zeit sprach sie zum ersten Mal an, dass sie nicht sicher wäre, ob sie mit dem Rollstuhl auf Dauer zu Recht kommen würde. Das hat mich natürlich hart getroffen, zumal es zwar Einschränkungen gibt, ich aber ansonsten ein vollkommen selbstständiges Leben führe. Immer wieder hat sie mir trotzdem gesagt wie toll und einzigartig ich bin und dass ich eigentlich der perfekte Partner für sie wäre. So habe ich versucht das runterzuschlucken. Nach weiteren Monaten war sie sich dann über ihre Gefühle nicht mehr sicher und schließlich hat sie die Beziehung beendet. Ohne Streit, ohne irgendwelche Vorwürfe – bis zum Schluss waren wir die besten Freunde. Von diesem Zeitpunkt an wollte sie keinen Kontakt mehr, sie meinte das wäre weder gut für sie noch für mich. Auch die Kinder, die ich sehr lieb gewonnen hatte, durfte ich von heute auf morgen nicht mehr sehen. Auf einmal stand ich wieder ziemlich alleine da…
Auch meine eigenen Freunde und Familie waren nach der Reha genauso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen waren. Gute Freunde, die ich mein halbes Leben lang kenne, sind auf einmal zu Bekannten geworden, die man zwei- bis dreimal im Jahr sieht. Einfach mal einen Kaffee trinken gehen oder Anrufen und fragen wie es einem geht, das tut keiner mehr. Dabei geht es mir gar nicht darum den Leuten in irgendeiner Weise die Ohren voll zu jammern. Das habe ich nie getan und werde ich auch nie tun. Es wäre einfach nur schön ab und zu mal jemanden zum Quatschen zu haben. Am Anfang habe ich noch versucht am Ball zu bleiben und die Kontakte zu pflegen aber irgendwann habe ich es mehr oder weniger aufgegeben – es kam einfach nichts zurück…
Und so bin ich wieder dort, wo ich schon einmal war, nur dass ich jetzt zusätzlich noch körperlich eingeschränkt bin und die Karriere den Bach runter gegangen ist. An den beiden letzten Punkten trage ich sicherlich selbst die Schuld aber diese sind auch bei Weitem nicht das Schlimmste. Was mich wirklich fertig macht, was ich als meine wahre Behinderung erachte, das ist die Einsamkeit, die zurück ist. Dieses Gefühl wollte ich nie wieder erleben und es ist mir doch wieder passiert – und das nicht fernab im Ausland sondern dort wo ich herkomme, in meiner Heimatstadt. Und wieder ist es am Schlimmsten an den Wochenenden, wo die ganze Welt da draußen eine schöne Zeit zu haben scheint. Es ist nicht so, dass ich unter der Woche nicht auch einsam wäre, aber irgendwie bekomme ich die Zeit schon rum. Aber an den Wochenenden, wenn ich mal wieder nichts vor habe und alleine zuhause sitze, mag die Zeit einfach nicht vergehen, werden Minuten zu Stunden, fange ich an über mich und das Leben nachzudenken…
Und so mache ich mir immer wieder selber Vorwürfe, dass mir die Karriere so wichtig war und dass ich mir nicht die Zeit genommen habe für das persönliche Glück. Hätte ich nicht so viel Zeit mit der Arbeit verschwendet und hätte ich nicht das Abenteuer gesucht, wer weiß, vielleicht hätte ich dann die richtige Partnerin gefunden und eine Familie gegründet. Vielleicht wäre ich heute nicht einsam sondern glücklich. Mit Schrecken blicke ich auf mein Leben zurück: kein Job war mir gut genug und die Welt nicht groß genug. Ich musste immer weiter nach oben und war nie zufrieden mit mir. Die heile Welt, die ich mir durch meine beruflichen Erfolge eingebildet habe, war am Ende nur ein Trugschluss. Viel zu spät ist mir bewusst geworden, dass das einzige was mir im Leben gefehlt hat, die Liebe ist. So gerne möchte ich Liebe geben und geliebt werden. Heute weiß ich, dass das wahre Glück direkt vor der Haustür auf dich warten kann. Man muss nur zum richtigen Zeitpunkt zugreifen. Ich habe das Gefühl, dass es für mich zu spät ist und mich quälen immer wieder die gleichen, aus der Einsamkeit geborenen Fragen: Wird es jemals wieder Liebe und wahre Freundschaft in meinem Leben geben? Werde ich jemals wieder eine Partnerin finden, die mich so annimmt wie ich bin? Wird es am Ende wieder am Rollstuhl scheitern? Werde ich jemals Kinder haben? Werde ich einsam alt werden?
Sicherlich haben viele von Euch hier im Forum ihre eigene Geschichte der Einsamkeit. Und sicher quälen viele von euch ganz ähnliche Fragen. Vielleicht hat ja der ein oder andere mal Lust darüber zu schreiben oder zu reden. Ich kann (auch wenn ich jetzt sehr viel über mich selber geschrieben habe) auch ganz gut zuhören…
19.07.2014 20:20 • • 22.07.2014 #1