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@Dawardochwas

Tatsächlich hatte ich genau das auch bereits im Sinn. Meine Hürde ist nicht, dass es mir an Ideen mangeln würde, sondern dass ich vom theoretischen Denken irgendwie ins praktische kommen muss. Mich würde stand jetzt bereits mein Image als graue Maus des Jahrgangs daran hindern, dies in die Tat umzusetzen. Es käme mir unangemessen vor, plötzlich als kollegialer Mensch zu gelten. Das ist mit Schamkomplexen behaftet, die ich bislang nicht mal mit einer Therapie in den Griff gekriegt. Aber ich versuche gerade, daran zu arbeiten. Danke für den Vorschlag!

Zitat von Williams-Christ:
Es käme mir unangemessen vor, plötzlich als kollegialer Mensch zu gelten.

Das Dünkel des Egos, die Selbst-Auf- oder Abwertung wirkt in alle Richtungen. Letztlich jedoch immer begrenzend, wo keine Grenzen sind. Strukturell ist ledlich die Wertungsfunktion zu erkennen - das Auf oder Ab dieser Bewertung ist im Endeffekt unrelevant. Wir sich klein macht, folgt dieser Struktur; wer sich groß macht, ebenfalls.

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Leben in einer Schachtel

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Zitat von Williams-Christ:
Geht es dir auch so, dass du noch sehr krass in der Vergangenheit festhängst und ständig zwischen diesem: Ich schaue jetzt nach vorne und Ich will aber noch nicht loslassen pendelst?

Ja, das kann man so sagen. Bei mir hat sich das in massiven Selbstzweifeln und diesen Gedanken niedergeschlagen, dass ich einfach schon zu viel im Leben verpasst habe und daher meine Zukunft nicht geregelt werden bekommen kann.

BTW. Studierst du was gesiteswissenschaftliches? Ich ich bin sozusagen Hobby-Geisteswissenschaftler ; ).

@Germanist

Ich studiere Sozialwissenschaften und Geschichte. Da ist von allem was dabei: Politik, Philosophie, Empirie, Wissenschaftstheorie und Hermeneutik. Für mich einfach ein Traum! Was ist denn deine Interesse auf dem Gebiet?

Wo genau studierst du den?

Hi @Williams-Christ,

sorry für die späte Antwort, aber ich schreib nicht so gern über die mini-smartphone Tastatur und war nicht so oft am Desktop PC die letzten Tage.

Also was Ge-Wi angeht sind's bei mir hauptsächlich deutsche/europäische Philosophie und Geschichte. (Schöne) Literatur eher weniger bzw. eig. überhaupt nicht. In diesen Themengebieten habe ich mir mittlerweile über all die Jahre schon ein gewisses Wissen autodidaktisch erarbeitet. Zurzeit interessiert mich geschichtlich z. B. die Zeit von 1890 bis 1933 in Europa, die Kulturgeschichte vor allem. Ich könnte da stundelang vor allem Originalliteratur aus dieser Zeit durchlesen und mich da vollkommen verlieren . Die Unibibliothek Heidelberg ist da gut ausgestattet.

@Germanist

verfolgst du denn mehr so die sozio-politischen Prozesse und/oder die ideengeschichtlichen im 19./20. Jahrhundert?

Mein Interesse bezieht sich vor allem auf die moderne, Zivilisationsgeschichte und (hier kommt mein sozialwissenschaftlicher Spürsinn ins Spiel), das Unterschwellige an Denkmustern, das uns heute aus dieser Zeit noch geblieben ist.

Nehmen wir mal als Beispiel, wie die Metaphysik die antike Philosophie, die christliche Eschatologie und das jetzige Denken prägt, indem wir etwa natürlicherweise von einem notwendig bestimmbaren Guten und einem Bösen ausgehen.

Wir können das ja in Bezug auf den Ukraine-Konflikt sehen, indem sich zeigt, wie die Kategorie des politischen Feindes (Russland) mit der des transzendenten, also orts- und zeitunabhängigen Bösen gleichgesetzt wird, dass uns als um seiner selbst Willen böse präsentiert wird. Diese Denktradition verhält sich genealogisch zum Antagonismus vom Christen und Antichristen. Ich finde es persönlich super spannend, wie sich Fragmente dieser Strukturen erhalten haben.

Davon ausgehend stelle ich sehr gerne Grundsatzfragen: Ist denn wirklich so, dass moderne westliche Gesellschaften das Christentum überwunden haben und frei sind, wie es uns selbst die vermeintlich kritischen Stimmen unserer Zeit vorhalten? Man denke nur an das, was sich heute Satire nennt. Oder ist es nicht vielmehr so, dass wir in der ontologischen Falle gefangen bleiben und nicht die Kategorien losgeworden sind, sondern nur ihren Inhalt gewechselt haben? Wenn sich ein Konsens weiter an der Unbedingtheit bestimmter Daseinsfragen orientiert, wundert es dann noch, dass es über diese zu vermeintlich unüberwindbaren Konflikten zwischen den Gläubigern der vielen Prämissen kommt? Oder um es klar zu sagen: Das, was wir in Bezug auf tagespolitische Probleme als Glaubenskriege wahrnehmen (Impfpflicht ja/nein, Ukraine unterstützen ja/nein, Popularisieren usw.) ist doch nichts weiter als die Fortführung eines Kampfes um Naturzustandsannahmen, von denen dann das Weltbild abgeleitet wird. Sind dabei diejenigen, die als gesellschaftliche Mehrheit bestimmte Leitlinien besetzen unbedingt rhetorisch den Devianten gegenüber im Vorteil? Nicht unbedingt, denn sie mögen zwar erkennen, dass ein Querdenker sich an eine Prothesenreligion klammert, aber sie tun es selbst nicht minder. Verfolgt man massentaugliche Medien wie etwa die Heute-Show, so werden dort als analytische Urteile getarnte Synthesen bedient, was man dann ebenso als Ideologie beziffern muss.

Deswegen bin ich z.B. der Meinung, dass es einen Entwicklungsschritt aus der theologischen Umklammerung nie gegeben hat, weil uns das Grundprinzip dahinter weiter fest im Griff hat. Und wenn man das aus dem geschichtlichen Kontext nicht versteht, dann versteht man auch nicht, woran die Optionen scheitern, solche Konflikte durch Bekehrung lösen zu wollen.

Das wär jetzt ein kleiner Ausschnitt aus meinem Interessensgebiet und wie ich so an eine Thematik rangehe. Ich bin gespannt, was du dazu sagst.

@Williams-Christ
Also zu meiner eigenen Entwicklung in meinem Denken:

In der Jugend war ich sehr fasziniert an der deutschen Arbeiterbewegung und allem was dazugehört, klassischer "Marxist-Leninist" eben und habe dann irgendwie alle linken Denktraditionen durchgemacht (Anarchismus, Anarchosyndikalismus etc. pp). Dann bin ich mit 18 Jahren oder so endlich "erwachsen geworden" und habe gemerkt, dass das alles irgendwo riesengroße weltanschauliche Luftschlösser sind und habe mich dann eher an die "klassischen" deutschen und europäischen Philosophen, Anthropologen und Soziologen dieser Zeit orientiert wie z. B Husserl Carl Jaspers, Martin Heidegger, Arnold Gehlen und auch Friedrich Nietzsche.

Zu deiner Ausführung: im Großen und Ganzen kann ich diesen Gedanken etwas sehr interessantes abgewinnen. Manche Formulierungen verstehe ich aber nicht so ganz wie z. B.:
Zitat:
Oder ist es nicht vielmehr so, dass wir in der ontologischen Falle gefangen bleiben und nicht die Kategorien losgeworden sind, sondern nur ihren Inhalt gewechselt haben? Wenn sich ein Konsens weiter an der Unbedingtheit bestimmter Daseinsfragen orientiert, wundert es dann noch, dass es über diese zu vermeintlich unüberwindbaren Konflikten zwischen den Gläubigern der vielen Prämissen kommt? Oder um es klar zu sagen: Das, was wir in Bezug auf tagespolitische Probleme als Glaubenskriege wahrnehmen

Oder auch auch:
Zitat von Williams-Christ:
Fortführung eines Kampfes um Naturzustandsannahmen, von denen dann das Weltbild abgeleitet wird


Generell bin ich in den letzten Jahren auch zu der Überzeugung gekommen, dass der Mensch ein zutiefst religiöses Wesen ist und die Tatsache, dass wir um es mit Nietzsche zu sagen Gott getötet haben, gar nicht unbedingt bedeuten muss, dass die durch religiöse Denkmuster und Dogmen beeinflusste Konflikte von nun an einfach von der Bildfläche verschwinden werden. Ein weiteres Paradebeispiel, das ja noch nicht gar nicht mal all zu lange her ist, wäre hier natürlich die marxistisch-leninistischeWeltanschauung und der Kalte Krieg gewesen, welcher uns so lange in diesem Kampf zwischen Gut und Böse im Griff hatte, und das in seiner Art gar nicht so unterschiedlich wie zu Zeiten der großen Religionskriege des Mittelalters.

Zitat von Germanist:
Unbedingtheit bestimmter Daseinsfrage

Vor allem diese Formulierung würde mich interessieren, was du damit ausdrücken wolltest.

@Germanist

Damit wollte ich darauf hinaus, dass die Grundlogik der Religion noch heute unser Denken prägt. Durch Platons Wirken hat dieses ja auch einen schönen griffigen Namen bekommen: Metaphysik.
Kern des metaphysischen Denkens ist die Annahme, dass es etwas gibt, dass den Erscheinungsformen, die uns begegnen, vorgelagert ist. Bei Platon waren es die Ideen, d.h. Axiome, die eine eigene Essenz haben und die in den Kommunikationsakten nur greifbar, nicht jedoch konstruiert werden. Platon hatte als Ursprung aller Ideen und damit allen Seins das Gute. Damit zielte er auf den inneren Antrieb ab, der uns Menschen (vermeintlich) unmissverständlich klar macht, was wir tun und lassen sollten, ohne es so richtig begründen zu können. Wir können es nicht begründen, weil es sich allen Kategorien entzieht, in denen wir unser eigenes Denken verstehen können. Es ist gewissermaßen undenkbar für uns aber der Urgrund für unser Mensch-Sein.
In der Geschichte haben wir jetzt ganz viele Beispiele zur Auswahl, welchen Platzhalter man für das Gute einsetzen kann. Nennen wir ihn JHWE, Allah, Gott oder aber Stalin, Mussolini oder Trump, es ist eigentlich egal. Mir geht es um das Prinzip, dass immer das Gleiche geblieben ist. Es wird ein uns vorgeschaltetes gutes Sein proklamiert, dem wir zu folgen haben, mit all seinen Regeln und Einschränkungen - weil es gut ist. An eine tiefere Begründungseben kommen wir ja nicht heran (s.o.). Dieser Selbstzweck ist, was ich mit der Prämisse meine.
Wenn davon ausgegangen wird, dass Gott gut ist, dann sind die Christen auch die Guten, weil sie ihn im Herzen tragen, aber Muslime sind etwa die Bösen, weil sie das Gute nicht erkennen wollen. Da es ein Moslem seinerzeit und vielleicht auch heute eher andersrum sieht, kommen wir zum nicht auflösbaren Konflikt, da man sich ja darauf verständigt hat, die einzige Ebene, auf der man ihn lösen könnte (die Prämisse), nicht mehr infrage zu stellen, weil sie den Selbstzweck vom Urgrund herleitet. Damit kann man eigentlich jeden Konflikt der Welt beschreiben. Oberflächenfragen werden dann unwichtig, weil sie die Grundeinstellung nicht tangieren und das Problem bleibt solange ungelöst, bis eben doch nicht mal die Prämisse angegriffen wird.

Und das sehen wir heute noch immer: Wenn Person A sagt, Person B gefährde ihre Zukunft, weil sie Fleisch esse, dann ist der semantische Aussagegehalt, dass sie als Prämisse eine direkte Kausalität zwischen ihrer Zukunft und Fleischkonsum (- Massentierhaltung) herstellt. Ungeachtet der Tatsache, ob das so haltbar ist, entspinnt sich daraus ein Glaubenskampf, der eben ab dieser Ebene nur noch ideologisch geführt wird, weil weder A noch B ihre Grundannahmen hinterfragen. Neben den gesellschaftlichen Objekten, die wir zurecht als Ideologen bezeichnen, worüber sich die Mehrheit einig ist, begibt sich die Mehrheit in dem Moment selbst auf dieses dünne Eis, wo sie ihre Erkenntnisse nicht mehr mit wissenschaftlichen Methoden, sondern mit der Befolgung verschiedener medialer Darstellungen dieser als komprimierte, aber nicht begründete Informationen, belegt. Ich stelle gerne Fragen wie: Welche Erkenntnisse machen dich denn so sicher, dass der Klimawandel ein Problem für uns wird? Was für ein Problem wird er überhaupt? Womit rechnen die Experten? usw. Bei den Antworten zeigt sich schnell, dass die wenigsten, die die Mehrheitsthese vertreten, Ahnung von dem haben, was sie sagen. Sie mögen damit recht haben - d.h. die Prämisse stimmt in Bezug auf die gegebenen Erscheinungen, so wie sie Wissenschaftler deuten. Aber sie sind ab dem Punkt, wo sie nur noch die Grundannahmen und nicht mehr die Argumente für deren Herleitung verfolgen, genauso ideologisch wie ein Mensch, der den Klimawandel leugnet und glaubt, dass die Enteisung der Nordwestpassage doch vorteilhaft für den globalen Schiffsverkehr wäre.

Und das wir im Übrigen Nietzsches Kritikpunkt. Er hat erkannt, dass die Moderne nicht so funktioniert, wie es die über-optimistischen Aufklärer gerne verkauft haben. Das ontologische (d.h. vorgelagertes Sein) von Gut und Böse, so wie in Antike und Mittelalter hier bereits vertreten, ist noch immer da und hat sich neue Ausdrucksformen gesucht. Wir glauben an westliche Werte. Aber warum tun wir das? Warum glauben wir an diese und handeln sie nicht im Diskurs aus? Zumindest nicht im Alltag. Schaut man sich eine politische Talkshow an, wird das besonders deutlich. Jeder Hans und Franz hat seine Werte und anstatt sich zu fragen, wo sie geschichtlich herkommen, wie viel davon konstruiert (und nicht ausdiskutiert) ist und vor allem was andere für Prämissen haben, um sich zu verständigen, klatschen sich alle nur ihre Prämissen an den Kopf und wundern sich, dass sie kein Recht erhalten. Das ist leider das mehrheitsfähige Bild, nicht das wissenschaftliche Argument.

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Dr. Reinhard Pichler
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