@Germanist
Damit wollte ich darauf hinaus, dass die Grundlogik der Religion noch heute unser Denken prägt. Durch Platons Wirken hat dieses ja auch einen schönen griffigen Namen bekommen: Metaphysik.
Kern des metaphysischen Denkens ist die Annahme, dass es etwas gibt, dass den Erscheinungsformen, die uns begegnen, vorgelagert ist. Bei Platon waren es die Ideen, d.h. Axiome, die eine eigene Essenz haben und die in den Kommunikationsakten nur greifbar, nicht jedoch konstruiert werden. Platon hatte als Ursprung aller Ideen und damit allen Seins das Gute. Damit zielte er auf den inneren Antrieb ab, der uns Menschen (vermeintlich) unmissverständlich klar macht, was wir tun und lassen sollten, ohne es so richtig begründen zu können. Wir können es nicht begründen, weil es sich allen Kategorien entzieht, in denen wir unser eigenes Denken verstehen können. Es ist gewissermaßen undenkbar für uns aber der Urgrund für unser Mensch-Sein.
In der Geschichte haben wir jetzt ganz viele Beispiele zur Auswahl, welchen Platzhalter man für das Gute einsetzen kann. Nennen wir ihn JHWE, Allah, Gott oder aber Stalin, Mussolini oder Trump, es ist eigentlich egal. Mir geht es um das Prinzip, dass immer das Gleiche geblieben ist. Es wird ein uns vorgeschaltetes gutes Sein proklamiert, dem wir zu folgen haben, mit all seinen Regeln und Einschränkungen - weil es gut ist. An eine tiefere Begründungseben kommen wir ja nicht heran (s.o.). Dieser Selbstzweck ist, was ich mit der Prämisse meine.
Wenn davon ausgegangen wird, dass Gott gut ist, dann sind die Christen auch die Guten, weil sie ihn im Herzen tragen, aber Muslime sind etwa die Bösen, weil sie das Gute nicht erkennen wollen. Da es ein Moslem seinerzeit und vielleicht auch heute eher andersrum sieht, kommen wir zum nicht auflösbaren Konflikt, da man sich ja darauf verständigt hat, die einzige Ebene, auf der man ihn lösen könnte (die Prämisse), nicht mehr infrage zu stellen, weil sie den Selbstzweck vom Urgrund herleitet. Damit kann man eigentlich jeden Konflikt der Welt beschreiben. Oberflächenfragen werden dann unwichtig, weil sie die Grundeinstellung nicht tangieren und das Problem bleibt solange ungelöst, bis eben doch nicht mal die Prämisse angegriffen wird.
Und das sehen wir heute noch immer: Wenn Person A sagt, Person B gefährde ihre Zukunft, weil sie Fleisch esse, dann ist der semantische Aussagegehalt, dass sie als Prämisse eine direkte Kausalität zwischen ihrer Zukunft und Fleischkonsum (- Massentierhaltung) herstellt. Ungeachtet der Tatsache, ob das so haltbar ist, entspinnt sich daraus ein Glaubenskampf, der eben ab dieser Ebene nur noch ideologisch geführt wird, weil weder A noch B ihre Grundannahmen hinterfragen. Neben den gesellschaftlichen Objekten, die wir zurecht als Ideologen bezeichnen, worüber sich die Mehrheit einig ist, begibt sich die Mehrheit in dem Moment selbst auf dieses dünne Eis, wo sie ihre Erkenntnisse nicht mehr mit wissenschaftlichen Methoden, sondern mit der Befolgung verschiedener medialer Darstellungen dieser als komprimierte, aber nicht begründete Informationen, belegt. Ich stelle gerne Fragen wie: Welche Erkenntnisse machen dich denn so sicher, dass der Klimawandel ein Problem für uns wird? Was für ein Problem wird er überhaupt? Womit rechnen die Experten? usw. Bei den Antworten zeigt sich schnell, dass die wenigsten, die die Mehrheitsthese vertreten, Ahnung von dem haben, was sie sagen. Sie mögen damit recht haben - d.h. die Prämisse stimmt in Bezug auf die gegebenen Erscheinungen, so wie sie Wissenschaftler deuten. Aber sie sind ab dem Punkt, wo sie nur noch die Grundannahmen und nicht mehr die Argumente für deren Herleitung verfolgen, genauso ideologisch wie ein Mensch, der den Klimawandel leugnet und glaubt, dass die Enteisung der Nordwestpassage doch vorteilhaft für den globalen Schiffsverkehr wäre.
Und das wir im Übrigen Nietzsches Kritikpunkt. Er hat erkannt, dass die Moderne nicht so funktioniert, wie es die über-optimistischen Aufklärer gerne verkauft haben. Das ontologische (d.h. vorgelagertes Sein) von Gut und Böse, so wie in Antike und Mittelalter hier bereits vertreten, ist noch immer da und hat sich neue Ausdrucksformen gesucht. Wir glauben an westliche Werte. Aber warum tun wir das? Warum glauben wir an diese und handeln sie nicht im Diskurs aus? Zumindest nicht im Alltag. Schaut man sich eine politische Talkshow an, wird das besonders deutlich. Jeder Hans und Franz hat seine Werte und anstatt sich zu fragen, wo sie geschichtlich herkommen, wie viel davon konstruiert (und nicht ausdiskutiert) ist und vor allem was andere für Prämissen haben, um sich zu verständigen, klatschen sich alle nur ihre Prämissen an den Kopf und wundern sich, dass sie kein Recht erhalten. Das ist leider das mehrheitsfähige Bild, nicht das wissenschaftliche Argument.
29.05.2022 01:43 •
x 1 #30