Zitat von Legehenne:Achtung, es folgen subjektive Erfahrungswerte! Ich habe nicht komplett alles verfolgt, aber ich finde es sehr interessant, dass es im Westen ganz und gar ähnlich zugeht wie das, was ich bisher immer als typisch ostdeutsch empfunden habe. Die von dir beschriebenen Zustände der sterbenden Dörf(l)er lässt sich meiner Meinung nach fast komplett auf (ganz?) Thüringen übertragen. Das Wenige, das es hier an Stadt gibt, ist gefühlt geprägt von Wollen aber nicht Können und das Dorfleben ist... anstrengend. Kein Blick über den Tellerrand, Bildungsniveau teilweise erschreckend, alte ...
Genau das meine ich! Mal ein Beispiel: Ist zwar schon gut 100 Jahre her, aber damals war ja noch Eisenbahngründerzeit, und es wurden jede Menge Eisenbahnlinien gebaut. Durch mein Dorf sollte die Linie Volkmarsen - Kassel verlegt werden. Es wäre ideal gewesen, aber natürlich wurde auch ein Baukostenanteil der Gemeinde verlangt. Da stellte man zur Wahl: Entweder das Geld für den Bahnhof oder für fließendes Wasser, was es damals noch nicht gab. Da entschieden sich die blöden Bewohner für die Wasserleitungen, die es ein paar Jahre später ohnehin gegeben hätte. So richtig rückständig. Seitdem macht die Linie einen Umweg von über 10 km durch andere Käffer.
Ich habe Ende 2018 auch mal ein Projekt in Thüringen gehabt. Selbst für mich als Nordhessen war das nochmal ein heftiger Schlag. Es war gerade mal 70 km von zuhause weg, aber es war eine ziemliche Kälte zu spüren. Ich wurde gerufen, weil die Leiterin der Abteilung ersetzt werden sollte, die keiner leiden konnte. Nur irgendwie reichte das nicht, um mich zu unterstützen. Ich kam nicht von da und sprach den falschen Dialekt, wie so oft. Das Schlimmste war, abgesehen von der chronischen Zahlungsunfähigkeit, dass die viele Arbeit nur schleppend von den Damen gemacht wurde, weil sie die meiste Zeit nur am Schnattern waren. Wenn nicht über die Kinder in der Schule, dann über das letzte Kaffeekränzchen, und warum Tante Erna so langsam dement wird oder so. Ich habe dann mal gefragt, ob sie wüssten, wann die A 44 mal fertig wird. Das Autobahnstück, was seit 30 Jahren geplant ist und eigentlich sofort nach der Wende gebaut werden sollte, und die teuerste Autobahn pro km der Welt ist. Da fiel ich fast vom Glauben ab: Die wussten davon nichts. Es interessiert sie auch nicht. Denn sie waren in den 30 Jahren nur einmal in Hessen. Ist für sie eine andere Welt. Da wurde ich innerlich schon irgendwie ungehalten. Ich gurke mindestens einmal im Jahr irgendwo im ehemaligen Grenzgebiet rum, oder sehe mir die Städte im Osten an, wie die Weihnachtsmärkte sind oder so. Aber so viel Provinzialismus war mir dann auch eine Spur zu heftig. Da sind die ja in meinem Heimatort noch weltoffener.
Als ich dort vorgestellt wurde, fragte der Agenturleiter, der mich vermittelte, den kaufmännischen Leiter der Firma, wo man dort mittags was warmes essen könnte. Da sagte der Chef mit Stolz erfüllter Brust: Nee, hier können Sie mittags nichts essen. Aber im Rewe gibt es jetzt eine warme Theke. Und das in einer Kleinstadt mit 15000 Einwohnern. Furchtbar, oder? Wie man darauf noch stolz sein kann. Ich wurde schon doof angemacht, dass ich danach mittags immer raus wollte, und mir nichts von zuhause mitbrachte. Und die wollten so wie früher immer bei gekipptem Fenster und aufgedrehter Heizung arbeiten, obwohl die Firma schon kein Geld mehr hatte. Aber die Wärmequelle musste unbedingt COs-neutral sein. Die die Firma heruntergewirtschaftet hatten, sollen dann allesamt Wessis gewesen sein. Ja, klar. Da wusste ich ja auch, wie die über mich gedacht haben müssen. Als ich gekündigt hatte, wurde mir noch vorgeworfen, eine Uhr geklaut zu haben. Einfach erbärmlich.