Jens
Natürlich kann man es so einrichten, dass man sich darüber keinen Kopf mehr macht. Man ist eben in irgendeiner Art anders und das greift den Wert, den wir haben (den wir ja eigentlich nur selber definieren können) nicht an. Man ist keineswegs schlecht, und natürlich: es ist unser ganz persönlicher Weg, den ja letztendlich jeder irgendwo allein bestreiten muß. Und natürlich mag man sich auch nicht immer selbst zerfleischen und sein Selbstwert bzw. -bewußtsein noch ein Stück tiefer in den Dreck ziehen, und mag auch nicht ewig grübeln über die eigene Problematik und wie mans anstellen kann, ihr ein bißchen zu entgehen.
Und mann kann natürlich mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln versuchen, sich etwas Positives, etwas Lebensfreude und etwas Sinn für diesen Lebensweg zu suchen. Es ist wohl so, dass wir einsamen da ungleich erfinderischer sein müssen als die breite Masse. Gerade auch hier im Forum kann man da viele Anregungen erhalten. Was kann man nicht alles tun und versuchen: jegliche erdenkliche Hobbies, Glauben (zuletzt stand hier im Forum viel über Buddhismus, was ich durchaus sehr interessant finde), Esoterik, sportliche Aktivitäten (ich gehe auch ab und an in ein Fitness-Studio und es ist ja eine Binsenwahrheit: Sport und Bewegung tun nunmal Körper und Seele gut) und und und. Ein jeder mag da das für ihn angenehme rauspicken, was ihm gut tut. All das hat seine Berechtigung.
Aber was und wieviel auch immer auch tue, und wie gut und richtig das alles auch ist, für mich ist es immer ein bißchen so um den heissen Brei herum, nahezu Ersatzbefriedigung. Man HAT nunmal ein starkes Bedürfnis nach Kontakten, nach Sich-Unterhalten, nach Austausch von Gedanken und Gefühlen, nach Liebe, Berührungen usw., und das alles gerne auch mal schriftlich oder telefonisch, aber möglichst auch in echt. Und das Defizit ist bei uns Einsamen eben verdammt schmerzlich da, es nicht immer gleich schlimm, weil man es zuweilen mehr oder weniger gut kompensieren kann und man selber ja auch nicht jeden Tag gleich ist. Aber man kommt immer auf dasselbe zurück. Und durch dieses enorme Defizit, dass da einfach ein grundlegendes Bedürfnis weitgehend unerfüllt bleibt, wird man früher oder später krank, kriegt Depressionen und Angst. Möglicherweise schon in früher Kindheit: man stellt schon früh, zuerst etwas verschwommen, fest dass man irgendwie anders ist und viel, viel mehr allein ist als andere. Man beginnt sich einsam zu fühlen, möchte daran was ändern, scheitert aber, eben weil man nicht so massenkompatibel ist. Wird vielleicht mehr oder minder brüsk von anderen zurückgewiesen, und enttäuscht. Man fühlt sich noch einsamer und deprimierter und es kommt jetzt auch Angst dazu, insbesondere vor anderen Menschen. Daraus resultiert Vermeidungsverhalten und Rückzug. Man ist noch mehr allein und wird noch deprimierter. Durch die Angst und den Rückzug wird man noch ungeübter im sozialen Verhalten, und so weiter und so fort. Eins kommt zum anderen.
Was ich aber sagen will, ist: man muß diese Spirale durchbrechen und muß, jedenfalls, wenn der Leidensdruck zu groß wird, was dagegen unternehmen, es zumindest versuchen. Ich finde ja ohnehin, dass Angst, Einsamkeit und Depression gern zusammen in einem riesigen, unentwirrbaren Knäuel auftreten und sich gegenseitig verstärken. Irgendwo muß man versuchen, den Hebel anzusetzen. Wenn das Grundproblem Kontaktarmut und Probleme mit anderen sind, dann eben nochmals eine Verhaltenstherapie beginnen. Auch wenn man früher schon mehrere Therapeuten verschlissen hat. Vielleicht kommt jetzt der vierte, eine/r, der oder die einem mal richtig gut tut. Es hilft ja nichts, man MUSS sich der breiten Masse annähern und versuchen, in dieser Welt der Oberflächlichkeiten, des Small-Talks und der Belanglosigkeiten ein bißchen mitschwimmen. Nicht die anderen müssen irgendwas ändern, wir selbst müssen es. WIR SIND AUF DIE ANGEWIESEN! Und können nicht warten, bis irgendwann mal DER Seelenvertraute vor unserer Tüt klingelt. Man muß sich irgendwo ein bißchen anpassen, das heißt ja nicht, sich selbst völlig zu verbiegen und zu verleugnen. Dass das alles nur ein Spiel ist, naja, den heiteren Gedanken kann ich ja, wenn ich denn mal gut drauf bin, durchaus mal aufnehmen. Aber Theater zu spielen, und mal den selbstbewußten Rambo aufsetzen, das wird mir zumindest nicht gelingen. Das werden die anderen auch schnell durchschauen. Alles andere, wie man mit sich selbst, der Natur im Einklang, mit einem bestimmten Glauben etc. zurechtkommen kann, ist meiner Meinung nach zweitrangig, Hilfskonstruktionen eben. Man muß an den Kern der Sache, an seinem Verhalten und der Wirkung auf andere feilen und immer wierder versuchen, Kontakte zu kriegen. Natürlich ist das wahnsinnig schwer und anstrengend, und zeitweise auch gar nicht möglich, wenn man gerade wieder an seiner Depression allzu lahmt, wie es isis so schön ausgedrückt hat. Was meint Ihr?
Wer das bis zum Ende gelesen hat, ist selbstverständlich ebenfalls ein Held.
03.09.2008 10:50 • #21