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Zitat von moo:
frage ich das Euch (und mich), wieviel Verantwortung bzw. Zuständigkeit bei uns selber für das Gefühl von Einsamkeit liegt?

Ich denke, dass alleine für das GEFÜHL von Einsamkeit die Verantwortung bei jedem selber liegt. Es ist halt nicht jeder in seiner jeweiligen Lebenssituation immer und allezeit in der Lage alleine (und da haben wir´s wieder) mit diesem Gefühl klarzukommen. Ablenkungen funktionieren immer nur vorübergehend, aber wenigstens ist damit eine gewisse Zeitspanne abgedeckt, in der das Gefühl von Einsamkeit nicht oder vielleicht nur kaum gespürt wird.

Die Gründe, die zu Einsamkeit führen, wurden hier ja schon mehrfach genannt und ich kann mich vielem anschließen. Sicherlich ist ein Grund auch die eigene Persönlichkeit, für die man ja zunächst nichts kann. Durch Erziehung und die Gesellschaft wird man geformt. Und um an der eigenen Persönlichkeit arbeiten zu können, muss man sich außerdem erstmal gewisser Zusammenhänge bewusst geworden sein und auch den Wunsch oder besser die Notwendigkeit dazu spüren. Das passiert nicht bei jedem und eh erst ab einem bestimmten Alter.

Ich gehöre noch nicht zu den Ü60ern. Doch wenn ich auf mein Leben zurückblicke und auch auf meine derzeitige Situation - ich bin überwiegend alleine, körperliche und psychische Probleme, also auch entsprechend eingeschränkt - ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass ich in einigen Jahren eben auch zu den einsamen Ü60ern gehören werde.
Und somit halte ich es für sinnvoll, mir JETZT Gedanken darüber zu machen, wie ich das Ruder evtl. noch rumreißen kann. Dabei versuche ich ein gewisses Gleichgewicht zu finden, sodass diese Gedanken nicht (allzu oft) in Sorgen und Ängste münden, die meinen Handlungsspielraum noch weiter einschränken würden, hier jetzt konkret: Kontakte zu knüpfen. Ist in Corona-Zeiten allerdings müßig, kostet viel Kraft und die muss eingeteilt werden.

Außerdem halte ich es für sehr sinnvoll, parallel zur Außenorientierung eine gewisse innere Gelassenheit zu entwickeln, sprich mich in gewisser Hinsicht mit dieser Situation zu arrangieren. Dazu gehört auch mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass ich möglicherweise auch in der Zukunft alleine sein werde. Und das evtl. sogar hilfsbedürftig. Keine schöne Vorstellung und auch deswegen meine Ambitionen in Richtung Kontaktknüpfung. Für manch einen (die meisten? viele?) zählt dies zur Kategorie Egoismus, für mich ist das reiner Selbsterhaltungstrieb.

Es gibt Phasen, da helfen mir die Gedanken anderer Menschen, andere Sichtweisen. In dem Buch Skepsis und Zustimmung von Odo Marquard gefallen mir Passagen aus dem Kapitel Plädoyer der Einsamkeit zwar sehr gut. An anderen Tagen kotzen mich solche Weisheiten aber auch regelrecht an.
Mal ein kurzer Auszug daraus:
Was uns modern plagt, quält und malträtiert, ist nicht nur - und schon gar nicht primär - die Einsamkeit, sondern vor allem der Verlust der Einsamkeitsfähigkeit: die Schwächung der Kraft zum Alleinsein, der Schwund des Vermögens, Vereinzelung zu ertragen, das Siechtum der Lebenskunst, Einsamkeit positiv zu erfahren.

Ja, das stimmt - aber halt nur auch; auf´s Maß kommt es an!

Es ist bei mir eigentlich so, dass ich mich an den wenigsten Tagen wirklich einsam fühle. Ich bin gerne alleine. Aber ich spüre, dass das häufige Alleinsein meiner eh schon angeknacksten Psyche schadet. Konkret fehlt mir ein entspanntes Miteinander mit anderen Menschen. Meine bisherigen Beziehungserfahrungen sind überwiegend geprägt von Anstrengung = kräftezehrend. Aus diesem Grund fühle ich mich mittlerweile alleine wohler, befinde mich damit aber in einem Teufelskreis. So zumindest meine Einschätzung.

@Myosotis
Danke für deinen konstruktiven Beitrag.
Ich werde heute Abend darauf antworten, jetzt gehe ich lieber in die Natur !

A


Einsam im Alter ab 60+ Thread

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Zitat von Myosotis:
Ich denke, dass alleine für das GEFÜHL von Einsamkeit die Verantwortung bei jedem selber liegt. Es ist halt nicht jeder in seiner jeweiligen Lebenssituation immer und allezeit in der Lage alleine (und da haben wir´s wieder) mit diesem Gefühl klarzukommen. Ablenkungen funktionieren immer nur vorübergehend, aber ...

Hallo Myosotis

Ein sehr guter Beitrag, den Du da geschrieben hast. Du sprichst mir aus der Seele. Aber ich habe meine Denkweise, die ich noch vor ein paar Wochen hatte, geändert. Zwar bin ich noch viel alleine und einsam, aber das habe ich nun geändert.

Sonst ging ich nach Arbeitsschluss immer gleich zu meinem Auto, und fuhr nach Hause. Jetzt unterhalte ich mich noch einen Moment mit meinen Kollegen und Kolleginnen. Meist über ganz banale Dinge. Small Talk, wie man so schön sagt. Und siehe da, vor drei Tagen fragten sie mich ob ich am vergangenen Freitag Abend mit Ihnen weg gehe, (sind alle jünger als ich, manche sogar bis zu 30 Jahre) ich sagte zu, und es wurde ein lustiger, und schöner Abend.

Jetzt haben sie mich in ihre WhatsApp Gruppe aufgenommen, die ich vorher gar nicht kannte. Und ich bin froh diesen Weg gegangen zu sein. Ein Stück raus aus Isolation und Einsamkeit

Zitat von superstes:
Dazu kommt meine wichtige Frage, wie wertvoll und erhaltenswert ist mir diese Freundschaft.

Ich frage mich inzwischen, ob ich meiner diesbezüglichen Einschätzung wirklich trauen kann bzw. jemals konnte!?

Zitat von Feuerschale:
dann sucht man sich noch Jüngere/Singles/Selbsthilfegruppen/Fortbildungsgruppen ect, und doch hat auch da alles seinen Verfallswert, es gibt Veränderungen, man teilt schon weniger Wurzeln.

Ja, stimmt. Die Metapher mit den Wurzeln ist hochinteressant. Ich kann nämlich gar nicht in Worte fassen, was meine wenigen verbliebenen Ur-Freunde und mich heute noch (wenn überhaupt!) verbindet. Habe ich unsere Wurzeln schlicht vergessen? Sind es überhaupt Wurzeln, die in der Erde stecken oder sind wir alle eher heutzutage Luftwurzler und deshalb zwar örtlich und situativ flexibler, unabhängiger - ja, geistig reger?

Zitat von Myosotis:
Ich denke, dass alleine für das GEFÜHL von Einsamkeit die Verantwortung bei jedem selber liegt.

Ja, vordergründig denke ich ähnlich und ich finde mich trotzdem (oder gerade deshalb) im 60+ Thread richtig aufgehoben. Ich möchte mich in 10-20 Jahren nicht über einen Umstand beklagen, den ich mitunter (vorwiegend?) selber erzeugt habe.

Zitat von Myosotis:
Und um an der eigenen Persönlichkeit arbeiten zu können, muss man sich außerdem erstmal gewisser Zusammenhänge bewusst geworden sein und auch den Wunsch oder besser die Notwendigkeit dazu spüren. Das passiert nicht bei jedem und eh erst ab einem bestimmten Alter.

Jau! Und genau das schätze ich am Altern! Die Möglichkeit (!) dieser von Dir skizzierten Bewusstwerdung.

Zitat von Myosotis:
Und somit halte ich es für sinnvoll, mir JETZT Gedanken darüber zu machen, wie ich das Ruder evtl. noch rumreißen kann.

Die Formulierung Rumreißen des Ruders würde ich gerne näher untersuchen. Ich würde das, was dahinterliegt, gerne aus der Zeit- und Raumachse rausnehmen, da ich meine, dass uns diese Konstanten (?) ziemlich im Wege stehen können.

Zitat von Myosotis:
Außerdem halte ich es für sehr sinnvoll, parallel zur Außenorientierung eine gewisse innere Gelassenheit zu entwickeln, sprich mich in gewisser Hinsicht mit dieser Situation zu arrangieren. Dazu gehört auch mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass ich möglicherweise auch in der Zukunft alleine sein werde. Und das evtl. sogar hilfsbedürftig.

Absolut! Und hier spielt m. E. wieder der achtsame Umgang mit dem, was wir Gegenwart nennen, eine zentrale Rolle.

Zitat von Myosotis:
Es ist bei mir eigentlich so, dass ich mich an den wenigsten Tagen wirklich einsam fühle. Ich bin gerne alleine. Aber ich spüre, dass das häufige Alleinsein meiner eh schon angeknacksten Psyche schadet. Konkret fehlt mir ein entspanntes Miteinander mit anderen Menschen.

Ja, das entspannte Miteinander scheint mir auch sehr erstrebenswert. Wenn ich an meine Jugend, die 20er und 30er denke, habe ich das wohl ziemlich umfangreich erlebt. Warum wird das in unserem fortgeschrittenen Alter so schwierig? Vielleicht weil wir langsam den Ernst der Lage erkennen? Können wir Ältere und Alte entspannt über so etwas reden? Können wir dem Alter und der Vergänglichkeit des Anderen ins Gesicht sehen? Haben wir das wirklich gelernt?

Es ist keine Kunst, im Wahn der Jugend, Gesundheit und (vermeintlicher) Sorglosigkeit entspannte Freundschaften zu schließen. Vielen jungen Menschen steht die Zukunft sprichwörtlich ins Gesicht geschrieben.
Uns jedoch steht die Vergangenheit in Körper und Geist geschrieben!

Ich stelle die steile These auf: Die Jugend baut mit Zuversicht auf etwas auf, das sie nicht kennt. Das Alter resigniert an etwas, das es glaubt, zu kennen.

Ich nenne beides Illusion.

Zitat von zukunft-2021:
ich bin froh diesen Weg gegangen zu sein. Ein Stück raus aus Isolation und Einsamkeit

Freue mich für dich!

Zitat von moo:
Jau! Und genau das schätze ich am Altern! Die Möglichkeit (!) dieser von Dir skizzierten Bewusstwerdung.

Da geht´s mir wie dir. Was das anbelangt, freue ich mich sehr auf´s Alter. Es hat mich auch gefühlt schon immer zu älteren Menschen hingezogen. Mein letzter Partner war sehr viele Jahre älter als ich. Seine Lebenserfahrung war enorm bereichernd für mich.

Manchmal hat dieser Bewusstwerdungs-Prozess aber auch so etwas Schweres. Vielleicht auch nur für mich? Geht es anderen anders? Ich glaube irgendwo von dir gelesen zu haben, dass du die Melancholie magst - ich auch. Ist sie nicht sogar nützlich zur Bewusstwerdung, notwendig ja wohl nicht, oder? Frage ich mich gerade mehr selbst.

Aber auch die Melancholie hat was Schweres. Und dann ist es schön, wenn man als Ausgleich etwas Leichtigkeit im Leben hat, z.B. auch in Form von entspanntem Miteinander. Irgendwie geht es doch in unserer dualen Welt die meiste Zeit um das Streben nach Ausgleich. Bei Meditationserfahrenen mit der Zeit wohl immer weniger, weil diese Wertungen nicht mehr als solche empfunden werden - bis man dann irgendwann endlich die Erleuchtung erlangt hat

Zitat von moo:
Ich nenne beides Illusion.

Wie alles andere auch.

Zitat von Myosotis:
Manchmal hat dieser Bewusstwerdungs-Prozess aber auch so etwas Schweres. Vielleicht auch nur für mich? Geht es anderen anders?

Ich kann nur für mich sprechen, aber die von Dir erwähnte Schwere erlebe ich im Grunde schon seitdem ich mich glaube, zu kennen - d. h. seitdem (m)ein Selbst-Bewusstsein erlebt wird. Nur konnte ich parallel zur stets empfundenen Melancholie in jüngeren Jahren immer mit allerlei Zerstreuung für Ausgleich (s. u.) sorgen. Vor allem diverse Süchte haben diesen Job jahrzehntelang gut erledigt. Ich bin also triebmäßig eher der Giertyp, weniger der Hasstyp. Ich will also eher, als dass ich nicht-will, bin ein (Hin-)Streber, weniger ein (Weg-)Flüchter. Viele, die ich in meinen jetzigen Kreisen kennengelernt habe, sind eher die Aversionstypen, was sich vielleicht leidvoller anhört aber letztlich unerheblich ist, hinsichtlich der Schwere. Nur die heilsame Vorgehensweise unterscheidet sich idealerweise etwas, wenn man dieses Unterscheidungsprinzip (an)erkannt hat: Der Giertyp sollte eher etwas enthaltsamer leben, der Hasstyp sich eher ein wenig mehr Gutes tun... Auch das ist auf dieser Ebene eindeutig etwas wirklich (!) Ausgleichendes - oder sollte man es hier Ent-Gleichen nennen?

Zitat von Myosotis:
Ist die Melancholie nicht sogar nützlich zur Bewusstwerdung, notwendig ja wohl nicht, oder?

Tja, auch hier nur meine subjektive Empfindung: Nein, notwendig wohl nicht. Aber ich erleb(t)e sie stets als Schlüssel zur Bewusstwerdung. Sie ist für mich (!) oft vergleichbar mit dem, wie es auch @Spaceman letztens so gut formuliert hat, (gemeinsamen) Schweigen. Es ist ein stilles Deuten auf Etwas hin - oder besser weg von Allem. Und das schafft durchaus eine gewisse nonverbale Bewusstwerdung. Interessanterweise sah ich schon immer im Unnennbaren eine große Wahrheit, Zuversicht, Klarheit.

Puh, das liest sich alles furchtbar theoretisch und ist im Grunde eine schlichte Angelegenheit des Augenblicks. Hoffe, wir verstehen uns irgendwie?

Zitat von Myosotis:
Irgendwie geht es doch in unserer dualen Welt die meiste Zeit um das Streben nach Ausgleich.

Ja, absolut - und das ist regelrecht körperlich spürbar, wenn man darauf achtet. Ich praktiziere diesen Ausgleich täglich, wohl wissend, dass es letztlich nichts auszugleichen gibt, doch sag das mal meinem Körper-Geist-Gefüge ...

Zitat von Myosotis:
Außerdem halte ich es für sehr sinnvoll, parallel zur Außenorientierung eine gewisse innere Gelassenheit zu entwickeln, sprich mich in gewisser Hinsicht mit dieser Situation zu arrangieren.


Das erlebe ich auch so. Diese innere Gelassenheit, wenn sie mir gelingt, ist in jeder Hinsicht Gold wert.

Das Alleinsein kann schön sein, weil voll Ruhe und ohne Ablenkung. Aber ja, es schwingt wieder in den Gegenpol, in den Wunsch nach Gemeinschaft.

Meine Erfahrung ist paradox: Das bewusste Feiern des Alleinseins in der Meditation hat mich nach längerem Üben das Gefühl der Verbundenheit erleben lassen. Es gelingt mir nun viel schneller, mich verbunden zu fühlen, auch mit wildfremden Menschen. Darum sehe ich den Sinn des Alleinseins, sogar der Einsamkeit, diese tiefe Erfahrung der Verbundenheit in sich selbst zu entdecken.

Diese innere Verbundenheit ist es auch, zu der ich bei sich einschleichenden Ängsten Zuflucht nehme. Die Erfahrung, nicht verloren gehen zu können, was auch immer geschieht, ist heilsam.
Zitat von Fauda:
Wer anderen Menschen gerne zuhört, ohne ihnen immer wieder ins Wort zu fallen und die eigene Meinung kund zu tun, ist nie einsam

Ja, das ist eine gute Übung.
Bin ü60 und denke öfter, dass ich ja schon vieles erlebt habe und es jetzt mal an den anderen ist, ihre Erfahrungen mitzuteilen.

Zitat von moo:
Trotzdem frage ich das Euch (und mich), wieviel Verantwortung bzw. Zuständigkeit bei uns selber für das Gefühl von Einsamkeit liegt?


Die Verantwortung liegt natürlich wieder mal an uns selbst, wie bei allen anderen Erfahrungen auch...

Irgendwann werden wir diesen Planeten verlassen müssen und das veraltete (Körper)Modell zurückgeben müssen.
Es ist ein Trick der Natur, uns immer wieder darauf hinzuweisen, ob es uns nun gefällt oder nicht. Sonst hätten wir ja keinen Grund, uns weiterentwickeln zu wollen, noch mehr Demut zu lernen, das Ego schrittweise loszulassen.

Zitat von Feuerschale:
wagen auch offener zu zeigen, dass man bedürftig ist

Das fällt mir auch schwer.
Trotzdem, man sollte lernen, falschen Stolz schrittweise abzulegen. Das wäre wieder eine Übung...





Dr. Reinhard Pichler
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