Letztens habe ich im Internet eine Befragung entdeckt. Man fragte Frauen und Männer, ob ein Leben ohne Liebe für sie vorstellbar wäre. Die Antworten fielen eindeutig aus. Aussagen wie «ohne meine Familie wäre ich doch total verloren» oder «ohne Sex gäbe ich mir bestimmt die Kugel, da bin ich mir sicher» fielen. Mit besitzergreifender Stimme stellten alle Befragten klar: Ein Leben ohne Liebe? Unvorstellbar! Verständlich. Ich lebe dieses unvorstellbare Leben aber nicht seit fünf oder zehn Jahren - nein seit beinahe 30. Diese Einsamkeit zermürbt mich. Deshalb suche ich in diesen schwierigen Stunden in diesem Forum Rat.
Der Start in mein Leben verlief holprig. Eine Komplikation bei der Geburt beeinträchtigte mein Kognition enorm: Ich träumte vor mich hin, schrieb unterirdisch schlechte Klausuren oder brauchte Stunden zum Lernen einfacher Themen wie dem Alphabet - trotz Bienenfleiss. Darüber hinaus nahmen mich meine Mitmenschen als Sonderling wahr. Meine Klassenkameraden grenzten mich nicht aktiv aus, aber sie gaben mir subtil zu verstehen, man sehe mich nicht als Freund: Im Sportunterricht wählte man mich zuletzt aus, im Zug auf der Klassenfahrt setzte sich Niemand auf den freien Platz neben mir, auf meine Geburtstagseinladungen reagierte Niemand. Das hatte ich akzeptiert. Ich wollte keinem Menschen eine Freundschaft aufzwingen. Aber darunter erlitt ich Sticheleien, die unter die Gürtellinie gingen.
.Im letzten Schuljahr schrieben wir eine Abschlussarbeit. In der ersten Lektion erklärte sie die Kriterien. Eines davon: Gruppenarbeit. Ein Jubel hallte durch das Klassenzimmer. Ich verstummte. Rasch fanden sich meine Klassenkameraden zusammen. Ruhe kehrte wieder ein. Meine Lehrerin starrte mich an und fragte, weshalb ich allein da sitze. Ich erwiderte, ich arbeite alleine. Einige Sekunden vergingen. Ein Junge schrie plötzlich: «Wir nehmen ihn auf keinen Fall!». Daraufhin konterte die andere Gruppe: «Spinnt Ihr?! Wir auch nicht! Nicht gegen eine Million!». Mehr lustig als ernst begannen sie darüber zu streiten, welche Gruppe, mich aufzunehmen hätte. Meine Lehrerin bat mich, ihr zu folgen. Ich folgte ihr. Jemand schmiss zum Abschied noch einen Papierknäuel an meinen Kopf: «Verpiss dich du Dummkopf». Ich lief mit ihr durch das leere Atrium. Sie klopfte an etliche Klassenzimmer und fragte, ob eine Gruppe bereit sei, mich aufzunehmen. Diese Erfahrungen haben mir das Herz gebrochen. Ich verstand die Welt nicht mehr. Niemand mochte mich - niemand.
Diese Ausgrenzung zieht sich wie ein roter Faden durch die sozialen Meilensteine eines jungen Lebens. Alle Früchte eines derartigen blieben aus: abenteuerliche Rucksackreisen mit Freunden, sinnlicher Sex, innige Beziehungen, Networking, interessante Gespräche, Herzschmerz, nach einem langen Arbeitstag mit Freunden ein B. geniessen, ein Konzert, Frauen Fehlanzeige. Womit ich zum Problem komme: Frauen.
Bitte drescht nicht die 08/15-Phrase. Ich akzeptiere und liebe mich, wie ich bin. Aber wie alle Menschen sehne ich mich nach Intimität. Keine Selbstliebe stillt dieses Bedürfnis. Was als jugendlicher Liebeskummer begann, hat sich mittlerweile zu einer Sehnsucht entwickelt, die mich tötet. Ich weiss: Abweisung gehört zur Liebe. Aber nach rund tausend Körben, keine Interessentinnen und rund 30 Jahren Einsamkeit, weiss ich nicht mehr, wie zu überleben. Meine Seele schreit mittlerweile restlos nach Weiblichkeit. Da ich meine Sehnsucht nicht stille, lodert sie vor sich hin. Ein Hauch von Weiblichkeit reicht. Sie flammt auf. Dies beginnt bei der Staumeldung im Radio der Moderatorin und endet beim Lesen eines weiblichen Vornamens. Noch schlimmer; Der Anblick einer Frau: Von reifen Müttern, über mollige Frauen, bis hin zu pubertieren Mädchen.
Wenn Ihr glaubt, aus meine Zeilen zu lesen, ich sehe Frauen nur als ein Objekt meiner sexuellen Lust, da ich vornehmlich unpersönliche Reize aufzähle, versteh ich dies, aber hierfür gibt es eine pragmatischere Ursache. Mein Leben lang habe ich mir nichts anderes als eine Freundschaft gewünscht. Bis heute hatte ich nie eine. In dieser Einsamkeit hat man keine Ansprüche.
Hauptsache man hat irgendjemand. Ich finde schlichtweg jede Frau auf einer persönlichen Ebene ansprechend. Natürlich: In erster Linie sehne ich mich danach, eine Frau zu lieben. Aber ich sehne mich am meisten nach der zwischenmenschlichen Intimität, die man durch Romantik erlebt. Ich meine damit keineswegs Sex. Viel mehr Alles was diesem Akt vorausgeht sich gegenseitig im Kerzenlicht Rotwein nachzuschenken in der Dorf-Pizzeria, morgendlich Herz-Emojis ersetzen Radar als Wecker. Und was auf eine Romanze folgt: das gemeinsame Einrichten der neuen vier Wände, an einem Stand Hand in Hand dem Sonnenuntergang entgegenlaufen, eine Familie grossziehen. Ich verpasse das.
Ich habe probiert mit dieser Einsamkeit zu leben. Aber was mich letztlich umbringt, ist die Ursache meiner Einsamkeit: keine sozial Phobie, keine mangelndes Engagement, kein Schüchternheit - nein - ich bin die Ursache. Meine Person wirkt auf keine Frau attraktiv. Denn ich habe Alles in meiner Macht stehende probiert, um meine Situation zu ändern. Und bin gescheitert.
Während meiner Ausbildung trat ich mit Frauen in Kontakt. Darunter gab es nicht selten eine, zu der ich mich hingezogen fühlte. Bis ich das erste Mal ein Mädchen um eine Verabredung bat dauerte es eine Weile, aber danach traute ich mich. Ich probierte in jenen Jahren mit rund zwanzig bis dreissig Frauen ein romantisches Verhältnis zu initiieren. Jedoch erhielt ich bereits bei der Frage, ob man sich mal ausserhalb der Arbeit oder Schule treffen will, einen Korb. Mit einem oder mehreren Körben rechnete ich. Meine weiblichen und männlichen Altersgenossen Durststrecken. Aber nicht mit dem. Nach meiner Ausbildung warf ich aber die Flinte noch nicht ins Korn. Ich probierte mein Glück offline.
Online-Dating hat mir den Spiegel vorgehalten. Ich habe mich auf unzähligen Applikationen wie Tinder angemeldet. Resultat: Keinen Match innerhalb fünf Jahre, obwohl ich jeder Frau einen Match gab. Danach meldete ich mich auf Plattformen an, bei denen man den Nutzer direkt kontaktiert. Sobald ich nur ansatzweise meine Person vorstellte, herrschte Funkstille.
Dann folgte ich irgendwann dem Rat, ich solle mich finden lassen und doch einfach mal die Frauen Machen lassen. Dann ist natürlich genau gar nichts passiert. Ich ging in Bars, Diskotheken und Konzerte. Aber nie schien eine Frau zu mir den Blick-Kontakt zu suchen.
Und in den letztem Jahr habe ich aufgegeben. Und mittlerweile haben sich wegen dieser Einsamkeit unzählige Symptome manifestiert, die mich krank machen: Ich finde keine Schlaf mehr, jeden Tag erleide ich Panik-Attacken, ich schwitze und zittere ständig. Ich weiss wirklich nicht mehr, was ich machen soll. Ich gehe kaputt.
Habt Ihr einen Rat?
08.07.2020 17:01 • • 04.08.2020 x 2 #1