Hallo Craven,
Zitat von Craven:Ich habe mich sehr daran gewöhnt fast ganz alleine zu leben, mich unter Menschen zu begeben, einer von ihnen zu sein fällt mir schwer, als wäre es unnatürlich. Ich will aber wieder in meine natürliche Umgebung; unter Menschen. Irgendwie zieht es mich dorthin, als könnte ich mich nur in menschlicher Umgebung verwirkilchen.
Dieses Gefühl ist natürlich. Früher bedeutete die Gesellschaft bzw. die Gruppe eine höhere Chance zu überleben, Geborgenheit und meist besser Nahrungszufuhr. Wir profitieren von der Gesellschaft, sind als Menschen ganz und gar auf sie angewiesen. Auch jetzt, in diesen Moment, profitieren du und ich von der Gesellschaft. Du und ich könnte nicht überlegen, wenn die gesellschaftlichen Mechanismen, Erzeugnisse, Zwänge und Gebote nicht funktionieren würden.
Wenn du dich schon mal gefragt hast, warum Millionen von Menschen wie gesteuerte Geister um 7 Uhr morgens aufstehen, halbschlafend zur Arbeit kommen und wie Roboter die Alltagsroutine abklappern, dann liegt die Antwort in dem Überlebenswillen, den wir nur durch die Gesellschaft umsetzen können.
Du kannst dich nur durch die Gesellschaft verwirklichen, weil nur diese dir die notwendigen Ressourcen zur Verwirklichungen bereitstellen kann. Bei deiner Verwirklichungen brauchst du zudem den Zuspruch von deinen Mitmenschen. Deine Mitmenschen diesen daher als Messinstrument zu deinen Selbst.
Walther Rathenau sagte: Denken heißt vergleichen. Wir können nur unser Selbst definieren, wenn wir uns vergleichen können. Das geht am Besten mit Menschen. Menschen ziehen Grenzen. Aus Grenzen entsteht dein Bereich - dein Selbst. Menschen dienen als Messlatte zu allen möglichen. Neid, Haß, Eifersucht, Liebe, Freundschaft sind in dieser Metapher gesehen Eroberungszüge in den Raum des Anderen. Wir erweitern unsere Grenzen auf andere Menschen (manchmal mit der Einschränkung des Anderen) und stärken unser Selbstbewusstsein.
Menschen die ein reges soziales Leben haben, haben zugleich ein größeres Selbst. Die Grenzen sind weiter, der Vergleichsspielraum und das Verwirklichungspotential größer. Das muss zugleich nicht die zwingende Formel zum Glück sein, aber die Mitmenschen geben unseren Selbst mehr Sicherheit, wenn es in fremde Gebiete expandiert. Je größer die Expansion des Selbst, desto sicherer kann sich das ICH im Landesinnere des Selbst fühlen. (Allerdings kann ein Selbst nicht unendlich expandieren. Irgendwann kann das Selbst zu groß und zu unberechenbar werden und das Selbst beginnt Risse zu bekommen. Eine zu große Expansion birgt die Gefahr der Entfremdung und damit die einhergehende charakterlichen Veränderungen)
Zitat:Man sagt immer ziemlich verwirrende Sachen darüber dass Freunde wichtig sind, das eine gute Liebschaft das beste auf der Welt ist. ''ohne dich kann ich nicht leben'' verwirrend, ich sollte demnach schon längst tot sein? Was ist wirklich die Bedeutung von Menschen in eurem Leben? SIND sie vielleicht sogar euer Leben?
Der Wert einer solchen Sachen hängt ganz von uns ab. Sei dir bewusst. Es geht im Endeffekt nicht einmal Liebe oder Freundschaft, sondern in aller Linie um dich selbst. Eine traurige Erkenntnis, die ich mittlerweile gemacht habe, ist die zwingende Einsamkeit. Jeder Mensch kann mithilfe der Kommunikation seine Gedanken (wie ich jetzt) anderen Individuen mitteilen, aber die ganze Palette, den ganzen Kontext, das allumfassende Paket der Gefühle bleibt den anderen Mitmenschen verschlossen. Vielleicht liest du das hier mit Enttäuschung, weil du diesen Text in deiner Gefühlswelt so interpretierst ihn gewissermaßen färbst. Ein anderer wiederum liest diesen Text mit großer Empathie und wiederum ein anderer mit Erstaunen oder Entsetzen. Ich kann meine Gedanken hier mitteilen in primitiver Form von aneinanderreihenden Zeichen und Symbolen. Aber dies ist alles ist nur ein sehr unzureichendes Mittel um mein gesamtes Selbst den anderen Individuen mitzuteilen. Es gibt kein Kommunikationsmittel, weder Sprache noch Symbolik, die alle menschlichen Gefühle so beschreiben, dass der andere zu hundertprozentig mitfühlen könnte.
In der Liebe greifen wir generell sehr stark in das Selbst des anderen ein. Wir expandieren in das Leben eines anderen Menschen. Gewissermaßen wird unser Selbst um ein weiteres Selbst erweitert. Manche Menschen sind bereit für den anderen Partner Opfer zu bringen oder zu sterben. Aber nicht alle expandieren so stark mit ihren Selbst. Durch Zwänge und Ängste kann diese Expansion auch viel geringer ausfallen. Man vertraut dem anderen nicht völlig und skizziert in den Partner ein fiktives Was ist, wenn..-Selbst. Liebt er mich, wenn ich fett wäre? Geht er wirklich nach der Arbeit zu Freunden, oder vertreibt er sich die Zeit mit seiner Arbeitskollegin Ist sie wirklich treu? Lästert sie über mich? Dieses künstliche Selbst, dass wir den anderen überstülpen, ist eine normale Reaktion und beinahe die Regel in der Liebe. Dadurch schützen wir uns vor den mögliche Enttäuschungen und Verletzungen. Zudem ist diese Expansion in den anderen auch zeitlich begrenzt. Am Anfang vertraut man sich sehr, man gibt viel von sich Preis und lässt den anderen in uns expandieren. Diese Expansion ist notwendig um Hemmungen und Scham fallen zu lassen. Der andere kennt mich. Der andere liebt mich, so wie ich bin (oder so wie mich preisgebe). Durch die Limerenz (Verliebtheit) öffnen wir ein Tor zu uns. Unser Selbst reflektiert sich selbst. Wir sehen den anderen durch unsere Gefühle, färben den anderen so, wie wir es für richtig halten. So wird der geliebte Mensch, der allenfalls Durchschnitt ist, plötzlich überdurchschnittlich gutaussehend, intelligent und verständnisvoll. Daher legen wir leichtfertig Hoffnungen und durch Hoffnung getränkte Versionen des anderen Selbst in uns. Wenn wir uns den anderen öffnen, dann expandiert dieser in uns. Der andere Mensch nimmt Platz in unserer Denke ein.
So schön diese Expansion sein mag, so heftig die Gefühle für das andere Individuum auch ist, täuscht nichts über die Tatsache, dass der Partner immer ein Rätsel bleiben wird. Alle Erfahrungen mit den geliebten Mitmenschen beruhen auf das eigene Selbst. Wir färben die Erinnerungen - meist positiver als sie waren. Der Partner wir positiver in uns dargestellt, als er möglicherweise ist. Wenn wir lieben, dann lieben wir einen Teilaspekt in uns. Der Partner wir so großartig, wie wir es zulassen. So kann das größte Ekelpaket auf dieser Welt, plötzlich liebenswürdig und verständnisvoll werden, wenn unser eigenes Selbst dies so zulässt.
Umgekehrt ist das natürlich auch der Fall. Jede Scheidung zeugt von einer Entfremdung oder besser gesagt von einer Annäherung uns selbst gegenüber. Zerbrochen Ehen sind das Ergebnis von der Zurückeroberungen des Rationalen in uns. Der Partner verliert seine Färbung durch die Limerenz und wird nüchterner gesehen. Schließlich konzentrieren wir uns zunehmend auf uns selbst. In diesen Moment expandieren wir ins uns selbst und Gebiete, Gedanken und Gefühle die den anderen zugeschrieben wurden, werden zurückerobert. Wir werden unabhängiger von den anderen gefärbten Selbst des Partners, soweit, dass wir die Liebe zum Partner weder rational noch emotional begründen lassen können. Damit ist die Ehe oder Partnerschaft zu Ende.
Du bist nicht tot, weil du einsam bist. Aber das Eintauchen in eine andere Person ist in aller erster Linie ein Eintauchen in dich. Wir spiegeln uns in andere Menschen, suchen uns selbst in andere. Einsamkeit ist ein Gefühl in dir. Man kann einsam sein, obwohl man tausende von Bekanntschaften hat. Man kann einsam sein, obwohl man jeden Abend guten Sex mit seinen Partner hat. Man kann einsam sein, auch dann wenn man Kinder und eine Ehe unterhält.
Einsamkeit hat nichts mit Alleinsein zu tun. Einsamkeit ist eine tiefe Auseinandersetzung mit dir selbst.
Zitat:
Ich hab die Theorie dass man unbedeutend ist wenn man alleine ist, denn Menschen definieren sich gegenseitig. Da kann das Selbstwertgefühl noch so gut sein, alleine ist man Nichts.
Nein, du bist gesellschaftlich gesehen nie ein Nichts. Du kostest uns etwas, du bist uns etwas Wert, du lebst hier und wirst geduldig. Die Gesellschaft trachtet dir nicht nach deinen Leben oder erklärt dich Vogelfrei. Du lebst, du bist da, also bist du auch für die Gesellschaft existent.
Die Gesellschaft ist ein großes Organ, dass sich über viele Instanzen erstreckt und für jeden uns von größter Bedeutung ist. Gesellschaft hat Relevanz - immer. Entweder man ist für die Gesellschaft oder man ist dagegen, aber ein NICHTS gibt es nicht. Wir alle nehmen Raum in der Gesellschaft ein und geben ein Statement ab. Der eine verklagt Angela Merkel aufgrund ihrer Politik, andere wiederum ist die Politik nicht wichtig und suchen eine Flucht in den Alk.. Sie stärken die Spirituosen-Industrie (und die darin arbeitenden Menschen) damit und haben zwangsläufig ein Statement. Um aus der Gesellschaft zu entkommen, müsste man auf eine einsame Insel ziehen.
Nichts ist deshalb der falsche Ausdruck. Wert dagegen schon eher richtig. Wir alle haben einen Wert für die Gesellschaft. Was erwirtschaftet der Einzelne? Was kostet das Individuum? Welchen Schaden richtet der Einzelne an? Menschen sind in der Gesellschaft eine statistischer Faktor, mit Risiken und Chancen. Je mehr Geld ein Mensch erwirtschaftet, desto mehr wertvoller ist sein Leben für die Gesellschaft. Arbeitslose haben deshalb nur geringen Wert für diese Gesellschaft. Sie sind nie Nichts, denn sie kosten der Gesellschaft Geld. Achtung! Viele Menschen verwechseln hier den Wert mit dem Potential. Ein arbeitsloser Professor ist zwar von geringen Wert, aber hat hohes Potential den Wert irgendwann zu steigern. Ein Taxi-Fahrer mit ohne Bildungsabschluss und allgemein geringer Bildung, hat zwar einen Wert, aber sehr geringes Potential diesen Wert zu steigern.
Welchen Wert (Arbeitskraft + Konsumkraft + erwirtschaftetes Einkommen + Steuer) hast du? Welches Potential (Bildung + Fertigkeiten) hast du? Wie kannst du uns dienen, damit wir dich akzeptieren und wir dir im Gegenzug an unserer Wertschöpfung (Konsum) teilhaben lassen?
Alles sehr kalt nicht wahr? Doch so ist die Gesellschaft, vor allem die kapitalistische Gesellschaft. Sie hat die den erwirtschafteten Wert über das menschliche Selbst gestellt. In der Gesellschaft zählt nicht, ob du dich wohl oder gut fühlst, sondern wir leistungsfähig und vor allem wir erfolgreich du bist. Unsere Gesellschaft ist eine Erfolgsgesellschaft (nein, keine Leistungsgesellschaft. Leistung ist zweitrangig. Erfolg ist wichtiger, dies schlägt sich auch bei den Lohn nieder) und baut auf Statistiken.
Wo bliebst du? Wo bleibt der Mensch? Wo bleiben unsere Emotionen? Wo ist der menschliche Wert zu finden? Die Antwort ist einfach: Du preist dich selbst aus! Das Selbst vergleicht sich anhand seiner Mitmenschen. Menschen um uns sind ständige Vergleichsobjekte. Der gefühlte Wert, der eigene Respekt vor sich selbst, resultiert aus den Ergebnissen diverser Vergleiche. Du bist die Summe deiner Vergleiche!
Menschen definieren sich gegenseitig. Doch sie definieren vor allem sich selbst. Der erste Schritt aus dem Alleinsein ist das man sich selbst verändert. Man muss aus den Vergleichen eine positive Summe herausziehen, Motivation daraus gewinnen und endlich sein eigenes Leben so ändern, dass andere Menschen dich attraktiv finden und gerne in dir expandieren.
Das ist nicht einfach. Es ist nicht einfach, weil du dich selbst besser kennen lernen musst. Deine Ängste musst du zwingend verstehen lernen. Wie ein Mathematiker musst du Beweise für deine inneren Gleichungen finden, dir die als Ergebnis nur das gefühlte Nichts lassen. Finde deine persönlichen Beweise und handle dagegen.
Alleinsein heißt nicht abgekoppelt von Gesellschaft und den Menschen zu sein. Alleinsein heißt verloren in sein Selbst zu sein...
(Dieser Beitrag hat dir meine Gedankengänge nahegelegt. In einem nächsten Beitrag versuche ich Lösungen zu finden.)