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Mein Problem liegt darin, dass ich nach meinem ersten Angstanfall keine professionelle Hilfe bekam. Damals war ich 16. Ich differenziere bewusst zwischen Angst und Panik, weil dies nach meinem Erleben zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

Ich verspürte während meines ersten Angstanfalls überhaupt keine Panik. Ich hab mich lediglich gewundert, dass die Welt um mich herum plötzlich wie in Watte getaucht war. Es
war auf bei einer Klassenfahrt. Wir waren in der Stadt unterwegs. Ich dachte, dass ich wohl gleich umfallen werde und spuckte noch schnell meinen Kaugummi aus. Dann hakte ich mich bei meiner Freundin ein, um nicht zu fallen. Ich fühlte meinen Körper praktisch nicht mehr. Mein Geist war aber hellwach. Ich begann ein dümmliches Gespräch und lachte albern. Nach einiger Zeit löste sich dieser komische Zustand und ich bekam Herzrasen. Danach fühlte ich mich schwach un zitterig.

Man ahnt, was jetzt kommt: diese Zustände wiederholten sich. Ich vermied zunächst Situationen, in denen ES mal passiert war; dann vermied ich Situationen, in denen ES passieren konnte.

Ich wusste auch nach 3 Jahren nicht, was ES ist. Eines Tages wollte ich einen risengroßen Platz überqueren. Der Platz war von Bäumen umsäumt. Es waren fast keine Menschen da. Urplötzlich bekam ich dieses ES, allerdings gepaart mit Panik. Ich fing an, zu rennen, ohne dass ich wusste, wohin. Ich hab fast nichts mehr gesehen, das Blut pulsierte in meinem Kopf. Ich hab mit letzter Kraft ein Taxi geschnappt und fuhr in mein Studentenwohnheim. Dort fühlte ich noch sehr lange eine absolute Leere in meinem Kopf. Von da an ging es weiter bergab.

Erst drei Jahre später hörte ich das erste Mal von Agoraphobie. Meine Attacke auf dem Museumsvorplatz Jahre zuvor war also lehrbuchmäßig.

Mein Hochschuldstudium konnte ich knicken. Ich hab mich in eine Ehe geflüchtet. Habe sogar ein Kind gekriegt. Schwanger-Sein als Agoraphobikerin ist ein Kapitel für sich.

Mit 40 wollte ich´s dann endlich wissen. Hab mit Panikattacken in der Fahrschule gesessen. Den Führerschein gemacht. Mich an einer Uni immatrikuliert. Volle Seminare erduldet. Vorlesungen. Referate gehalten. Einmal wurde ich gefragt: Geht es Ihnen nicht gut? Ich muss wie ein Gespenst ausgesehen haben.

Kurz und gut: nach gefühlten 5000 Attacken mit Blutdrücken über 200, nach 1000 Toden an der roten Ampelkreuzung in der Rush-hour war ich 2008 am Ende. Das Gewäsch von Überflutungs-Theorie kann ich nicht ertragen. Ich war Weltmeister im Überfluten-Lassen.

Ich verlasse meine Wohnung überhaupt nicht mehr. Online-shopping sei dank. Nächstes Jahr läuft mein Personalausweis ab....ich müsste dringend zum Zahnarzt......

Ich hab übrigens auch eine Arzt-und eine Medikamenten-Phobie. Würde ich vielleicht mit Bio-Feedback weiterkommen? Ich bin jetzt übrigens 50. Lebe getrennt.

06.05.2012 07:50 • 08.05.2012 #1


8 Antworten ↓


Zitat von latora:

Ich verlasse meine Wohnung überhaupt nicht mehr. Online-shopping sei dank. Nächstes Jahr läuft mein Personalausweis ab....ich müsste dringend zum Zahnarzt......

Ich hab übrigens auch eine Arzt-und eine Medikamenten-Phobie. Würde ich vielleicht mit Bio-Feedback weiterkommen? Ich bin jetzt übrigens 50. Lebe getrennt.


Wie alt bist du nun? Ich verstehe deinen letzten Satz nicht richtig. Seit 16 bist du nun erkrankt, wie lange ist das nun her?

A


Angst = lebenslänglich Knast

x 3


Ab sofort wieder selber einkaufen und anfangen einen geregelten Alltag aufzubauen. Die Angst kann dir nichts tun, nur du selber hälst dich vom leben ab.

Zitat von emerald:
Zitat von latora:
Ich bin jetzt übrigens 50. Lebe getrennt.
Wie alt bist du nun? Ich verstehe deinen letzten Satz nicht richtig.

Dann frag halt.

Hallo latora,

heftig, ich bin grade echt baff von Deiner Geschichte.

Hast Du Dich denn jemals in Deinem Leben in psychologische Betreuung begeben?


Viele Grüße

Zitat von latora:
Mein Problem liegt darin, dass ich nach meinem ersten Angstanfall keine professionelle Hilfe bekam. Damals war ich 16. Ich differenziere bewusst zwischen Angst und Panik, weil dies nach meinem Erleben zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

Spannend. D.h., für Dich ist eine Panikattacke nicht die logische Steigerung von Angstzuständen?

Zitat von latora:
Ich verspürte während meines ersten Angstanfalls überhaupt keine Panik. Ich hab mich lediglich gewundert, dass die Welt um mich herum plötzlich wie in Watte getaucht war. Es war auf bei einer Klassenfahrt. Wir waren in der Stadt unterwegs. Ich dachte, dass ich wohl gleich umfallen werde und spuckte noch schnell meinen Kaugummi aus. Dann hakte ich mich bei meiner Freundin ein, um nicht zu fallen. Ich fühlte meinen Körper praktisch nicht mehr. Mein Geist war aber hellwach. Ich begann ein dümmliches Gespräch und lachte albern. Nach einiger Zeit löste sich dieser komische Zustand und ich bekam Herzrasen. Danach fühlte ich mich schwach un zitterig.


Zitat von latora:
Man ahnt, was jetzt kommt: diese Zustände wiederholten sich. Ich vermied zunächst Situationen, in denen ES mal passiert war; dann vermied ich Situationen, in denen ES passieren konnte.
Also klassisches Vermeidungsverhalten? Oder wie würdest Du das definieren?

Zitat von latora:
Ich wusste auch nach 3 Jahren nicht, was ES ist. Eines Tages wollte ich einen risengroßen Platz überqueren. Der Platz war von Bäumen umsäumt. Es waren fast keine Menschen da. Urplötzlich bekam ich dieses ES, allerdings gepaart mit Panik. Ich fing an, zu rennen, ohne dass ich wusste, wohin. Ich hab fast nichts mehr gesehen, das Blut pulsierte in meinem Kopf. Ich hab mit letzter Kraft ein Taxi geschnappt und fuhr in mein Studentenwohnheim. Dort fühlte ich noch sehr lange eine absolute Leere in meinem Kopf. Von da an ging es weiter bergab.

Klingt doch auch nach guter Agoraphobie?

Zitat von latora:
Erst drei Jahre später hörte ich das erste Mal von Agoraphobie. Meine Attacke auf dem Museumsvorplatz Jahre zuvor war also lehrbuchmäßig.

Mein Hochschuldstudium konnte ich knicken. Ich hab mich in eine Ehe geflüchtet. Habe sogar ein Kind gekriegt. Schwanger-Sein als Agoraphobikerin ist ein Kapitel für sich.

Also auch Vermeidungs? Ehe als Vermeidungsstrategie?

Zitat von latora:
Mit 40 wollte ich´s dann endlich wissen. Hab mit Panikattacken in der Fahrschule gesessen. Den Führerschein gemacht. Mich an einer Uni immatrikuliert. Volle Seminare erduldet. Vorlesungen. Referate gehalten. Einmal wurde ich gefragt: Geht es Ihnen nicht gut? Ich muss wie ein Gespenst ausgesehen haben.

Ok, es hat also gute 20-25 Jahre gedauert, den Mut aufzubringen?

Zitat von latora:
Kurz und gut: nach gefühlten 5000 Attacken mit Blutdrücken über 200, nach 1000 Toden an der roten Ampelkreuzung in der Rush-hour war ich 2008 am Ende. Das Gewäsch von Überflutungs-Theorie kann ich nicht ertragen. Ich war Weltmeister im Überfluten-Lassen.

Auch eine tolle Aussage, trotz 5000 Panikattacken NICHT gestorben! Ich hoffe, es lesen einige der Herzphobiker hier mit.

Zitat von latora:
Ich verlasse meine Wohnung überhaupt nicht mehr. Online-shopping sei dank. Nächstes Jahr läuft mein Personalausweis ab....ich müsste dringend zum Zahnarzt......

Ich hab übrigens auch eine Arzt-und eine Medikamenten-Phobie. Würde ich vielleicht mit Bio-Feedback weiterkommen? Ich bin jetzt übrigens 50. Lebe getrennt.

Weisst Du, um den Gefühlen wirklich freien Lauf zu lassen, gehört eine Menge Mut dazu, sich ihnen zu stellen. Denn das, was da Neues kommt, ist ungewohnt, unbekannt. Offensichtlich reichte der Leidensdruck der Jahrzehnte immer noch nicht aus, um Dich endlich dahin zu bewegen, wo Deine Seele dich so gerne hätte. Die Krankheit ist ja nicht umsonst da, sie möchte Dir etwas zeigen, insb. wenn sie schon so früh beginnt und so lange besteht.

Was mich daher brennend interessieren würde ist Deine Kindheit? Elternkonstellation(en)?, Suchtproblematik?

Gibt es Geschwister? Wenn ja, in welcher Reihenfolge.

Wie war/ist das Verhältnis zu den Eltern? Zu den Geschwistern.

Ich glaube, dass Du ein wenig anders ansetzen müsstest um weiterzukommen, was Du aber wahrscheinlich wohl auch schon weisst.

Und ich gehe einmal davon aus, dass Du bereits einiges versucht hast?

Therapien? Wenn ja, welche? Medikamente? Klinikaufenthalte? Oder sogar all das noch nicht?? Du schreibst nichts darüber...

Zitat von HeikoEN:

Gibt es Geschwister? Wenn ja, in welcher Reihenfolge.

Wie war/ist das Verhältnis... ...Zu den Geschwistern.



Interessant! Was kann man daraus genau ableiten?

Zitat von der angstmann:
Zitat von HeikoEN:

Gibt es Geschwister? Wenn ja, in welcher Reihenfolge.

Wie war/ist das Verhältnis... ...Zu den Geschwistern.



Interessant! Was kann man daraus genau ableiten?


Wenn man z.B. Erstgeborener ist, nimmt das Kind die Vorreiterrolle in der Familie ein. Ist gut in der Schule, macht Karriere. Ist man Mittelkind, ist die Spitzenreiterrolle bereits vergeben und man ist eher derjenige, der Probleme im Leben hat, z.B. bei der Berufswahl usw., ist man Letztgeborener, geht es eher in die Richtung Nesthäkchen, was aber dann auch wiederum vom Altersabstand abhängt. Oft steht dieses Kind in der Schuld der anderen Geschwister, weil sie aufpassen mussten usw.

Auf psychische Erkrankungen übertragen, könnte man beim Erstgeborenen vielleicht behaupten, er ist der Typ Mensch, er meistens Vollgas gibt...ggf. Burnout gefährdet oder im guten Fall nur angsterkrankt

Nesthäkchen haben Probleme sich von der Familie zu lösen, sind vielleicht eher die Sozialphobiker, von wegen Schuld usw.

Alles spannende Theorien, die aber relativ oft bestätigt werden und so einem Analytiker wie mir wiederum sagen, wo man dran arbeiten kann/muss/sollte.

Frage beantwortet?

Ja, die Frage wurde für mich sehr schlüssig beantwortet. Danke.





Dr. Reinhard Pichler
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