Hallo Isis,
das Leben kann ja nicht nur aus Fun bestehen.
Ja, ich finde schon, dass du eine gute Auffassungsgabe hast. Feedback von außen ist ohnehin sehr wichtig, weil die eigene Sicht oft verfälscht ist, auch wenn im Umkehrschluss der Eindruck von sich selbst nicht täuschen muss. Interessant finde ich aber, wie sprunghaft deine Gedanken in der von dir genannten kurzen Zeit sein können, wobei die emotionale Komponente sicherlich eine gravierende Rolle spielt. Wie oft hätte ich vor Wut platzen können, weil mich jemand persönlich so angegriffen hat, dass ich nicht anders konnte, als sofort zurückzuschreiben und auf gleichem Niveau zu kontern. Auch ein virtueller Kontakt kann also ziemlich an die Nieren gehen.
Und was die falsche Fährte betrifft, kann man Missverständnisse ja auch auf schriftlichem Weg ausräumen. Das Problem beim Schriftlichen besteht ja darin, dass man sein Gegenüber weder sehen noch hören kann, so dass allenfalls mit Smileys die Bedeutung einer Äußerung verständlicher gemacht werden kann.
Es ist leicht gesagt, diesen Leuten nicht mehr die Macht über sich zu geben. Selbst wenn man es versucht, so steckt die mit ihnen verbundene Vergangenheit doch noch tief in einem drin. Meine Achtung vor meinem Stiefvater ist zwar nicht mehr so groß wie früher, aber ich kann nach wie vor z. B. keine Tasse Tee trinken und ihm dabei in die Augen gucken, weil ich dann Angst habe, einen Kopf-Tic zu bekommen. Es ist natürlich nicht die Angst vor dem Tic selbst, sondern eher das Signal, das damit ausgesendet wird und meinem Gegenüber aus meiner Sicht das Gefühl gibt, mir überlegen zu sein - und das möchte ich nicht. Auf der anderen Seite sollte es mir doch eigentlich schei. sein, ob mein Kopf in entsprechenden Situation etwas wackelt, schließlich tu ich damit niemandem weh. Wobei das leichter gesagt als getan ist - wenn auch grundrichtig.
Du hast geschrieben, dass du ein Rebell warst - ich erinnere mich an meine stationäre Therapie in Bad Berleburg vor 15 Jahren, wo mir der Vertreter meines zuständigen Psychologen in einem Gespräch sagte, dass ich ein Rebell wäre. Er hatte eine ziemlich gute Menschenkenntnis, was mich erstaunte.
Eine innere Leere als positiv zu betrachten kann ich mir nicht vorstellen. Möglicherweise irgendwann einmal und aus welchem Grund auch immer, aber ist man innerlich leer, wenn man selbstlos handelt? Und wenn man selbstlos handelt, ist eine innere Leere dann positiv? Nein, ich stehe auf dem Schlauch in Hinblick auf den von dir erörterten Zusammenhang damit.
Innere Leere würde ich eher als Zustand der Lethargie und Handlungsunfähigkeit beschreiben, in der die von dir genannten Gefühle (oder überhaupt welche) gar keine Rolle spielen.
Mit sich selbst im Reinen zu sein, sich anzunehmen und selbst zu lieben, finde ich enorm wichtig. Sonst macht es wohl keinen Sinn, nach Lösungen zu suchen, die man möglicherweise von seiner Umwelt erwartet. Es heißt auch in der Bibel Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, was impliziert, dass man andere nur dann annehmen kann, wenn man sich selbst annimmt.
Im Buch Unberührt von Arne Hoffmann schreibt Robert (31):
... Die Erfahrung, dass der Teil des Selbstbeobachters und des Reflektierenden dem Teil, der sich empfindet, stark überlegen ist (und vor allem getrennt ist von diesem), fundiert ein Grundgefühl der Scham, des Sich-Entfremdetseins, das über konkrete Momente des Sich-Schämens weit hinausgeht und überall Stoff für Minderwertigkeitsgefühle findet oder selbst produziert.
Interessanterweise schreibt er auch, dass der Versuch, das für ihn Evidente einem völlig Außenstehenden zu vermitteln, sowieso nie richtig gelingt und von Anderen - auch mangels reeller Ansatzpunkte, die sichtbar und daher nachvollziehbar wären, z. B. greifbaren Behinderungen - schwer verstanden werden.
Ich finde, dass Robert das, was er zum Ausdruck bringen will, sehr gut ausdrücken kann und habe mich in seinen Äußerungen, aber auch in denen anderer, oft wiedergefunden.
Wie meinst du das, dass wir so vorprogrammiert sind, dass wir nichts wert und all die Schicksalschläge und schlechten Gefühle die Strafe dafür sind? Mir fällt - ausgenommen von der Wertlosigkeit - hierzu spontan die buddhistische Lehre ein, nach der jemand in einem früheren Leben ein schlechter Mensch war, wenn es ihm in diesem Leben schlecht geht.
Aber wir kommen doch alle als unbeschriebenes Blatt auf die Welt, das erst mit der Konfrontation anderer Menschen beschrieben und geprägt wird. Ja, natürlich ist kein Mensch wertvoller als ein anderer - egal, ob er schöner oder klüger ist oder einem bestimmten Volk angehört. So sollte es zumindest sein - ist es aber nicht.
Ich glaube im Übrigen nicht, dass man durch Gott selbst klein gehalten wird, sondern eher durch eine missbräuchliche Verwendung der christlichen Lehre, denke aber, dass du das auch so gemeint hast.
Wohnst du ländlich? Also, in meiner Umgebung gibt es einen See, den ich bis vor kurzem noch täglich umrundet habe (Lethargie lässt grüßen), aber sich bis zum Horizont erstreckende Wiesen kenne ich hier keine. Aber hier ist es sicherlich schöner als in Bausiedlungen wie in Berlin.
Also, was Beziehungen betrifft, finde ich es von meiner Sicht aus gesehen ziemlich kurios, wenn jemand sagt, dass er schon lange keine Beziehung mehr hatte - weil die letzte schon einige Monate her ist. Dann denke ich mir im Stillen: Wenn der wüsste, dass ich noch nie eine richtige Beziehung hatte... Für manche sind ja schon einige Wochen ohne Beziehung eine lange Zeit.
Nee, Schadenfreude ist nicht wirklich richtige Freude, obwohl auch ich nicht davor gefeit bin, ich mich deren aber auch nicht (im Nachhinein) schäme - denn es trifft ja dann die Richtigen, die vorher groß rumgetönt haben, sich im Recht fühlten, womöglich auch noch beleidigten und ignorant waren, um dann Erfahrungen zu machen, die einen selbst darin bestätigen, im Recht gewesen zu sein.
Das Briefe schreiben an ehemalige Unterdrücker? Du meinst als symbolischer Befreiungsakt? Ja, davon habe ich sicherlich schon mal gehört, wenn ich auch nicht weiß, wann das war. Aber in diesem Zusammenhang fällt mir eine der vielzähligen Doku-Soaps ein, in der in einer Folge eine Frau auf einer Wiese die Couch ihres Ex-Freundes sprengen durfte, um symbolisch einen Schlussstrich zu ziehen.
Ich würde so einen Brief auch nicht wirklich abschicken, denn ich hasse meinen Stiefvater nicht (mehr). Das ist Vergangenheit, ich habe ihm verziehen.
Bis dann und alles Gute,
Loneman
05.10.2008 16:44 •
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