@Naturefreak40
Hier kommt die Buchempfehlung - bewusst im Thread. (Habe eine Selbstverpflichtung mit mir, bewusst auf PN-Kommunikation zu verzichten. Erst einmal. Das ist für mich wichtig, weil somit keine wie-auch-immer-gearteten Dynamiken hinter den Kulissen gefüttert werden. Und ich hatte schon so manches Mal hier den Impuls oder Drang, das zu brechen oder ganz hinzuschmeißen. Was ich öffentlich im Forum schreibe, ist das einzige, was ich aktuell schreibe. Der zweite Grund ist, dass ja mehr Menschen still lesen und sich nicht äußern. Vielleicht haben sie auch noch nichts von dem Buch gehört und es könnte ihnen helfen.)
Meine Buchempfehlung speziell für Dich und Dein Anliegen in diesem Thread ist: Verkörperter Schrecken von Bessel van der Kolk. Ich habe es mir aus Kostengründen auf Englisch als Taschenbuch gekauft, da klingt es für meine Ohren/Augen auch im Titel konstruktiver: The Body keeps the Score - Mind, Brain and Body in the Transformation of Trauma. Die deutsche Version, die ich zuerst gelesen hatte, ist trotz des Titels inhaltlich und sprachlich alles andere als abschreckend. Ganz im Gegenteil! Bessel van der Kolk schreibt aus der Sicht des traumatisierten Kindes, das er selbst war und mit einer Empathie, die mich mehr als einmal zu Tränen gerührt hat. Und zugleich schreibt er als Trauma-Spezialist und ehemaliger Professor für Psychiatrie der Boston University Medical School. Auch wenn ich schon von Kindheit an eine begeisterte Leserin war und bin, gibt es nur wenige Bücher, die mein Leben
so verändert haben. Dieses ist eines davon, und es ist auch immer noch meine persönliche Nummer 1. Deswegen musste ich es auch besitzen. In unserem Bibliothekenverbund ist es immer ausgeliehen!
Das Thema Medikation ist dort ebenso als wichtiger Punkt berührt wie ein ganzer Teil, nämlich Teil 5, zu Wege zur Heilung.
Letztlich sind alle Symptome wie Angst, Depression Anzeichen für Traumata. Und diese haben auch unser Gehirn schon früh umgebaut. Vielen von uns gelingt es einfach nur sehr, sehr lange zu funktionieren und durch Süchte sowie Verdrängen das erlittene (Dauer)Trauma ruhigzustellen. Irgendwann sind die Filter porös und alles bricht mit voller Wucht über uns herein.
Ich habe in einer Lebenskrise - von der Menschen ja oft mehrere erleben, heute mehr denn je - und noch bevor ich auf dieses Buch stieß aus einem inneren Impuls begonnen, sehr ausdauernd radzufahren. Nicht exzessiv schnell oder intervallmäßig, sondern einfach aus diesem tiefsten Bedürfnis dort zu strampeln. Kann es nicht erklären. Als ich dann das Buch las und seine Ausführungen zu Ausdauersport - dort ist es Jogging - und wie er das Gehirn umzubauen vermag, war ich baff. Ohne es zu wissen, hatte ich mir eine konstruktive Selbstheilungsform ausgesucht statt der früheren potenziell und faktisch toxischen Versuche, mich mit Beziehungssucht oder zu viel von was auch immer zu beruhigen. Alles war und ist eben mein Weg. Der beim aufmerksamen Gehen entsteht. Und van der Kolk bestätigt die Wirksamkeit solcher konstruktiv-gesunden Coping-Strategien.
Vielleicht merkst Du bei der Ansicht des Titels, ob er etwas für Dich ist. Es würde mich sehr für Dich freuen, wenn Du auch etwas damit anfangen kannst. Ich jedenfalls lebe ohne Medikamente. Und damit sage ich nicht auch nur die kleinste Silbe über Menschen, die Medikamente als ihren Weg fürs (Über)Leben nehmen.
Abschließend noch meine Erfahrung mit der in meinen Augen unglaublich übergriff-hochnäsigen Haltung zu dem Thema von den (Möchtegern)Fachleuten. Ein Mitarbeiter vom Sozialpsychiatrischen Dienst, mit dem ich einen Termin haben sollte, fragte mich am Telefon vorab: Nehmen Sie Medikamente? Er war kein Arzt oder Psychiater. Ich sagte: Nein. Und er sofort: Warum nicht?! (das Ausrufezeichen habe ich da wegen des Tons gehört... sei es da gewesen oder nicht, ich habe es so wahrgenommen als kritisches Hinterfragen meines Weges). Hallo? Ein wildfremder Mensch am Telefon stellt mir so eine Frage, bevor er mich überhaupt trifft und erfährt, was bei mir los ist? Diesen Termin habe ich sofort ersatzlos gecancelt. Das andere war ein Therapeut, der mir während meiner Therapeutensuche nach der Klinik ebenfalls am Telefon sagte: Bei dem, was bei Ihnen los ist, brauchen Sie Medikamente. Ach ja? Brauche ich die? Wer ist dieser Mann, der Telefonferndiagnosen stellt aufgrund weniger Bröckchen, die er von mir gehört hatte? Nein. Brauche ich nicht. Und zum Glück muss ich auch nicht mehr zu solchen Menschen in Therapie gehen, denen ich aufgrund ihrer Performance nicht vertraue. Gut so, denn so kam ich zu meiner jetzigen Trauma-Therapeutin, die Wessel van der Kolk kannte und sehr schätzt. Die genau seine Haltung widerspiegelt: Empathie, Validierung, Unterstützung beim Finden des für mich gut funktionierenden Weges. Ich sage damit keinesfalls, dass ich niemals Medikamente nehmen werde. Ich sage für mich und meinen Weg nur, dass ich immer erst einmal alternative Wege suche (und hochwahrscheinlich auch finde). Denn es gibt da eine Kraft in meinem Leben, wie immer man sie nennen mag, die mich bis heute sehr unterstützend geführt hat. Durch Begegnungen. Durch Bücher. Durch kleine und auch größere Wunder.
Dieser Kraft vertraue ich.