Zitat von Grace_99: Eine Frau.
Sorry ich weiß leider nicht auf was du kommen möchtest
Frau sind zumindest schon mal vier Buchstaben - aber was bedeutet es, Frau zu sein?
Ich möchte nicht den Rahmen Deines Threads sprengen, erlaube mir aber einen Exkurs zu dem Thema Abgrenzung und Einsamkeit, den ich mal für eine SH-Gruppe geschrieben habe. Es geht hier im Kern genau um das Thema Ich...
---
Ausgrenzung, Eingrenzung, Umgrenzung - Grenzen umgeben uns allerorten, insbesondere in Deutschland. Auch ethische, moralische, finanzielle oder verbale Grenzen werden gefordert und gesetzlich formuliert. Doch wo verläuft unsere (!), persönliche Grenze? Lässt sich diese erkennen, definieren, verschieben, etablieren und schützen oder vielleicht sogar öffnen?
Ich persönlich halte aus eigener Erfahrung nichts davon, den von Therapeuten oft und gedankenlos gegebenen Rat sich deutlicher abzugrenzen, unreflektiert anzunehmen und versuche zu erklären, warum. Klar: Wenn die Umgebung als extrem belastend oder gar als bedrohlich wahrgenommen wird ist Abgrenzung - zur Beruhigung - mit Sicherheit wichtig und kurzfristig sogar unbedingt anzuraten.
Jedoch möchte ich dazu anregen, eine Stufe weiter zu gehen und sich Gedanken darüber zu machen,
a) was bzw. wer sich denn abgrenzt
und
b) über die andere Seite der Abgrenzung.
Letztere kommt m. E. in der Folgen- und Gefahrendiskussion zu kurz.
Zu a):
In der psychotherapeutischen Abgrenzung wird grundsätzlich entweder von zwei Entitäten (Ich und Du) oder einem Subjekt (der Erlebende) und dem Objekt (die Welt da draußen) ausgegangen: "Ich grenze mich von Dir ab / Ich grenze mich von den Einflüssen meiner (!) Umgebung ab". Noch kompakter ausgedrückt: Ich grenze mich ab. So entstand übrigens unser Ich-zentriertes Weltbild (welches übrigens nicht schon immer und überall auf der Welt vorherrschte): durch Abgrenzung. Es hat sich so eingeschliffen - wir haben uns in jeder Hinsicht auf die Richtigkeit dieser Annahme verständigt. Wissenschaft, Politik, Medizin, Bildung, Kultur, ja sogar die meisten westlichen Religionen - alle gehen von der Gültigkeit des Individuums aus. Die Wirtschaft und damit verbunden die Werbung macht sich diese allgemein verinnerl-ICH-te Überzeugung zunutze.
Ich möchte dazu anregen, diesen Persönlichkeitsglauben einmal - zumindest hypothetisch - in Frage zu stellen. Mit welchen Parametern wollen wir dieses Ich darstellen? Vorschläge wären:
Materiell: Maße (1,80 m Höhe)? Gewicht (80 Kg)? Dauer (80 Jahre in belebtem Zustand des Körpers)?
Geistig: Charaktergrundtyp (Gewissenhaft)? Intelligenz (IQ: 95)? Erlerntes (Sprachliche Ausdrucksweise)?
Wo genau ist nun das Ich zu lokalisieren? In den 80 Kilogramm? Im Dialekt? In Vorlieben? Eine oft benutzte Antwort lautet: In allem - all das macht mich aus! Wenn dies aber so wäre, wie verhält es sich dann z. B., wenn ich den 80 Kg durch Amputation eines Armes 10 Kg abtrenne? Wenn ich mir aufgrund eines Umzugs nach Dresden das Bayerisch vollständig abgewöhne und nach und nach Sächsisch annektiere? Wenn ich anstelle von Schnitzel mit Pommes plötzlich mehr Gefallen an Burger vom Tofutier finde?
Wer ein Muster oder eine Logik hinsichtlich der körperlich-geistigen Zusammensetzung und Lokalisierung des Ichs sucht, wird irgendwann feststellen: Geht nicht! Das einzig Beständige an diesem Ich ist: Unbeständigkeit. Nun mag jemand einwenden: Gut, das sehe ich ein. Aber deshalb gibt es doch trotzdem ein - vor mir aus unbeständiges - Ich?!
Und genau hier liegt der Fehler: Niemand postuliert ein Ich, welches einem ständigen Wechsel unterworfen ist! Dem Persönlichkeitsglauben zugrundeliegend ist ja eben die Annahme einer Beständigkeit, eines individuellen Kerns - manche Religionen nennen das auch die Seele.
Wer sich eine Weile damit auseinandersetzt und vielleicht sogar intellektuell (!) zustimmt, dass dieses Ich im Grunde eine Illusion ist, wird das Thema Abgrenzung mit völlig anderen Augen betrachten: Wie kann man etwas abgrenzen, was nicht mal definiert werden kann?
Zu b):
Aufbauend auf das eben Gesagte, nun die kritische Betrachtung über die Folgen, die das geradezu inflationär geforderte und praktizierte Abgrenzen zeitigt:
Uns wird vermittelt, dass wir uns schützen müssen: Vor Energieräubern, vor Problemen anderer, vor Katastrophenmeldungen, vor falscher Meinungsbildung usw. Dies soll geschehen durch Abgrenzung: Bis hierher und nicht weiter! soll die Innere Stimme uns zurufen. Am Boden werden Kreise um uns gezeichnet, in Körpertherapien wird mittels eines visualisierten Sicherheitsringes ein individueller Schutzbereich vermittelt, den es zu verinnerlichen gilt. Es werden entsprechende Sätze für den Alltag formuliert und Verhaltensweisen für soziale Situationen eingeübt und vieles dergleichen mehr. All dies soll unseren Bereich bestimmen und stärken. Der - kurzfristig - positive Effekt: Menschen mit wenig Selbstvertrauen gewinnen dadurch etwas mehr Sicherheit und folglich etwas mehr geistige Autonomie. Diese ist aber leider selten von Dauer, da ja - siehe oben - ein Selbst illusionär ist: Man schützt also eine letztendlich unhaltbare Theorie – nämlich "das Ich", "mich".
Dies birgt gleichzeitig mehrere Gefahren: Gefühl der Isolation, Einsamkeit, Depression, Ängste etc. Weshalb? Weil der Ansatz der therapeutischen Forderung (Grenze Dich ab!) falsch ist!
Viel sinnvoller und natürlicher wäre:
Wir müssen lernen, wie Körper und Geist zusammenwirken, wie Wahrnehmung funktioniert, wie Gedanken und Bewusstsein entstehen (und vergehen). Allem voran sollte deren Unbeständigkeit immer und immer wieder untersucht und verstanden werden. Dass sich in diesem Zuge idealer Weise der Persönlichkeitsglaube (= das Ich-Gefühl) abschwächt, darf entgegengesetzt der landespsychologischen Auffassung als ein echter Fortschritt gewertet werden! Der Begriff und die Aufforderung, sich abzugrenzen sollte umformuliert werden in: Achte auf die Sinneseindrücke, die gerade in den Geist eintreten. Auch sie sind unbeständig, wechselnd und haben mit einem Ich letztendlich nichts zu tun. Dasselbe gilt natürlich für mein(e) Gegenüber...!
Sobald das Selbst-Verständnis (= Ich-Illusion, Persönlichkeitsglaube) durch eingehende Betrachtung schwächer wird, hinterfragen wir automatisch auch die Natur (und die Berechtigung) der körperlichen und geistigen Bedürfnisse. Sofern wir tatsächlich (!) Einsicht in die Illusion bekommen, schwächen sich auch automatisch unsere Bedürfnisse ab. Gleiches gilt für unsere "Interpretation" der Absichten unseres Gegenübers, denn wir erkennen dann folgerichtig auch dessen Illusion und die daraus entstehenden (vermeintlichen) Bedürfnisse des Partners! Die Frage der Abwägung, wessen Bedürfnisse vor- oder nachrangig sind, wird somit - ebenso wie die Notwendigkeit einer Abgrenzung - hinfällig.
Wenn verstanden wird, dass sowohl der Bedrohte (Ich) als auch die Bedrohung (Du / Welt) letztlich Ein-Bildungen sind, schwinden allmählich Isolationsgefühl, Unruhe, Angst, Trauer, etc. Jegliche Aversion geht m. E. auf die Angst des Ichs vor dem Tod (=Kontrollverlust) zurück. Tod oder Kontrollverlust bedeuten die allergrößte Gefahr für das Ich. Darum gilt: Freiheit ist da, wo die Ich-Illusion endet. Beispiele hierfür kann ich gerne nennen.
Um nun Ursache und Entstehung des Einsamkeitsgefühls klar nachvollziehen zu können, bedarf es selbstverständlich einiger Übung und ernsthaftes Interesse an dem bisher Geschilderten. Wer nicht achtsam ist, den überwältigt das Gefühl geradezu wie ein Tsunami. Um die Entwicklung "aufdröseln" und somit auch auflösen zu können, bieten sich drei Übungsschritte an:
Schritt Nr. 1 (Theorie)
Es kann enorm helfen, sich regelmäßig vor Augen zu führen, dass Einsamkeit an sich keine objektive "Tatsache" ist. Denn die Abwesenheit von z.B. einem bestimmten Menschen oder überhaupt Alleinsein empfindet nicht jeder Mensch als Einsamkeit. Es handelt sich also lediglich um ein Gefühl, das wir Einsamkeit nennen. Dies ist ein gewaltiger Unterschied!
Schritt Nr. 2 (Praxis)
wäre, den Akutfall zu nutzen, um das Einsamkeitsgefühl auf Herz und Nieren zu untersuchen. Hier ist es wichtig, NICHT die üblichen verhaltenstherapeutischen Fragen zu stellen (Auslöser/Trigger, Gedanken etc.) sondern lediglich das Einsamkeitsgefühl vollumfänglich bewusst zu erleben und zu akzeptieren, dass es im Grunde nur jetzt ein Gefühl ist. Keiner hat daran Schuld – weder meine Umwelt noch wir selber. Es ist einfach gerade im Geist gegenwärtig und zeitigt u. U. auch körperliche Symptome (Tränen, Klos im Hals etc.) – das ist alles. Wichtig ist, nicht zu versuchen, das Gefühl loszuwerden. Irgendwann wird das Gefühl schwächer und verschwindet. Auch hier ist es sehr wichtig, achtsam festzustellen, dass nun kein Einsamkeitsgefühl mehr im Geist vorhanden ist, also die Abwesenheit von Einsamkeit vollständig zu erleben.
Schritt Nr. 3 (Direkte Einsicht / Weisheit)
Dieser ist im Grunde keine Übung, sondern eine wirkmächtige Folge aus Schritt 1 und 2: Je öfter wir uns dem theoretischem "Wesen" des Einsamkeitsgefühls (Schritt 1) und dem tatsächlichen Erleben (Schritt 2) widmen, umso deutlicher reift ein klares Verständnis, dass es sich nicht um ein "Ich" handelt, welches "einsam ist", sondern nur eine Wahrnehmung eines temporären Gefühls stattfindet. Es ist schwer in Worte zu fassen, aber irgendwann entsteht eine direkte Einsicht, dass Gefühle kommen und gehen aber keine Person da ist, die fühlt!
Hier ist anzumerken, dass diese Einsicht nahezu unmöglich intellektuell wirklich auf Anhieb verstanden und ins alltägliche Erleben umgesetzt werden kann. Schritt 3 ist in der Tat nicht singulär zu "üben", sondern er ist irgendwann automatisch manifest: Dass dies der Fall ist, wird spätestens dann ersichtlich, wenn das Thema Einsamkeit sich irgendwann komplett "aufgelöst" hat. Weshalb hat es sich aufgelöst? Weil die Ursache sich langsam aufgelöst hat...
Abschließend bleibt zu erwähnen, dass die geschilderte Vorgehensweise als echte Geistesarbeit angesehen werden kann und letztendlich sämtliche Emotionen ungefähr ähnlich "behandelt" werden können. Die Beschäftigung mit Persönlichkeits-Illusion erscheint auf den ersten Blick provokant und radikal. Gerade weil es unserem alltäglichen Selbstverständnis völlig "gegen den Strich" geht, darf es tatsächlich als lebenslange Aufgabe betrachtet werden. Aber wenn wir uns mal ganz ehrlich fragen, wer oder was wir denn eigentlich sind, haben wir doch bislang keine nachweisbar richtige Antwort darauf! Trotzdem denken, reden und handeln wir nahezu ständig so, als wenn wir sie hätten! Dass dadurch zwangsläufig Probleme entstehen ist nur logisch. Darum könnte es lehrreich, zumindest interessant sein, sich damit zu beschäftigen.