Zitat von calinmagique:Ich - bin selbst Betroffener - frage mich in letzter Zeit öfter, ob Depressionen
nicht eine Wohlstandkrankheit sind.
In Westeuropa geht es fast allen Menschen materiell richtig gut, viel zu gut eigentlich.
Wir konsumieren und konsumieren, fühlen und innerlich leer, das Leben fühlt sich sinnlos
an, weil wir um existentielle Dinge nicht mehr kämpfen müssen.
Ich glaube, arme Menschen in Ländern wie Bangladesch oder Kriegsgebieten Syrien
können sich Depressionen gar nicht leisten, haben gar keine Zeit dafür, weil sie ums *beep*
Überleben kämpfen. Deren Lebenssinn ist, Ihr Dasein zu erhalten.
Ich gehe nicht so weit zu behaupten, dass wir Depressiven in Kriegsgebiete ziehen sollten,
aber ein bißchen weniger Komfortzone würde wohl unsere Lebensgeister wecken.
was meint ihr dazu?
lg
calin
Diese Gedankengänge sind ja nichts neues, das fragt man sich vielleicht automatisch auch mal und manchmal SCHEINT da auch was dran zu sein. Betonung liegt auf SCHEINT!
In manchen Fällen, wenn man vielleicht nur ein bisschen depressiv verstimmt ist (sich z. B. wegen Kleinigkeiten mal wieder aufregt), dann können solche Gedanken natürlich schon helfen, wenn man sich sagt: woanders ist das Leben viel schlimmer, dort gibts Krieg, Elend, Hunger etc.
Also der Vergleich lässt sein eigenes Elend manchmal kleiner erscheinen und es kann passieren, dass man seine eigene Situation nicht mehr so schlimm BEWERTET.
Diese Frage, die Du stellst haben natürlich auch schon lange Psychologen gestellt.
Bei einem Krankenhausaufenthalt hat uns (Patienten) ein Professor folgendes (sehr interessantes) erklärt:
Natürlich gibt es auf der ganzen Welt psychische Erkrankungen. Schwere psychische Erkrankungen treten sogar ziemlich gleichmäßig verteilt auf der ganzen Welt und in allen Kulturen auf.
Allerdings hat man auch festgestellt, dass es durchaus sein kann, dass wenn man existentiell aktuell bedroht ist (z. B. im Krieg oder bei Hungersnot), dann KÖNNEN psychische Probleme davon überdeckt werden, in den Hintergrund treten, weil die Psyche dann auf Notprogramm schaltet und nur ums Überleben kämpft. Neurotische Ängste werden dann von aktuellen Ängsten überdeckt.
Es kann also tatsächlich sein, dass man seine Symptome in diesem Zeitraum verdrängen kann. Leider ist man dadurch aber
nicht geheilt, denn die Symptome kommen leider nach einer Zeit wieder, wenn der Krieg vorbei ist und die existentielle Gefahr wieder vorüber.
Es kommt aber sicher auch auf die Art der Erkrankung an. Es gibt große Unterschiede von psychischen Erkrankungen. Du kannst eine leichte Angsterkrankung oder depressive Verstimmungen nicht mit schweren Depressionen, Ängsten oder gar Psychosen vergleichen.
Auch bei Menschen, die durch Krieg oder Not oder Missbrauch einen Schaden bekommen haben, tritt der Schaden in den meisten Fällen ja erst lange Zeit NACH der Gefahr auf, weil in der Gefahr man fokussiert aufs Überleben ist.
Also wundere Dich bitte nicht, wenn das was Du als Gedankenanregung verstehst, zwar naheliegend erscheint, aber jeden psychisch schwer angeschlagenen Menschen sehr bitter aufstoßen kann und als Hohn empfunden werden kann.
PS: Und Konsumieren alleine macht doch sowieso nicht glücklich, das ist doch eh klar. Satt sein ist zwar auch wichtig und ein Maß an Sicherheit, aber: ganz andere Dinge machen glücklich: z. B. ein gutes soziales Umfeld, Familie, Freunde etc. Und in dieser Hinsicht sind die Wohlstandsländer die eigentlich armen Länder. Es gibt hier immer mehr Einsamkeit und soziale Kälte.