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Hallo zusammen,
ich bin neu hier und verfasse meine erste Nachricht.
Seit 2019 bin ich wegen Depressionen in psychotherapeutische Behandlung (VT), seit Beginn diesen Jahres auch beim Psychiater (Diagnose: Chronische Depression evt. Double Depression) . Ich nehme zur Zeit Venlafaxin 150mg. Trimipramin zur Nacht habe ich abgesetzt.
Ich tue mich mit der Diagnose schwer, da es ja "nur" auf einen Fragebogen beruht (bin Naturwissenschaftler - das erleichtert die Sache nicht) . Die Psychotherapie hilft nicht wirklich weiter. Meine Therapeutin meint da wäre noch mehr. Für ADS habe ich zu wenig Punkte ( meine Eltern kann ich auch nicht befragen wegen Demenz) , Autismus ist es auch nicht, da ich schon auch zwischen den Zeilen lesen kann. Für mich kommt am ehesten die ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung in Frage. Aber ganz passen tut es nicht und dann geht die Gedankenspirale wieder los. Wenn ich nicht weiß, was es ist , kann es nicht besser werden (typisch Depression halt). Was bei mir fehlt, ist diese dunkle Wolke oder das alles grau ist. Dieses Gefühl habe ich nicht.
Hat jemand Tipps bezüglich guter Literatur zum Thema ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung? Hat jemand ähnliche Zweifel und hat diese bewältigt?
Liebe Grüße,
Franzi

03.07.2022 20:34 • 04.07.2022 #1


10 Antworten ↓


Zitat von Nautilus2021:
Hat jemand Tipps bezüglich guter Literatur zum Thema ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung?

Direkt Bücher zu dem Thema sind leider mir keine bekannt. Nur Bücher über die kognitive Verhaltenstherapie (welche auch bei der ÄVPS eingesetzt wird) bei der Behandlung von Traumafolgestörungen.

Eines gebe ich immer zu bedenken bei Selbsteinschätzung. Es ist mit mit Bedacht zu behandeln.
Diese Diagnoseblätter sind heutzutage sehr ausgeklügelt und helfen den Therapierernden Patienten besser einzuschätzen. Daher sind sie wirklich sinnvoll.

Aus dem was Du schreibst, kann ich mir deine Zweifel / Gedanken nicht so vorstellen, dass ich weiß was Du meinst.

Vllt hilfen dir diese Artikel weiter:
https://www.msdmanuals.com/de-de/profi/...-%C3%A4vps

https://www.karger.com/Article/Fulltext/497620

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Depression nur Spitze des Eisberges

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Hallo Franzi,

zum Thema Persönlichkeitsstörungen, also auch die ÄVPS, ist das Buch Persönlichkeitsstörungen von Fiedler und Herpertz aus dem Beltz-Verlag (7. Auflage 2016) ein Literatur-Klassiker. Kann ich empfehlen.

Ich habe selber insgesamt 3 Persönlichkeitsstörungen im Vollbild, darunter auch die ÄVPS.

Meine Diagnostik wurde damals für mich ausreichend umfassend gemacht, ich war (sehr) lange Zeit auf Stationen, die auf Persönlichkeitsstörungen spezialisiert sind. Es wurden mehrere Fragebögen / Tests gemacht, dazu kamen diagnostische Interviews (die der Chefarzt persönlich durchgeführt hat) und monatelange Beobachtungsstudien, außerdem Rücksprachen mit vorher behandelnden Ärzten und Therapeuten. Dadurch fand ich die Diagnose gut abgesichert, ich muss aber auch sagen, dass die Diagnose-Kriterien dieser Persönlichkeitsstörung auf mich zu 100% zutreffen, daher hatte ich auch keine Zweifel.

Wenn man sich an der Grenzlinie zwischen Akzentuierung und Vollbild befindet, kann ich verstehen, dass man da Unsicherheiten verspürt.
Wobei man auch dazu sagen muss, dass man für die Diagnose im Vollbild ja nicht alle diagnostischen Kriterien erfüllen muss, so müssen von den im ICD 10 (das ja trotz Inkrafttreten des ICD 11 noch für 5 Jahre gültig ist bzw. weiter zur Anwendung kommt) genannten 6 Kriterien mindestens 3 erfüllt sein, beim SKID II liegt der cut-off-Wert bei 4 von 7, sprich: ab diesen Werten muss genauer hingesehen werden und weiter abgeklärt werden.

Und oftmals hat man als Betroffener ja auch so ein bestimmtes Bauchgefühl, ob man sich in einer Diagnose wiederfindet oder eher nicht. Kommt die Verdachtsdiagnose denn von Dir selber oder einem Deiner Behandler (also Arzt, Therapeut o.ä.)?

Und man muss sich auch immer fragen, was die Diagnose für einen selber bedeutet. Du hast schon ganz richtig gesagt, dass die Diagnose wichtig für die weitere Behandlung ist. Und das ist imho auch genau richtig so. Eine Diagnose ist wie ein Behandlungsplan zu verstehen, sie definiert einen nicht als Person, ist aber von entscheidender Bedeutung für die weitere Behandlung.
Ich habe das bei mir ganz deutlich gemerkt, als sich meine Diagnosen vervollständigt hatten. Ich hatte (recht schnell) eine recht umfassende Liste an Diagnosen, auf die ich behandelt wurde, aber irgendwie hakte es immer, und ab einem gewissen Punkt ging es einfach nicht weiter voran. Erst als die letzte (und entscheidende) Diagnose hinzukam, habe ich wieder Fortschritte gemacht, und zwar so große wie nie zuvor.

Wenn die Tendenz in Richtung Persönlichkeitsstörung geht, kann man sagen, dass diese trotz aller Unterschiede ja zumeist nach denselben grundlegenden Kriterien behandelt werden (und darum im stationären Bereich ja auch oftmals auf einer Station zusammengefasst behandelt werden).

Einen Unterschied habe ich in der Behandlung zwischen ÄVPS und sozialer Phobie bemerkt, die Sozialphobiker haben andere Aufgaben/ Herausforderungen/ Interventionen bekommen als die ÄVPSler.

Und falls Autismus diagnostisch mal ansatzweise ein Thema war, könnte man auch mal in Richtung schizoide Persönlichkeitsstörung gucken, das wäre dafür eine klassische Differentialdiagnose.

Ich wünsche Dir alles Gute für Deinen weiteren diagnostischen Weg!

LG Silver

P.S.:
Zitat von Nautilus2021:
Ich tue mich mit der Diagnose schwer, da es ja nur auf einen Fragebogen beruht

Eine wirklich gesicherte Diagnose kann (gerade im Bereich der Persönlichkeitsstörungen) auch eigentlich nicht nur aufgrund eines Fragebogens gestellt werden, die Fragebögen geben immer nur einen ersten Hinweis darauf, ob es irgendwo auffällige Werte gibt, aber erst ein diagnostisches Interview sichert die Diagnose wirklich ab (im Idealfall ergänzt durch therapeutische Beobachtungen über einen längeren Zeitraum).

P.P.S.:

Ein von den diagnostischen Kriterien her etwas veraltetes, aber vom Inhalt her noch sehr relevantes und auch von Therapeuten und Chefärzten nach wie vor empfohlenes Buch ist
Ihr Persönlichkeits-Portrait. Warum Sie genau so denken, lieben und sich verhalten, wie sie es tun. von John M. Oldham und Lois B. Morris.
Das Buch beschreibt sehr schön den Übergang zwischen Persönlichkeits-Stilen und Persönlichkeits-Störungen, geht also auf die Frage ein, bis zu welchem Grad ein Verhalten noch nicht-krankhaft (halt nur ein bestimmter Stil) ist und ab wann man sich in den krankhaften Bereich begibt.

Die ÄVPS wird dort unter Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung geführt (bezieht sich halt noch auf das DSM 3, inzwischen gilt das DSM 5) und es werden einige Persönlichkeitsstörungen genannt, die es inzwischen nicht mehr gibt.

Aber davon abgesehen ist es ein sehr interessantes und aufschlussreiches Buch.

@Nautilus2021 Bei mir wurde seitens meines Psychiaters immer die Depression in den Mittelpunkt gesetzt. Ich hatte dann bei meiner Therapeutin auch einen Testbogen bezüglich PS ausgefüllt und Sie hatte mit mir dann das Ergebnis der Auswertung intensiver besprochen. Es lag nach ihrer Meinung zunächst nur bei bestimmten Störungsbildern, eine mehr oder weniger starke Akzentuierung vor, die wir nach und nach bearbeitet haben. Leider konnte ich die Therapie bei ihr nicht fortsetzen und so habe ich auch heute noch keine endgültige Diagnose. Ich bin aber schon überzeugt, das die Depression eher eine Auswirkung oder ein Symptom einer bei mir vorhandenen PS ist.

Diese dunkle Wolke als solche empfinde ich übrigens auch nicht. Jedenfalls nicht wortwörtlich betrachtet. Negative Gedankenspiralen kenne ich aber sehr gut.

Zitat von silverleaf:
P.P.S.: Ein von den diagnostischen Kriterien her etwas veraltetes, aber vom Inhalt her noch sehr relevantes und auch von Therapeuten und Chefärzten ...


Ihr Persönlichkeits-Portrait
Danke für den Buchtipp. Vielleicht hilft es mir, Puzzelstücke einer Erklärung über mich selbst zu finden. Ich werde berichten

Ein paar Details über mich und dieses Thema
Ich selbst habe ähnliche Symptome (gehabt bzw. habe es immernoch, leide zur zeit aber nur selten richtig schlimm).

Ich war einmal bei einem Arzt, nach dem meine persönliche Selbst-Diagnose ADS (ohne H) war. Der Arzt tippte auf Depression. Da mir das damals peinlich war, ich mit meinen Angehörigen nicht darüber sprechen wollte und ich nur über meinen Vater versichert war, hatte ich die Untersuchung persönlich bezahlt. Ausserdem hoffte ich, dass nichts Psychisches aktenkundig wird wegen BU Versicherung und ähnlichem. Aus Kostengründen und weil ich den Eindruck hatte, dass es eben nicht mit Medikament einstellen und danach funktioniere ich getan ist, brach ich die behandlung nach 2 oder 3 mal ab.

Danach kam eine Selbsttherapie, wenn man es so nennen will, die ich jetzt seit 15 Jahren bei Bedarf intensiver, oder weniger intensiv praktiziere. Ansonsten beschäftige ich mich viel mit meiner Persönlichkeit. Hierbei mit Fokus auf Zwanghaftigkeit und Grübeleien zu reduzieren . Ich arbeite an Disziplin und kämpfe mit Müdigkeit und Prokrastination. Ich übe mich in Gelassenheit. Ich versuche, mich in meinem Tempo in eine Richtung zu bewegen, dass innere Empfindung und äusseres Handeln deckungsgleich werden oder sich zumindest nicht widersprechen. Es ist ein Kampf an vielen Fronten. Ich bemühe mich, dass ich es als komplexes Spiel betrachte.

Wenn ich hier pauschal einen Ratschlag mit auf den Weg geben darf, wäre das der folgende: Wenn ein depressiver Schub kommt, dann einfach annehmen und bewusst erleben. Sich dazu zwingen diesen Schub intensiv zu erleben, zu beobachten und dabei oder anschliessend ggf. Dinge aufschreiben. Umfeld schaffen, dass man (in der Regel) mal eine Stunde zu spät zur Arbeit kommen kann - natürlich muss das ziel sein pünktlich zu sein und verspätung die absolute Ausnahme.

Vielen Dank für die zahlreichen Antworten und Buchtipps.
Ich habe Schwierigkeiten, meine Probleme zu schildern, besonders bei Ärzten. Da bin ich irgendwie im Stressmodus und mein Kopf ist wie leer. Bei meiner Therapeutin geht es jetzt nach 3 Jahren schon etwas besser.
Wobei es mir dort auch schwer fällt zu sagen, wann ich mich zum letzten Mal gefreut habe oder wann ich das Gefühl hatte, das etwas nicht stimmte. Und dann geht das Gedankenkarussell los: Wenn ich mich nicht daran erinnere, kann ich nicht die Ursache finden usw.
Bezüglich der Persönlichkeitsstörung bin ich irgendwie darauf gekommen, dass ich nicht gerne auf Leute zugehe. Veränderungen verunsichern mich, bei simplen Behördengängen habe ich Angst etwas falsch zu machen. Ich finde Small Talk ziemlich überflüssig. Wenn ich in einer Gruppe radeln gehe (kein Rennrad) , unterhalte ich mich nicht gerne, während alle Anderen quatschen. Ich schaffe es nicht jemanden zu mir nach Hause einzuladen, da ich Angst habe negativ bewertet zu werden usw.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich meine Eigenheiten erst akzeptieren muss, um weiter voran zu kommen.
Viele Grüße,
Franzi

Zitat von Nautilus2021:
Ich habe Schwierigkeiten, meine Probleme zu schildern, besonders bei Ärzten. Da bin ich irgendwie im Stressmodus und mein Kopf ist wie leer. Bei meiner Therapeutin geht es jetzt nach 3 Jahren schon etwas besser.



Ich versuche, meine Notizen in einer Form zu führen, dass ich sie mit überschaubarem Aufwand anderen (z.B. Arzt) zeigen könnte.

Bei Arzt habe ich immer notizen dabei. Hat auch den Vorteil, dass ich stichpunkte ( z.b. zum später googlen) aus dem gespräch notieren kann.

Zitat von Nautilus2021:
Wobei es mir dort auch schwer fällt zu sagen, wann ich mich zum letzten Mal gefreut habe oder wann ich das Gefühl hatte, das etwas nicht stimmte. Und dann geht das Gedankenkarussell los: Wenn ich mich nicht daran erinnere, kann ich nicht die Ursache finden usw.

Geh mit Statistik zum Arzt. Du weißt ja im Vorfeld was die Symptome sind. Also einfach für dich buch führen wann und in welchen Situationen welche Gefühle eintreten.
Sei dir im klaren, dass das bewusste Auseinandersetzen und benennen von Gefühlen starke Gefühlsreaktionen auslösen kann. Ich selbst sehe es als Hobby und bilde mir ein, dass ich inzwischen ziemlich gefestigt bin.

Ungefragt meinen Senf dazu...

Zitat von Nautilus2021:
Bezüglich der Persönlichkeitsstörung bin ich irgendwie darauf gekommen, dass ich nicht gerne auf Leute zugehe.

Du möchtest aber eigentlich irgendwie schon ?

Zitat von Nautilus2021:
Veränderungen verunsichern mich

Nenne doch mal ein paar Beispiele für Veränderungen, die dich stören.


Zitat von Nautilus2021:
, bei simplen Behördengängen habe ich Angst etwas falsch zu machen


Was ist das schlimmste, was dabei schiefgehen könnte?

R
Zitat von Nautilus2021:
Ich finde Small Talk ziemlich überflüssig.


Mir macht Smalltalk Spaß wenn er funktioniert, mir macht es auch Spaß zu analysieren, wenn er nicht funktioniert, ich bewundere Leute, bei denen Smalltalk (interessanterweise anschließend direkt danach auch ernsthafte Gespräche) anscheinend ohne Aufwand funktioniert.

Ich hatte jahrelang schlechte Gefühle dass ich mich nicht mit anderen Leuten unterhalte, weil ich irgendwo im inneren nicht wollte, dass andere Leute sehen, dass ich angenehme Gefühle verspüre und angeregt bin, wenn ich mich mit ihnen unterhalte.

Zitat von Nautilus2021:
da ich Angst habe negativ bewertet zu werden usw


Was ist das schlimmste, was passieren könnte, wenn dich jemand negativ bewertet? Was das beste?

Zitat von Nautilus2021:
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich meine Eigenheiten erst akzeptieren muss, um weiter voran zu kommen


Ich würde dich ja jetzt zu gerne kennen lernen und dir dann offen und ehrlich mitteilen, welche Eigenheiten an dir ich bemerke, was die Ursache ist, dass ich dich auf den ersten Blick (mag/ablehne)... Von mir aus knallhart und gegenseitig ins Gesicht...

Ernsthaft: Ja, lerne dich kennen. Schreibe für dich auf, was deine Eigenheiten sind. Entgegen der üblichen Aussage Akzeptiere dich so wie du bist: Frage dich, was besser werden könnte.

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Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl
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