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Hallo an Alle!

Mich beschäftigt seit fast zwei Jahren ein äußerst seltsames Thema, zu dem ich bisher weder im Internet noch im realen Leben eine Antwort gefunden habe: die Depression nach dem Sport. Man sollte meinen, dass Sport gut gegen Depressionen ist, dem würde ich grundsätzlich auch zustimmen, jedoch scheint sich bei mir das Blatt gewendet zu haben.

Folgendes zu mir:
Ich bin 32 Jahre alt, männlich, und führe abgesehen von meinem Rauchen (schon 4-7 Zig. am Tag) ein recht gesundes Leben. Schon seit meiner Kindheit war ich sehr sportlich. Früher habe ich viel Ausdauersport gemacht, bin Downhill-Mountainbike gefahren und war der glücklichste Mensch, wenn ich mich bewegen konnte. Seit etwa zehn Jahren klettere ich leidenschaftlich, finde den Sport nach wie vor richtig cool und konnte mich, bis auf das letzte Jahr, immer darauf freuen.

Leider nahm mein Leben eine Wendung. Es geschah nicht von heute auf morgen, sondern schleichend, über ein paar Monate hinweg. Plötzlich fühlte ich mich nach dem Klettern sehr erschöpft. Oft passierte das direkt danach, manchmal aber auch erst am nächsten Tag, wenn der Muskelkater einsetzte. Diese Erschöpfung fühlt sich jedoch nicht wie körperliche Müdigkeit oder Erschöpfung an, sondern eher wie eine schwere Depression, die für ein bis zwei, manchmal sogar für drei bis vier Tage anhält. Ich verstehe dann die Welt nicht mehr, habe extrem negative Gedanken, auch über meine Freundin, die ich unglaublich gern habe, und denke oft sogar an Suizid.
Lasse ich ein paar Tage ohne Sport verstreichen, geht es mir wieder viel besser und das Leben sieht wieder anders aus.
Ich bin deshalb bereits bei mehreren Ärzten gewesen, habe Blutuntersuchungen machen lassen, Psychologen und sogar andere Heilpraktiker aufgesucht. Abgesehen von vielen Minusbeträgen auf meinem Bankkonto ist dabei jedoch nichts Sinnvolles herausgekommen. Früher ging ich 3-4 Stunden jeden zweiten Tag klettern (ich weiß, das ist viel), heute schaffe ich kaum noch 2 Stunden und das nur 1 mal in der Woche. Ab und zu gehe ich auch Laufen und versuche dabei meinen Kopf frei zu bekommen. Wenn ich dabei zu lange unterwegs bin, führt das ebenfalls zu ähnlichen Zuständen. Ich beginne dann auch die gesamte Welt zu hinterfragen, jede Entscheidung die ich getroffen habe, meine Person und mein gesamtes Umfeld. Mein Leben hat sich im letzten Jahr auch sehr stark verändert, ich ging in eine neue Stadt, mit einer neuen Wohnung und einem neuen Job. Dies alles zustande zu bekommen, war einer der härtesten Dinge die ich je machen musste, aufgrund der Erschöpfung und Depression die sich wie ein hinterhältiges Wesen jedes mal nach dem Sport in meinem Kopf einschlich.

Themen wie Übertraining, falsche Ernährung, eine veränderte Einstellung zum Sport (ich bin sehr ehrgeizig, wenn es um Sport geht) und Pausen habe ich alle durchleuchtet, aber ich bin zu keiner Lösung gekommen.
Ich muss zugeben, dass der ungewollte Verlust an Muskelmasse und positivem Auftreten meiner Seele großen Schmerz bereitet. Meine Verzweiflung ist groß, und ich sehe keinen Ausweg mehr. Wenn ich nur ausschließen könnte, ob es etwas Körperliches oder Psychisches ist, würde das mein Leben enorm erleichtern. Leider kann ich das auch nach einigen Blutuntersuchungen und Arztbesuchen nicht mit Sicherheit sagen, da man ja nie alles überprüfen kann.

Vielleicht hat jemand Erfahrung damit und kann mir weiterhelfen. Ich wäre euch für jede Antwort sehr dankbar!

Gestern 15:45 • 05.01.2025 #1


9 Antworten ↓


Hallo lieber Johannes3144,
willkommen im Forum und ein Frohes neues Jahr.
Bei mir löst dein Bericht folgende Gedanken aus: Deine Depressionen und düsteren Gedanken haben nichts direkt mit dem Sport zu tun. Sie sind auch kein körperliches Problem. Ich vermute, dass da eine lange Vorgeschichte besteht, trotz deren negativer Auswirkungen du über viele Jahre gut funktioniert hast. Vielleicht war der etwas übertriebene Sport ein Ventil für dich, mit einem ständig vorhandenen Gefühl, nicht gut genug zu sein, klarzukommen. Der Versuch, Anerkennung und Liebe zu bekommen (die man eigentlich ohne extra Leistungen bekommen sollte, einfach dafür, dass man da ist ). Ein Arbeitskollege von mir tat das viele Jahre lang, fuhr extrem MTB, lief Marathons, bekam massive Rückenprobleme und trieb trotz starker Schmerzen und gegen jeden ärztlichen Rat weiter Leistungssport. Er schonte sich nicht, meldete sich in zwei (!) Badmintonvereinen an und spielte trotz Schmerzen auf hohem Niveau weiter. Er zerstörte seinen Körper, ist jetzt ein Wrack und kaum wiederzuerkennen. Falls du getrieben warst, immer mehr Leistung zu bringen, um anerkannt zu werden, könnte dieser Einbruch von Depression eine gesunde „Warnlampe“ sein, die dich dazu bewegen will, herunterzukommen und deine inneren Einstellungen durchzugehen und neu zu sortieren. Vielleicht liege ich auch falsch, aber das ist mein Gefühl, nachdem ich deinen Bericht gelesen habe.
Liebe Grüße

A


Depression nach dem Sport

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@Recondi, danke vielmals für deine schnelle und auch äußerst zutreffende Antwort. Leistung erbringen um einen Wert darzustellen, war leider immer schon mein Leitfaden fürs Leben. Ich muss zugeben, dass ich sehr überrascht bin, wie du auf diese Annahme kommst?
Wenn ich zu Ärzte oder Psychologen gehe, führt mich mein Weg immer zu dem Punkt innere Kritik / Wert durch erbrachte Leistung, man möchte meinen, dass ich die Antwort darauf ja schon habe. Jedoch überwiegen die körperlichen Symptome so stark, dass man selten dabei an die Psyche denkt. Im Frühjahr hatte ich plötzlich aus dem nichts einen Bandscheibenvorfall gehabt, doch das hat mich nicht vom Sport abgehalten. Ich muss zugeben, dass meine Angst lahm, unsportlich und ungesund zu werden sehr groß ist, daher können mich weder ein Bandscheibenvorfall noch eine gerissene Sehne am Finger vom Klettern abhalten.
Es hat mir wirklich schockiert, dass deine Antwort nach solch einer kurzen Ausführung meines Problems auch zu dem selben Ziel geführt hat. Einerseits sehr erfreulich, andererseits sehr bedenklich wenn der innere Kritiker bereits so klug ist, dass er gekonnt das Offensichtliche vor mir versteckt hält um nicht die Führung zu verlieren.
Viele Wege gingen bereits in diese Richtung jedoch sehe ich keine Lösung für das Problem (welches nicht nur beim Sport sondern auch im Liebesleben, Arbeitsalltag sichtbar ist). Weniger machen führt absolut zu nichts, dabei geht es mir nur noch schlechter. Mehr machen kann ich aufgrund der fehlenden Energie einfach nicht.
Ich bin jetzt mal so dreist und frage dich, ob du dir vorstellen könntest welche Möglichkeiten jemand wie ich hat, wieder Freude an den Dingen zu finden. Achja, in psychologischer Therapie bin ich momentan auch und das mit der richtigen Person.

Liebe Grüße

@Johannes3144 hallo, ich kann mich @Recondi nur anschließen. Ich denke, dass dein Körper und dein Geist eine Notbremse gezogen haben, weil du es Jahrelang übertreiben hast.

Und ich denke du hast es zu eilig. Du sagt, dass du Pausen und weniger Sport probiert hast, aber wie lange?

Das es dich psychisch sehr belastet keinen Sport mehr zu machen kann ich ebenfalls verstehen, dahingehend würde ich dann zu einer Therapie raten, die dir eventuell auch dabei hilft psychische Probleme loszulassen.

Irgendwann kannst du dann wieder mit Sport anfangen, aber langsam und ohne Druck. Ich kenne das, keine Lösungen für ein Problem zu sehen... aber es gibt immer eine Lösung! Du darfst nur nicht die Hoffnung aufgeben und musst weiter nach einer Lösung suchen.

Mein Körper zeigt mir auch Recht schnell, wenn ich zu viel gemacht habe. Ebenfalls durch eine Art Depression nach dem Sport.

Liebe Grüße und frohes neues Jahr

Hallo Johannes3144,

weitere interessante Themen findest du hier:

Sport macht es schlechter

Panikattacken nach dem Sport

Mehr Ängste nach Sport?

Panik nach dem Sport

Sport gegen Angst und Depressionen?

Du kannst in diesen Rubriken ebenfalls schreiben, und die relevanten Mitglieder werden informiert.

Beste Grüße
Carsten

Zitat von Johannes3144:
Ich bin jetzt mal so dreist und frage dich, ob du dir vorstellen könntest welche Möglichkeiten jemand wie ich hat, wieder Freude an den Dingen zu finden. Achja, in psychologischer Therapie bin ich momentan auch und das mit der richtigen Person.

Du hast alle Optionen der Welt und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass du in dein Gleichgewicht kommen wirst. Wie genau, das kann dir hier niemand sagen. Dazu müsste man dich persönlich und viel tiefgreifender kennen. Und selbst dann: der Schlüssel liegt in dir und deinen eigenen Vorstellungen von dir und dem Leben und den Ansprüchen. Ich würde aber sagen, dass Leistung aus purer eigener Freude etwas Gutes - und Leistung, um anerkannt und geliebt zu werden, etwas Problematisches ist. Dahinter steht die Frage: Bin ich wertvoll als Mensch, einfach so? Bin ich liebenswert, einfach so? Ohne etwas dafür tun zu müssen? Kann das wahr sein? Oder bin ich schlecht, wenn „ich es nicht bringe“?
LG

@Johannes3144
Ich hatte so ähnliche Symptome wie Du.
Ich hab gedacht das ich gerne Sport mache und hatte das Teil muskulös aussehen zu wollen. Habe dann jeden Tag Sport gemacht und bin soviel gewandert. Trotzdem hatte ich danach kein schönes Gefühl sondern eher so nach dem Motto: noch mehr, damit ich bald das erreiche was ich erreichen will. Ich gründete Wandergruppen und bekam dann auch noch positives Feedback und Aufmerksamkeit.
Mir ist dann aufgefallen das ich beim Sport und beim Wandern eine extreme innere Unruhe verspüre weil ich mir total Druck gemacht habe. Und egal ob ich eigentlich fertig war oder ob ich keine Lust hatte, ich habe mich gezwungen zum Sport.
Und zusätzlich fühlte ich mich sowieso schon überfordert aber kien Ziel wollte ich erreichen.
Mir machte wandern keinen Spaß mehr weil es nicht mehr darum ging die Natur anzuschauen oder zu genießen. Nein....ich wollte Leistung erbringen.
Bis ich ja sowieso dann Burn Out hatte.
Ich hab dann aufgehört mit allem erstmal. Ich bin nur noch spazieren gegangen. Manchmal 3 Mal am Tag weil noch ein wenig Druck da war.
Nun geh ich wen ich will und die Zeit dafür da ist. Und ich kann es langsam wieder genießen. Ich spüre immer mehr das der Druck nachlässt. Mittlerweile hab ich keine Unruhe mehr beim Laufen. Ich bin nach dem spazieren entspannt.
Ich hab auch gemerkt das ich mich darüber definieren wollte.
Ich wollte unbewusst Aufmerksamkeit haben die ich auch bekam. Aber zu welchem Preis?
Ich bin sogar nach der Arbeit nach Hause gelaufen auch wenn ich unter Zeitdruck stand und der Druck deswegen riesig war.
Heutzutage würde ich das nicht mehr so machen, das war purere Stress.
Selbst wenn ich darüber schreibe spüre ich den Stress...

Der Körper gibt einem Signale. Wenn man merkt da passt was nicht sollte man genau hinschauen.
Manchmal braucht man erstmal Abstand um dann klar sehen zu können.

Wenn ich beim Sport übertreibe, geht es mir psychisch auch schlechter.

Mir ebenfalls. Allerdings auch erst seit ich körperlich sehr abgebaut habe und eh schon kaum Energie habe. Wenn ich diese dann durch zuviel Sport „verpulver“, ist es bei mir ähnlich wie bei zu wenig Schlaf, wo ich dann auch in richtig depressive Löcher falle. Aber irgendwie ergibt es auch Sinn: wenn man eh psychisch angeknackst ist und dann noch sich körperlich erschöpft durch zu wenig Schlaf/ zu viel Sport, dann wird es dem
Körper zu viel und er reagiert darauf mit schlechter Stimmung.

Ich denke das ist auch immer individuell. Bei manchen Arten Depressionen hilft ja mehr Sport weil der Antrieb fehlt. Wenn man aber eher eine Art Erschöpfungsdepression hat, ist es das Gegenteil. Interessant finde ich auch immer wieder, dass viele Kliniken und Ärzte Depressionen mit
Schlafentzug und Wachtherapie behandeln. Wenn ich lange ohne Schlaf bin, kippt meine Stimmung ins Extreme bis hin zu
Trigger

Suizidgedanken


Vielen Dank für die vielen Antworten und Erfahrungen, die ihr mit mir geteilt habt.
Ich hatte gestern mit einem Freund ein Gespräch genau über dieses Thema. Er befindet sich momentan in einer Depression, da er an seiner Masterarbeit schreibt, nicht weiterkommt und durch den massiven Leistungsdruck, den er sich macht, in ein tiefes Loch gefallen ist. Wir unterhielten uns über Sport, Liebesleben, Studium usw. und mussten feststellen, dass unser Leben daraus besteht, durch Leistung einen Wert darstellen zu müssen. Er ist total verändert, sieht keinen Sinn mehr im Leben und macht sich selbst ständig Vorwürfe, nicht schon längst mit dieser Masterarbeit fertig zu sein.
Ich wurde schon öfter von unterschiedlichsten Menschen gefragt, was mir eigentlich Spaß macht im Leben. Eine Antwort darauf hatte ich noch nie, was schon etwas verstörend ist. Daher fragte ich den Freund ebenfalls, was er gerne im Leben macht. Darauf wusste er, wie ich erwartet hatte, sofort keine Antwort. Nach einer Zeit sagte er, dass er gerne Tennis spiele, dies aber jetzt nicht mehr machen könne, weil er nicht auf dem Level ist, auf dem er früher war.
Diese Leistungsgetriebenheit, die mit Sicherheit bereits in der Kindheit ihren Ursprung hat, verfolgt mich und wahrscheinlich ihn schon unser ganzes Leben.
Heute ging ich Klettern, versuchte, den schwersten Grad in der Halle zu klettern, und musste leider feststellen, sie nicht geschafft zu haben (ich bin auf einem recht hohen Level wenn es um Hallenkletterei geht). Ich habe versucht, bewusst meinen Körper und meine Gedanken wahrzunehmen, und war total überrascht, wie depressiv ich sofort wurde, als ich das nicht schaffte. Ein Kribbeln im Brustbereich, ein totaler Abfall meiner Stimmung, ich wurde sofort richtig müde und leichte Kopfschmerzen machten sich bemerkbar.
Das war heute eine wertvolle Erkenntnis für mich, wie stark mich der Leistungsdruck unter Kontrolle hat. Zu wissen, was die Auslöser sind und woher diese Depression, der Stress und die Antriebslosigkeit kommen, ist etwas sehr Schönes.

Ich glaube, dass mein Problem für euch recht simpel und logisch klingen mag, jedoch bin ich seit fast zwei Jahren auf der Suche danach (und ich würde mich nicht als unreflektierten Menschen bezeichnen). Die überraschenden Antworten, die ich nach meiner kurzen Ausführung von euch bekommen habe, haben mich in meiner Annahme bestärkt und mir die fühlbar ewige, ziellose Suche nach meinem Problem erleichtert. Daher bedanke ich mich bei euch und wünsche euch das Beste für euer Leben!

A


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Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl
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