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Hallo Zusammen
Bräuchte mal eure Hilfe.

Ich habe seit November Entfremdungsgefühle (Depersonalisierung/Derealisierung). Es ist so ein ekelhaftes Gefühl.

Die letzten Monate waren sehr traumatisch. Mein Opa, meine Tante und meine Oma sind innerhalb kürzester Zeit nacheinander gestorben. Mittendrin hat mich mein Partner verlassen mit dem ich 10 Jahre zusammen war. habe nicht nur Ihn verloren sondern auch unser Leben, unser Haus, unsere Katze.

Ich bin seit Januar in Therapie hier in den Niederlanden. Leider nur online da die Wartezeiten hier auch sehr lang sind. Meine Diagnose ist Schwere Depressieve Episode und ich habe auch schon länger mit einer Angststörung zu kämpfen.

Ich nehme auch seit Januar Sertralin. Die Angst und Unruhe wurde dadurch auch besser. Die Entfremdung bleibt. Ich habe einfach eine schreckliche Angst dass das immer so bleibt.

Kennt jemand dieses Gefühl als Symptom einer Depression? Wird es besser? Ich bin so unendlich traurig. Das Entfremdungsgefühl setzt mir am meisten zu.

Ich probieren alles. Akzeptanz. Ignoranz. Meditation. Ablenkung. Spazieren gehen. Sport. Nichts hilft.

Ich kann mit allem Leben nur nicht mit diesem Gefühl. Wenn mir jemand anbieten würde meinen Arm zu amputieren damit das Gefühl weggeht ich würde keine Sekunde zögern.

Vielleicht kann mir hier ja jemand die Angst nehmen.

Viele Grüße

31.03.2023 17:11 • 31.03.2023 x 1 #1


Hallo Sunny,

ich kann Dir versichern, dass es hier Einigen so geht bzw. ging wie Dir. Bei mir fingen die ersten DP/DR-Sequenzen (so nenne ich sie) im Alter von ca. 23 Jahren an. Sie dauerten meistens 20-40 Minuten und danach war ich idR für 1-2 Tage ziemlich aus der Bahn. Je älter ich wurde und umso mehr ich mich um ein stressfreieres Leben bemühte, desto seltener fanden diese Sequenzen statt. Heute habe ich das ca. alle 1-2 Jahre mal, dann aber auch mehrmals hintereinander an einem Tag.

Auch wenn ich genau weiß und nachvollziehe, wie unangenehm, ja unheimlich eine DP ist: Schau Dir die Sache mal genauer an:

Sprichwörtlich Alles, also das gesamte Erleben ist binnen kürzester Zeit total ungewohnt, anders, fremd, un-meins. Das erzeugt schlicht Angst, insbesondere bei Angstpatienten. Ich kann sagen, dass ich nach der ersten DP/DR-Sequenz auch längerfristig ein anderer Mensch war, der etwas erlebt hat, von dem ich wusste, dass es so gut wie niemand aus meiner Umgebung verstehen kann. Dieses Wissen verstärkte logischerweise die Angst vor diesem Zustand.

Durch jahrelange Meditation lernte ich - zumindest halbumfänglich - wie Wahrnehmung und Ich-Bildung überhaupt funktionieren und münzte diese Einsichten irgendwann auch auf das Phänomen DP/DR um. Darum kann ich heute sagen:

Die normale Wahrnehmung und die Wahrnehmung während einer DP/DR-Sequenz sind im Grunde nicht verschieden, sie werden vom Geist lediglich unterschiedlich interpretiert.

Die normale Wahrnehmung hat sich jahrzehntelang in der Erlebenswelt (Ich, mein Körper, die Umwelt, meine Familie etc.) buchstäblich eingerichtet. Die Sinneseindrücke wurden vermeint, zu meiner Welt gemacht. Das erzeugt ein Gefühl (!) von Orientierung, Sicherheit und Kontrolle.

Dieses Gefühl hat aber einen Haken: Es hat, wie alle Gefühle, keine Stabilität, keine unveränderliche Grundlage und Entität. Es ist lediglich Interpretation - und somit, so seltsam sich das anhört, Illusion.

Inzwischen kann man DP/DR relativ gut zuordnen und erklären (wie oben bereits teilweise erfolgt). Es ist eine idR durch neuronalen und/oder körperlichen Stress bedingte Schutzfunktion (oder Kompensationsfunktion) des Geistes. Irgendwas (!) in der normalen Wahrnehmung ist/war so belastend, dass der Geist umgeschaltet hat - in Deinem Fall erstmal längerfristig.

Du kannst Dich - das ist die gute Nachricht - in diesem neuen Erlebenszustand auch ein Stück weit einrichten, wie oben beschrieben. Du wirst evtl. über eine gewisse Zeit etwas Justierungsschwierigkeiten haben, was die Zuordnung von Gefühlen zu Sinneseindrücken angeht. Das ist völlig normal.

Das hat übrigens auch, wenn man die Angst über diesen Zustand mal in den Griff bekommt, einen gewissen Vorteil. Du bist u. U. ausgeglichener als zuvor.

Versuche, mit diesen Einsichten zu arbeiten. Versuche das, was ich Dir hier geschildert habe, selber nachzuvollziehen. Denke, kontempliere, meditiere darüber nach und erkenne, dass es im Grunde nichts gibt, wovor wir uns fürchten müssen. Anders fühlen ist nicht falsch fühlen.

Auch wenn Dein Geist mal wieder zurückschalten sollte, wirst Du die Unzuverlässigkeit dieser alten Wahrnehmung anders interpretieren. Du wirst im Idealfall buchstäblich freier von der Illusion, dass Du und Welt sich so verhalten, wie Du bislang glaubtest.

A


Depression/Entfremdung

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Ich habe das seit 7 Monaten. Ich habe auch schwere Depressionen.
Ausserdem ist bei mir die Angststörung nicht besser geworden.
Sei trotzdem froh dass die Angst besser geworden ist. Das ist doch schon etwas. Es kann leider immer schlimmer sein.
Dieses Gefühl habe ich nicht durchgängig aber größtenteils.

Danke das ist sehr lieb von dir.
Ich hatte vor Jahren schonmal eine lange Episode weiss nur nicht mehr wie lang und ich war ao jung dass ich auch nicht mehr weiss wie es weggegangen ist... Evtl hab ich mich einfach eingerichtet Hatte über die Jahre immer mal sehr kurze Episoden also 20 40 Minuten aber jetzt ist es seit November wirklich kontinuierlich anwesend... Anders fühlen ist nicht falsch fühlen... DANKE!

@Kismet bei mir sind Sie durchgängig seit November Das die Angst weg ist freut mich auch aber ich bin so unendlich sauer dass diese Entfremdung bleibt....

@SunnyZara89 leider gibt es meiner Meinung nach keine Lösung dafür. Sport hilft bestimmt. Versuche ich auch.
Ich habe noch herzstolpern dazu.

Zitat von SunnyZara89:
Hatte über die Jahre immer mal sehr kurze Episoden also 20-40 Minuten aber jetzt ist es seit November wirklich kontinuierlich anwesend...

Viele sagen, man soll sich erden, also z. B. irgendwas im Garten werkeln etc. aber jemand der solche Tipps gibt, hat keine Ahnung. Es fehlt ja gerade dieses gemeint-sein von der Umwelt.
Diese Erlebensweise ist extrem verschieden zu unserer normalen. Und doch ist da etwas, das das mitbekommt und Angst um sich hat.
Mir hat in dunklen Zeiten geholfen, mich selbst zu streicheln, einen Daumen zu halten, zu weinen. Es ist dieses bewusste Aufgeben des Versuchs, wieder der/die Alte zu sein. Dieses Aufgeben sollte nicht als bewusster Verlust praktiziert werden sondern als ein Anerkennen, dass diese (jetzige) Erlebenswelt nur die andere Seite derselben Medaille namens Ich ist.
Frage Dich mal ganz offen: Wo bin ich jenseits dieser beiden Seiten/Welten?

Vielleicht erkennst Du, dass es keine Antwort darauf gibt. Wir selber sind das Versteck.




Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl
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