Hallo NaNaMi,
ich kann sehr gut nachempfinden, wie Du Dich fühlst. Ich bin auch Borderlinerin (nach SKID II schwere Ausprägung) und kenne genau dieses Gefühls-Paradoxon leider nur zu gut...
Ich wollte Die auf jeden Fall schonmal einen lieben Gruß dalassen und Dir schonmal sagen: Kopf hoch, Du bist damit nicht allein und es kann besser werden !
Ich bin jetzt schon sehr lange und auch sehr intensiv in Therapie, ambulant und immer wieder stationär, und so langsam verbessern sich die Dinge etwas. Die grundlegenden Mechanismen sind noch immer da (und werden auch nicht weggehen), aber inzwischen verstehe ich deutlich besser, was bei mir abläuft. Mein Umgang mit diesem Gefühls-Chaos hat sich also langsam verbessert.
Erfahrungen, die man gemacht hat, lassen sich nicht immer eins-zu-eins übertragen, aber ich kann Dir zu ein paar Punkten etwas schreiben und Dir meine Erfahrungen als einen Blickwinkel/ eine Erfahrungswelt beschreiben, vielleicht ist etwas dabei, das Dir weiterhelfen kann. (Wenn ich zwischendurch mal wir schreibe, beziehe ich mich auf eine große Anzahl an Borderline-Erkrankten, so, wie ich es erlebe und bei vielen anderen erlebt habe, durch die stationären Aufenthalte habe inzwischen wirkliche hunderte Borderliner kennengelernt, das heißt aber nicht, dass es eine Verallgemeinerung sein soll, im Einzelfall kann es immer auch anders aussehen).
Zunächst einmal ist es ja bei vielen Borderlinern so, dass (wenn man sich die diagnostischen Kriterien ansieht) das oberste Kriterium die extreme Angst vor dem Verlassenwerden ist. Bei ganz vielen Borderlinern ist diese Angst der Motor für fast alles, auch wenn diese sich durch total unterschiedliche Verhaltensweisen zeigen und äußern kann.
Es ist diese Zerrissenheit zwischen sich-Nähe-sehr-wünschen und gleichzeitig panische-Angst-davor-haben.
Dann kommt hinzu, dass viele Borderliner in ihrer Kindheit und Jugend viele schlechte Beziehungserfahrungen gemacht haben, sich also quasi daran gewöhnt haben, schlecht behandelt zu werden. Dann bildet sich in unserem Gehirn ein Muster dafür aus, wie Beziehungen sind bzw. zu sein haben. Und dann streben wir dummerweise immer wieder danach, dieses Muster zu finden/zu wiederholen, einfach weil es sich richtig anfühlt. Der Mensch mag Vertrautes, selbst wenn es objektiv gesehen schlecht für ihn ist, und hat große Angst vor dem Unbekannten. Das ist ein Grund dafür, warum viele Menschen immer wieder in sehr ähnlichen Beziehungen landen, selbst wenn diese total toxisch sind. Frei nach dem Motto: In diesem Sumpf ist es dreckig und es stinkt fürchterlich, aber hier fühle ich mich sicher, denn hier kenne ich jeden Stock und jeden Stein, hier kenne ich mich aus.
Es fühlt sich darum für uns oftmals falsch an, gut behandelt zu werden, damit haben wir keine Erfahrung und wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen, sind misstrauisch und trauen unbewusst dem Frieden nicht. Irgendwann wird die Verunsicherung mit der Situation zu groß, und dann versuchen wir, durch Provokationen den Partner zu Verhaltensweisen zu bringen, die wir kennen, damit wir uns wieder sicher fühlen können und die Situation wieder einschätzbar und berechenbar wird. Und es liegt leider auch oft im Wesen des Borderliners, den Partner zu testen. Diese Beziehung-Test (im psychologischen Sinn) sind ein ganz typisches Verhalten, wir wollen herausfinden, ob der andere wirklich auch dann noch lieb zu uns ist und bei uns bleibt, wenn wir unser schlechtestes Verhalten zeigen. Es ist ein fast kindliches Austesten, ob die Eltern/ der Partner uns wirklich lieben und bei uns bleiben, auch dann, wenn man unartig ist. Dieses Urvertrauen in Beziehungen, dass man bedingungslos geliebt wird, egal, wie man sich verhält, haben viele Borderliner nie kennengelernt bzw. ausbilden können und bleiben dadurch ihr Leben lang misstrauisch.
Und nicht zuletzt ist es eine Art von Kommunikation. Borderline ist ja im Kern 1) eine Emotionsregulationsstörung und 2) eine Interaktionsstörung. Sprich: Viele Borderliner sind einfach nicht in der Lage, verständlich zu kommunizieren. Ganz viele Verhaltensweisen, die auf der Oberfläche merkwürdig, manipulativ oder einfach ungünstig wirken, sind im Prinzip nichts anderes fehlgeleitete Kommunikationsversuche. Eigentlich möchten wir sagen Ich habe Angst, die Situation verunsichert mich, ich weiß nicht, ob ich Dir vertrauen kann, aber diese Worte stehen nicht zur Verfügung, stattdessen handeln wir oft auf schwer nachvollziehbare Art und Weise, um das Gegenüber zu einer Reaktion zu bringen oder, auf schräge Art und Weise, um Hilfe zu bitten. Es ist die klassische Situation, in der z.B. SVV oft als manipulatives Verhalten missverstanden wird. Derjenige, der die Erkrankung nicht kennt, fühlt sich vom Borderliner manipuliert, zur Fürsorge für denjenigen gezwungen, es sieht wie ein Schrei nach Aufmerksamkeit aus, dabei ist es oftmals einfach nur eine wortlose und hilflose Art zu sagen: Mir geht es gerade nicht gut, ich bekomme meine heftigen Gefühle gerade nicht in den Griff, ich brauche Hilfe.
Die Anziehungskraft zwischen Borderline und Narzissmus ist leider wirklich ein interessantes Phänomen, das immer wieder anzutreffen ist. Diese beiden Krankheitsbilder ziehen sich an wie Magnete, es ist wirklich total krass. Auch gerade in Kliniken, die diese Krankheitsbilder behandeln, ist das immer wieder spannend zu beobachten. Die Erkrankungen erfüllen irgendwie auf eine ganz besondere Art und Weise gegenseitig ihre Bedürfnisse, oftmals leider auf eine sehr zerstörerische Art und Weise. Es ist also alles andere als ungewöhnlich, dass Dir das früher immer passiert ist, aber es ist gut, dass Du die Warnzeichen inzwischen besser erkennen kannst, denn aus solchen Beziehungen entsteht nur sehr selten etwas Gutes.
Für Deine Beziehung würde ich Dir wünschen, dass sie bestehen bleibt. Bei mir ist es auch so, dass ich immer wieder in schwere Beziehungskrisen mit meinem Partner gerate, aber bislang haben wir uns immer wieder da durchgekämpft und die Beziehung konnte dadurch wachsen. Deine Partnerin scheint Dich aufrichtig zu lieben, sie steht zu Dir, Du liebst sie auch, jetzt muss Du nur noch lernen, die fehlende Achterbahn einer sicheren Beziehung aushalten zu können, Dich an die ruhigen See einer sicher Beziehung zu gewöhnen (und ruhige See setzte ich mal in Anführungszeichen, denn in einer Borderline-Beziehung werden die Wellen immer mal hochschlagen). Sie kann Dein Fels in der Brandung sein, wenn Du es zulässt.
Ich persönlich halte es für sehr wichtig, dass Du weiter in Therapie bleibst. Diese emotionale-instabilen Verhaltensweisen werden nicht verschwinden. Du kannst aber lernen, einen funktionalen Umgang mit diesen zu finden. Aber dafür braucht es ein professionelles Gegenüber, mit dem Du trainieren kannst. Du wirst vermutlich nicht verhindern können, dass dysfunktionale Reaktionen immer wieder hochschießen, aber es ist sehr viel besser, diese in einer therapeutischen Beziehung zu bearbeiten, mir einer professionelle Hilfe, die Dich dabei unterstützt, zu lernen, den inneren Druck zu regulieren.
Es hört kein Borderliner gerne, aber bei vielen von uns ist es ja nunmal leider so, dass wir in unserer Kindheit und Jugend bestimmte Mechanismen der Emotionsregulationen einfach nicht gelernt haben. Wir hätten es von unseren Eltern lernen müssen, das haben wir aber nicht. Wir werden nicht mit dieser Fähigkeit geboren, wir müssen sie erlernen. Als Baby, Kleinkind, Kind,.. regulieren unsere Eltern unsere Emotionen, helfen uns dabei, wir können es in diesem Alter nicht allein. Wir brauchen dafür Hilfe, die Co-Regulation eines anderen Menschen. Bei vielen Borderlinern ist das auch im Erwachsenenalter noch immer so, wir müssen es mühsam nach-lernen. Es ist fast wie eine emotionale Entwicklungsverzögerung. Da kommt die Therapie ins Spiel. Mit einem Therapeuten kann man das Stück für Stück nachlernen, ähnlich wie mit einem Elternteil. Ich persönlich denke, dass man um dieses Erlernen nicht drumherum kommt, man muss es lernen, aber dafür sollte nicht der Partner herhalten müssen, denn das führt oft dazu, dass Beziehungen zwischen Borderlinern und nicht-Borderlinern zerbrechen. Ein Partner ist ein Partner und sollte nicht in die Situation gebracht werden, mit einem Partner plötzlich wie mit einem verzweifelten Kind oder renitenten Jugendlichen umgehen zu müssen, das belastet die Beziehung zu stark. Oder ständigen Beziehungstests ausgesetzt zu sein.
Der Therapeut kann diese Funktion professionell ausfüllen, kann helfen, notwendige Entwicklungsschritte nachzuholen. Und wir Patienten brauchen den geschützten Rahmen, um unaushaltbare Gefühle auch mal rauslassen zu können. Ein Therapeut kann damit umgehen, wenn ein Patient plötzlich wie ein völlig überfordertes Kind weinend oder wütend vor ihm zusammenbricht oder wie ein trotzig oppositioneller Teenager handelt, ein Partner ist damit schnell überfordert.
Es ist so, wie @cube_melon es auch geschrieben hat: Wenn Du an Dir arbeitest, arbeitest Du im Endeffekt auch an Deiner Beziehung und unterstützt damit Deine Partnerin.
Mit der Zeit lernt man, seine Gefühle besser navigieren zu können, aber es dauert eine sehr lange Zeit, die Emotionsregulation nachzulernen. Aber es ist möglich! Nur braucht es dafür konstantes Training, fast wie beim Sport. Man trainiert diese Fähigkeiten wie Muskeln, aber als Borderliner muss man ständig im Training bleiben, sonst verkümmern diese Fähigkeiten wieder. Das ist bei Menschen, die das in ihrer Kindheit erlernt haben, anders, die benötigen ein solches Training oftmals nicht, die haben diese Fähigkeiten nachhaltig erlernt.
Das Gute ist: Wir können es lernen. Es erfordert Akzeptanz, harte Arbeit und Geduld, aber ein Borderliner, der konstant an sich arbeitet, kann über die Zeit sehr wohl gut beziehungsfähig werden, auch in gesunden Beziehungen bestehen, ohne den Partner zu überfordern und ohne in diese emotionale Leere zu fallen, die sich oftmals einstellt, wenn die gewohnte Beziehungs-Achterbahn fehlt. Unsere eigene Gefühlswelt wird uns eh ein Leben lang als eine innere Achterbahn begleiten, wir können aber lernen, diese nicht auch noch im Außen zu suchen, aus einem dysfunktionalen Impuls heraus, unsere innere Zerrissenheit auch im Außen repräsentiert finden zu müssen.
Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute !
LG Silver
16.08.2021 18:46 •
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