Zur IST-Situation:
Ich lebe mit dem Vater meiner beiden Kinder in einer Art familien-WG, wir habe uns vor etwa 2 Jahren getrennt, sind aber gute Freunde, und es klappt prima.
Seit früher Kindeheit habe ich Depressionen, etwas später kam eine sich langsam generalisierende Angst- und Panikstörung dazu, panische Krankheitsangst bzw Hypochondrie, und durch HSP nehme ich alles extrem übersteigert wahr. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich ein Kind war, die Lösung war suboptimal, ich wurde streng nach Vereinbarung zwischen Vater und Mutter hin- und hergereicht, gerade in den langen Sommerferien gab es dann keinen Kontakt zum anderen Elternteil, was mir jedesmal das Herz gebrochen hat. Ich habe öfters versucht, das anzusprechen, auch, dass ich nicht mit meinem vater Flugreisen machen möchte, weil ich Angst hatte, abzustürzen und nie weieder meine Mutter zu sehen - das wurde ignoriert, ebenso wie viele andere Bedürfnisse. Unterschwellig wurde mir vermittelt, dass ich mit meinem Verhalten für das Wohlbefinden der Familie verantwortlich sei, so quasi wenn du so (bockig, eigensinnig, widerspenstig. ) bist,sind alle traurig und mögen dich nicht mehr. Ich hab irgendwann aufgegeben, meine Wnsche oder Bedürfnisse zu artikulieren, mich in mich selbst zurückgezogen und später dann einfach verweigert, hab mich geritzt, zu viel getrunken usw.
Mein Stiefvater war zudem ein extrem dominanter Typ, der sehr auf sein Ego fokussiert war, herumpolterte, sehr schnell mit einer oberflächlichen, lauten Meinung zur Stelle war, oft auch widersprüchlich, mit zweierlei Maß gemessen hat und bei Widerspruch sehr abwertend und persönlich reagiert hat.
15 Jahre lang In der Therapie habe ich lange daran gearbeitet, Selbstwert aufzubauen und die Kraft zu finden, für meine meinung einzustehen, nein zu sagen, Grenzen zu ziehen und dafür einzutreten, was mir gut tut, und arbeite heute noch daran.
Die Beziehung zum Vater meiner Kinder ist nach 16 Jahren gescheitert, wenn man so sagen will, weill er ein extrem lethargischer und passiver Typ ist, der nichts von sich aus macht, sagt oder tut. Seine ruhige Art ist zwar angenehm, hat mir auch Stabilität suggeriert, aber im Grund ist man neben ihm alleinverantwortlich für alles, egal, ist hier nicht wichtig.
Nun hab ich vor 2 Jahren meinen derzeitigen Freund kennengelernt, so ziemlich das Gegenteil: Er ist zupackend, präsent, aufmerksam, handelt pro-aktiv und liebevoll. Wir lachen viel zusammen, es ist schön mit ihm. Wir haben eine Wochenendbeziehung, alle 2 Wochen fahre ich übers We zu ihm. Er hatte selber auch kein leichtes Leben, 26 Jahre Ehe, in der sie nur gestritten haben, aber durch die exorbitanten Schulden, die sich durch die schwere Krankheit meines Stiefsohns angehäuft haben, aneinandergekettet.
So, und nun zum Problem: Wir sind sehr unterschiedlich. Das finde ich grundsätzlich toll, denn ich liebe es, andere Leben, andere Welten kennenzulernen usw. und gewisse Reibungspunkte ja auch die Spannung aufrechterhalten. Auch muss man ja nicht in 100% Übereinstimmung leben.
Das Schwierige aber ist die Gesprächskultur.
Ich bin eher ruhiger, artikuliere meine Meinung eher analytisch, leite sie her, und will auch Dingen auf den Grund gehen, lese da oft nach, bin auch engagiert in Sachen Umweltschutz und Soziales.
Er ist auch hier das Gegenteil, regt sich schnell auf, und verfällt dann in so eine Art Stammtisch-Geschimpfe, das in meinen Augen oft sehr oberflächlich ist, so eine Art reflexhafte Ablehnung. Zum Beispiel Thema Flächenversiegelung: In Ö sollte eine Autobahn quer durch ein Naturschutzgebiet gebaut werden, ich hatte mich da in der Protestbewegung engagiert, und als den Protesten stattgegeben wurde, und ich ihm freudig davon erzählt hab, kam bloß zurück super, Steuergeld verschwendet, das wird sowieso nicht halten, vertrauensvolles handeln der zuständigen Politikerin schaut anders aus. Als ich ihm meinen Standpunkt auseinandersetzen wollte, warum ich den Entschluss und die Protestbewegung für den Artenschutz in diesem Gebiet gut finde, kam nur massive Ablehung, ihn nerve das, keinen Bock auf sowas, und dann hat er 5 Tage (bis gestern) geghostet.
Sein Grundsatz ist, Meinung ist Meinung, die muss nicht rational oder informativ belegbar sein, und er poltere eben manchmal herum, das sei eben er. Und, damit ist er erst später, oft triggere ich die Ex-Frau in ihm bzw das ruft Erinnerungen an frühere Streitigkeiten hervor. Er würde sich wünschen, dass ich das einfach so stehen lasse, wenn er unreflktiert über etwas schimpfe. Ich würde solche unterschiedlichen Standpunkte gern sachlich durchdiskutieren, aber das kann ich nicht, wenn das gegenüber die Lautstärke hochfährt und mir entweder vorwirft, ich hätte eine zu dünne Haut, würde alles zu kompliziert, zu wissenschaftlich sehen.
Und genau das triggert so massiv Vater und Stiefvater in mir und ruft diese hilflose Ohnmacht hoch. Ich will nicht so sein wie meine Mutter, die, stets auf Harmonie bedacht, sagte, lass ihn reden, schlucks runter, der Klügere gibt nach. Das fühlt sich für mich an, als würde ich alles verraten, was ich in der therapie so mühsam gelernt habe.
Wir haben gestern beide gemeint, auch wenn es sehr weh tut, wäre eine Trennung besser. Doch es fühlt sich nicht besser an, ganz und gar nicht, und wir haben uns dann in einem längeren gespräch entschieden, es nochmal zu versuchen.
Doch heute geht es mir derart dreckig, Angst, Panik, Weindrang, mein Kopf spielt alle Stücke und ich muss mich massivst zusammenreißen, um nicht vor meiner Tochter, die im Homeschooling ist, zusammenzubrechen.
Ich will ihn nicht verlieren, und er mich nicht, aber ich will mich auch nicht verlieren. Versteht ihr, was ich meine. ?
06.12.2021 11:54 • • 16.12.2021 x 1 #1