Danke, Holger, für die ebenso ausführliche Antwort. Möchte noch kurz (haha... ) darauf eingehen.
Zitat von Holger-: Eine Beziehung ist ja immer auch ein Kreislauf wechselseitiger Erwartungen, und je weniger man eine bestimmte Erwartung/ einen Wunsch nicht erfüllt kriegt, umso mehr klammert man sich an genau diesen Wunsch.
Aber
muss das so sein? Wäre es nicht befreiend, diese Erwartung/diesen Wunsch abzuschwächen bzw. auflösen zu können?
Zitat von Holger-: Auf der anderen Seite versuche ich auch immer, nicht alles zu psychologisieren. Deshalb ein paar ganz banale, naive Fragen dazu. Wo sonst kann ein Mensch sein grundlegendes Bedürfnis nach körperlicher Nähe stillen als in seiner Partnerschaft?
Ja, ich halte auch wenig davon, Instinkt gegen Ratio aufzuwiegen oder gar gegeneinander auszuspielen.
Ich kann wohl nur für mich sprechen, aber
mein Bedürfnis nach körperlicher Nähe war schon seit jeher moderat bis sehr gering. Alles über´s Händchenhalten hinausgehende vermisse ich schlicht nicht. Von daher bin ich, was dieses menschliche Grundbedürfnis angeht, eindeutig ein ebenso banaler Gegenentwurf der Natur . Das bedeutet natürlich nicht, dass ich es in irgendeiner Art verurteile.
Allerdings stelle ich nüchtern fest, dass es sich aus meiner Veranlagung heraus bzgl. körperlicher Nähe gewissermaßen leichter lebt. Im Gegenzug stoße ich folgerichtig auf Probleme, wenn dauerhafte körperliche Nähe unumgehbar wird (z. B. in beengten Lebenssituationen/Wohnverhältnissen. Das ist z. B. etwas, woran ich regelmäßig aktiv arbeite.
Zitat von Holger-: Ist es nicht ganz selbstverständlich, dass ein Abflauen des Bedürfnisses nach Nähe auf nur einer Seite der Partnerschaft bei der anderen zu Mangelerfahrung und Leid führt?
Doch, das finde ich nachvollziehbar.
Zitat von Holger-: Ist Askese in diesem Fall eine Lösung oder eine Prävention aus Erwartungsängsten heraus? Bin ich durch asketische Übungen wirklich weniger bedürftig oder täusche ich mich damit über wichtige elementare Grundanliegen hinweg?
Zwar habe ich explizit
nicht für
Askese plädiert, obwohl sie mir bei manchen Charakteren als durchaus angemessen und heilsam erscheint (ich bin z. B. streckenweise solch ein Typ, gerade
weil ich ein ziemlich sinnlicher Mensch bin - allerdings vorwiegend in Sachen Geschmacks-/Hörsinn und Gedanken).
Ich selber habe diesbezüglich zwei Vorgehensweisen: a) Geistiges Ergründen durch Kontemplation (siehe auch mein Kontemplations-Thread) und b) Übung in Enthaltsamkeit. Je nach Thema/Lebensaspekt versuche ich eine dafür passende Gewichtung dieser beiden Wege zu finden. Das ist nicht immer einfach, aber im Laufe der Zeit lerne ich hier meine Strukturen immer besser kennen und handle / denke / fühle irgendwann nahezu automatisch entsprechend. Mein Maßstab für die Trefflichkeit meiner Entwicklung ist dabei
immer die
Leidminderung und nicht die Freudmaximierung. Simpler ausgedrückt: wenn es weniger weh tut, bin ich auf dem richtigen Weg.
Es muss nicht zwingend gut tun (!).Ich strebe also nicht das Gegenteil von Leid an sondern dessen Abschwächung bzw. Auflösung. Allein dieser Ansatz ist in meinem Fall für sich bereits sehr heilsam.
Zitat von Holger-: Verstehe mich bitte nicht falsch. Ich arbeite auch daran und übe mich darin, die Situation zu akzeptieren, aber wenn ich ehrlich zu mir bin, würde ich mir definitiv die altvertraute Nähe zwischen uns wünschen. Allerdings gehören dazu natürlich zwei!
Es würde mich sehr interessieren, ob Du schon mal von Deiner Frau konkret erklärt bekommen hast, wie
sie selbst mit ihrer diesbezüglichen Bedürfnislosigkeit leben würde, wenn sie gleichzeitig wüsste, dass
Du gut damit klarkommst.
Aus meinen Suchttherapien habe ich eine ganz entscheidende Einsicht mitgenommen, die ich inzwischen geradezu induktiv anwende: ich sehe im
Nicht-Brauchen viele ganz konkret erlebbare Vorteile statt lediglich die Abstinenz von einem Suchtmittel bzw. einer anderweitigen Kompensationshandlung. Ich sehe vieles buchstäblich aus anderen Augen, fühle mich mit der Umwelt stärker eins und mag die Menschen insgesamt sehr viel mehr als früher.
Zitat von Holger-: Ergo: Bedürfnisse nach Nähe, nach Kuscheln, nach Zweisamkeit sind früh gelernt und ein Leben lang normal, solange sie uns etwas geben. Ich für meinen Teil möchte gerne darauf achten, nicht zu hohe oder falsche Erwartungen darein zu setzen, aber schön bleiben sie trotzdem.
Und am schönsten sind sie, wenn eben keine (große) Erwartungshaltung dahinter steht. Stell Dir aber hingegen mal probehalber vor, wie es für Euch wäre, wenn
beide diese Nähe/Kuschelei etc.
nicht bräuchten. Wo wäre der Unterschied zu der Zeit, also Ihr beide sie noch brauchtet und Euch gegenseitig gern gabt?
Heutzutage wird in der Öffentlichkeit körperliche Distanz in einer Beziehung weitestgehend negativ bewertet. Das berühmte Kuschelhormon wird zum Allroundrezept gegen Burnout, Ängste, Depression etc. hochgelobt. Ich finde das absolut zu kurz gedacht und viel zu verallgemeinernd. Außerdem wird damit z. T. enormer Druck auf Menschen ausgeübt, die eben nicht diese Nähe brauchen, ja sogar eine gewisse Distanz
wünschen.