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Vorsicht: Triggerwarnung!

Liebe Forenmitglieder,

ich bin momentan immer wieder so verzweifelt, weil mein Trauma so oft hochkommt. Ich stamme aus einer narzisstisch geprägten Familie mit einem gewaltbereiten Vater und einer vermutl. co-narzisstischen Mutter, die nicht zu echter tiefer Liebe in der Lage zu sein scheint. Meine Geschwister sind auch in ihrem familiär bedingten Muster gefangen, wobei ich in der Sündenbockrolle war, geschlagen/verprügelt und angefeindet, ja psychisch manipuliert wurde. Leider war auch sexuelle Manipulation/Übergriffigkeit durch meinen Vater im Spiel, aber an Berühren primärer Geschlechtsteile oder so kann ich mich nicht erinnern. Ich gehe daher aktuell davon aus, dass das nie passiert ist.

An vieles konnte ich mich extrem lange nicht erinnern oder es nicht einordnen bzw. konnte ich meine Vergangenheit bis vor kurzem nicht sinnvoll zusammenfügen und deuten. Im jungen Erwachsenenalter hatte ich eine mehrjährige Depression (Beginn mit 14? und Ende so mit 24), ich denke auch eine Angststörung (zumindest ein paar wenige Panikattacken) und als Kind wohl eine soziale Phobie, die später dann auch in Zusammenhang mit der Angststörung stand, als Jugendliche wollte ich durch Nichtessen verschwinden, also wohl auch eine Form der Magersucht, und um die Kontrolle über mich zurückzugewinnen. Alles in allem kam nie eine ärztliche Diagnose - es handelt sich vielleicht also auch nur um Tendenzen. Meine Eltern waren - das ist mir erst kürzlich noch einmal bewusst geworden - vermutlich auch häufiger mal daran beteiligt, mir Dinge (wirklich besondere Hobbys und Tiere) wegzunehmen, gerne auch plötzlich, die ich wirklich innig geliebt habe.

Vor ein paar Jahren - ich bin Mitte 30 - hat sich wohl eine Art Dissoziation gelöst, jedenfalls hat es sich so angefühlt. Mein Trauma kam in kleinen, verdaulichen Dosen wieder hoch, sodass ich in der Verarbeitung ein großes Stück vorankam. Als plötzlich Gefühle aller Art in Verbindung mit kurzen Szenen aus meiner Kindheit in mir hochkamen, die ich gar nicht mehr kannte. (auch so kindliche, ganz schöne) muss sich da irgendwas aufgelöst haben, denn seither fühle ich mich meinen Mitmenschen um so viel näher. Früher fühlte ich mich immer irgendwie anders, falsch, aber irgendwie ist das seither weg und ich kann mich plötzlich richtig verlieben und gute Freunde finden und mit ihnen eine Verbindung eingehen. Das konnte ich vorher nicht so steuern. Glaub ich, obwohl ich viele alte Freunde habe. Ich hab das auch noch nicht so ganz verstanden.

Ich bin in meinem Leben wahrscheinlich schon oft retraumatisiert worden und habe auch schon viele schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht. Aber auch viele gute.

Nun zu meinem Problem: Ich dachte eigentlich, ich wäre einigermaßen stabil. Seit kurzem bahnt sich ein Kennenlernen mit jemandem an, der bisher wirklich gut zu mir ist. Ich habe zum Einen stets die Sorge, dass das nicht echt ist und ich nur wieder den blinden Fleck habe, um nicht zu erkennen, dass er mich manipuliert und es später auf ne toxische Beziehung hinauslaufen wird, deren Anbahanung ich dann wieder etwas später wahrnehme und dann abrupt alles wieder abbrechen muss.

Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass er sich einfach nur echt bemüht und ehrlich interessiert ist. Altersmäßig passt es leider so gar nicht. Aber ich mit meiner Biografie. Es fällt mir ohnehin so schwer, eine Beziehung einzugehen.

Ich weiß einfach nicht, was es ist, dass mir sein ernstes (und vor allem beständiges) Interesse an meiner Person so ne Angst macht und mein Trauma so blöd hochholt. Vielleicht ist es so, dass mich die Beständigkeit dabei so sehr verunsichert, da ich das gar nicht kenne. Bisher kenne ich nur Beziehungen (Familie, Partner - allerdings hatte ich sehr wenige Partner, weils mir sicherer erscheint), die quasi am seidenen Faden hängen.

Wie soll man damit umgehen? Ich habe Sorge, dass ich völlig widersprüchlich handeln könnte aus Panik oder plötzlich auf eine besonders harte Weise eine Grenze setzen könnte, die nicht nachvollziehbar ist. Auch ist es verunsichernd, dass mein Unterbewusstsein sich hier möglicherweise stark verselbstständigen könnte und eigentlich nen Therapeuten sucht oder eine Art Vaterersatz. Einen echten Vater - so hart es nämlich klingt - habe ich nicht, da ich mich auf meinen Vater nie verlassen konnte und bis heute nicht kann. Im Gegenteil ist es eher so, dass mein Vater wie das Kind ist und ständig Aufmerksamkeit braucht und wenn es einem schlecht geht, sehr abwertend wird und die Familie gegen einen manipuliert, stichelt usw. und es dann gerne so weit eskalieren ließ in meiner Vergangenheit, dass man dann nach einigen Tagen spürbaren Druckaufbau verprügelt und anschließend dafür beschuldigt wurde. Die Wolken haben sich also immer schon ein paar Tage lang über einem zusammengezogen. Manchmal konnte ich dann so gut untertauchen, dass seine Wut wieder verflog, aber selbst so etwas war nie sicher. Meine Mutter ist nur vordergründig empathisch - so leid es mir tut, das sagen zu müssen. Aber ich denke nicht, dass ich gelernt habe, wie sich bedingungslose tiefe mütterliche Empathie anfühlt. Genauso wenig weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn der eigene Vater einen bedingungslos gegen alles beschützt und verlässlich da ist. Randvermerk: Ich lebe natürlich seit sehr langem nicht mehr dort, habe aber eben den Kontakt nie ganz abgebrochen. Seit einigerZeit ist die Beziehung besser, ich glaube, meine Eltern erhoffen sich, dass ich sie in ein paar Jahren pflege. Jedenfalls denke ich nicht, dass ich die aktuelle Zuwendung für umsonst bekomme, da wird vermutlich Berechnung dahinter sein (die Beziehung ist aktuell nicht so unglaublich warmherzig, aber eben verhältnismäßig friedlich und verständnisvoll, solange man nicht widerspricht; das kenne ich eben auch ganz anders).

Zu dieser Beziehungsanbahnung zurück: Stark verunsichert mich auch die Tatsache, dass es mich so triggert. Eigentlich funktioniere ich im Alltag nämlich ziemlich gut. Aber die Begegnung mit diesem Mann in genau dieser Konstellation usw. haut mich komplett raus.

Naja, vielleicht habt ihr ja den ein oder anderen Tipp für mich. ?

13.09.2022 23:07 • 16.09.2022 x 3 #1


7 Antworten ↓


Willkommen @Tagtraum,

Zitat von Tagtraum:
...seither fühle ich mich meinen Mitmenschen um so viel näher. Früher fühlte ich mich immer irgendwie anders, falsch, aber irgendwie ist das seither weg und ich kann mich plötzlich richtig verlieben und gute Freunde finden und mit ihnen eine Verbindung eingehen.

Schön!

Zitat von Tagtraum:
Es fällt mir ohnehin so schwer, eine Beziehung einzugehen.

Das ist im Rückblick nicht verwunderlich.

Zitat von Tagtraum:
Ich weiß einfach nicht, was es ist, dass mir sein ernstes (und vor allem beständiges) Interesse an meiner Person so ne Angst macht und mein Trauma so blöd hochholt. Vielleicht ist es so, dass mich die Beständigkeit dabei so sehr verunsichert, da ich das gar nicht kenne.

Gut analysiert!

Zitat von Tagtraum:
Auch ist es verunsichernd, dass mein Unterbewusstsein sich hier möglicherweise stark verselbstständigen könnte und eigentlich nen Therapeuten sucht oder eine Art Vaterersatz.

Durchaus möglich.

Zitat von Tagtraum:
Seit einigerZeit ist die Beziehung besser, ich glaube, meine Eltern erhoffen sich, dass ich sie in ein paar Jahren pflege. Jedenfalls denke ich nicht, dass ich die aktuelle Zuwendung für umsonst bekomme, da wird vermutlich Berechnung dahinter sein...

Ja, wäre sehr verwunderlich, wenn es anders wäre.

Zitat von Tagtraum:
Zu dieser Beziehungsanbahnung zurück: Stark verunsichert mich auch die Tatsache, dass es mich so triggert. Eigentlich funktioniere ich im Alltag nämlich ziemlich gut. Aber die Begegnung mit diesem Mann in genau dieser Konstellation usw. haut mich komplett raus.

Über diese Konstellation habe ich ehrlich gesagt (außer dem vermeintlich deutlichen Altersunterschied) bisher nicht viel rauslesen können. Vielleicht magst Du es noch konkretisieren oder drüber nachdenken, ob die Konstellation auch wirklich so genau ist.

Du liest Dich bemerkenswert analytisch und man merkt, dass Du schon länger aktiv an Dir arbeitest. Außerdem war diese Arbeit offenbar ziemlich erfolgreich - gratuliere! Du hast einen Blick für Verhältnismäßigkeit, für das Für und Wider, für die Fallstricke aber auch zarten Chancen, die das Leben bereit hält. Du wägst ab, in jeder Hinsicht - das ist etwas, was mir persönlich prinzipiell sympathisch ist und, wie ich im Laufe meines Lebens herausgefunden habe, auch meinem Naturell entspricht.

Aber: Irgendwann muss man lernen, Situation zu erkennen, die eine gewisse intelligente Unschuld erfordern. Unschuld im Sinne von nicht-analysierend, nicht-hinterfragend, nicht-beurteilend. Intelligent insofern, dass das entscheidende Wissen aus dem Bauch kommt.

Natürlich triggert ein deutlich älterer Mann unsere Vater-Kind-Vita, natürlich vergleicht man sich mit der Mutter als potenziell zukünftige Co-Narzisstin usw. Doch nicht jede Vergangenheit spiegelt man automatisch in das gegenwärtige Erleben - vor allem nicht, wenn man sich, wie Du, sozusagen therapeutisch beschäftigt.

Deshalb würde ich die Trigger lediglich als das ansehen, was sie sind: Nachwehen, Flashbacks, vernarbtes (!) Gewebe, ein Nachhall von Erlebtem (jedoch weitgehend Verarbeitetem!).

Ein Grund, weshalb Du hier verständlicherweise (noch) zögerst, mag eine (nun) neu erlebte Aussicht auf Verantwortung sein - die Verantwortung für ein (nun) erfreulicheres, freieres und vor allem selbstbestimmteres Leben. Verantwortung für sich und sein Leben übernimmt man vor allem dadurch, dass es keine Antwort auf die Vergangenheit sein sollte.

Selbstbestimmt steht für selbst stimmen, richtig sein - aber auch für die eigene Stimme. Jedes Wort kann neu gesprochen werden, jeder Gedanke neu gedacht, jedes Gefühl neu gefühlt - durch Dich.

A


Kennenlernprozess als Triggerflut?

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Liebe Dunkelbunte,

vielen lieben Dank für deine Antwort und deine Rückmeldung zu meinem Beitrag! Ich habe den Eindruck, du versuchst, mir damit auch ein Stück Orientierung zu geben und das ist toll, danke. Es stimmt, dass die kleinen Chancen auf einen Lichtblick immer wichtig waren, manchmal sind sie wahrscheinlich sogar der echte Ausweg...
Du hast gefragt, was diese Konstellation mit dem Mann ist. Nun, wie du schreibst, ist er deutlich älter und könnte rein alterstechnisch mein Vater sein... Das alleine triggert wie du schreibst vermutlich sehr. Ansonsten ist da kaum etwas, das an die Konstellation aus meiner Kindheit erinnert. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht und das Hobby ist in etwa vergleichbar mit dem innig geliebten aus meiner Kindheit, dem ich irgendwie nachtrauere (das ich aber in einer selbstwertschonenderen Form inzwischen wieder aufgenommen habe). Ansonsten erinnern mich Eigenschaften, die er hat, an mich selbst. Er scheint sensibel zu sein, mutig genug, seine Gefühle beizeiten vor den eigenen Stolz zu stellen und die Gefühle wichtiger zu nehmen, wirkt aber auch ein bisschen verletzlich. Aber vermutlich ist er insgesamt viel stabiler als ich, und vermutlich auch selbstbewusster. Aber das hat vermutlich auch mit seinem Alter zu tun.

Ich glaube, ich war öfter mal in Traumabond-Beziehungen, nachdem ich aus meiner Familie geflüchtet bin (durch Aufnahme meines Studiums hab ich das größtenteils geschafft, musste aber phasenweise wegen eines guten Jobs im Heimatort bei meinen Eltern wohnen für mehrere Wochen, was manchmal oder oft? (Ich habe das vergessen) die Hölle war. So habe ich Freundschaften und auch eine partnerschaftliche Beziehung geführt, in denen zwar keine körperliche Gewalt vorkam, ich aber durchaus auf eine Weise demütigend abwertend behandelt wurde. Damals mein riesengroßer blinder Fleck... Ich habe darunter sehr gelitten und weiß jetzt erst, dass mich die Angst vor der aufziehenden Gewitterwolke (vermutlich aus meiner Kindheit) häufig erst recht in solchen schlechten Verhältnissen hat ausharren lassen, auch beruflich usw. Das hat vermutlich zu Reviktimisierung und Retraumatisierung geführt. Und zu unglaublicher Hoffnungslosigkeit - ich habe immer irgendwie gewusst, dass das in meiner Familie eigentlich nicht richtig läuft und ich kann mich auch erinnern, meinen Vater angeschrien zu haben, dass man das nicht dürfe - ich weiß allerdings nicht mehr genau, was ich damals mit das gemeint habe. Vermutlich die Schläge oder das spaßhafte Anfassen der Brüste (bzw. Festhalten an diesen) als Mädchen. Ich glaube, ein Teil von mir hat immer geglaubt, dass die Welt draußen/außerhalb meiner Familie dann ja besser sei und diese Reviktimisierungen haben mich bitter enttäuscht und extrem hoffnungslos gemacht. Vermutlich hat das meine depressiven Tendenzen oder eine bereits entstandene Depression aus der Jugend später nur noch verstärkt. Aber nun ja. Ich hab's ja überlebt.

Ich habe es nur so satt, dass Menschen, die selbst Probleme haben, sich so gerne an mich als Opfer klammern. Inzwischen habe ich meine Traumabindung durchschaut und ich denke auch abgelegt. Ich bin jedenfalls deutlich selbstbestimmter unterwegs (vom Gefühl her hat sich der Bann, der über meiner Wahrnehmung lag, gelöst und ich bin viel freier geworden). Ich durchschaue und erkenne, wenn mich jemand mit lovebombing an sich binden will und dann durch kleine oder stärkere Kränkungen gefügig machen will und durch Bestrafung und Belohnung quasi dressieren will. Ich distanziere mich von solchen Menschen dann, weil ich das sicher nicht schon wieder verdient habe. Aber gerade diese Leute klammern sich wir Kletten an mich.

Im Moment ist da wieder eine Person, die ich einfach nicht losbekomme... Und ich kann es nicht direkt sagen, weil man auch im beruflichen Kontext miteinander klarkommen muss. Nur warum immer ich? Ich muss diese Opferrolle schon ziemlich deutlich ausstrahlen... Vermutlich strahle ich aber auch aus, dass ich eben nicht die stolze, erfolgreiche Tochter von irgendwelchen starken Eltern bin oder so - irgendwie strahlen manche Menschen das ja bis in ihr spätes Erwachsenenalter aus. Ich bin eher die von ihren Eltern zutiefst enttäuschte Tochter, die Erfolge nur noch als Tatsachen verbuchen möchte. Ich strahle nicht auf die Weise wie andere.

Jetzt bin ich etwas abgedriftet. Es hilft mir sehr das rauszuschreiben... Vor allem auch, weil es in solchen disfunktionalen Familien eben nicht gesagt werden darf, was da passiert.... Und man ja auch gute Erinnerungen hat - und keine Ahnung davon hat, was echte, bedingungslose elterliche Liebe bedeutet.

@Dunkelbunte: Du schreibst Verantwortung für sich und sein Leben übernimmt man vor allem dadurch, dass es keine Antwort auf die Vergangenheit sein sollte. Wie meinst du das?

Du schreibst auch, dass man sich auf Neues ganz unreflektiert einlassen können sollte. Aber genau das kann ich nicht. Das (Über)Analysieren hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Und ich habe gelernt, dass die Welt eben nicht so harmlos ist, sondern an jeder Ecke wirklich fiese Menschen lauern. Wie kann ich da das Analsyieren bleiben lassen? Ich bemühe mich schon um Natürlichkeit in meiner Art zu sein (Körpersprache, Verhalten usw.), aber was in meinem Kopf vorgeht, wenn ich mich verletzlich mache, das kann ich einfach nicht ablegen... Das wäre zu riskant...

Ich bin gerade irgendwie überfordert. Wo habe ich denn hier geantwortet? Ich finde keinen Beitrag von mir

Ach, da habe ich wohl @moo gemeint.. nicht Dunkelbunte... Bitte Dunkelbunte mit @moo austauschen...

@Dunkelbunte, du hast dich unter dem Beitrag bedankt oder so. Meine Anrede war damit ein Versehen. Ich wünsch dir nen schönen Tag!

Grüß Dich Tagtraum,

Zitat von Tagtraum:
Ich habe den Eindruck, du versuchst, mir damit auch ein Stück Orientierung zu geben...

Ja, kann man so sagen. Ich habe in Selbsthilfegruppen u. a. den großen Vorteil der Draufsicht durch Andere schätzen gelernt und konnte so besser navigieren...

Zitat von Tagtraum:
Ansonsten erinnern mich Eigenschaften, die er hat, an mich selbst. Er scheint sensibel zu sein, mutig genug, seine Gefühle beizeiten vor den eigenen Stolz zu stellen und die Gefühle wichtiger zu nehmen, wirkt aber auch ein bisschen verletzlich. Aber vermutlich ist er insgesamt viel stabiler als ich, und vermutlich auch selbstbewusster. Aber das hat vermutlich auch mit seinem Alter zu tun.

Mach mal probehalber einen Wahrnehmungstest: stelle Dir sämtliche hier genannten Eigenschaften (auch die Stabilität und das Selbstbewusstsein) bei einem aktuell interessanten Partner vor, der in Deinem Alter oder sogar fünf Jahre jünger als Du ist. Würde Dich das ähnlich stark oder überhaupt triggern?
Falls ja: hattest Du überhaupt schon mal triggerfreie Beziehungen bzw. Beziehungsanbahnungen?
Falls ja: sind Gründe dafür erkennbar?

Ein paar Gedanken hierzu:

Zitat von Tagtraum:
So habe ich Freundschaften und auch eine partnerschaftliche Beziehung geführt, in denen zwar keine körperliche Gewalt vorkam, ich aber durchaus auf eine Weise demütigend abwertend behandelt wurde. Damals mein riesengroßer blinder Fleck... Ich habe darunter sehr gelitten und weiß jetzt erst, dass mich die Angst vor der aufziehenden Gewitterwolke (vermutlich aus meiner Kindheit) häufig erst recht in solchen schlechten Verhältnissen hat ausharren lassen, auch beruflich usw. Das hat vermutlich zu Reviktimisierung und Retraumatisierung geführt.

Das sehe ich lediglich als eine - auch therapeutisch - weit verbreitete Erklärung an. Die Situation im Elternhaus (ausweglos, ausgeliefert, ohne eigene Rechte) wird auf weitgehend alle Beziehungen übertragen. Mich erinnert das funktionell immer ein wenig an den Begriff der Erbsünde bei den Katholiken oder überhaupt bei vielen Christen: man hat verinnerlicht, dass es sich eben so verhält, fügt sich in eine Rolle, geht in einer Furche, deren Ränder man nicht mal kennt. Allein die Hoffnung auf ein besseres Leben da draußen lässt einen durchhalten.

Aber diese Hoffnung ist m. E. geprägt durch die eben beschriebene Furchensicht. Furchen sind naturgemäß Vertiefungen. Beim durchfurchten Acker bleibt das Wasser in diesen Furchentälern stehen. Man vergisst bei dieser Betrachtung oft, dass die Hügel, die die Furche buchstäblich mitbilden, aus dem Aushub der Furche bestehen. Furche und Hügel bedingen sich gegenseitig. Und: wo fängt der Hügel an, wo endet die Furche?

Was könnte diese Erkenntnis auf Deine Rolle (und die Rolle Deiner Gegenüber) übertragen bedeuten?

Zitat von Tagtraum:
Ich glaube, ein Teil von mir hat immer geglaubt, dass die Welt draußen/außerhalb meiner Familie dann ja besser sei und diese Reviktimisierungen haben mich bitter enttäuscht und extrem hoffnungslos gemacht. Vermutlich hat das meine depressiven Tendenzen oder eine bereits entstandene Depression aus der Jugend später nur noch verstärkt. Aber nun ja. Ich hab's ja überlebt.

Wir überschätzen gerne den Zeitfaktor. Überlebt bedeutet irgendwie früher, damals, vor langer Zeit. Oft wird gesagt, der Mensch ist seine Erfahrungen. Und so wäre es logisch, dass sich Depression weiter fortsetzt. Man braucht also nur gegenteilige Erfahrungen machen und quasi einen Kontogleichstand herbei-erleben, ja vielleicht sogar die Habenseite etwas überhöhen und dann ist der Mensch optimistisch... Aber letztendlich geht es nicht um Soll oder Haben sondern um Erkenntnis des Strukturfehlers:

Prägungen sind jedoch wie Furchen. Wenn man nicht umackert bleibt das ganze Feld (Leben) strukturell furchig. Man denkt in Hügeln und Tälern. In Gut und Schlecht, Sicherheit und Gefahr, Stabilität oder Fragilität...Täter und Opfer.

Zitat von Tagtraum:
Ich durchschaue und erkenne, wenn mich jemand mit lovebombing an sich binden will und dann durch kleine oder stärkere Kränkungen gefügig machen will und durch Bestrafung und Belohnung quasi dressieren will. Ich distanziere mich von solchen Menschen dann, weil ich das sicher nicht schon wieder verdient habe. Aber gerade diese Leute klammern sich wir Kletten an mich.

Wie sich das Tal nach dem Hügel sehnt, blickt der Hügel auf das Tal herab. Die meisten Hügel wissen nicht, dass sie ohne Tal kein Hügel wären.

Hügel und Täler werden nicht nur von Menschen versinnbildlicht, sondern sie stehen selber für ein Strukturdenken, eine Struktursicht. Dies begrenzt uns (schützt uns aber - vermeintlich - auch ein Stück weit).

Zitat von Tagtraum:
Nur warum immer ich? Ich muss diese Opferrolle schon ziemlich deutlich ausstrahlen... Vermutlich strahle ich aber auch aus, dass ich eben nicht die stolze, erfolgreiche Tochter von irgendwelchen starken Eltern bin oder so - irgendwie strahlen manche Menschen das ja bis in ihr spätes Erwachsenenalter aus. Ich bin eher die von ihren Eltern zutiefst enttäuschte Tochter, die Erfolge nur noch als Tatsachen verbuchen möchte. Ich strahle nicht auf die Weise wie andere.

Auch hier wieder der Zeit- und damit der Wiederholungsfaktor: das Rückwärtsdenken und -analysieren vertieft die Prägung und erneuert sie zudem. Versuche, nicht in Summe zu denken sondern in Gegenwart, in Jetzt.

Was ein Mensch im Geiste oft erwägt, dahin neigt sich das Herz. Wir sollten deshalb dieses Repetieren beenden und nicht zwingend durch eine gegenteilige Reflektion ersetzen. Dieses Gegenteilsdenken funktioniert nämlich nur bei wenigen Menschen, jedoch insbesondere nicht bei sehr analytischen Typen wie Du wohl einer bist.

Umackern bedeutet, die Struktur aufzulösen! Es kommt einem Leeren des Schachbrettes gleich: Das Spiel wird beendet, indem ich die Figuren entferne. Zurück bleibt das Brett (= das bloße, potenzielle Leben). Das habe ich mit dieser Aussage gemeint:

Zitat von Tagtraum:
Verantwortung für sich und sein Leben übernimmt man vor allem dadurch, dass es keine Antwort auf die Vergangenheit sein sollte.

Ich hoffe, es ist hiermit halbwegs schlüssig erklärt?

Zitat von Tagtraum:
Du schreibst auch, dass man sich auf Neues ganz unreflektiert einlassen können sollte. Aber genau das kann ich nicht. Das (Über)Analysieren hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Und ich habe gelernt, dass die Welt eben nicht so harmlos ist, sondern an jeder Ecke wirklich fiese Menschen lauern.

Auch Flöße, die ans andere Ufer bringen, retten unser Leben. Doch an Land wird uns das Floß zu Last, zur Bremse. (Achtung: Zeitfaktor!)

Zitat von Tagtraum:
Wie kann ich da das Analysieren bleiben lassen? Ich bemühe mich schon um Natürlichkeit in meiner Art zu sein (Körpersprache, Verhalten usw.), aber was in meinem Kopf vorgeht, wenn ich mich verletzlich mache, das kann ich einfach nicht ablegen... Das wäre zu riskant...

Die Interpretation dessen, was Dich verletzlich macht geht ja in Deinem Kopf vor! Verwechsle nicht Korrelation und Kausalität. Und bezüglich Risiko: das Floß auf dem Festland riskiert eher Stillstand anstatt Lebendigkeit zu ermöglichen. Einen Tod müssen wir letztendlich sterben...

Vielen Dank für die wirklich hilfreiche Antwort, Moo!

Kennst du eine Strategie, wie man das Schachbrett leeren kann? Mir fällt so spontan nur ein, überall dort, wo man Menschen anzutreffen glaubt, die nicht in Mustern agieren, die ich selbst als toxisch bezeichnen würde, in ihrem Facettenreichtum, also naiv und unvoreingenommen (wie ein Kind) kennenzulernen. Dafür müsste man dann alte Ängste aufgeben. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum mich diese Begegnung so triggert. Es fordert mich ein wenig heraus, damit ich mich weiterbewege.

Im Grunde fährt mein Unterbewusstsein (das Gefühl habe ich manchmal) seit ein paar Jahren so ne Art evolutionär vorgeprägtes Selbstheilungsprogramm (und wahrscheinlich läuft das schon seit ich überhaupt denken kann, nur ist es vor ein paar Jahren irgendwie in den Modus des Gesundwerdens und Aufwachens übergegangen, anstatt des Schützens und Verdrängens). Jedenfalls vertraue ich eigentlich zunehmend drauf, dass meine natürlichen Ressourcen schon ausreichen. Eigentlich muss man nicht überanalysieren, wenn man auf seine Gefühle vertraut, oder? Ist es das, was du meinst? Ich meine, wenn ich mich in einer Beziehung zu einem Menschen nicht gut fühle, dann verlasse ich die Beziehung und werde dafür schon andere, passendere Menschen finden. Dafür braucht es eigentlich keine Analyse, ich muss nur ernst nehmen, ob ich mich wohlfühle oder nicht. Und wenn man das macht, kann man sich auch emotional mit anderen verbinden.

Zitat von Tagtraum:
Ich glaube, das ist auch der Grund, warum mich diese Begegnung so triggert. Es fordert mich ein wenig heraus, damit ich mich weiterbewege.

Das glaube ich auch.

Zitat von Tagtraum:
Kennst du eine Strategie, wie man das Schachbrett leeren kann? Mir fällt so spontan nur ein, überall dort, wo man Menschen anzutreffen glaubt, die nicht in Mustern agieren, die ich selbst als toxisch bezeichnen würde, in ihrem Facettenreichtum, also naiv und unvoreingenommen (wie ein Kind) kennenzulernen.

Jawohl! Und ein sehr hilfreicher Einstieg in diese Praxis ist, an bzw. in diesen Menschen auch ein Stück von Dir zu erkennen. Alle Menschen haben letztendlich ähnliche Probleme und Bedürfnisse wie Du und ich. Unsere Art, damit umzugehen mag sehr unterschiedlich sein, doch wir sind letztlich alle vom gleichen Stamm. Mit dieser Herangehensweise kann ich sogar meist mit (vermeintlich) toxischen Wesen recht gut umgehen...

Zitat von Tagtraum:
Eigentlich muss man nicht überanalysieren, wenn man auf seine Gefühle vertraut, oder? Ist es das, was du meinst?

Auf die Gefahr hin, dass ich missverstanden werden könnte: wenn es um ein gesundes Bauchgefühl geht, vertraue ich da sehr stark drauf. Gleichzeitig versuche ich aber immer wieder mal, zu prüfen, ob meine Gefühle angemessen sind. Gefühle unterteile ich lediglich in drei Kategorien: angenehm, unangenehm und neutral (also weder-noch). Erst die darauf folgende Wahrnehmung, die idR wertet (gut, schlecht, neutral) lässt dann die Emotionen entstehen, die gemeinhin als Gefühle bezeichnet werden. Die Emotionen lassen uns denken, planen und letztlich ggfs. handeln. Das Ganze ist dann wieder ein neuer Baustein der Bewusstseinsbildung, die ohne Unterlass einerseits resultiert (aus früher Erlebtem) und auch ursächlich ist (für künftig Erlebtes).

Zitat von Tagtraum:
Ich meine, wenn ich mich in einer Beziehung zu einem Menschen nicht gut fühle, dann verlasse ich die Beziehung und werde dafür schon andere, passendere Menschen finden. Dafür braucht es eigentlich keine Analyse, ich muss nur ernst nehmen, ob ich mich wohlfühle oder nicht.

Korrekt! Das Sich-nicht-gut-fühlen sollte einfach vollumfänglich selbsterklärend sein. Sich aus solch einer Beziehung zu lösen, nenne ich Freiheit. Man mag es Schutz nennen, aber ich würde positiver formulieren als weises Erwägen.

Zitat von Tagtraum:
Dafür braucht es eigentlich keine Analyse, ich muss nur ernst nehmen, ob ich mich wohlfühle oder nicht. Und wenn man das macht, kann man sich auch emotional mit anderen verbinden.

Genau.





Dr. Reinhard Pichler
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