Nach langem mitlesen habe ich mich entschieden, auch mal mein Fallbeispiel beizusteuern.
Ich bin männlich, anfang zwanzig und seit rund einem Jahr in einer Beziehung. Es ist nicht meine erste Beziehung, jedoch meine turbulenteste. Als Teenager machte ich meine ersten Erfahrungen in Sexualität und Beziehungen und hatte einige Liebesgeschichten, welche mal Wochen, mal Monate dauerten. Dadurch dass meine Eltern eine schrecklich unglückliche Ehe geführt haben, und ich bis heute nicht genau weiss, wie eine gute Beziehung aussieht, hatte ich lange einen Hang zu missbräuchlichen Beziehungen. Wenn ich wusste dass ich mit jemanden zusammen bin, der mich betrügt und hintergeht, konnte ich ja auch nicht enttäuscht werden. Und schliesslich war es ja bei meinen Eltern nicht anders. Ich wusste es nicht besser.
Vor zwei Jahren dann wurde aus einer kleinen Liaison die vermeintlich grosse Liebe. Der perfekte Mann, die perfekte Beziehung, das perfekte Leben. Ich, der nie richtige Liebe gekannt habe und dies in meiner Familie nie erleben durfte, war es endlich wert geliebt zu werden.
Aus heiterem Himmel trennte er sich jedoch nach einigen Monaten völlig grundlos von mir, mit der Bitte, dass ich nicht mehr Kontakt mit ihm aufnehme. Er wolle lieber doch keine Beziehung, das sei nicht sein Ding. In diesem Augenblick brannten definitiv alle Leitungenbei mir durch. Ich litt nach dieser Trennung unter heftigen PA, ging in eine Therapie, habe AD genommen und gegen heftige Angstzustände BZD. Das ganze hatte sich in einigen Monaten soweit gelegt, dass ich einen grossteil meiner Lebensqualität zurückerlangt hatte und die Medikamente abgesetzt hatte, jedoch blieb daraus ein tiefes Trauma zurück. Zum einen dieses Gefühl des nicht liebenswert-seins sowie des keine-Beziehung-wert-seins, zum anderen jedoch die Bestätigung vieler Ängste und Komplexe, welche ich durch die Unterkühltheit meiner Eltern bereits vorher aufgebaut hatte.
Nur ein halbes Jahr nach dieser Trennung lernte ich meinen heutigen Freund kennen. Obwohl ich mich von Anfang an für ihn interessierte hielt ich ihn etwa ein halbes Jahr lang auf Distanz. Ich war noch zu verletzt und habe mich nicht bereit gefühlt für eine neue Beziehung. Ich hielt es sozusagen einfach für keine gute Idee, mich von einer Liebesgeschichte in die Nächste zu stürzen. Vor etwa einem Jahr dann, es war ja unvermeidbar, sprangen die entscheidenden Funken doch über.
Die ersten Wochen, frischverliebt und sorgenfrei, zogen vorüber und auf einmal packte mich die erste bindungsbezogene Panickattacke. Es war als würde eine Stimme in meinem Kopf brüllen: Du kannst das nicht. Du kannst keine Liebe geben. Du kannst nicht funktionieren in einer Beziehung. Du kannst nicht verhindern dass alles schief gehen wird. Du wirst sogar selbst daran Schuld sein. Du kannst einfach nicht Lieben, du wirst ihn verletzen. Beende es lieber jetzt. Er ist wahrscheinlich sowieso nicht der Richtige. Raus hier, bring dich in Sicherheit. Obwohl ich mit den Themen, welche mein Verstand hier aufgriff nicht wirklich umgehen konnte, wusste ich wie sich eine Panickattacke anfühlt und konnte mich durch Atmung und Entspannung wieder runterholen. Unten angekommen frage ich mich Was ist hier gerade passiert?. In meinem Normalzustand konnte ich diese Gefühle nirgends in mir lokalisieren denn eigentlich bin ich kein Mensch der Sachen sehr eng sieht, doch die Panickattacken kamen häufiger, heftiger. Ich nahm wieder Medikamente. Wir waren zu diesem Zeitpunkt 4-5 Monate zusammen.
Ich habe mir in dieser Zeit verschiedene Techniken zurechtgelegt mit diesen Ängsten und Panickattacken umzugehen, sei es durch Sport, Malerei, Dichten und korrekter Atmung, doch ganz Verschwunden sind sie bisher nicht. Jedoch konnte ich vor einigen Monaten die AD absetzen und nehme seither Magnesium gegen den psychischen Stress, was Wunder wirkt.
Heute Morgen hatte ich die erste bindungsbezogene Panickattacke seit einigen Monaten. Ich versuche nun darauf zu reagieren und mir in den nächsten Tagen mehr Zeit für mich selbst zu nehmen und runterzukommen. Aber manchmal demotiviert es mich auch, in diesem ewigen Kampf gefangen zu sein.
Was ich jedoch noch sagen wollte an all die in einer ähnlichen Situation sind und verzweifeln: Als die Bindungsängste anfingen, dachte ich, ich werde es keine zwei Tage länger in dieser Beziehung aushalten. Nun, fast ist ein Jahr später habe ich mit meinem Partner jedoch so viele wundervolle Dinge erlebt und bereue keine Sekunde davon. Und ja, es ist nicht immer leicht aber ich lerne jeden Tag neues über mich und meine verrückte, wilde Gefühlswelt. Deshalb: glaubt an euch und lasst euch von den Ängsten nicht kleinkriegen.
19.01.2015 22:31 •
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