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Servus @gimmel, danke für die Antwort

Zitat von gimmel:
Ich habe schon einige Male erfahren, dass es sich bessert, wenn ich mich der Situation stelle, was heißen soll, dass ich alles soweit vorbereite, um es tun zu können.

Das ist genau kein sich der Situation stellen! Du gibst den Zwangsgedanken ja zumindest teilweise nach, indem Du diesbezügliche Teilhandlungen ausführst. Du verkörperlichst somit die Gedanken ein Stück weit. Leider merkt sich der Körper manche Automatismen länger als der Geist... (Kleiner Exkurs bzgl. Verkörperung: stammkneipe-zum-lichtblick-f119/alternatives-glossar-t112848.html#p2455991 )

Trigger

Zitat von gimmel:
So sitze ich da, mit dem Kopf in einer Schlinge und kann die Situation bewerten. Ich sehe, dass ich es nicht tun würde und wenn, nicht so, dass ich mich akuter klingt doof, ist aber so Gefahr aussetzen würde.


Erst durch diese Teilhandlung ermöglichst Du Dir diese Einsicht. Somit hat sich der Zwang erneut durchgesetzt.

Trigger

Zitat von gimmel:
Aktuell ist es also mehr die Angst, ich könnte es tun, um es dann immer wieder tun zu müssen, wohl wissend, dass es sehr gefährlich ist. Wenn ich dann irgendwann, nachdem ich es z.B. an 7 Tagen, auf 3 Wochen und 3 Monate verteilt, getan hätte, nicht mehr machen könnte, weil ich ja sonst gegen meine Regel verstoßen würde, wäre möglicherweise Ruhe, je nach dem, wie stark der Drang wäre, es tun zu müssen. Früher oder später würde aber der Gedanke aufkommen, dass ich gegen die Regel verstoßen könnte und somit nichts mehr hätte, an was ich mich klammern könnte.


Das ist ein klassischer Auf- und Umbau des zeitbezogenen Zwangsregelwerkes. Sich über deren Logik zu unterhalten macht, mit Verlaub, absolut keinen Sinn. Jegliche Abmachungen (Regelveränderungen, Umgestaltungen, Übergeordnetheiten etc.) sind nur kleine Kampfhandlungen innerhalb eines Krieges, der sich Zwang nennt. Solange wir in diesen Kategorien denken, halten wir die Zwangsstruktur am Laufen. Nichts ändert sich, nur die kleinen Regeln im großen (falschen) Spiel.

Zitat von gimmel:
Auch fühlt es sich von der Angst her schlimmer an als noch vor einigen Monaten und genau das kann ich mir nicht erklären.

Das liegt daran, dass Du eigentlich bereits einen Heilsweg beschritten hast. Bei Süchten und Zwängen ist dieser mitunter sehr schmerzlich, nahezu unaushaltbar, weil man - wie oben bereits erklärt - keine Vorstellung von dieser anderen, ungezwungenen Erlebenswelt hat. Der zwanghafte Geist fühlt seinen Tod nahen, und das stimmt ja metaphorisch auch. Du musst aber verstehen, dass sehr wohl etwas übrigbleibt (sich sogar erst richtig entfalten kann!), sobald der Zwang entlassen wurde. Warum entlassen? Weil es nicht der Zwang ist, der den Geist manipuliert, sondern der Geist haftet am Zwang an. Wer das nicht verstanden hat, sieht im Ende des Zwangs (unterbewusst!) sein eigenes Ende nahen.

Zitat von gimmel:
Zwar gebe ich mittlerweile nicht jedem Gedanken nach und füge mich, aber die Anspannung müsste ja theoretisch irgendwann abfallen, was sie nicht tut. Ich sollte merken, dass mir nichts passiert, wenn ich es nicht tue, aber es schaukelt sich über Tage hoch und die Anspannung fällt auch meistens erst, wenn ich mit jemandem darüber spreche, der zuhört und mich versteht.

Deshalb sind sowohl in der Suchttherapie als auch in der Zwangstherapie Gruppengespräche so wichtig. Leider werden diese im Zwangsbereich ambulant zu gut wie nie angeboten. Gut wäre hier alternativ eine Selbsthilfegruppe. Du könntest mal beim Sozialpsychiatrischen Dienst der Caritas vorstellig werden und Dir einen Beratungstermin geben lassen. Vielleicht können die Dir etwas vermitteln. Unterschätze niemals das Potenzial der Caritas - ich persönlich habe extrem viel von den Sozialpädagogen und deren teilweise sehr umfangreichen Zusatzausbildungen profitiert.

Nochmal zum Verständnis, weshalb es gefühlt schlimmer wird: wie auch im oben verlinkten Text von Nanavira erwähnt, ist das Nicht-folgen des Zwangs zwar ein unabdingbarer Aspekt, doch damit alleine ist es noch nicht getan. Die Zwangsabstinenz ist zwar das Fundament des neuen (eigentlichen) Erlebens, doch das Gebäude steht noch nicht! In der Suchttherapie spricht man von Entzug und Entwöhnung. Vielleicht hilft es Dir, diese beiden Begriffe etwas näher auch im Bezug auf Zwänge zu beleuchten.

Beim Entzug wird dem Körper das Suchtmittel entzogen. Das heißt, sämtliche Neurotransmittermanipulationen, die bislang vom Suchtmittel getätigt wurden, fallen entweder kontrolliert (durch schrittweise Reduktion) oder mit einem Schlag weg. Oft werden übergangsweise entsprechende Medikamente eingesetzt. Das ganze dauert zwischen 5 bis 14 Tage. Für die meisten Süchtler sind dies so schwere Tage, dass manche Gefahr laufen, ein sogenanntes Entzugsdelir, bis hin zu Ohnmacht und Tod zu erleiden. In Spezialkliniken werden ganz riskante Fälle sogar ins künstliche Koma versetzt, um diese Phase zu überstehen. Am Ende der Entzugsphase ist der Körper sauber, der Geist jedoch noch lange nicht. (Beim Zwangsentzug ist solch ein Delir nicht möglich, da hier keine mittelinduzierte Neurotransmitterproblematik vorliegt.)

Deshalb schließt sich idR sofort oder, in vielen Fällen auch bereits parallel zum Entzug, die Entwöhnungsphase an. Ihre Gestaltung ist sehr individuell und dauert deshalb zwischen 1 und 9 Monate. Hier werden sämtliche relevanten Bausteine vermittelt, die dem frisch Trockenen ein zufriedenes abstinentes Leben gewährleisten sollen. Der Erfolg in dieser Phase hängt in hohem Maße von der Bereitschaft des Klienten ab, SICH zu ändern. Selbsthilfegruppen bilden oft den Anschluss an derlei Entwöhungsaufenthalten und gewähren oft eine lebenslange Abstinenz.

Wie beim Zwang fühlt sich nämlich der Geist ohne das Suchtmittel hilf- und v. a. orientierungslos. Viele Jahre hat er verlernt, den Weg um das (o. g.) Maisfeld herum zu finden und zu gehen. Die Verlockung, wieder rückfällig zu werden, ist unterschiedlich groß. Sehr maßgeblich ist, wie schnell der Klient eine probate Erlebensalternative entwickelt. Und hier kommt sehr oft die Psychotherapie ins Spiel. Denn wenn jemand ohne Suchtmittel (ohne Zwang) keinen Sinn, keine Substanz im Dasein erkennt, wird es sehr schwierig.

Aus meiner Erfahrung würde ich behaupten, dass das Befreiungspotenzial umso höher ist, je schmerzhafter sich der Ablöseprozess gestaltet. Das bedeutet aber nicht, dass man diesem Schmerz nichts entgegenzusetzen haben muss. Der Gang in eine Psychosomatische Klinik (s. o., z. B. Windach am Ammersee) liefert dafür ein hervorragendes Gesamtpaket, inklusive Gruppentherapie (auch zu Coronazeiten klappt das - die Sommerzeit ist natürlich noch geeigneter).

Zitat von gimmel:
Ich habe langsam das Gefühl, dass sich diese Angst so stark anfühlt, weil ich keine greifbare Ursache und somit eine potentielle Lösung oder zumindest einen Lösungsansatz habe.

Logisch - es geht hier bereits in Richtung Generalisierte Angststörung: Angst vor der (grundlosen) Angst. Die Angst gehört zum Zwang wie die (meist lavierte) Depression zum Süchtigen.

Zitat von gimmel:
...dass ich ohne Perspektive keine Eigenverantwortung übernehmen könnte.

Hört sich logisch an, ist aber ein schwerwiegender Denkfehler! Die Eigenverantwortung stellt die Perspektive selbst dar! Ein eigenverantwortlicher Mensch denkt und handelt vor allem sendend und nicht empfangend - er denkt und handelt in die Welt hinein anstatt von der Welt bedacht und behandelt zu werden.

Du bist weiterhin noch sehr stark im Wirkungsglauben der Zwänge gefangen. Bedenke dass dieser Wirkungsglaube ein Teil der Zwänge ist. Wir haben kürzlich in einem Thread von @Sinnsucher diesen Wirkungsglauben mal etwas näher besprochen. agoraphobie-panikattacken-f4/die-suche-nach-sicherheit-denkansatz-aendern-t111993-20.html#p2411220
Vielleicht ist die Lektüre für Dich hilfreich. Natürlich fände ich es prima, wenn @Sinnsucher hier einsteigen will.

Auch im Dialog mit @TNeisel, dessen damalige strukturelle Situation vielleicht noch etwas näher an Deine erinnert, haben wir einiges erhellen können. Vielleicht ist der gesamte Thread ebenfalls interessant für Dich: spezifische-phobien-f55/zwang-auto-zu-fahren-t111880.html#p2399337 Eventuell ist @TNeisel auch noch aktiv und will hier einsteigen.

Den letzten Absatz Deines gestrigen Beitrags werde ich heute Nachmittag oder morgen kommentieren. Alles Gute derweil...

Hallo @moo,

vielen Dank für deine Antwort! Ich habe mir noch einmal diesen und die von dir verlinkten Threads durchgelesen und merke wieder, wie viel es mir wert ist, hier Unterstützung zu bekommen!

Heute ist es wieder etwas besser, obwohl dennoch so schlecht, dass ich keine Lust hatte aufzustehen, aber das ist nichts neues. Daran merke ich aber gleich morgens, wie mein Geisteszustand und wie stark die Angst vor dem Tag ist. Das erste Mal legte ich dieses Verhalten im BwK an den Tag. Ich hatte regelrecht Angst vor dem Aufstehen, denn dann begann der nächste Tag mit vielen Zwängen. Damals wie heute bin ich Abends, wenn ich im Bett bin und nur noch Filme gucken und kuscheln auf dem Plan steht, ruhig. Also wirklich teilweise losgelöst von Angst, obgleich das von der Grundsituation abhängig ist. Aber gestern war es genauso, auch wenn die Zwangsgedanken immer noch in gewissermaßen da waren.
Auch konnte ich gestern Nacht nach 0 Uhr nicht widerstehen und musste einige Handlungen ausführen. Den Notruf-Zwang habe ich unter Kontrolle bekommen, da ich es nun an 3 Tagen in 3 Monaten getan hatte. Das Wiederauftreten dieses Zwangs kam durch die Überprüfung im Januar, nachdem ich ein neues Handy bekommen hatte und schwupp war ich wieder in diesem Strudel und versuchte es einzuordnen. Ich habe mich also wieder selbst betrogen, dennoch aber Druck abgebaut. Wahrscheinlich hing mein Anspannungszustand auch mit dem Warten auf den 01. zusammen. Am schwierigsten, ja für mich momentan fast unmöglich, ist es, mich diesen selbst erstellten Regeln zu widersetzen. Diese geben mir ja tatsächlich Sicherheit und da greift neben der eigentlichen Ursache für das Fortbestehen oder das Wiederaufkommen der Zwänge die Kontrollsucht bzw. die Angst vor dem Kontrollverlust. Ich fühle mich dennoch tatsächlich so, als hätte ich mich wieder selbst betrogen und den Glauben an mich verloren.

Auch wenn du noch nicht darauf eingegangen bist, aber die Sache mit dem Umzug und der vermutlich daraus folgenden Verschlimmerung der Symptome leuchtet mir jetzt erst ein, obgleich ich mit der Grundthese noch nicht zu 100% einverstanden bin bzw. es nicht sehe.
Die Tatsache, dass ich, wenn meine Freundin nun doch in ihrem Heimatort ihre Ausbildung zu Ende machen kann, meine Ausbildung bzw. Pläne, die sich durch das Aufkommen des Gedankens, ich könnte es auch einfach in der Nähe meiner Familie, wo ich mich geborgen und wohl fühle, in meinem Ausbildungsort in die Tat umzusetzen, hat auf jeden Fall einen Konflikt in mir ausgelöst. Ich habe viel darüber nachgedacht, obgleich ich weiß, dass es egoistisch ist, meine Pläne so einsichtig zu verfolgen, denn meine Freundin würde am liebsten hier ihre Ausbildung zu Ende machen und nicht einfach abbrechen oder zum Ausbildungsjahreswechsel den Standort wechseln. Gleichzeitig würde auch sie gerne in der Nähe meiner Familie wohnen, aber Wunsch und Pflichtbewusstsein (Ausbildung abschließen) spielen eben nebeneinander und bedürfen gleichermaßen einer gewissen Aufmerksamkeit.

Dass ich diese Fremdbestimmung (und so fühlte es sich rückblickend tatsächlich auch an) als Grund für mich sehe, wieder tiefer in meine Zwangsrealität einzutauchen, ist, in Anbetracht deiner These, gut nachvollziehbar. Wenn ich jetzt aber so daran denke, dass genau das maßgeblich dafür verantwortlich sein kann, merke ich, wie die Angst abnimmt und zwar so, wie es auch vorher der Fall war, wenn ich, ob nun alleine oder mit anderen, Zusammenhänge in der Entstehung und Aufrechterhaltung meines Zwangs-Ichs, erkannt habe oder im Glauben war, sie erkannt zu haben.
Andererseits wüsste ich nicht, wie ich auf die Situation mit dem Umziehen anders reagieren könnte, denn ich habe so reagiert, wie es die meisten Menschen machen würden und mit Nachsicht und Vernunft gehandelt. Dennoch kam ich irgendwie nicht damit zurecht!

Du hattest in dem einen Thread die Bewertung der Gedanken und die damit verbundenen Gefühle angesprochen. Denn wenn ich über die Schulzeit rede und Bilder hochkommen, bewerte ich die das heute immer noch genauso negativ, wohlwissend, dass der Umstand jetzt ein völlig anderer ist und ich den Menschen von damals heute auf einer ganz anderen Ebene begegnen würde. Vielleicht ist auch das ein Ansatz.

Du wolltest noch auf diese Thematik Tod/Dasein eingehen. Wenn ich das richtig verstanden habe, hattest du bereits genau diese Gedanken auf das Zwangs-Ich reflektieren und dieses als Ursache greifen können. Da ich mich auf dem durch einen Klinikaufenthalt, bei dem der Gedanke daran das erste Mal aus heiterem Himmel auftrat, offensichtlich auf dem Heilungsweg befand, stand die Existenz des Zwangs auf dem Spiel. Das klingt zwar nachvollziehbar, aber es wirkt auf mich recht extrem, also würde der Dämon in mir sagen: Wenn ich gehe, gehen wir beide!

Als letztes wollte ich noch fragen, wie du/ihr zum Thema Vitamin- und Nährstoffmangel steht und welche Erfahrungen gesammelt wurden. Denn obwohl ich absolut bereit bin, ein neues AD (Clomipramin?...) auszuprobieren, ist nach wie vor nicht geklärt, ob mir nicht irgend ein Vitamin oder Nährstoff fehlt, der meine Anwandlungen unterstützen. Aber zum Thema Vollblutanalyse findet man nicht wirklich viel und woher soll ich sonst wissen, was mir fehlt.

Liebe Grüße

A


Zwangsstörung / ADHS mit Angst vor Kontrollverlust

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Here we go again...

Dann probieren wir´s mal...ich bitte Dich, alles was ich jetzt da versuche herauszufiltern, nicht persönlich zu nehmen sondern es gemeinsam mit anzuschauen, als ob es um eine dritte Person geht.

Zitat von gimmel:
Mir fehlt noch dieser rote Faden, der A-Ha-Effekt, die Erleuchtung, das Sehen des Problems.

Der rote Faden sind die Zwangsgedanken und -handlungen als Alibifunktion für die nicht gelebte Verantwortung.

Beispiel 1:
Zitat von gimmel:
Ich weiß noch genau, dass auch dort die Angst, ich könnte etwas tun, sehr stark und real war. Ich musste mir die Tränen verkneifen, wenn ich meine Freundin angeschaut habe und gemerkt habe, wie viel ich ihr bedeute und wie glücklich sie an meiner Seite ist.

Obwohl die Zuneigung der Freundin für ihn einen unschätzbaren Wert darstellt, scheut er unterbewusst die Verantwortung, die sich für ihn (vermeintlich) daraus ergibt. Er glaubt unterschwellig, ihr Vertrauen nicht zu verdienen, als Partner mittel- und langfristig zu versagen. Diese Situation wird als schwerer Konflikt erlebt, den er nicht aktiv, im realen Leben angehen kann. Da er gelernt hat, unbewusste Probleme mit Zwängen zu kompensieren, verhindern diese eine Übernahme der Verantwortung durch bewusstes, angemessenes Handeln und/oder Sprechen.

Beispiel 2:
Zitat von gimmel...seitdem die Impfpflicht in der Pflege, meine Freundin ist in der Ausbildung, auf Kippe steht, wankt mein Plan, wir könnten von ihrem Wohnort, der 150km von meinem entfernt liegt, in meine Stadt ziehen. Von dem Tag an, an dem die Unsicherheit, ob es klappt, von der Sicherheit, dass es höchstwahrscheinlich nicht klappt, verdrängt wurde, wurde es wieder spürbar stärker [/QUOTE]
Obwohl er sie liebend gerne bei sich haben würde, hadert er mit der Vorstellung, stattdessen entweder zu ihr zu ziehen oder gemeinsam mit ihr eine andere Lösung zu suchen. Die (vermeintliche) Vielzahl der Unwägbarkeiten lässt ihn gar nicht anfangen, nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen. Diese Situation wird als schwerer Konflikt erlebt, den er nicht aktiv, im realen Leben angehen kann. Da er gelernt hat, unbewusste Probleme mit Zwängen zu kompensieren, verhindern diese eine Übernahme der Verantwortung durch bewusstes, angemessenes Handeln und/oder Sprechen.

Beispiel 3:
Bruder / Hund. Die ständige Konfrontation mit dem anhänglichen Bruder und den zuwendungsbedürftigen Hund ist einerseits schön, andererseits wird es zuweilen sehr anstrengend und das Gefühl von aufgedrängter Verantwortung entsteht. Da beide, Bruder und Hund, als potenziell schwächer und deshalb eben gewissermaßen von ihm abhängig empfunden werden, verbietet es sich aus moralischer Sicht, gegen diese Verantwortung bzw. Dauernähe aufzubegehren. Diese Situation wird als schwerer Konflikt erlebt, den er nicht aktiv, im realen Leben angehen kann. Da er gelernt hat, unbewusste Probleme mit Zwängen zu kompensieren, verhindern diese eine Übernahme der Verantwortung durch bewusstes, angemessenes Handeln und/oder Sprechen.

Beispiel 4:
Die Situation in der immer unbefriedigender werdenden BW-Position bei gleichzeitiger zeitlicher Gebundenheit, gepaart mit diffuser Zukunftsaussicht erzeugt ein Gefühl der Fremdbestimmung und Perspektivlosigkeit. Diese Situation wird als schwerer Konflikt erlebt, den er nicht aktiv, im realen Leben angehen kann. Da er gelernt hat, unbewusste Probleme mit Zwängen zu kompensieren, verhindern diese eine Übernahme der Verantwortung durch bewusstes, angemessenes Handeln und/oder Sprechen.

Beispiel 5:
Die Belastung im Gymnasium aufgrund des Mobbings und des damit einhergehenden Leistungsabfalls hätte seitens der Eltern und Lehrer umgehend und v. a. proaktiv angegangen werden müssen. Das hätte jedoch bedeutet, dass er die nötigen Schritte selber in die Wege leitet. Alternativ hätte er sich u. U. gerne schlicht und ergreifend gewehrt - bis hin zur körperlichen Auseinandersetzung. Aus Angst vor Eskalation und Scham aufgrund vermeintlicher (?) körperlicher Unterlegenheit schweigt er und nimmt diese Entwicklungen so hin. Diese Situation wird als schwerer Konflikt erlebt, den er nicht aktiv, im realen Leben angehen kann. Da er gelernt hat, unbewusste Probleme mit Zwängen zu kompensieren, verhindern diese eine Übernahme der Verantwortung durch bewusstes, angemessenes Handeln und/oder Sprechen.

[quote=gimmel:
Vielleicht siehst du noch etwas mehr als ich, aber ich sehe einen klaren Zusammenhang zwischen dem Umgang in der Schule, aber auch dieser Umzugsgeschichte und den Zwängen, den ich leider nicht so recht deuten kann.

Ich hoffe, diese Beispiele lassen den roten Faden erkennen. Mit Absicht habe ich den jeweils kursiv gesetzten Fazitsatz immer gleich formuliert, damit er sich einprägt. Du kannst nun prüfen, ob dieses Fazit tatsächlich für Dich a) als Beurteilenden nachvollziehbar und b) als Betroffenen zutreffend ist.

Traue nicht Deiner ersten, intuitiven (weil unterbewussten!) Reaktion! Schaue Dir unter dieser Hypothese die restlichen von Dir o. g. Beispiele an bzw. denke über weitere Situationen nach, die Zwänge besonders auffällig triggern. Du solltest im Laufe der Zeit das Muster (den roten Faden) erkennen: Die Zwangsgedanken und -handlungen als (unterbewusste) Alibifunktion für die nicht gelebte Verantwortung.

Dieser Automatismus kann als mittelbare und deshalb erkennbare Ursache der ganzen Entwicklung gewertet werden. Es ist nicht nötig, eine traumatische Kindheitsursache o. ä. auszugraben, denn selbst wenn es solch eine gäbe, würde die lediglich den (eventuellen!) Stein des Anstoßes liefern, was an sich therapeutisch wenig Wert hat. Zielführend ist alleine das Erkennen des unbewussten Wahrnehmungs- und Reaktionsmusters, das sich ergab. Damit dieser rote Faden gefunden wird, war die Suche danach natürlich notwendig und insofern auch zielführend.

Danke für die veranschauliche Erläuterung, das hat, wie all deine Beiträge, gut geholfen.

Also grundsätzlich sehe ich den roten Faden jetzt und kann mein Handeln nachvollziehen. Ich habe es mir einige Male durchgelesen und als Außenstehender klingt es nachvollziehbar, auch es als Betroffener zu bewerten ändert nichts an Schlussfolgerung. Dennoch würde ich zu einigen Beispielen etwas, aus meiner Sicht unterstützendes, sowie hemmendes, hinzufügen.

Beispiel 1: Ich hatte im Laufe der Beziehung hier und da auch den Zwangsgedanken, dass ich Schluss mache, obwohl ich das nicht wollte. Ich habe dann im Willen, meine Gedanken zu vervollständigen, in dem ich 3 verschiedene Themen, hier wären wir wieder bei dem leidvollen Zwangsgelüge, in meiner Vorstellung behandelt habe. Tod, Existenz und die Beziehung thematisierend hatte ich dann also dieses letzte Thema mit eingebunden, aber anscheinend habe ich mir das Thema nur ausgesucht, weil es Potential hatte, mir Sorge zu bereiten. So habe ich mich dann auch irgendwann gefragt, ob ich es will oder nicht und genau da hat sich dann meine Unsicherheit bewusst gezeigt. Warum weiß ich jetzt und es ist absolut schlüssig, denn in den Jahren vorher, alle um mich herum hatten schon Erfahrungen mit Beziehung und ich habe mich als Spätzünder negativ bewertet, war ich mir unsicher, ob ich denn überhaupt eine Freundin haben möchte. Damals dachte ich mir, ich würde mir damit die Möglichkeit nehmen, mich so zu entfalten, wie ich es gern würde, also das zu tun, was ich tun will und zwar zu jeder Zeit. Das war sicher vollkommen blöd gedacht, aber dahinter steckte dann vermutlich auch die Unsicherheit, dem nicht gewachsen zu sein. Obwohl ich gestehen muss, im Laufe der Monate doch einige Male eingesteckt haben zu müssen, was die eigene Entfaltung in gewissen Momenten angeht (feiern gehen, angeln, etc.), aber das überbewerte ich wie es so oft gemacht habe.

Beispiel 3: Das mit meinem Bruder ist sehr gut nachvollziehbar, denn laut meiner Mutter wurde es in den Ferien, in denen ich also mehr Zeit mit meinem Bruder verbrachte und ihn auch öfter gegen meinen Willen mitnehmen musste, wenn ich mit meinem besten Freund unterwegs war. Bei dem Hund war ja Anfang gar nichts, zumindest kann ich mich nicht entsinnen, aber nachdem ich 7 Monate später auf Platz 2 gestellt wurde und meine Schwester der neue Lieblingsmensch unseres Hundes wurde, traten plötzlich wieder Zwänge auf. Nun muss ich dazu sagen, dass ich nach diesem Urlaub, in dem mir der Hund untreu wurde, mein erstes Studium anfing. Ich weiß nicht mehr, wie schnell ich realisierte, dass ich darin nicht meine Erfüllung sah, aber unterbewusst wusste ich das sicherlich sehr schnell. Also ließe es sich hier auch gut und gerne auf das Studium abwälzen oder allgemein die Phase nach der Schule, in der ich mich um mein Leben zu kümmern hatte.


Beispiel 4: Hier spielte die Perspektivlosigkeit denke ich die primäre Rolle, die auch heute noch sehr wichtig ist, denn sicher in meinen Zukunftsplänen bin ich mir ganz sicher nicht.

Beispiel 5: Ich habe mich schon immer, als einer der Kleinsten, körperlich unterlegen gefühlt und das wird seinen Beitrag dazu beigetragen haben, dass ich die Situation geschluckt habe. Ich möchte meine Eltern in keinster Weise dafür verantwortlich machen, wohlwissend, dass besser hätte laufen können. Vielleicht habe ich auch irgendwann gesagt, dass alles ok ist, so wie ich es später auch standartmäßig gemacht habe. Ich wurde von meinen Eltern auch viel gefördert, so war ich z.B. jeden Samstag einmal, jeden zweiten Samstag sogar zwei Mal bei der Hochbegabtenförderung. Auch gab es Lehrergespräche, durch die meine Klassenlehrerin erst gemerkt hat, welches Potential ich hatte und mich plötzlich als ihren Liebling zu wissen wusste. Jetzt musste ich das rechtfertigen, weil ich ein großes Problem damit habe, meinen Eltern (Teil-)Schuld an der ganzen Misere zu geben. Körperlich habe ich mich übrigens nur einmal gewehrt, als jemand an meine, mir damals heilige, weil seltene, Cola gegangen ist. Danach habe ich mich zwar nie wieder bewusst mit Gewalt gewehrt, aber vielleicht habe ich genau dort unterbewusst gelernt, dass Gewalt potentiell hilfreich ist, was sich dann auf meine Zwänge ausgewirkt hat. Aber sicher bin ich mir dabei nicht ganz.

Die Frage ist jetzt nur, wie ich aus meiner aktuellen Situation herauskomme, denn wissend, welche Zusammenhänge dafür sorgen, dass ich mich immer wieder in eine Abwärtsspirale begebe, bin ich dennoch unwissend, wie ich mich meiner schlechten Verhaltensweisen entledigen soll. Hierfür reicht es ja nicht, es einfach nicht zu tun, aber wie kann ich von vorn herein sinnvoll anders reagieren?

Liebe Grüße

Guten Morgen @gimmel,

zuerst gehe ich auf Deinen Beitrag von gestern, 17.39h ein.

Zitat von gimmel:
Damals wie heute bin ich Abends, wenn ich im Bett bin und nur noch Filme gucken und kuscheln auf dem Plan steht, ruhig.

Das ist folgerichtig - Abends ist keine große Gefahr in Verzug, dass Verantwortung bzw. Entscheidungen auf Dich zukommen.

Zitat von gimmel:
Ich fühle mich dennoch tatsächlich so, als hätte ich mich wieder selbst betrogen und den Glauben an mich verloren.

Das ist die Misere bei Zwängen und Süchten: es immer wieder zu erleben, wie man scheitert. Jedes Mal verstärkt sich so die unterbusste Überzeugung, ohne sie nicht weiterleben zu können. Da man fühlt, dass man ja selber die Zwänge hervorbringt, versteht man sie - trotz all des Leidens - als einen Teil seiner Selbst an. Von daher sind Zwänge m. E. noch konfliktbeladener als substanzbezogene Süchte.

Zitat von gimmel:
Du hattest in dem einen Thread die Bewertung der Gedanken und die damit verbundenen Gefühle angesprochen. Denn wenn ich über die Schulzeit rede und Bilder hochkommen, bewerte ich die heute immer noch genauso negativ, wohlwissend, dass der Umstand jetzt ein völlig anderer ist und ich den Menschen von damals heute auf einer ganz anderen Ebene begegnen würde. Vielleicht ist auch das ein Ansatz.

Gut erkannt und in der Tat ist dieser Ansatz für viele erfolgsversprechend. Hierzu etwas Grundsätzliches:

1. Gedanken und Denken sind zwei verschiedene Dinge!

Gedanken sind im Geist gespeicherte Sinneseindrücke, die aus bereits stattgefundenen Sinneskontakten (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten) entstanden. Der Unterschied zu den aktuellen Sinneskontakten ist lediglich, dass sie von innen (aus dem Geist) kommen.

Denken ist aktives geistiges Gestalten und findet in aller Regel unbewusst statt. Unbewusst bedeutet hier, dass Denken nicht bewusst erlebt und schon gar nicht beobachtet werden kann. Nur sehr weit fortgeschrittene Meditierende sind in der Lage, den Beginn und das Ende des geistigen Gestaltens zu erkennen, doch ich schätze, das ist bei keinem hier im Forum der Fall

Daraus folgt, dass das was Du oben beschreibst (das erneute Durchleben der Erfahrungen in der Schuldzeit), lediglich ein Beobachten von Gedanken darstellt.

2. Weshalb die Angst?

Einer der Gründe, weshalb uns wirre Gedanken ängstigen, ist der (vermeintliche!) Kontrollverlust. In Wahrheit ist es aber kein Verlust von Kontrolle, sondern Unwissenheit über Punkt 1 (s.o.).

Da wir glauben, Gedanken seien gleichbedeutend mit Denken beziehen wir die Gedanken auf uns! Es fühlt sich so an, als hätten wir etwas mit unseren Gedanken gemeinsam, währen dafür verantwortlich, ja sogar manchmal schuld daran...

Niemals würden wir so über die anderen Sinneseindrücke (Gesehenes, Gehörtes, Gerochenes etc.) denken! Weshalb ist das so? Weil diese Sinneseindrücke (vermeintlich!) von außen kommen, Gedanken jedoch, wie oben beschrieben, von innen. Der unachtsame Geist meint deshalb, er wäre der Schöpfer derselben.

Ich glaube, soweit ist das relativ gut verständlich? Ich möchte noch wenig weitergehen und nun das Bewerten bzw. Interpretieren ins Spiel bringen:

3. Aus Sinneskontakten entstehen Wahrnehmungen.

Das Phänomen der Wahrnehmung stellt nun das gefühlte Innen und Außen in Frage: Ein Sinneskontakt bedarf immer dreierlei: a) Sinnesorgan (z. B. Auge), b) Sinnesobjekt (z. B. Farbe, Form) und c) Sinnesbewusstsein (z. B. Sehbewusstsein). Nur wenn alle diese drei Faktoren zusammenkommen entsteht Sinneskontakt.

Das geistige Erfassen des Sinnesobjekts nennt man Wahrnehmung. Ich verwende gerne die Begriffe Interpretation oder Vermeinung (von zu meinem machen). Beispiel: Die gesehene Farbe und Form wird als Ding wahrgenommen. "Ding" ist ein Begriff (von Er-Greifen), ein Zugriff, eine Bezeichnung meinerseits. "Das Ding" ist also bereits Ich-gefärbt, sobald er wahrgenommen wird. Ohne Wahrnehmung wäre ein Ding lediglich Farbe und Form, ja, letztlich nicht mal das, sondern nur genau so...

Die letzten beiden Absätze sind wichtig für das Verständnis, dass letztlich sämtliche Wahrnehmung (und damit sowohl Ich als auch Welt) vom Geist ausgehen! Es ist also keine Frage von Innen und Außen. Deshalb haben auch sämtliche Erscheinungen keine Wertigkeit, sie sind leer.

Dass wir im alltäglichen Umgang diese Wahrnehmung benötigen und richtigerweise auch nutzen (müssen), tut der o. g. geschilderten Einsicht jedoch keinen Abbruch.

Das soll nun erstmal reichen und ich hoffe, es bringt Dir etwas Übersicht. Anfangs mögen derlei Hypothesen krass erscheinen. Das ist normal. Wir klammern uns nämlich an die Ich-Illusion (= Anhaftung) und benötigen für deren Aufrechterhaltung regelmäßig Nahrung in Form von Kontrolle: Kontrolle über Gedanken, die Menschen um uns rum, unseren Körper etc.

Die dem Menschsein inhärente Angst ist die (meist unbewusste) Ahnung, dass Kontrolle (richtigerweise) nie vorlag...und das stellt automatisch unser Selbst-Verständnis in Frage.

Nun noch etwas detailierter das Thema Bewertungen hinsichtlich der Untscheidung von Gut bzw. Schlecht:

Das Bewusstsein von gimmel beinhaltet u. a., dass sich irgendeine Sache so und so verhält - es hat sich(!) eine Meinung gebildet und hält diese für richtig. In Wirklichkeit ist aber diese Meinung eine rein subjektive Sache, die mit der [i]objektiven Lage der Dinge überhaupt nichts zu tun hat[/i]. Obgleich Dir der letzte Satz bestimmt einleuchtet, verhält sich das Bewusstsein völlig anders: Im Fall von gegensätzlichen Behauptungen anderer entstehen (automatisch und unbewusst) Gefühle unangenehmer Art. Hingegen im Fall von bestätigenden Äußerungen von außen entstehen (ebenfalls automatisch und unbewusst) Gefühle angenehmer Art. Unmittelbar mit den Gefühlen entstehen die o. g. Bewertungen. Unsere (Für-)Wahrnehmung (s. o.) ist bereits von diesen Bewertungen gefärbt und somit alles andere als neutral oder objektiv. Das alles ist der passive und idR unbewusste (!) Part des Vorgangs.

Der aktive Part ist unsere - und jetzt kommt´s - bewusste Reaktion. Diese Reaktion erfolgt in dreierlei Gestalt: Erneute Gedanken, Rede und/oder Tat. Sie kann mehrgestaltig auftreten, aber niemals ohne Gedanken.

Wenn man ganz genau hinschaut erkennt man, dass diese bewussten Reaktionen die schon besprochene Kompensationshandlungen darstellen. Wir wollen (müssen!) uns dazu äußern. Das ist auch der Grund, weshalb viele Psychologen sagen dass wir unserer Meinung Luft machen sollen indem wir sowohl verbal als auch körperlich Klartext reden. Das Bewusstsein ist also eigentlich ständig getrieben. Getrieben von was? Von den Sinneseindrücken und der unbewussten, passiven, automatischen (internen) Beantwortung durch Gefühl und Bewertung (s. o.).

Das ständige Gegrübel bzgl.wenn/dann (Wirkungsglaube) ist ein innerer Disput, ein Spannungsverhältnis zwischen Ich und Welt. Tatsächlich ist solch ein Gegrübel ein nicht zu unterschätzendes existenzielles Problem und somit auch nur schwer abzulegen, wenn man die o. g. Abläufe nicht auf dem Schirm hat.

Weshalb ist es existenziell und schwer abzulegen? Weil das (vermeintliche) Ich (Selbst, Ego) sich aus diesem o. g. Ablauf zusammensetzt! Und zwar aus nichts anderem!

Wenn mich nun z. B. jemand kritisiert, fühlt sich mein Bewusstsein bedroht - da die Kritik nicht mit meinem Selbst-Bild übereinstimmt. Wenn mich jemand lobt - vice versa.

Die Lösung für die Zwangsgrübelei liegt schlicht in der achtsamen Repertorisierung des eben Gesagten. Am besten täglich und öfters. Sofern man das Verstehen der o. g. Abläufe verinnerlicht und am eigenen Geist und Körper erfährt, erwächst zunehmend geistige Freiheit. Ganz nebenher erledigen sich viele aus unseren o. g. (aktiven) Reaktionen resultierenden Probleme.

U. a. Angst und Panik...

Das war jetzt sehr kompakt und vielleicht könnte man es auch simpler vermitteln. Bitte entschuldige meinen Stil - er ist für mich (!) ideal um meine Einsichten zu formulieren aber ich kann mir vorstellen, dass er für andere bisweilen etwas trocken und verwirrend wirkt.

Zitat von gimmel:
Du wolltest noch auf diese Thematik Tod/Dasein eingehen. Wenn ich das richtig verstanden habe, hattest du bereits genau diese Gedanken auf das Zwangs-Ich reflektieren und dieses als Ursache greifen können. Da ich mich auf dem durch einen Klinikaufenthalt, bei dem der Gedanke daran das erste Mal aus heiterem Himmel auftrat, offensichtlich auf dem Heilungsweg befand, stand die Existenz des Zwangs auf dem Spiel. Das klingt zwar nachvollziehbar, aber es wirkt auf mich recht extrem, also würde der Dämon in mir sagen: Wenn ich gehe, gehen wir beide!

Ja, der Dämon-Vergleich ist gar nicht so übel . Um ehrlich zu sein, würde ich das Thema Tod/Dasein gerne auf einen späteren Zeitpunkt verlegen, da es m. E. eine gewisse Grundlage benötigt von der wir dann gemeinsam ausgehen. Das wird ein etwas längerer Text und der würde uns aktuell wohl etwas zu stark verzetteln. Aber ich werde drauf zurückkommen.

Zitat von gimmel:
Als letztes wollte ich noch fragen, wie du/ihr zum Thema Vitamin- und Nährstoffmangel steht und welche Erfahrungen gesammelt wurden....ob mir nicht irgend ein Vitamin oder Nährstoff fehlt, die meine Anwandlungen unterstützen. Aber zum Thema Vollblutanalyse findet man nicht wirklich viel und woher soll ich sonst wissen, was mir fehlt.

Ein sehr weites Spektrum. Seit meinem Burnout 2015 nehme ich regelmäßig Nahrungsergänzungen und bekomme ca. 5-10 Infusionen jährlich, immer abhängig vom jeweiligen Laborbefund. Meistens lasse ich es bei Lab4more machen, manchmal aber auch bei Biovis. Meine HPU bekam ich von Keac bestätigt. Auch mit dem von Dir genannten GABA habe ich gute Erfahrungen gemacht. Da dies alles sehr individuell ist, empfehle ich Dir unbedingt das Buch Was die Seele essen will von Julia Ross. Es war und ist meine Grundlage meiner körperlichen Heilkomponente...

Einen ausgezeichnet recherchierten Blog diesbezüglich findest Du hier: erfolgserlebnisse-f59/la2la2-s-medizinschrank-diverse-themen-t93207.html

Und weiter...

Zitat von gimmel:
Damals dachte ich mir, ich würde mir damit die Möglichkeit nehmen, mich so zu entfalten, wie ich es gern würde, also das zu tun, was ich tun will und zwar zu jeder Zeit. Das war sicher vollkommen blöd gedacht, aber dahinter steckte dann vermutlich auch die Unsicherheit, dem nicht gewachsen zu sein.

Genau diese Gedanken hatte ich in Deinem Alter auch...man argumentiert sich seine Unsicherheiten sinnvoll obgleich man gar keine Erfahrung hat, wie sich eine Beziehung dann überhaupt in echt gestaltet. Vor allem bedenkt man nicht, dass man sich im Zuge der Beziehung mitunter wesentlich verändert, ja, verändern will. Das ist ja das Schöne an der Gemeinsamkeit. Wie Du siehst, hat sich Dein Mut gelohnt. Und selbst, wenn es nicht geklappt hätte, hättest Du zumindest Deine Erfahrungen gemacht und das Leben wäre reicher geworden.

Zitat von gimmel:
Beispiel 4: Hier spielte die Perspektivlosigkeit denke ich die primäre Rolle, die auch heute noch sehr wichtig ist, denn sicher in meinen Zukunftsplänen bin ich mir ganz sicher nicht.

Na, immerhin ist das schon mal sicher (sic!) . Nein, Scherz beiseite. Ich möchte mich hier wiederholen:
Zitat von moo:
Die Eigenverantwortung stellt die Perspektive selbst dar! Ein eigenverantwortlicher Mensch denkt und handelt vor allem sendend und nicht empfangend - er denkt und handelt in die Welt hinein anstatt von der Welt bedacht und behandelt zu werden.

Es ist schwer, dieses Zukunftsdenken (und -zweifeln) im angemessenen Umfang zu betreiben, nicht nur für Zwängler. Dieses Zweifeln ist logischerweise die mittelbare Ursache für die Prokrastination (Aufschieberitis). Verzweifeln hat neben der negativen Konnotation übrigens nicht von ungefähr den Wortstamm Zwei, was in unserem Kontext als das Gegenteil von Eins (= von einig) verstanden werden sollte. Also ist Verzweiflung das Gegenteil von Vereinigung.
Und hier sind wir wieder ganz nahe bei der Grübelei - ein Grundübel des Menschen. Der Buddha z. B. bezeichnete die Zweifelsucht als eines der bedeutsamsten Hindernisse wenn es um die Erlangung von Geistesruhe ging.

Wir werden evtl. noch ausführlicher auf das Verhältnis von eigenverantwortlicher Perspektive und Einigkeit (mit sich selbst) eingehen. Ich möchte nur schon darauf hinweisen, dass sich mit dem Loslassen der Zwänge (und v. a. der Zwangsgedanken) relativ schnell Dein Wesen, Deine Ich-und-Welt-Sicht ändern wird.

Zu Beispiel 5:
Zitat von gimmel:
Ich möchte meine Eltern in keinster Weise dafür verantwortlich machen, wohlwissend, dass es besser hätte laufen können.

Wenn Du ihnen, anstatt Zwänge zu entwickeln, sofort gesagt hättest, was in der Schule los war, könnte man ihnen sehr wohl die (zumindest anteilige) Verantwortung zusprechen (wenn sie idF nichts unternommen hätten). Verantwortung hat ja überhaupt nichts mit Schuld zu tun, sondern mit Zuständigkeit. Es geht jetzt im Rückblick darum, zu erkennen, wie es hätte laufen können, wenn.... - und daraus zu lernen. Dadurch bewertest Du heute nämlich die Sache ganz anders, als Du sie unterbewusst abgespeichert hast.

Zitat von gimmel:
Ich wurde von meinen Eltern auch viel gefördert, so war ich z.B. jeden Samstag einmal, jeden zweiten Samstag sogar zwei Mal bei der Hochbegabtenförderung. Auch gab es Lehrergespräche, durch die meine Klassenlehrerin erst gemerkt hat, welches Potential ich hatte und mich plötzlich als ihren Liebling zu wissen wusste.

Das ist schön und gut, hat aber mit Fürsorge im klassischen (liebevollen) Elternsinn nur wenig zu tun. Förderung bringt auch bei den begabtesten Kindern oftmals auch (Über-?)Forderung mit sich! Sehr oft fördern Eltern ihre Kinder als Ausgleich für fehlende, echte Liebe. Bedenke, dass auch sie ihre persönlichen Probleme hatten/haben, die sie irgendwie handhaben mussten. Ich selber habe erst kurz vor dem Tod meiner Mutter viel von meinem Vater erfahren, das sie in einem ganz anderen Licht erscheinen ließ. Ich denke heute, nach deren beider Tod ganz anders als noch vor wenigen Jahren.

Keinesfalls will ich Deinen Eltern Schuld für irgendwas geben, sondern lediglich darauf hinweisen, dass niemals jemand ganz alleine für sein Leben verantwortlich sein kann. Sogar Robinson Crusoe wäre ohne seinen Freund Freitag nicht weit gekommen Das bringt das Sozialgefüge einfach mit sich. Gerne können wir auch diesen (m. E. für Dich wichtigen) Punkt noch vertiefen.

Zitat von gimmel:
Jetzt musste ich das rechtfertigen, weil ich ein großes Problem damit habe, meinen Eltern (Teil-)Schuld an der ganzen Misere zu geben.

DAS könnte ein sehr bedeutender Hinweis sein! Lese einfach nochmal meinen letzten Absatz durch und ersetze dann das Wort (Teil-)Schuld durch (Teil-)Verantwortung!

Zitat von gimmel:
Körperlich habe ich mich übrigens nur einmal gewehrt, als jemand an meine, mir damals heilige, weil seltene, Cola gegangen ist. Danach habe ich mich zwar nie wieder bewusst mit Gewalt gewehrt, aber vielleicht habe ich genau dort unterbewusst gelernt, dass Gewalt potentiell hilfreich ist, was sich dann auf meine Zwänge ausgewirkt hat.

Eine bemerkens- und beachtenswerte These! Aber ich denke, wenn es sich darauf auswirkte, dann eher insofern, als dass Du Deine körperliche Gewalt damals moralisch verurteilt hast und Dich dadurch noch mehr in die Opferrolle hineindachtest.

Zitat von gimmel:
Also grundsätzlich sehe ich den roten Faden jetzt und kann mein Handeln nachvollziehen. Ich habe es mir einige Male durchgelesen und als Außenstehender klingt es nachvollziehbar, auch es als Betroffener zu bewerten ändert nichts an Schlussfolgerung.

Gut - dann können wir also zumindest grob die Ursache und Entwicklung herleiten und bestätigen. Ist ja schon mal ein echtes Pfund... Natürlich wirst Du aus diesem Blickwinkel sowohl vergangene als auch zukünftige Situationen a) anders bewerten und b) aufgrund dieser Bewertung automatisch eine Bewusstheit dafür entwickeln. Wie wir oben gesehen haben, ist diese Bewusstheit der Schlüssel zur Heilung.
Immer, wenn nun Situationen oder Gedanken die Zwänge triggern, halte Dir den o. g. Fazitsatz vor Augen. Tue das auch, wenn Du die Zwänge doch irgendwann ausführen solltest. Es wird die Zwänge während der Ausführung entsprechend beeinflussen! Du machst Dir deren wahres Wesen und Herkunft bewusst!

Zitat von gimmel:
Die Frage ist jetzt nur, wie ich aus meiner aktuellen Situation herauskomme, denn wissend, welche Zusammenhänge dafür sorgen, dass ich mich immer wieder in eine Abwärtsspirale begebe, bin ich dennoch unwissend, wie ich mich meiner schlechten Verhaltensweisen entledigen soll. Hierfür reicht es ja nicht, es einfach nicht zu tun, aber wie kann ich von vorn herein sinnvoll anders reagieren?

Der nun folgende Schritt heraus geht eben nicht ohne den vorherigen (soeben vollzogenen) Schritt der Erkenntnis. Schritt 1 ist das Fundament, die Basis für die nun folgende Ent-Wicklung (= das heilsame Gegenteil der unheilsamen Ver-Wicklung).

Hierzu in Kürze mehr auf diesem Bildschirm

PS Ohne Dich durch Lob manipulieren zu wollen, muss ich wirklich mal erwähnen, wie außergewöhnlich schnell Deine Auffassungsgabe ist. Es ist ein Genuss, mit Dir zu kommunizieren und wie immer profitiere ich auch enorm von derlei Dialogen...

Zwischendurch nun doch schon zum Thema Tod/Dasein - ich habe ein wenig gekramt und hier eine m. E. recht passende Grundlagenhypothese gefunden:
erfolgserlebnisse-f59/sammelthread-kontemplationen-fuer-individuelle-probleme-t107790-20.html#p2386310
Dazu gehören auch die nachfolgenden Beiträge bis #33. Wenn Du mal Zeit und Muße hast, würde mich interessieren, ob das irgendwie hilfreich für Dich ist. Es ist nicht speziell auf Zwänge zugeschnitten, aber das würde ja eh wenig Sinn machen, weil sämtliche Geistesaktivitäten diesen Überlegungen sozusagen übergeordnet sind.

Hi @moo,

danke für deine Antwort und bezogen auf den letzten Satz deines letzten Posts kann ich nur sagen, dass es mir ehrt und das es auch mir sehr viel bedeutet, endlich jemand gefunden zu haben, bei dem ich mich so verstanden fühle, wie bei dir. Du hast mir einen komplett neuen und im Laufe der Tage immer besser nachvollziehbaren Weg aufgezeigt und genau das habe ich gebraucht!

Zitat von moo:
Das ist folgerichtig - Abends ist keine große Gefahr in Verzug, dass Verantwortung bzw. Entscheidungen auf Dich zukommen.

Dazu möchte ich noch nachtragen, dass es für mich diese Sicherheit darstellt, denn ich habe nicht die Möglichkeit, aufzustehen, ohne dass meine Freundin das mitkriegt. Somit bin ich im Handeln eingeschränkt, Vielleicht geht aber auch der Tag, der irgendwie ja immer Verantwortung mit sich bringt und die (teils unbewussten) Sorgen auf den Plan ruft, zu Ende und das entlastet mich. Ist ja prinzipiell auch gar nicht so wichtig.

Zitat von moo:
Das war jetzt sehr kompakt und vielleicht könnte man es auch simpler vermitteln. Bitte entschuldige meinen Stil - er ist für mich (!) ideal um meine Einsichten zu formulieren aber ich kann mir vorstellen, dass er für andere bisweilen etwas trocken und verwirrend wirkt.


Dafür brauchst du dich nicht entschuldigen. Ich muss gestehen, es war für mich recht schwierig, die Botschaft herauszufiltern, aber genau da kommt auch mein Defizit, mich zu konzentrieren, zu Tage. Also alles gut, nach ein Paar Mal durchlesen hatte ich das verstanden!

Zitat von moo:
Einen ausgezeichnet recherchierten Blog diesbezüglich findest Du hier:

Habe mir den Blog vollständig angeguckt und musste gerade bei Vitamin D schmunzeln, denn da hat sich bestätigt, was meine Mutter immer meint: Die Schulmedizin ist nicht nur darauf aus, dem Menschen zu helfen. Nur ein kranker Mensch ist profitabel. Wenn ich meine Truppenärztin gefragt habe, wie es denn mit Vitamin D aussieht, hieß es nur, der Wert wäre an der Untergrenze und auch nicht so wichtig. Werde aber erstmal eine Analyse machen lassen, wenn ich entlassen bin, denn meine Truppenärzte haben keine Ahnung, ist einfach so. Danach schaue ich dann, was ich brauche und reagiere entsprechend. Vielen Dank für den Link, echt klasse!


Zitat von moo:
. Förderung bringt auch bei den begabtesten Kindern oftmals auch (Über-?)Forderung mit sich! Sehr oft fördern Eltern ihre Kinder als Ausgleich für fehlende, echte Liebe.

Das stimmt, obwohl ich diese Zusatzbeschäftigungen als angenehm und spaßig empfunden habe. Echte Liebe habe ich auf jeden Fall bekommen, doch ich merke, dass ich mich, wissend, was du einen Abschnitt später geschrieben hast, wieder rechtfertige und meine Eltern in Schutz nehme. Die Sache mit dem Ersetzen der Schuld durch Verantwortung sehe ich folgendermaßen: Damals habe ich die Verantwortung abgegeben, in dem ich Anfangs(!) Hilfe durch Gespräche mit meinen Eltern gesucht habe, obwohl das natürlich auch in gewissermaßen Eigenverantwortung darstellt. Irgendwann habe ich es mehr und mehr Heute setze ich die Verantwortung von damals mit Schuld gleich, wenn ich betrachte, was anders hätte laufen können und vor allem wie es gelaufen ist! Schuldgefühle sind also auch ein Thema und wie du einige Posts vorher schon betont hattest, (über-)bewerte ich, wie es für Zwängler normal ist, Situationen und Gefühle vollkommen und reflektiere dieses Verhalten von damals auf heute.

Ich hatte heute übrigens mein Therapiegespräch und habe den neuen Ansatz mit der Verantwortung thematisiert. Was mir danach noch eingefallen bzw. aufgefallen ist, ist der teilweise direkte Zusammenhang zwischen Situation und Zwang. Mein Bruder und mein Hund (wobei das mit der Studiensituation verschwimmt) brauchten Aufmerksamkeit und Verantwortung. Um mich dieser Verantwortung zu entledigen, spielte der Zwang darauf an, die Beziehung zu schädigen. Damit kam es wieder zu Schuldgefühlen und der Spirale. Heute ist es die Eigenverantwortung für mein Leben, Arbeit, Wohnung, Beziehung und und und, was das Zwangs-Ich sich denken lässt. Wenn du nicht mehr da bist, brauchst du auch keine Verantwortung übernehmen. Klingt für mich schlüssig, aber beängstigend, wobei die Zwänge sicherlich sehr symbolisch und überspitzt zu betrachten sind.

Beim Verfassen dieses Beitrages hattest du mir mit der Hypothese bzgl. Tod und Existenz noch einmal Stoff geliefert. Ich bin wieder erstaunt, wie selbstbewusst und neutral du Dinge betrachten kannst (so scheint es mir auf jeden Fall). Du scheinst mir ein sehr ausgeglichener, selbsttoleranter Mensch zu sein, der den Frieden mit sich, so wie er ist gefunden hat. Rückblickend auf die letzten Monate mit ihren Angstphasen und Zwangs-Peaks hatte ich mehrfach erwähnt, dass ich, gerade wenn ich mich so sehr bedroht von meinen Gedanken und Handlungen fühlte, in mich zurück gezogen war.
So also die Erhaltung des Ichs als Wichtiges betrachtend, die eigene Existenz bewusst und unterbewusst in Frage stellend, bangte ich darum, diese Erhaltung nicht aufrecht erhalten zu können, denn die irrationale Angst, ausgehend von der Überbewertung meiner Umwelt und meiner selbst, war gepaart mit der gesunden und rationalen Einschätzung. Gleichzeitig ist es wohl ein, für mich, unumgehbarer Schritt, denn wie bereits erwähnt fühle ich mich gedrängt vom Gesellschaftsdruck, etwas erreichen zu müssen. Die Vorstellung, mich materiell profilieren zu müssen, kam mir schon damals befremdlich und nicht als eigens gesetzte Prämisse vor. Alles andere somit ausklammernd, isoliere ich mich (auch in Folge der Symptome) zeitweilig bewusst von der Außenwelt, welche grundsätzlich eine Gefahr für mich dargestellt hat bzw. es aktuell, wie schon lange gewohnt, immer noch tut. Für mich steht bewusst und unbewusst die Existenz des Ichs auf dem Spiel, da sich dieses akut (von mir im zwang) und chronisch (von außen) bedroht fühlt. Die unbewusste Tatsache, das Wissen, keine (Eigen-)verantwortung übernehmen zu können, nimmt mir also unbewusst und, rational betrachtet maßlos überbewertet, die eigene existenzielle Grundlage, mich meinem Leben stellen zu können.


Liebe Grüße

Servus @gimmel,

Mensch, bist Du fix ...muss jetzt dann auf eine Beisetzung, aber noch ganz kurz:

Zitat von gimmel:
Dazu möchte ich noch nachtragen, dass es für mich diese Sicherheit darstellt, denn ich habe nicht die Möglichkeit, aufzustehen, ohne dass meine Freundin das mitkriegt.

Das wäre z. B. einer der Punkte, die ich mir in die Rubrik Heilungsfördernde Umstände eintragen würde. Ich würde hingegen keine gegensätzliche Rubrik wie z. B. Zwangsfördernde Umstände o. ä. anlegen. Damit definiert man unnötige Grenzen. Auf lange Sicht wird es nämlich keine zwangsfördernden Umstände mehr geben. Das alles speist bereits ein neues Denken.

Zitat von gimmel:
Damals habe ich die Verantwortung abgegeben, in dem ich Anfangs(!) Hilfe durch Gespräche mit meinen Eltern gesucht habe, obwohl das natürlich auch in gewissermaßen Eigenverantwortung darstellt.

Ja, sehe ich auch als Deinerseits verantwortliches Handeln an. Konntest Du auch entsprechend denken, dass es richtig und angemessen war, Deine Eltern verantwortungstechnisch zu involvieren? Ich finde das nämlich wichtig. Du solltest nicht den Eindruck gehabt haben, Du hättest irgendwie kein Recht auf ihre Unterstützung.

Zitat von gimmel:
Schuldgefühle sind also auch ein Thema und wie du einige Posts vorher schon betont hattest, (über-)bewerte ich, wie es für Zwängler normal ist, Situationen und Gefühle vollkommen und reflektiere dieses Verhalten von damals auf heute.

Das Schuldthema kann man auch noch aus einem anderen Blickwinkel betrachten:

Zitat von moo:
Die Haltung während einer Handlung ist für das Subjekt immer entscheidend. Sie macht den Unterschied zwischen Verantwortung und Schuld.

Will sagen, Schuld bedarf absichtlichen Schadenswillens seitens des Handelnden. Viele Menschen fühlen sich schuldig für lediglich unreflektiertes Handeln. Dafür trotzdem die Verantwortung zu übernehmen, zeugt hingegen m. E. von echter Größe. Diese wiederum sollte nicht aus Reue sondern aus Überzeugung aufgrund Einsicht übernommen werden.
Zwängler fühlen sich außerdem oft Schuld an ihren Zwängen, weil sie sich für die Zwänge schämen. Nicht jede Scham hat tatsächliche Schuld als Ursache und ist somit nicht angemessen.

Zitat von gimmel:
Um mich dieser Verantwortung zu entledigen, spielte der Zwang darauf an, die Beziehung zu schädigen. Damit kam es wieder zu Schuldgefühlen und der Spirale.

Gut erkannt, diese Verwicklung...(Spirale).

Zitat von gimmel:
Heute ist es die Eigenverantwortung für mein Leben, Arbeit, Wohnung, Beziehung und und und, was das Zwangs-Ich sich denken lässt: Wenn du nicht mehr da bist, brauchst du auch keine Verantwortung übernehmen. Klingt für mich schlüssig, aber beängstigend, wobei die Zwänge sicherlich sehr symbolisch und überspitzt zu betrachten sind.

Ja klar - reale Gefahr und subjektive Interpretation klaffen weit auseinander. Aber Du kriegst das ja jetzt mit und somit stehst Du bereits mit einem Bein am anderen (bewussten Ufer.

Zitat von gimmel:
Rückblickend auf die letzten Monate mit ihren Angstphasen und Zwangs-Peaks hatte ich mehrfach erwähnt, dass ich, gerade wenn ich mich so sehr bedroht von meinen Gedanken und Handlungen fühlte, in mich zurück gezogen war.

Du solltest mit dem jetzigen Wissen tatsächlich einen Tacken mutiger, sprich exponierter damit umzugehen lernen. Was ich da immens wichtig finde, sind andere Menschen, die entweder Verständnis für Dich aufbringen, oder - noch besser - selber betroffen sind. Dabei wäre allerdings eine professionelle Begleitung sehr wichtig. Deshalb vorher der Tipp mit der Caritas als erste Anlaufstelle. Ein Forum wie dieses hier kann wertvoll sein, aber regelmäßiger Austausch in persona ist wirklich unschätzbar wertvoll.

Zitat von Grace_99:
Du gehörst in die Psychiatrie, am besten sofort. Selbstheilung oder ein Forum kann dir nicht helfen.


Quod est dubitandum!

Das Forum und vor allem @moo haben mir extrem weitergeholfen, denn die Erkenntnis, die ich bis jetzt mitnehmen konnte, ist mir unfassbar viel wert und lässt mich die Sache wesentlich rationaler betrachten. Ein Klinikaufenthalt ohne diesen Thread hätte mir sicher nicht so viel in so kurzer Zeit gebracht.

Zitat von moo:
Konntest Du auch entsprechend denken, dass es richtig und angemessen war, Deine Eltern verantwortungstechnisch zu involvieren?


Ob ich zu diesem Zeitpunkt bewusst darüber nachgedacht habe, ob und inwieweit ich die Hilfe anderer in Anspruch nehmen sollte, weiß ich nicht mehr. Ob ich dabei unbewusst darauf verzichtet habe, die Hilfe meiner Eltern in Anspruch zu nehmen, weil ich der Meinung war, diese nicht zu verdienen, kann ich heute auch nicht mehr sagen, aber es scheint mir auf Grund des rapide sinkenden Selbstwertgefühls sehr einleuchtend, auch wenn ich es so, zumindest kann ich mich daran erinnern, vermutlich nicht konkret gedacht habe.

Zitat von moo:
Du solltest mit dem jetzigen Wissen tatsächlich einen Tacken mutiger, sprich exponierter damit umzugehen lernen. Was ich da immens wichtig finde, sind andere Menschen, die entweder Verständnis für Dich aufbringen, oder - noch besser - selber betroffen sind.


Und das bin ich tatsächlich! Das Weglassen fällt mir noch sehr schwer, doch gleichzeitig weiß ich warum und sobald ich gelernt habe, den anderen Weg zu gehen, der ebenso asphaltiert ist, werde ich die Dro. Zwang nicht mehr brauchen.
Ich habe schon versucht, jemanden bei der Caritas zu erreichen, aber bisweilen hat es nicht geklappt. Ich versuchen es morgen erneut und denke, dass eine Selbsthilfegruppe bzw. Gruppenangebote im Allgemeinen aktuell auch der beste Weg ist/sind, neben der Gesprächstherapie aus mir und für mich zu lernen.

Liebe Grüße

Guten Morgen @gimmel,

Du hörst Dich echt stimmig an - gratuliere! Es sind meistens die einsamen Morgenstunden der Lektüre, in denen mich parallel die Forumsthemen begleiten und dabei ist mir noch einiges eingefallen, dass ich Dir künftig in loser Folge hier einfach mal reinschreibe. Fühl Dich bitte nicht genötigt, darauf zu antworten - es sind lediglich zusätzliche, evtl. hilfreiche Notizen, auf die auch ich später mal ggfs. zurückgreifen (-linken) kann

Da wir nun einige Energie auf die Einsicht in Ursache und Verwicklung verwendet haben, möchte ich nun zum Thema Heilung ein paar Gedanken äußern. Ich finde, der Begriff hat viele Aspekte, die weit über den medizinischen Bereich hinausreichen. Früher, als es noch den Begriff des Heilers gab, war damit gemeint, dass dieser Heilung herbeiführen solle - das, was heute Ärzte durch sogenannte Heilmittel und Medizin erreichen wollen (zumindest hoffe ich das... ). Doch was bedeutet es eigentlich, wenn mir jemand Heil wünscht oder wenn ich jemanden Heil wünsche? Ist es nicht eine Heilshaltung, die man dem Adressaten wünscht? Heiler der letzten ca. 100 Jahre arbeite(te)n hauptsächlich - und so kommunzier(t)en sie das auch - mit der Heilsfähigkeit des Patienten selbst.

Wie sie das zu erreichen glaubten (und auch oft taten), war zwar unterschiedlich, aber festzuhalten bleibt, dass letztlich ich selbst es bin, der - ja - sich heilt. Oder sollte es besser heißen, der heilsam wird (= Haltung!)? Den kleinen aber m. E. wesentliche Wandel vom Verb (heilen) ins Adjektiv (heilsam) möchte ich nun näher erklären.

Was verstehe ich persönlich unter einer heilsamen Haltung? Um diese Frage aus tiefstem Herzen zu beantworten, müssen wir weit hinab steigen in existenzielle Bereiche unseres Daseins. Denn bereits die Definition von Heilsamkeit verlangt uns eine Überprüfung unserer Lebensüberzeugungen ab. Gerade wir psychisch Bedrängten (ich vermeide den Begriff Krankheit aus tiefster Überzeugung!) müssen eigentlich irgendwann erkennen, dass es letztlich immer der Geist ist, der heilsam oder unheilsam ist.

Ich möchte nun einige Qualitäten aufzählen, die m. E. einen heilsamen Geist ausmachen. Dabei gebe ich zu Bedenken, dass Qualitäten nicht so einfach zu generieren sind. Sie sind die induktive Folge eines umfangreichen Lebensweges in Form von Denken, Reden und Handeln. Unbedingt ist dabei zu beachten, dass die Abwesenheit dieser heilsamen Qualitäten noch lange nicht ihr Gegenteil, also die Anwesenheit von unheilsamen Qualitäten impliziert! Man kann Heilsamkeit nicht messen, denn sie ist absolut subjektiv - wie jeder Geist einzigartig ist. Daraus folgt, dass wir bei der Entwicklung eines heilsamen Lebens nicht unbedingt die Abwendung von Unheilsamem erreichen wollen. Es gibt, wenn man genau hinsieht, auch gar nichts zu erreichen, sondern zu sein.

Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: Wenn wir unsere geliebte Partnerin im Geist vor uns haben, fühlen wir schlicht das, was wir Liebe nennen. Wir können es weder konkret beschreiben noch messen. Auch haben wir im Akt des Liebens (sowohl geistig als auch körperlich) niemals die Abwendung des Gegenteils (also Hass etc.) im Sinn. Liebe ist insofern non-dualistisch, oder schöner formuliert, allumfassende Einheit. Sobald wir beginnen, Liebe als das absolute Gegenteil von Hass zu interpretieren, begeben wir uns in die Welt des Zweifels.

Somit können wir Liebe (nicht Verliebtheit!) auch jederzeit als Heilsamkeit in Reinkultur begreifen. Jeder, der schon mal geliebt hat, kennt diese befreiende Selbst-losigkeit, die damit einhergeht. Ich wage sogar zu behaupten, dass es diese Selbstlosigkeit (Selbstfreiheit) ist, die die Liebe im wahrsten Sinne heilig (= ultimativ heilsam) macht.

Wenn wir nun diese Prämisse (Liebe als Heilsamkeit) zugrunde legen, führt das nach und nach automatisch zur Überprüfung unseres Lebens, ja unseres Er-Lebens - denn dieses geht nun mal zweifelsohne vom Geist aus. Somit ist unser Er-Leben der Spiegel unseres Geistes. (Kleiner Exkurs hierzu: soziale-angst-erroeten-redeangst-zittern-f1/alles-persoenlich-nehmen-t112921.html#p2459114 )

Sobald wir diese Prämisse in unserem Geist gegenwärtig haben, prüfen wir,

ob unser Handeln dieser Prämisse entspricht,
ob unser Reden dieser Prämisse entspricht,
ob unser Denken dieser Prämisse entspricht.

Handeln, reden und denken wir aus einer heilsamen, liebevollen Haltung heraus? Und, wenn nicht, wie wäre es, wenn wir es täten? Sofern wir uns wirklich diese (jederzeit realistische) Möglichkeit vor Augen führen, erkennen wir das, was man durchaus als unsere im wortwörtlichsten Sinne existenziellste Verantwortung bezeichnen darf: der liebende, heilsame Geist fragt (= sendet) in die Welt und die Welt spiegelt diese Antwort. Der Geist beantwortet sich quasi selbst.

Was das konkret für unseren Alltag im Sinne der Entwicklung eines heilsamen Geistes bedeutet, dazu gerne später mehr.

Liebe Grüße und sonnige Stunden


Hallo @moo,
danke für den Beitrag! Ich musste ihn mir einigen Mal durchlesen, um ihn, bisweilen auch nicht vollständig, einigermaßen verstehen und verinnerlichen zu können.

Was mir noch einmal in den Kopf gestiegen ist, ist die Frage nach dem Masochismus in meinem Handeln. Als erstes Beispiel die Bruder/Hund-Geschichte: Ich merkte, dass ich mit der Verantwortung nicht umgehen konnte und bestrafte sie (oder auch mich) dafür. Gleichzeitig konnten die Handlungen auch darauf aus sein, diese Verantwortung unbewusst, aber direkt, von mir zu geben, da durch die Zerstörung der Beziehung diese wegfallen würde.
Heute sehe ich die Übernahme von Eigenverantwortung als Konflikt. So assoziiere ich damit die Bedrohung der eigenen Existenz (dieses Problem kompensierend mit Handlungen), da ich Angst habe, nicht für mich sorgen zu können, bestrafe mich gleichzeitig vielleicht auch einfach nur dafür, genau diese Verantwortung nicht übernehmen zu können.

Nun stelle ich mir, auch nachdem ich mir den Thread noch einmal durchgelesen habe, die Frage, ob ich es falsch aufgefasst habe, was du zu vermitteln versucht hast. Die Zwänge als direkter Ausdruck, keine Verantwortung übernehmen zu können und das als Kompensation zu nehmen (Dinge zu tun, dessen Ausübung genau das Gegenteil von Verantwortungsübernahme darstellen) oder als (reine) Bestrafung dafür, dass ich sie nicht übernehmen kann und damit in einem Konflikt mit mir selbst stehe. Das mit der Selbstverurteilung durch das Ausüben oder schon allein die Gedanken und der daraus entstehenden Spirale ist sowieso plausibel.

Entschuldige, wenn ich mich wiederhole, aber irgendwie habe ich mich mit diesem Gedanken wieder aus dem Konzept gebracht.

Liebe Grüße

Guten Morgen @gimmel,

danke für die jederzeit berechtigte Rückfrage - im rein schriftlichen Austausch bleiben Missverständnisse nicht aus... Doch hier besteht kein Missverständnis, sondern Du hast Dein Verständnis ausgeweitet.

Mein in den fünf Beispielen vorgeschlagener Fazitsatz war nicht als endgültige bzw. gleichbleibende Erklärung gedacht sondern als Vorlage für Deine eigenen (eventuell noch folgenden) Überlegungen. Ich habe festgestellt, dass man, sobald man von jemandem einen hypothetischen Hinweis bekommt, sich selber viel leichter tut, eigene Recherchen anzustellen. Und das tust Du hiermit in außerordentlich konstruktiver Weise!

Beide Schlussfolgerungen hinsichtlich der Bruder/Hund-Geschichte treffen m. E. zu, doch auf unterschiedlichen Aktionsebenen:

1. Objektive (Bewertungs-)Ebene: Die Bestrafung für die fehlende Verantwortungsübernahme findet im Richtermodus statt. Dein früherwachsenes Ich sieht sowohl die Notwendigkeit der Verantwortungsübernahme als auch die Unfähigkeit, sie zu übernehmen = Notwendigkeit vs. Unfähigheit - die Abschwächung dieses Konfliktes (Kompensation) findet durch die Zwangshandlung statt.

2. Subjektive (Pseudohandlungs-)Ebene: Die Beeinträchtigung der als belastend erlebten Beziehung soll durch eine symbolische, jedoch tatsächlich ausführte Teilhandlung (so tun als ob) erreicht werden. Der Wunsch, nicht für den Bruder/Hund verantwortlich sein zu müssen steht der als unausweichlich empfundenen Realität gegenüber: Unabhängigkeitswunsch vs. Zuständigkeitspflicht - die Abschwächung dieses Konfliktes findet durch die Zwangshandlung statt.

Man könnte Nr. 1 auch etwas griffiger als passive Ebene und Nr. 2 als aktive Ebene bezeichnen.

Je nach charakterlicher Entwicklung dominiert im Lebenslauf evtl. die eine oder die andere Ebene. Das hängt sicher auch mit den Situationen und den jeweilig dahinterstehenden Defiziten zusammen: Wenn man z. B. einen tiefen Groll gegen Fremdbestimmung entwickelt (was ja eigentlich ein erster Schritt in die Freiheit sein könnte), bietet sich dem Zwängler logischerweise eher die aktive Ebene (Nr. 2) an um Erleichterung zu empfinden. Dominiert hingegen bei einem anderen Thema die Selbstverurteilung (z. B. bei vermeintlicher Unfähigkeit, das Leben zu meistern), nimmt der Zwängler die passive Ebene (Nr. 1) zu hilfe.

Du hast hiermit bereits selbständig eine zweite Wirkkomponente der Zwänge herausgearbeitet.

Mich wundert es ehrlich gesagt ein wenig, weshalb Dir keine der genannten Psychologinnen bzw. -therapeutinnen trotz Deiner offensichtlichen Einsichtsfähigkeit helfen konnte. Für meine Anmerkungen braucht man mitnichten studiert geschweige denn als Therapeut Erfahrung zu haben. Allerdings habe ich aus der Lektüre von Irvin D. Yaloms Buch Existenzielle Psychotherapie gelernt, wie wichtig es ist, seinen Patienten zu mögen. Ohne die vollumfängliche Annahme des Patienten kann lt. Yalom kein echter Kontakt und somit kein gegenseitiges Vertrauen und Verständnis entstehen. Ich liebe sowohl seine Fachbücher als auch seine Romane, die fast immer auf Fallbeispielen seiner Patienten basieren. Vielleicht mal ein Lesetipp?

Ich möchte außerdem vorsichtig behaupten, dass Du in vielerlei Hinsicht lebensfähiger bist als Du es selber empfindest. Deine Eigenwahrnehmung wird sich aber im Laufe der kommenden Zeit ändern - davon bin ich überzeugt.

Es geht nun darum, immer öfter zu erkennen, wobei und weshalb ein Zwangsgedanke entsteht. Selbst wenn Du ihm nicht immer widerstehen kannst, ersinne oder notiere den jeweiligen Konflikt, der für Dich augenscheinlich dahintersteht. Es ist gar nicht so extrem wichtig, den Konflikt und die Zwangslogik in jedem Detail zu verstehen. Ausschlaggebend ist zu lernen, was ein angemessener Umgang mit diesem Konflikt wäre bzw. wie er sich allmählich von vornherein vermeiden lässt. Manche Konflikte sind nämlich gar keine, sondern sie werden nur als solche empfunden. In derartigen Fällen bedarf es dann gar keiner Reaktion sondern lediglich der Einsicht, dass gar nicht zu handeln ist, bis das Leben einem irgendwann vermittelt, dass einem die Wahrnehmung mal wieder eine Vorstellung geliefert hat...

Auf den noch kürzeren Nenner gebracht: künftig mehr agieren statt reagieren!

Schönes Wochenende!

Guten Abend @moo,

ich bin heute früh aufgestanden und dachte mir, es wäre langsam mal der Zeitpunkt gekommen, bewusst keine Handlungen auszuführen.
Komplett habe ich es nicht geschafft, aber als Erfolg habe ich es trotzdem nicht verbuchen können. Heute ist mir jedoch das aktuelle Problem noch stärker als zuvor aufgefallen und das wäre das hier:

Zitat von moo:
Notwendigkeit vs. Unfähigheit


Das füttert mein Unterbewusstsein! Ich bin vollkommen perspektivlos, sehe keine Zukunft für mich und somit, dass ich nicht für mich sorgen kann. In der Schule habe ich den Grundstein gelegt bekommen: ich bin weniger wert als andere und aus mir wird nichts. Gepaart mit den Rückschlägen bzgl. abgebrochenen Studiengängen und der kurzen BW-Zeit wurde es nicht besser und der Wunsch oder viel mehr meine Aufgabe, etwas aus mir zu machen, um es mir und anderen zu beweisen, dass ich es kann und dass ich Verantwortung für mein Leben übernehmen kann, rückt mehr und mehr in ungreifbare Ferne.
Diese mir selbst auferlegte Aufgabe, die sich sehr fest verankert hat, steht der Tatsache, dass ich nicht weiß, was ich will gegenüber und diese beiden Gegensätze sorgen für den für mich riesigen Konflikt.

Seit ich mit meiner Freundin über dieses Problem gesprochen habe, ist der Druck wieder spürbar stärker geworden. Der Zusammenhang ist also mehr als offensichtlich, aber das Wissen, dass das zwar mindestens einen, wenn nicht den einzigen Konflikt darstellt, macht die Situation für mich nicht besser. Ich weiß nämlich nicht, wie ich daran etwas ändern soll. Die Tischler-Ausbildung ist und war von Anfang an eine notgedrungene Lösung, um mich aus meiner Situation zu befreien, obwohl ich nicht genau weiß, warum ich der Ausbildung gegenüber skeptisch bin. Ich denke, es ist die Angst, den falschen Schritt zu gehen, also, dass es mir letztendlich doch keinen Spaß macht und ich dann noch tiefer sinke oder die Angst, zu versagen, wobei ersteres für mich deutlich hervorsticht.

Zitat von moo:
Mich wundert es ehrlich gesagt ein wenig, weshalb Dir keine der genannten Psychologinnen bzw. -therapeutinnen trotz Deiner offensichtlichen Einsichtsfähigkeit helfen konnte.


Ja, das ist schade. Meine jetzige Therapeutin ist so gesehen die erste Richtige, denn vorher waren es die Therapeutin in der einen Klinik, die noch in Ausbildung war und sonst nur ein Gespräch hier und da. Ich will nicht sagen, dass sie schlecht ist, aber ich bin mit meinem Krankheitsbild für eine junge Therapeutin sicherlich eine andere Nummer, als für jemanden, der schon 30 Jahre Berufserfahrung sammeln konnte. Erfahrungswerte sind eben auch eine Menge, wenn nicht mehr als das im Studium/Lehrgängen erlernte Grundwissen, wert. Trotzdem werde ich die Therapie weitermachen und dem Ganzen noch eine Chance geben und mir, falls es nicht klappen sollte, eine/n anderen Therapeut/in zu suchen.



Lieeb Grüße

Grüß Dich @gimmel,

Zitat von gimmel:
ich bin heute früh aufgestanden und dachte mir, es wäre langsam mal der Zeitpunkt gekommen, bewusst keine Handlungen auszuführen.
Komplett habe ich es nicht geschafft, aber als Erfolg habe ich es trotzdem nicht verbuchen können.

Wenn Du zumindest die Ausführungshäufigkeit stark reduzieren kannst, sehe ich sehr wohl einen Erfolg! Ein wesentlicher Hemmschuh ist Dein in vielerlei Hinsicht ausgeprägter Perfektionssinn (bei Zwänglern üblich). Du nimmst alles, was nicht 100%ig ist, als komplettes Scheitern wahr.

Dass der Konflikt Notwendigkeit vs. Unfähigkeit Druck erzeugt, ist natürlich. Neu für Dich ist nun, dass Dir dieser Konfliktdruck durch unseren Dialog und das Gespräch mit Deiner Freundin bewusst wird. Vorher war er überwiegend unbewusst und wurde auch unbewusst (durch Zwänge) ausgeglichen.

Etwas vom Unbewussten ins Bewusste zu transferieren kann extrem schmerzhaft sein. Das ist nur logisch, denn nicht umsonst war es so lange unbewusst... Nenne es vielleicht einfach Transferschmerz oder, nicht ganz so zutreffend, Trennungsschmerz. Sich aus der (vermeintlich komfortablen) Unbewusstheit ins echte Handeln zu bewegen, ist wie wenn Du nach langer Post-OP-Liegephase an Krücken wieder das Gehen lernen musst: zu Beginn schmerzen noch die Operationswunden und die Erinnerung an die schwere Zeit vor der OP kommen zurück.

Zitat von gimmel:
In der Schule habe ich den Grundstein gelegt bekommen: ich bin weniger wert als andere und aus mir wird nichts.

Da wir uns beide nicht mehr in der Schule befinden, haben wir die Möglichkeit, ein eigenes Wertesystem zu leben, das sich weniger an Noten und Messbarem, sondern an Sinnhaftigkeit orientiert. Sich an der Vergangenheit zu orientieren verunmöglicht die gegenwärtige Verantwortung.

Zitat von gimmel:
Die Tischler-Ausbildung ist und war von Anfang an eine notgedrungene Lösung, um mich aus meiner Situation zu befreien, obwohl ich nicht genau weiß, warum ich der Ausbildung gegenüber skeptisch bin. Ich denke, es ist die Angst, den falschen Schritt zu gehen, also, dass es mir letztendlich doch keinen Spaß macht und ich dann noch tiefer sinke oder die Angst, zu versagen, wobei ersteres für mich deutlich hervorsticht.

(Fettdruck von mir). Ich glaube auch, dass für Dich die Freude am Tun der entscheidende Faktor ist. Und genau deshalb würde ich das Augenmerk von nun an nicht mehr auf die Versagensängste (und die damit zusammenhängenden Zukunftsängste) legen sondern auf jenen Aspekt, den Du selber ja bereits eindeutig als absolut wesentlich identifiziert hast. Mach Dir ernsthafte Gedanken, was Du tun willst. Ich neige zu der Ansicht, dass Du im Bereich Sozialpädagogik gut aufgehoben wärst. Da wirst Du kein Vermögen verdienen, aber etwas für Dich Sinnhaftes tun. Dazu ein schöner Spruch:

Wenn Dein Beruf tatsächlich Berufung ist, werden Krankheit und Tod es mit der Zeit leid, Dir nachzustellen.

Übrigens, netter Nebeneffekt: solltest Du in fünf Jahren einen Beruf erlernt haben und zufrieden ausführen, hättest Du es so ziemlich 80% Deiner gleichaltrigen Mitmenschen gezeigt, denn die allerwenigsten können von sich behaupten, bewusst den richtigen Beruf ergriffen zu haben. Die meisten (so auch ich) schlittern total unbewusst in irgendeinen Job aus Geld- oder anderweitigen (vermeintlichen) Dringlichkeitsgründen und vegetieren bis zur Rente oder Burnout so dahin. Der Buddha nannte das so schön Altern nach Rinderart - Essen, Kacken, Sterben.

Das was Du als Orientierungslosigkeit wahrnimmst, würde ich eher als angemessene Achtsamkeit bezeichnen, denn der Beruf sollte schon seinem Namen alle Ehre machen... Schau nicht auf Dein (junges!) Alter - Zeit ist unrelevant!

Wenn Du das mal so Revue passieren lässt, siehst Du vielleicht ein, dass Deine lange Zwangsphase Dir Stück für Stück das Vertrauen in Dich und das Leben genommen hat. Das hört sich erstmal deprimierend an, doch es ist keinesfalls irreversibel. Und es dauert auch keine Ewigkeit. Es geht hier weniger um ein Agieren im Außen als um einen internen (geistigen) Umbau, der mitunter sehr flott vollzogen werden kann. Was Du allerdings brauchst, ist ein bisserl Sprit im Vergaser, um den Kaltstart zu ermöglichen. Und dieser Sprit ist eine kleine Portion Vertrauen...es muss gar nicht viel sein. Dieses Vertrauen brauchst Du auf nichts spezielles zu richten, sondern Du solltest Dir trauen. Sich selber zu trauen, hat nichts mit Mut zu tun, sondern damit, ein vertrauender Mensch zu sein. Selbstvertrauen und Selbstliebe bedingen einander.

Es gäbe hierzu viele gute Meditationen, aber ich weiß nicht, ob das was für Dich ist. Ich selber meditiere seit 17 Jahren regelmäßig und habe auch eine recht umfangreiche Bibliothek zu dem Thema (inzwischen ausschließlich Theravada-Buddhismus und Zen). Bei Interesse kann ich Dir gerne was zum Einstieg zuschicken (bitte per PN), denn solche Anleitungen sprengen hier eindeutig den Rahmen.

Was weiterhin immer zu bedenken ist: diese Zweifelhaltung, diese Unentschlossenheit ist ein Aspekt des zwanghaften Geistes. Der freie Geist kennt diesen Dualitätsmodus nicht bzw. hat seine Schwächen und Hemmungen erkannt. Je mehr Du verstehst (und das Verstehen erfolgt eben auch durch das Nicht-befolgen der Zwänge), umso natürlicher löst sich der Griff aus der selbst gehaltenen Falle.

Salve und bis neulich!

Hallo @moo,

Zitat von moo:
Wenn Du zumindest die Ausführungshäufigkeit stark reduzieren kannst, sehe ich sehr wohl einen Erfolg! Ein wesentlicher Hemmschuh ist Dein in vielerlei Hinsicht ausgeprägter Perfektionssinn (bei Zwänglern üblich). Du nimmst alles, was nicht 100%ig ist, als komplettes Scheitern wahr.


Den Perfektionismus kenne ich sehr gut und habe ihn schon oft erkannt, obgleich er mir Ansporn gibt, mich Aufgaben (die mir Spaß machen) voll und ganz zuzuwenden. Ich habe mir denke ich, womöglich sogar nicht direkt bewusst, davon erhofft, die Zwangsgedanken unter Kontrolle bekommen zu können.


Zitat von moo:
Ich glaube auch, dass für Dich die Freude am Tun der entscheidende Faktor ist. Und genau deshalb würde ich das Augenmerk von nun an nicht mehr auf die Versagensängste (und die damit zusammenhängenden Zukunftsängste) legen sondern auf jenen Aspekt, den Du selber ja bereits eindeutig als absolut wesentlich identifiziert hast. Mach Dir ernsthafte Gedanken, was Du tun willst. Ich neige zu der Ansicht, dass Du im Bereich Sozialpädagogik gut aufgehoben wärst. Da wirst Du kein Vermögen verdienen, aber etwas für Dich Sinnhaftes tun.


Das Problem bei der Sozialpädagogik ist, dass ich sehr schnell reizbar bin und nicht mit Lärm und widerspenstigen Kindern oder behinderten Menschen umgehen kann. Es reicht, wenn eine Spatzenschaar lärmt, ein Hund wenige Sekunden bellt oder mein Neffe brüllt und ich flippe innerlich aus. Das kam mir nämlich vor einigen Monaten schon in den Sinn, aber der eben genannte Grund macht mir da einen Strich durch die Rechnung.
Als Kind wollte ich Archäologe und später Biologe werden. Beides bedarf eines Studiums, was mir durch mein Disziplin- und Aufmerksamkeitsdefizit geblockt wird und das weiß ich aus Erfahrung. Obwohl ich sehr gerne (Meeres-)Biologie studieren würde...
So gesehen bleibt mir nur eine (strukturierte, wenn auch fremdbestimmte) Ausbildung und da ist das einzige, was mir bei Tests vorgeschlagen wird und gleichzeitig in meinen Augen am sinnvollsten erscheint, der Tischler. Ich habe keine Erfahrung gesammelt und der einzige Punkt, der mich die Vorstellung, diese Ausbildung zu machen, nicht verwerfen lässt ist die Kreativität, die ich einbringen kann.

Zitat von moo:
Es gäbe hierzu viele gute Meditationen, aber ich weiß nicht, ob das was für Dich ist.


Da liegst du ganz richtig. Ich bin (noch nicht) der Mensch, der sich damit befassen kann und etwas daraus zieht. Wenn sich das ändern sollte, komme ich ganz sicher auf dich zurück!

Liebe Grüße
Sponsor-Mitgliedschaft

Guten Morgen @gimmel,

ich persönlich wäre im Rückblick lustigerweise übrigens gerne Schreiner geworden . Und ich möchte Dich motivieren, es einfach zu versuchen. Wer weiß, vielleicht entwickelst Du Liebe dafür, wenn Du es mal tatsächlich tust.

Ich habe ab morgen einen Haufen Schreibarbeit und werde die nächsten Wochen wohl nur selten ins Forum schauen. Falls ich irgendwie dringlich helfen kann, erreichst Du mich per PN.

Vorerst alles Gute auf weiteres liebe Grüße!

Hallo @moo,

ja, ich werde es einfach versuchen. Was anderes bleibt mir wohl sowieso nicht übrig und die ganze Zeit in der Theorie zu schwelgen ist es sicher nicht.

Vielen Dank dir noch Mal, du hast mir echt weiter geholfen!

Liebe Grüße

A


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Dr. Matthias Nagel
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