Zitat von Yannick:Es gab auch da schon Menschen, die allein in Krankenhäusern gestorben sind, weil die Verwandten eben nicht rund um die Uhr da sein können und die Ärzte nicht auf Verdacht alle fünf Minuten die Verwandten ans Sterbebett bitten können. Mein Vater z.B. war auch ganz allein bei seinem Tod...
Jetzt ist es plötzlich menschenunwürdig...
Ich sehe einen Unterschied darin, ob Menschen Entscheidungen treffen können oder nicht. Wenn Besuche nicht gestattet werden, ist diese Entscheidung genommen. Der Sterbende mag es vielleicht nicht mitbekommen oder aber akzeptieren. Die Hinterbliebenen müssen damit leben, sich nicht verabschiedet haben zu können. Das ist bei einem Unfalltod oder einem Suizid nicht anders - und es löst oft nachhaltige Traumatisierungen aus.
Und ja: Jedes Sterben, das außergewöhnlich ist, weil es nicht den normalen Gegebenheiten entspricht, an die man sich gewöhnt und angepasst hat, ist schlimmer als das, das uns tagtäglich begegnet. Ich habe an anderer Stelle schon einmal erwähnt, wie dankbar ich dafür bin, dass Corona bislang zumindest die natürliche Reihenfolge nicht umkehrt und Eltern nicht ihre Kinder begraben müssen.
Im Gegensatz zu den meisten hier ist mir leider auch vertraut, was die Umsetzung einer Triage bedeutet. Ich habe als Rettungshundeführerin im Katastrophenschutz gearbeitet und einige Auslandseinsätze erlebt, bei denen wir immer wieder entscheiden mussten, wem wir helfen, weil es nicht möglich war, alle zu retten.
Trigger
Das bedeutete auch, ein weinendes Baby, das unter Trümmern verschüttet war, nicht zu bergen, weil diese Bergung eine Familie mit mehreren Kindern unrettbar verschüttet hätte.
Das bringt die Menschen, die solche Entscheidungen treffen müssen, an den Rand ihrer Belastungsgrenze - auch wenn sie in der Theorie auf so etwas vorbereitet sind. Ich habe die genannte Entscheidung nicht selbst treffen müssen, aber ich höre das Weinen noch heute, 25 Jahre später in meinen Träumen. Es begleitet mich, wie andere derartige Entscheidungen auch und wird mich nie wieder verlassen.
Allein deswegen ist es leichtfertig, nicht alles dafür zu tun, dass unsere Krankenhäuser leistungsfähig genug bleiben, um solche Situationen zu vermeiden. Und nein: Es macht keinen Unterschied, wenn du selbst die Entscheidung triffst, welches Leben du für ein anderes opferst.
Ein einfaches Beispiel, das rein rational sicher leicht zu entscheiden wäre: Wenn bekannt würde, dass Hunde und Katzen die Verursacher und Überträger des Virus wären: Wer würde den geliebten Familienhund oder die nicht minder geliebte Katze töten lassen, um sich selbst und seine Kinder zu schützen? Was tut man, wenn man es plötzlich selbst in den Händen hätte, zu überleben, indem man ein anderes Leben opfert? Auch wenn es nur das eines Tieres wäre?
Natürlich hast du Recht damit, dass jedes Leben früher oder später mit dem Tod endet. Wäre das aber so einfach zu nehmen, wäre die Mehrzahl der Leute nicht in diesem Forum. Die Angst vor einem Tod, der früher kommt, als man bereit ist, ihn zu akzeptieren, ist nicht rational. Deswegen ist sie aber nicht weniger bedeutsam.
Und ja: Alte Menschen haben ihr Leben gelebt. Aber weiß man, wie dieses Leben verlaufen ist? Weiß man, ob der alte Mensch auf ein erfülltes, gutes Leben zurückblicken kann oder ob er nicht vielleicht erst im Alter in der Lage war, sein Leben auch zu genießen?
@Schlaflose beschreibt ihre große Angst als die, im Alter arm zu sein. Sie hat ihr Leben dafür gekämpft, ein gutes und würdiges Alter leben zu können. Wäre ihr Leben im Fall der Fälle einfacher aufzugeben als das eines 20 Jahre Jüngeren, dem in seinem bisherigen Leben nur die Sonne aus dem Allerwertesten schien?
Rationalität ist eine feine Sache. Aber eine Gesellschaft, die ohne Emotio agiert, wäre kaum ein erstrebenswerter Ort zum Leben.