Hallo Ihr Lieben!
Ich bin nun seit vielen Jahren dabei, meine Zuckungen und andere Symptome für ALS zu halten..
Ich habe soeben nachgeschaut, mein letzter Beitrag hier war von Ende 2021, offenbar wart Ihr auch seither weiterhin fleißig.. Nun werde ich nochmal meinen damaligen Beitrag hier einstellen, auch wenn Doppelposts in der Regel unterlassen werden sollten. Es ist aber meine Überzeugung, dass gelegentliche, tröstende Worte den Betroffenen gut tun und ich als Paradebeispiel für einen ALS-Angstpatienten herhalten kann.
Ich wollte mich erst gar nicht mehr hier blicken lassen, doch denke ich, dass Ihr wohl genauso sehr leidet und zittert, wie ich meinerzeit.. Deshalb habe ich mich doch dafür entschieden, mich mal wieder hier zu melden um Euch etwas Hoffnung geben zu können.
Nun, ich zucke seit etwa März 2018. Mal mehr, mal weniger, manche Tage sind besser, an manchen Tagen zucke ich 24/7.. Das ist nicht übertrieben, es gibt Tage, an denen eine oder mehrere meiner Muskelpartien mehrere Stunden lang ununterbrochen zucken. Das sind dann auch keine „Minizuckungen“, vielmehr zappelt mein Bizeps, Trizeps, Oberschenkel, schräge Buchmuskel, Schulter, Rücken oder was auch immer im Sekundentakt, gut und für jedermann sichtbar, für mehrere Stunden.
Auch habe und verspüre ich immer wieder andere Symptome, wie Schwäche, Muskelschmerzen, Krämpfe.. und sehe Spuren von schwindenden Muskeln, mal hier, mal da. Das kennt Ihr, wohl alle..
Nun, warum ich mich hier bei Euch wieder melde.. ich möchte Euch gerne irgendwie helfen. Nicht aus einer Überlegenheit heraus, oder um euch und eure Ängste kleinzureden… Nein! Vielmehr, um Euch den Leidensweg, den ich gegangen bin, zu ersparen, oder zumindest etwas von euren fürchterlichen Ängsten zu nehmen.
Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn einem die Überzeugung durch Mark und Bein fährt, dass man eine der wohl allerschlimmsten Krankheiten hat. Diese Überzeugung und die mit ihr verbundene Angst ist so stark und vereinnahmend, dass man nicht mehr Herr (oder Frau) der eigenen Sinne ist. Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat vergehen, und die Gedanken kreisen immer wieder um die selben Ängste, um die selbe Katastrophe.
Und nun hier meine Erfahrung: keine Ahnung, ob ich nun Safe bin, oder mich ein schlimmes Schicksal erwartet.. aber eins kann ich euch mit Gewissheit sagen: Jeder Tag, den ihr mit Angst, Furcht, Hypochondrie, und falschen Visionen verbringt, raubt euch auch einen Tag eures doch so kostbaren Lebens.
Wir wissen alle nicht, was morgen ist.
Wir wissen schon gar nicht, was in 100 Jahren ist.
Wir haben Angst, etwas schlimmes zu erleiden, etwas zu verpassen, und vor allem davor, unser kurzes Leben zu vergeuden.
Aber ich sage euch, an dem Tag, an dem ihr erkennt, dass wir alle keine Macht über unsere Zukunft haben, keinerlei Macht über unsere Gesundheit, unser Schicksal, oder gar um das Schicksal der Menschheit, der Welt oder des Universums.. Nun an dem Tag werdet ihr auch erkennen, dass diese schreckliche, permanente Angst genau das ist, wovor ihr euch in Wahrheit fürchtet. Diese Angst selbst ist das Gift, das euch die Lebensfreude, die Hoffnung, und den Spaß am Leben verdirbt.
Ich habe vor einiger Zeit, im Deutschlandfunk ein Interview gehört, da hat eine Frau erzählt, dass ihr Mann ALS bekam. Er wurde in kürzester Zeit komplett gelähmt, konnte nur noch die Augen bewegen. Obgleich er wusste, dass er in Kürze sterben wird, hat er sich in eine seiner Pflegerinnen verliebt. Daraufhin ließ er sich von sechs Mann in eine eigene, neue Wohnung tragen, hat sich von seiner Frau getrennt, und ist in der neuen Wohnung alleine gestorben.
Zuerst war ich geschockt, als ich das gehört habe. Dann habe ich überlegt, und nun interpretiere es so:
Sogar in der größten Verzweiflung, im Angesicht des Todes, hat dieser Mensch Gefühle entwickelt, sich ein selbstbestimmtes Leben gewünscht und erkämpft.
Das Schlimmste also, was ein Mensch sich selbst antun kann, ist, dass er sich von seinen eigenen Ängsten und Befürchtungen leiten lässt und sich damit selbst die Fähigkeit und den Willen auf Selbstbestimmung und Freude an dem Leben, an der Freude des Moments aberkennt.
Ihr alle hier, wie auch ich, lebt in einer fürchterlichen Welt der Furcht, in der Selbstüberzeugung, um etwas, was vielleicht tatsächlich sein mag, aber wahrscheinlich aber doch nicht so ist. Ihr alle hier, wie auch ich, nehmen uns damit gleichzeitig die Chance, unser einzigartiges und einmaliges Leben, hier auf dieser wunderbaren Welt, zu leben, zu genießen, zu ergründen, und würdevoll zu Ende zu bringen. Wir lassen uns von der Angst beherrschen und geben uns selbst damit auf.
So lasst euch nicht den Spaß nehmen, zu leben! Überlegt euch, ob ihr im Forum, bei euren Liebsten, bei Kollegen und Freunden, aber vor allem in eurem eigenen Angesicht in Furcht, Angst und Verzweiflung vegetieren wollt, oder euch lieber endlich fallen lässt, und akzeptiert, dass das Universum gütig, und euer Leben, wie beschissen es auch enden mag, lebenswert ist. Carpe Diem. Mehr ist es nicht.
Lasst los.
Dann erst wird es besser.
08.01.2024 08:42 •
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