Zitat von Ahnungslos1234: Ich bin nachts immer wach
Ich auch, Schlafbeginn ist derzeit meistens zwischen 6 und 9 Uhr. Massive Schlafprobleme habe ich schon in der Kindheit bekommen, das zu erzählen wäre eine sehr lange Geschichte (noch länger als der folgende Text, ich bitte um Entschuldigung).
Im Laufe der Jahrzehnte hat sich dieses Muster ergeben:
zwanghaftes Wachhalten bis zum Umfallen, was aus mehreren Ursachen stammt:
1.
Angst vor dem Nicht-Einschlafen-Können (Angst vor der Angst). Gehe ich einfach so ins Bett, ohne richtig müde zu sein, werde ich immer nervöser, bis ich es nicht mehr aushalten kann und aufstehen muss, um mich zu beschäftigen. Ohne geistige Auslastung verfalle ich meistens in Depressionen oder extrem belastende Gedankenkaskaden (ehemals auch Liebeskummer und Verzweiflung). Also gehe ich erst ins Bett, wenn ich die Augen nicht mehr aufhalten kann. Heutzutage sorgen meine Beruhigungsmittel und Schlafmittel dafür, dass ich überhaupt einschlafen kann und nicht eine Nacht auslasse (um irgendwann umzukippen). Anfangs hat mir ein Beruhigungsmittel (Amitriptylin) einen richtig normalen Schlafrhythmus beschert, so dass ich einige Jahre normal leben und arbeiten konnte. Irgendwann wurden die Ängste und Zwänge wieder stärker, auch weil die Arbeit belastender wurde. Dazu kommt noch, dass ich meistens viel zu früh wieder aufwache, wenn ich mal besonders früh einschlafen konnte. Teilweise bin ich dann sehr nervös, gleichzeitig sehr müde und habe oft Kopfschmerzen - noch ein Blockadegrund, s. Kontrollverlust.
Detail/Beispiel: Ein konkreter Auslöser in der Kindheit war, dass sich mein Herzschlag in meinen Ohren anhörte, wie wenn jemand auf einem Friedhof über Kies geht, ohne jemals anzukommen, was mich ängstigte und sehr lange anhielt. Erst spät habe ich den möglichen Grund gefunden: als ich wenige Jahre alt war, wohnten wir bei den Eltern meines Vaters, und der Großvater starb plötzlich zuhause. Die unterbewusste Erinnerung an den Tod, die Beerdigung und die Grabbesuche kann die Assoziation verursacht haben. Ich habe als Kind anscheinend nicht verstanden oder verarbeitet, was passiert war. Die damals häufigen Alpträume habe ich schon lange nicht mehr.
2.
Carpe diem - ich muss den Tag nutzen (festhalten). Wichtige unerledigte Aufgaben belasten mich, schon alltägliche Hausaufgaben der Schule konnte ich nicht tagsüber erledigen (im Studium wurde das noch schlimmer). Prüfungsvorbereitungen waren angstbedingt meistens unmöglich. Beruflich lief es darauf hinaus, Termine durch zusätzliche Nachtarbeit zu halten. Problem: mit dem resultierenden Schlafmangel war das Arbeiten am nächsten Tag noch schwieriger, nun eher durch Müdigkeit statt Angst eingeschränkt. Folge: wieder nachts dableiben, um irgend etwas hinzubekommen, mit kräftiger Hilfe von Koffein und Zucker, aber oft mit einem Erfolgserlebnis. Nach der Arbeit nach hause zu fahren war anschließend wiederum psychisch blockiert (zu müde), also noch späterer Schlaf...
3.
Phantasiewelt und Ablenkung von Problemen durch Hinwendung zu interessanten (zumindest nicht belastenden), angenehmen, teilweise berauschenden, wiederum zwanghaft ausgeübten Tätigkeiten: Lesen (ehemals Bücher, heute Webseiten), Internet-Surfen, Computerspiele, Computerbasteln und, um ehrlich zu sein, sexuelle Phantasien und Handlungen. In dieser Phantasiewelt spielte der einzuhaltende Tagesablauf keine Rolle.
4.
Selbstbestimmung: Nur nachts, wenn alle schlafen, fühle ich mich frei und unbeobachtet genug für ein selbstbestimmtes, aber heimliches Leben. Das blieb sogar, nachdem ich bei meinen Eltern ausgezogen war. An der Uni fühlte ich mich ebenso beobachtet und gedemütigt (insbesondere durch Tutoren), so dass ich nach dem Vordiplom unzählige Nächte sinnlos in den Rechnerräumen verbrachte. Bei der Arbeit war das ähnlich, weil ich bestimmte Personen oder Situationen nicht ertragen konnte (soziale Phobie). Insgesamt habe ich mich in Jahrzehnten völlig isoliert (fast keine Freunde und Bekannte) und versteckt.
5.
Angst vor Kontrollverlust: Ich fühle mich bedroht (heutzutage abstrakt; ursprünglich aber real durch meinen jähzornigen Vater und auch andere Personen) und muss mich wachhalten. Mit Zopiclon könnte ich eigentlich meinen Schlaf sehr gut steuern - da wirkt schon eine halbe Tablette zuverlässig - aber das
fühlt sich falsch an. Außerdem soll Zopiclon schnell abhängig machen, und es führt in meinem Fall (laienmäßig erwiesenermaßen) zu Aggressivität und labilem Gemütszustand (d.h. noch schlimmer als sonst), daher nehme ich es möglichst selten.
6.
körperliche Erkrankungen: Verdauungsprobleme (s. RDS), chronische Zahnschmerzen, häufige Kopfschmerzen, Muskelkrämpfe; oder auch nur die Angst vor diesen (s. Kontrollverlust); heute sind diese Belastungen fast verschwunden.
7.
Blockaden bei der Schlafvorbereitung: beispielsweise konnten Stunden (ja, echt) vergehen, bis ich mich zum Duschen oder Zähneputzen durchringen konnte, wieder wegen Versagensangst (ja, echt - s. Kontrollverlust), außerdem Angst vor Entdeckung durch die (bzw. Störung der) Schlafenden. Heutzutage sind diese Handlungen vollständig ritualisiert und optimiert, und zwar so, dass ich mich mit Reihenfolge, Methoden, Tempo, Gründlichkeit, Umfang und dem Ergebnis identifiziere. Endloses Grübeln und Blockaden sind sehr selten geworden. Dies gelang mir erst, als ich allein wohnte.
8.
Kreislauf: der Sommer in dieser Gegend ist für mich ungeeignet - bei Hitze kann ich nicht schlafen, weil ich stark schwitze und mein Kreislauf angeregt wird (weil ich nervös werde, weil ich ja weiß, dass ich bei Hitze nicht schlafen kann...). Daher ist Sport vor dem Schlafen für mich nicht das Richtige. Selbst wenn ich körperlich total erschöpft bin, meint mein Kopf, er müsse mich auf jeden Fall wachhalten (s. Kontrollverlust). Und dann war da noch der Trieb, nachts zu essen (wie mein Vater auch).
9.
Überarbeitung bei extremem Schlafmangel in den ersten Semestern mit Nebentätigkeiten (sieben Tage bzw. achtzig Stunden pro Woche) und einige Jahre mit
Schichtarbeit, aber mit geordneten Übergängen; längst nicht so belastend und krankmachend wie ich das bei anderen mitbekommen habe (Krankenhausärzte, Deutsche Bahn) - das kann ich nur noch als menschenverachtend bezeichnen. (Im Notfall ist ein irregulärer Übergang akzeptabel, aber nicht als Dauerzustand. Und wenn die Betroffenen wegen Übermüdung Fehler machen, sollen sie selbst schuld sein - sie hätten sich ja krankschreiben lassen oder für dienstunfähig erklären können.) Im Beruf dann wieder Überarbeitung (wieder achtzig Stunden pro Woche) bis zum Umfallen, aber durchaus mit Erfolgserlebnissen, Anerkennung, Selbstbestimmung, Zufriedenheit und Erfüllung eines Lebenstraums. Das ist... vorbei.
10. Ach ja: die Wechselwirkung mit meiner
Bipolaren Affektiven Störung (oder ADS, je nachdem, welchen Arzt man fragt) macht all das noch weniger steuerbar. Wahrscheinlich ist sie durch den jahrelangen extremen Schlafmangel entstanden: immer wieder ein Aufbäumen gegen die extreme Müdigkeit (mit teilweise sehr positiver Selbstwahrnehmung und mit Hilfe von KoffeinZucker), um später erschöpft zusammenzusinken (dann Selbstzweifel - ich habe noch nicht genug geleistet, kann aber nicht mehr - und Soziale Phobie - die anderen sehen, dass ich nicht mehr kann; ich bin wehrlos). Dementsprechend sind die Übergänge zwischen normal - resignierend - depressiv - defensiv - aggressiv - positiv manisch - erschöpft - normal selbst für einen Bipolaren extrem stark und häufig. Ich kann aber auch tagelang in einem Zustand verharren. Fühle ich mich überfordert (das kann schon bei Kleinigkeiten äußerst schnell passieren, besonders bei Schlafmangel) oder emotional angegriffen, kann ich völlig überreagieren. Dann brechen die Dschungelinstinkte hervor: Verteidung (Gegenangriff), Erstarren oder Weglaufen. Und mein Gegenüber denkt sich wohl: Was ist denn jetzt passiert? Ist der bekloppt?
Soweit dieser Ausschnitt aus meinen Problemkomplexen. Lange Zeit habe ich mich massiv angestrengt, den Anforderungen anderer zu entsprechen, von mir nur Bestleistungen zu akzeptieren und irgendwie durchzuhalten, bis gar nichts mehr ging. Ich hielt mich für einen völligen Versager, gab aber der ungerechten Behandlung durch andere die Schuld. Erst viele Jahre später, nach meinem allerletzten Arbeitstag, hat eine Psychiaterin zu mir (sinngemäß) gesagt: Sie müssen akzeptieren, dass sie sehr schwer krank sind, psychisch krank. Es ist möglich, dass sie das ihr ganzes Leben lang begleiten wird. In der Reha hieß es (für mich unerwartet), dass ich überhaupt nicht (mehr) arbeiten könne. Mittlerweile akzeptiere ich die Situation. Kontrolle über meinen Tagesablauf habe ich immer noch nicht so recht, und die Gedanken müssen weiterhin betäubt werden.