Hallo liebe Lunatica,
Zitat von Lunatica: Könntest du vielleicht ein Beispiel bringen liebe Silver wie du deine Gedanken stoppst?
Ich bin zwar in Therapie aber dort fühle ich mich so unter Druck, da klappt es irgendwie nicht!
Ich versuche es gerne mal, das hier ist jetzt erstmal eine spontane Reaktion auf Deine Frage, also quasi ein erstes spontanes Brainstorming.
Für mich war es eine Mischung aus verschiedenen Dingen:
Zuerst die Erkenntnis, dass Gedanken keine Macht über mich haben, an sich nicht gefährlich sind, nichts mit der Realität zu tun haben und für sich genommen weder gut noch schlecht sind, sondern neutral, wenn ich sie nicht mit Emotionen auflade. Ich habe also mein Verhältnis und meine Einstellung zu meinen Gedanken (und den anhängigen Emotionen) verändert.
Inzwischen betrachte ich (Angst-/Zwangs-/ sonstige Gedanken) zunächst einmal neutral, damit meine ich , dass ich sie nicht bewerte, denn die Bewertung des Gedanken löst die emotionale Reaktion aus.
Ich nehme sie also war, aber nur im Sinne von (bitte nicht über die Formulierungen lachen, ich weiß, dass sich das etwas komisch anhört ): Aha, ich denke gerade xy. (Oder, Formulierung eines meiner Therapeuten: Ist ja interessant, ich denke gerade xy, wobei interessant jetzt nicht bewertend, sondern als wahrnehmend gemeint ist.) Das löst eine ganz andere innere Reaktion aus als katastrophisierende Reaktionen wie Oh nein, wie schrecklich, wie furchtbar, ich denke xy.
Damit ist gemeint, dass ich dem Gedanken die Aufmerksamkeit schenke, die er benötigt (weil er sich ansonsten solange verstärkt, bis ich ihn beachte), ich versinke aber nicht in der Emotion, die er vermittelt. Ich nehme ihn war, betrachte ihn, aber ich lasse ihn dann auch (falls möglich) wieder ziehen, fokussiere ihn aber nicht über die Maßen und bewerte ihn nicht weiter. Wenn das nicht geht, verschiebe ich meine Wahrnehmung aktiv auf eine klassische 5-4-3-2-1-Übung, um mich in der über die Sinne wahrnehmbaren Realität zu verankern (5 Dinge, die ich sehe, die ich höre, die ich spüre, usw.), damit der Gedanke mich nicht vollständig vereinnahmen kann und ich nicht in ihm versinke.
Mit einer möglichst verankerten und inneren ruhigen Haltung wende ich mich dem Gedanken zu, schaue mir an, was es für ein Gedanke ist, was für ein Gefühl er auslöst (ohne in das Gefühl reinzugehen) und was er mir mitteilen möchte.
Ich gehe in einen inneren Dialog mit dem Gedanken, aber aus einer ruhigen und unaufgeregten Haltung heraus. Im Prinzip wie ein ruhiger Elternteil mit einem aufgeregten Kind sprechen würde oder wie ein Therapeut mit einem aufgeregtem Patienten reden würde.
Im Hinterkopf habe ich dabei immer meine eigene feste Überzeugung: Es ist nur ein Gedanke, es ist keine Realität. Der Gedanke ist nur ein Gedanke, darum muss das, was er mir sagt, nicht der Realität entsprechen, der Gedanke denkt das nur (oder ein Teil von mir denkt das nur). Ich schaue mir an, welches Gefühl hinter dem Gedanken liegt. Aber wie gesagt: ohne in das Gefühl reinzugehen. Und ich bewerte auch den Inhalt des Gedankens nicht (ebenfalls um eine zu starke emotionale Reaktion zu vermeiden).
Und über die unterliegende Emotion, die ich identifizieren kann, finde ich dann zumeist den Weg zu dem unerfüllten Bedürfnis, welches dem Gedanken zugrunde liegt.
Und dann versuche ich, dieses Bedürfnis zu erfüllen. Denn eine Emotion ist ja im Wesentlichen das: ein Hinweis auf etwas.
Ich habe Angst- Ich brauche Schutz
Ich bin traurig- Ich brauche Trost usw. usw.
Und auf diesem Wege habe ich dem Gedanken dann zumeist schon seine Schärfe genommen. Wenn der Gedanke merkt, dass ich ihn beachte, ihm aber nicht die Führung überlasse, beruhigt er sich oftmals. Mit Übung funktioniert das über die Zeit immer besser.
Was mir auch geholfen hat (gerade bei sehr aufgeregten/aufdringlichen Gedanken): ein inneres Stopp-Schild visualisieren. Auf dem Weg dahin habe auch eine zeitlang ein ganz konkretes kleines Stopp-Schild in meiner Tasche gehabt, das ich mal von einer Therapeutin bekommen hatte.
Und ich versuche auch, meinen Gedanken bestimmte Regeln zu vermitteln. Das kann bedeuten, dass ein Gedanke lernen muss, auch mal etwas zu warten (z.B. wenn ich gerade draußen unterwegs bin). Das kann auch bedeuten (eine klassische Grübelstopp-Startegie), dass ich mit dem Gedanken vereinbare, dass er jeden Tag eine gewisse Zeit bekommt, in der ich mich mit ihm beschäftige, danach muss dann aber auch wieder Ruhe sein, z.B. 30 min um 15.00 Uhr. Wenn diese 15 min um sind, heißt es dann auch, dass der Gedanke bis zum nächsten Tag warten muss, bis ich mich wieder mit ihm beschäftige, aber ich verspreche ihm auch, dass ich am nächsten Tag wieder zuverlässig für ihn da bin.
Mir ist bewusst, dass sich das alles bestimmt ziemlich schräg anhört, gerade auch die Personifikation von Gedanken, denn wir reden hier ja von innerpsychischen Mechanismen, das ist mir bewusst, aber mir persönlich hilft dieses Vorgehen.
Zusammenfassung: Es ist vor allem die veränderte Einstellung zu meinen Gedanken, die mir geholfen hat:
- ein Gedanke ist nur ein Gedanke, für sich genommen weder gut noch schlecht
- erst über meine Bewertung des Gedankens lade ich ihn mit emotionaler Bedeutung auf
- ein Gedanke sagt rein gar nichts über die tatsächliche Realität aus
- ein Gedanke möchte wahrgenommen werden, braucht meine Aufmerksamkeit, er ist für sich genommen auch nicht gefährlich
- oftmals möchte mir ein Gedanke einen Hinweis auf ein Ungleichgewicht in meinem Leben/ meiner aktuellen Situation geben, er ist also nicht darauf aus, mir zu schaden, im Gegenteil
- es ist wichtig, dem Gedanken ruhig und unaufgeregt zu begegnen
- dem Gedanke liegt eine Emotion und damit ein Bedürfnis zugrunde, er will mir einen Hinweis auf etwas geben
- es kann auch helfen, ganz klassisch ein Stopp-Schild zu visualisieren oder feste Grübel-Zeiten einzurichten
Soweit erstmal, ich hoffe, es war etwas Hilfreiches für Dich dabei und ich habe nicht allzu wirr geschrieben .
LG Silver