Also ich glaube gar nicht, dass wir uns in der Rolle wohl fühlen - das hat sowas von Selbstvorwurf. Ich neige auch manchmal dazu, mir diesen Selbstvorwurf zu machen, aber ich komme doch zu dem Schluss, dass er nicht gerechtfertigt ist. Natürlich zieht man eine Art Gewinn aus seinem Verhalten, aber das ist ja nicht wirklich steuerbar in der Situation.
Ich hatte ganz lange genau wie du, wenn es für meine Psyche brenzlig wurde oder ich vor unangenehmen Situationen stand, das Problem, dass ich krank wurde - Mandelentzündung. Immer wieder. Ich hatte das seit frühester Kindheit - damals war es so, dass ich als Gewinn aus der Krankheit gezogen habe, dass ich nicht in die Krippe bzw. später in den Kindergarten musste. Und wenn ich zu Hause bleiben musste, musste natürlich auch ein Elternteil mit zu Hause bleiben - ich denke heute, dass meine Eltern mich zu früh in die Obhut anderer gegeben haben (das war aber halt damals so üblich und wurde entwicklungspsychologisch gar nicht hinterfragt) und das meine Art war, mir die Nähe meiner Eltern zurückzuholen. Später wurde ich dann immer krank, wenn mir eine bevorstehende Situation irgendwie Angst machte. Das ging bis ins Erwachsenenalter - neuer Job: krank! Blödes Gespräch: krank! Usw. Irgendwann nach dem Studium als ich dann richtig arbeitete konnte ich nicht einfach zu Hause bleiben und bin trotzdem arbeiten gegangen - das hat sich der Körper gemerkt und daraufhin hatte ich nie wieder eine Mandelentzündung. Seitdem dafür eben psychische Einschränkungen, die mich teilweise deutlicher in die Knie zwingen als eine kleine Mandelentzündung - wenn mein Körper und meine Seele was wollen, setzen sie sich halt irgendwie durch und das ist bei jedem Menschen so.
Im Endeffekt geht es ja auch um nichts anderes, als einen annehmbaren Weg zu finden, mit den negativen Gefühlen umzugehen. Sie werden dich immer begleiten - du kannst ihnen den Schrecken nehmen mit einer Therapie, aber sie sind ein Teil von dir und hatten lange Zeit eine überlebenswichtige Funktion für dich - Verlassen werden als Kind ist existenziell bedrohlich. Deine Angst hat dich für bedrohliche Situationen sensibilisiert und dich damit geschützt und dir zum Überleben verholfen (heruntergebrochen und evolutionsbiologisch betrachtet). Weil sie eine so hohe Bedeutung hatte, sind diese Gefühle heute so stark - die Angst versteht nicht, warum sie jetzt nicht mehr gebraucht werden sollte. Und diese Kluft zwischen erlernten, als überlebenswichtig eingeschätzten Prozessen in deinem Unterbewusstsein und der Realität, die heute ganz anders aussieht als in Kindertagen, zu überwinden und mit einer Brücke zu verbinden, ist eine echte Herausforderung. Insofern ist es gut und richtig, dass du am normalen Leben teilhaben kannst. Alles andere würde einen noch weiteren Weg bedeuten. Ich konnte das, Gott sei Dank, auch überwiegend - wenn ich es nicht zulasse, merkt mir kein Mensch an, wie es in mir aussieht und ich bin meistens in der Lage, zu funktionieren. Aber das ist anstrengend und auch da gilt es, die Balance zu finden - Struktur und Alltag sind wichtig, aber sie dürfen nicht zuviel Energie kosten, sonst geht es einem schnell schlechter.
Dass die Symptome immer mal weg sind und dann wieder da (übrigens mit ihnen die Angst - mal da, mal weg) ist, denke ich, normal - ich kenne das jedenfalls nur zu gut. Wenn ich keine Angst habe, kommen mir meine Ängste auch immer völlig absurd und weit weg vor. Das wechselt mehrfach am Tag, wenn es ganz schlimm ist. Am deutlichsten war es bei mir echt bei dieser Thrombose Angst zu spüren - auf dem Weg ins Untersuchungszimmer fühlte sich das Bein dick und schwer an und direkt danach, als ich Entwarnung hatte, tat es nur noch ein bisschen weh Manchmal bin ich mir selbst unheimlich
02.09.2015 14:30 •
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