@mcadam:
Es fällt mir noch immer extrem schwer, darüber zu reden.
Ich muss dazu sagen, ich bin sehr lebenslustig, liebe das Leben sehr, bin gerne unterwegs und erlebe tolle Dinge. Zum Arzt gehe ich so gut wie nie.
Wenn heute jemand als Geisel genommen wird, etwa bei einem Banküberfall und er hat eine Stunde eine Knarre am Kopf, bekommt er eine Posttraumatische Belastungsstörung attestiert und wird vom Seelsorger übernommen.
Ich hatte 12 Monate eine Maschinenpistole am Kopf.
2018, ich sitze glücklich am Meer, streiche mir über das Auge und fühle in der Augenhöhle etwas Hartes, wie eine Erbse. Zack!
Von da an war was vorbei.
Nun weiß man, dass Augenhöhle nichts Lustiges ist, Dr.Google trägt ein Übriges bei.
Ich rannte geradezu, in tiefster Panik zu meinem Hausarzt. Dieser Mann ist ein Segen, ich kenne ihn Jahrzehnte durch unseren Sport. Er kennt mich und meine Ängste.
Er konnte die Stelle nicht wirklich finden, beruhigte mich, denn auch am Lid selbst war eine Schwellung, die ist natürlich harmlos.
Aber nur ich tastete, und das auch nur ab und zu diese Erbse, genau dort wo die Tränendrüse sitzt.
Bitte niemals googeln, Leute.
Ich geriet in Todesangst. Nun bekommt man einen Termin beim Augenarzt erst in drei Monaten. Solange hätte ich es nicht ertragen. Aber es gab eine private Augenärztin, dort bekam ich sofort, gegen Barzahlung eine Beratung. Sie war sehr nett, sagte etwas von Hagelkorn und gab mir eine Salbe.
Allerdings hielt die Beruhigung nicht lange, denn ich kenne Hagelkörner ganz anders, nicht bei mir, aber im Freundeskreis.
Ich steigerte mich immer weiter in die Überzeugung, das Schlimmste vom Schlimmen zu haben. Was ich auch für berechtigt halte, denn ab und zu bekam ich die Erbse zu fassen. Aber andere sahen sie nicht, nur die Lidschwellung, die natürlich harmlos ist.
Ich versuchte normal weiterzuleben. Aber die Welt um mich herum war so schön, und ich wollte einfach nur leben dürfen, Ich hielt es wieder nicht aus - Notsprechstunde beim Augenarzt. Eine sehr herablassende Ärztin sagte, die Kollegin hat schon mehr als ein Auge gesehen, wenn die Hagelkorn sagt, dann stimmt das.
Die Zeit verging, ich hatte Angst vor jedem Blick in den Spiegel, Angst vor dem Aufstehen, dann wurde der Tumor ja wieder vergegenwärtigt. Mit äußerster Disziplin absolvierte ich meine Arbeit, die sehr anspruchsvoll ist und viel Kontakt mit Menschen erfordert.
Mittlerweile hatte ich jeden Morgen vor Angst Schweißausbrüche, Zittern, Bauchkrämpfe.
Aber nie etwas nach außen zeigen, fröhlich sein.
Dann stand mein Traumurlaub an.
Ein Leben lang darauf gefreut.
So konnte ich das nicht genießen.
Mir fiel ein Augenarzt aus dem Freundeskreis ein.
Angerufen. Meine Not geschildert, ja komm gleich morgen Früh.
Dazu musste ich zwei Stunden mit dem Auto in eine andere Stadt.
Er hatte mir am Telefon folgendes zur Beruhigung gesagt: Wenn ich glaube, dass es Krebs ist, werde ich nichts sagen und dich,wie alle unsere Krebspatienten alle drei Monate zur Kontrolle bestellen.
Ich kam dort an, zitternd, mit einem Rest Hoffnung den Urlaub doch noch zu erleben.
Er untersuchte mich, fand sogar das Ding, machte Ultraschall und sagte: Komme in drei Monaten zur Kontrolle. Bingo. Noch Fragen?
Ach so, er bot mir noch an, eine Probe zu nehmen, mit Vollnarkose in der Uni Klinik.
Ich weiß nicht, wie ich nach Hause kam.
Am folgenden Morgen sah ich nur noch bunte Blitze und Zacken.
Keine Nacht mehr ruhigen Schlaf, jede Nacht schweißgebadet, Bauchkrämpfe und tagsüber ein Zittern wie ein Alki auf Entzug.
Ich wurde ungerecht und unleidlich, verlor sehr viele Freunde, weil ich keine Verabredungen mehr traf, verlor Aufträge. Ich machte den Traumurlaub und dachte ständig, die Welt ist so schön, warum muss ich jetzt so etwas haben. Ich habe viel gebetet in der Zeit, es war das Einzige, was mir blieb.
Und immer, egal ob inmitten lieber Menschen oder der schönen Natur das Bewusstsein, dass ich so etwas habe und bald nichts mehr erleben werde. Das ist absolut unbeschreiblich.
Ich vertraute mich meinem Zahnarzt an, der sagte, Ok, dann versuchen Sie die letzten Monate zu Genießen. Toll.
Ich wurde wirklich ungerecht und teilweise unleidlich. Warum regen sich die Leute über solche unwichtigen Dinge auf? Es geht doch um nichts. Und bis das Projekt da ist, bin ich nicht mehr da.
Irgendwann gibt man auf und arrangiert sich damit.
Aber das Leben ist so schön.
Ich konnte nicht mehr ohne Angst in den Spiegel schauen, keine Fotos von mir ansehen. Das Ding war präsent.
Zu Weihnachten wollte mir mein Freund eine wunderschöne Uhr schenken. Ich behauptete, ich möchte sie nicht. Dabei wünschte ich mir nichts so sehr wie das und eine gemeinsame Zukunft.
Ich wollte aber nicht, dass er noch Geld für mich ausgibt, weil es ja nicht mehr lohnt.
Ich ging ab und zu zu meinem guten Hausarzt. Dem tat es extrem leid wie ich litt, er sah aber nicht die große Gefährlichkeit, die ich sah. Er beurteilte die Symptomatik nicht so, dass es zu meinen Befürchtungen passte.
Er ist aber natürlich kein Augenarzt.
Dann sagte er das, was mich rettete: Mensch Mädchen, warum nimmst du nicht einfach einen feuchtwarmen Waschlappen und legst den fünf Minuten auf das Auge und massierst das dann sanft aus.
Sterben kannst du immer noch, aber versuche doch erst einmal den einfacheren Weg.
Gemacht, getan.
Zum ersten Mal wagte ich auch, etwas an dem Teil herumzudrücken.
Es trat eine Flüssigkeit aus.
Am nächsten Tag war das Ding verschwunden und tauchte nie mehr auf.
Für mich ein Wunder.
Ich hatte noch monatelang Angst in den Spiegel zu schauen, Angst, dass es doch wiederkommt.
Es handelte sich um eine verstopfte Liddrüse, durch meine trockenen Augen.
Ich brauchte lange, bis ich wieder wirklich Vertrauen ins Leben fand.
Es war die furchtbarste Zeit meines Lebens und sie hat mich für immer verändert.
Das Üble war, dass ich, die Angst vor Ärzten und Diagnosen hat, seit Kindheit, trotzdem bei Ärzten Hilfe suchte und durch die Aussage des Augenarztes erst richtig tief in die Angsthölle gestoßen wurde.
Hilfe fand ich in dem Jahr nirgends, bis auf meinen Hausarzt.
28.02.2020 20:37 •
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