traumfahrer
Ich habe lange überlegt, ob ich mich bei dem Forum anmelde und meine Geschichte erzähle.
Aber es ist gerade einer dieser unerträglichen Abende und ich denke, ich muss das jetzt machen, über Feedback würde ich mich freuen.
Ich bin jetzt 36 Jahre alt und kann nicht mehr genau sagen, wie lange ich schon Ängste habe, aber sind viele Jahre, ein einziges auf und ab, und die letzten drei Wochen sind wieder eine Belastungsprobe...
Diagnostiziert bin ich auf eine generalisierte Angststörung, Herzneurose, Agoraphobie und da mischt sich eine Depression dazwischen.
Ich versuche die Geschichte nicht zu sehr ausufern zu lassen, aber ein wenig was kommt dann doch zusammen.
Meine Oma mütterlicherseits starb als ich 1 Jahr alt war, hatte Bluthochdruck, das wurde damals nicht so gut erkannt und behandelt wie heute, ihre Medikamente wollte sie auch nie wirklich nehmen. Meine Mutter hat (laut ihrer Schwester, also meiner Tante, zu der ich einen guten Draht habe) sehr sehr lange getrauert, war selbst auch depressiv und neigt eher zur Ängstlichkeit. Ein wenig klammern.
Also ich war in meiner Schulzeit sehr unterfordert, man könnte durchaus sagen, dass ich mit meinem Kopf immer wo anders war, aber doch nicht genau wusste, was ich eigentlich wollte. Ich habe ziemlich früh erste Erfahrungen mit Dro. gemacht, hab mit 14 angefangen zu *beep*.
Aber trotzdem war ich nie so der *beep*, der rumhängt und sich wegdröhnt, ich habe das eigentlich mit viel Genuss gemacht und in Verbindung mit Aktivitäten, habe dann meistens Musik gemacht oder etwas mit Freunden unternommen. Trotzdem, ich habe recht lange geraucht, und ich habe mich in der Schule immer sehr unwohl gefühlt, gelangweilt, nicht gewusst was ich machen will.
Also ich 19 oder so war, ich kann mich nicht genau erinnern in welchem Jahr das passiert ist, da wollte ich nachts mit einem Freund über eine Skipiste zu einer Hütte gehen, wo wir auf eine Party eingeladen waren, eine sehr spontane Geschichte, ich hatte nur Turnschuhe und Jeans an und wir hatten beide total unterschätzt, wie weit der Weg ist.
Ich fasse das nur sehr kurz zusammen, die Erinnerung ist furchtbar für mich.
Mitten auf der Piste Panik bekommen, Kreislauf, Schwindel, und die Angst nicht mehr wegzukommen. Totale Panik, wahrscheinlich meine erste richtige Attacke.
Ein freundlicher Pistenarbeiter der zufällig mit seinem Gefährt die Piste präpariert hat, nahm uns mit, die Rettung.
Etwas später, ich glaube im gleichen Jahr, hatte ich einen Dro. Trip genommen, alleine daheim, und der ging sehr daneben, absoluter Horror in Dimensionen die ich niemandem zumuten möchte. Danach ging es los: wenn ich was rauchte, kam die Panik, ich hörte mit allem auf, aber die Panikattacken blieben, ebenso die Depression, die sich breit machte. Also hab ich mit allem aufgehört, seitdem nie wieder etwas angerührt.
Insgesamt ging es mal besser, mal schlechter, mal hatte ich Therapie, mal hatte ich Medikamente, mal beides. Antidepressiva, Gesprächstherapie, es war wohl so das Übliche, aber nichts half mir wirklich raus aus dem Ganzen.
Was seitdem nie mehr wirklich ging war Urlaub, weite Reisen, lange Fahrten mit dem Auto, es überforderte mich. Ich war zuletzt vor 16 Jahren auf Urlaub....
Während ich das hier aufschreibe wird mir einfach noch viel mehr klar warum ich den Winter so sehr hasse inzwischen.
Warum Autofahrten so schrecklich sind, weil es das Gefühlt ist von irgendwo sein und nicht wegkommen.
Und wenn dann noch Nacht ist, multipliziert sich das Ganze.
Okay, spulen wir vor nach 2011, ich besuche ein Medienkolleg in einer 65 km entfernten Stadt und pendle täglich 130 Kilometer insgesamt auf der Autobahn.
Kurz vor Ende des zweiten Semesters bekomme ich aus dem Nichts heraus eine Panikattacke sondergleichen, auf der Autobahn.
Denke es ist total aus, Herzangst, unfassbarer Stress.
Ich rufe die Rettung, nehme Xanor als Beruhigungsmittel, komme natürlich runter, und fahre heim, verwirrt und zerrüttet von dem Ereignis.
Daheim in der Nacht: wieder eine Attacke. Ich nehme also Beruhigungsmittel, bin 3 oder 4 mal in der ambulanten Psychiatrie oder hab die Rettung daheim.
Daheim, ja, das ist auch ein Thema dabei... meine Eltern haben groß Haus gebaut als ich Ende Gymnasium war und da habe ich jetzt ein Stockwerk, wo ich noch immer wohne. Eine sehr ungesunde Situation, weshalb ich gerade zum ersten Mal in meinem Leben (ja, total bescheuert, ich weiß) nach einer Wohnung suche, um daheim auszuziehen. Was mir auch ungemein Angst macht, es aufzugeben so der Sohn zu sein, der auch auf seine Mutter aufpasst.
Dazu muss man sagen dass sie vor 10 Jahren Krebs hatte, eine kritische Operation und seitdem in Frührente ist (aber sich gut erholt hat, Gott sei Dank!).
Mein Vater wurde letztes Jahr wegen Zungenbodenkrebs operiert, auch sehr kritisch, ist ein Jahr später noch immer angeschlagen davon, war ebenfalls auf der Kippe, weil recht weit fortgeschrittener Krebs...
Ach, und ich habe mit 27 oder so erfahren dass mein Vater schonmal verheiratet war und drei andere Kinder hat... die ich nicht kenne.
Und letztes Jahr, während seiner Erkrankung, kam raus dass er noch immer mit dieser Frau verheiratet ist.
Klingt unglaublich, ist aber so, meine Mutter hatte es erst erfahren, als ich schon auf der Welt war, und mir ebenfalls verschwiegen, aus Scham.
Die beiden leben also in wilder Ehe, wie man das so nennt, und haben alle in unserem Bekanntenkreis angelogen, niemand weiß von dieser ersten Frau...
Anscheinend will er die Scheidung jetzt per Anwalt erzwingen bla bla, keine Ahnung mehr was da stimmt und was nicht, man sieht dass nie offen bei uns über irgendwas geredet wurde. Mein Dad war immer der Erfolgsmensch, Manager, nur Druck, Fassade und mir sagen das geht doch besser. Keine soziale Kompetenz.
Zurück zur Story.
In der ambulaten Psychiatrie des Kufsteiner Krankenhauses verschreibt man mir ein Antidepressivum, das mich noch nervöser macht (Ixel), ich verfalle in einen nervösen Dauerzustand, der kein Ende finden will, verbringe sogar eine Woche dort in der Psychiatrie auf eigenen Wunsch, geholfen wird mir nicht wirklich.
In dieser Zeit rede ich mit niemandem mehr, kann nicht Musik hören, nicht lesen, nicht fernsehen, es geht einfach GAR NICHTS mehr, ich bin in einem Dauerzustand der Angst, die sich immer und immer ums Herz dreht, und mich wahnsinnig macht, mich abhält davon einzuschlafen, das Haus zu verlassen, irgendwas zu machen
Erst dann in der Tagesklinik in die ich per Zufall und Glück recht schnell komme stellt sich deutliche Besserung ein mit dem Medikament Lyrica, innerhalb kürzester Zeit fahre ich selbst wieder mit dem Auto und beende sogar mein Kolleg.
Meine Angst vor Strecken die weiter als 50-70 Kilometer sind, bleibt, aber der Rest funktioniert überraschend gut. Ich schlafe wieder, mache wieder Musik (bin Musiker und habe eine Band und ein Soloprojekt, School of Audio Engineering gemacht).
2012 geht rum und ich beschließe die Medikamente abzusetzen. Ein leichter Kampf, Schlafstörungen dadurch, zuvor hatte ich auch die Beruhigungsmittel abgesetzt, was einem kleinen Entzug glich. Seitdem nie mehr ein Benzo angerührt auch wenn ich bis heute immer Xanor und Psychopax dabei habe, wohl als Talisman.
Nun kommt 2013, eine Frau fährt mir ins Auto, Blechschaden.
Nicht weiter schlimm, ein wenig Aufregung zwar, aber okay.
Eine Woche später genau gehen die Attacken wieder los während einer Autofahrt.
Nach einem halben Jahr erfolglosen Kampfes (Versuche, mich selbst zu konfrontieren und das wieder auf die Reihe zu bekommen) gehe ich wieder in die Tagesklinik.
Nicht mehr so gern ehrlich gesagt, weil es für mich wie eine Niederlage ist.
Diesmal erhöhte Dosis Lyrica (von 300 auf 450 mg) ohne nochmal den durchschlagenden Erfolg von 2011 zu erzielen, dazu noch Valdoxan für meinen ruinierten Schlaf.
Ich verlasse die Tagesklinik stabiler, aber nicht mehr so wie 2011, Autofahren ist und bleibt ein Kampf. Meine Herzangst kommt in Phasen.
2014 dann Lyrica auf 200 mg reduziert über Monate hinweg, eigentlich recht stabil. Sogar leichte Besserung. Meine Freundin hilft mir, wir machen Ausflüge, ich geh wieder einkaufen, sogar auf ein Konzert mal oder ins Kino.
Dann kommt der Winter, dann kommt Streit, Beziehungskrisen, die oben genannte Krebserkrankung meines Vaters 2014 und eine verworrene Geschichte die mal Platz für sich selber brauchen wird, der Darmverschluss meiner Mutter der nur durch Notoperation behoben werden konnte (ich habe sie gefunden, Notarzt kam und meinte, eine Stunde später und das wäre nicht mehr gut gegangen), und wir sind da. Im jetzt.
Mein Chefarzt aus der Tagesklinik, zu dem ich guten Kontakt hatte, ist in Pension, nochmal da hin will ich einfach nicht.
Mir wurde angeraten meine Medikamente wieder zu erhöhen, im März habe ich bei einer PSychiaterin einen ersten Termin.
Dazu vereinzelte Psychotherapie, die momentan gut tut, mich aber nicht wirklich weiterbringt.
Dazu kommt ein Unvertrauen in mich und die Angst davor, die Dosis zu erhöhen. Das ist das Schlimme, und auch das was mich heute fertig macht.
Ich sitze da und denke den ganzen ganzen GANZEN Tag es könnte einfach aus sein. Dann wird mir schlecht, ich werde nervös, stehe auf, gehe rum, fühle mich schwindlig, das Gefühl ich müsste brechen und dann wieder das Gefühl dass mein Kreislauf das nicht mitmacht, nicht mehr kann...
Heute war ich bei meinem Hautarzt, Blutbild machen (wegen der Medikamente). Die Fahrt dorthin, obwohl gerade mal 10 Minuten, eine reine Qual, ich winde mich im Auto, denke ich werde nicht ankommen, fühle mich als ob nichts mehr echt ist, als ob es einfach gleich aus ist.
Der Arzt ist ein wunderbar netter Mensch, trotz Panik hatte ich einen Puls von unter 70 und einen BD der für einen Herzneurotiker beim Messen echt okay ist, das weiß sogar ich. Er meint Ich lege den Kopf aufs Schafott für dich, so sicher sage ich dir dass dir nix passieren wird und es beruhigt, ein wenig. Aber daheim geht's halt wieder von vorne los, draußen wird es dunkel, und es wird schlimmer...
Dieses total Unvertrauen ist so grausam. Auch wenn ich weiß dass ich sowas schon mitgemacht habe, sogar schlimmeres, trotzdem gewinnt immer diese aber was wenn jetzt... Stimme. Und man verliert halt irgendwann die Hoffnung, dass es auch mal wieder gut sein kann, dass ich auf Urlaub kann, unbeschwert ein Konzert genießen...
Ich habe das früher geliebt, bin in Florida gewesen, London, Paris, Spanien, Italien, Schweiz und hab es einfach toll gefunden.
Und jetzt? Der Gedanke länger als 5 Minuten im Auto zu sitzen treibt mich in den Wahnsinn.
Wenn ich Mitfahrer bin fange ich an mir Kleidung zu öffnen, Jacke ausziehen, kratze und drücke an meinem Brustkorb rum, bin einfach wie ein gefangenes Tier das raus will.
Aber wenn ich dann stehen bleibe und ausstehe habe ich dieses Gefühl von ich muss hier weg, hier passiert mir was, ich muss heim obwohl daheim nichts anders oder besser ist, obwohl ich weiß hier in dem selbst auferlegten knast zu sitzen...
Ach, ich schreibe und schreibe dahin, hoffentlich langweilt es euch nicht schon. Ich blogge auch zu dem Thema, aber hab den Blog momentan auf privat gestellt, falls sich das mal ändert und es jemanden interessiert, sage ich gern Bescheid.
18.02.2015 20:12 • x 1 #81