Der Thread ist zwar schon etwas älter, ich möchte aber trotzdem die Gelegenheit nutzen, meinen Senf dazuzugeben, weil ich mir vorstellen kann, dass er vielleicht einigen, denen es ähnlich geht wie Nela, Kadi oder mir, helfen könnte.
Habe ihn durch Googlen gefunden und finde die Idee einer Online-MS-Angst-Selbsthilfegruppe super
Kurz zu mir: Ich bin 24, studiere Medizin und habe seit meiner Kindheit schon alle möglichen Krankheiten durchgemacht.
Als ich 10 oder 11 war, habe ich im Kinderkrankheitenbuch meiner Mutter gesucht und rote Punkte auf den Händen als Frühwarnsignal für Hirnhautentzündung gewertet. Rote Druckstellen auf den Beinen waren für mich direkt Anzeichen einer schlimmen internistischen Erkrankung. Ich hatte schon Darmkrebs, Morbus Crohn, Vulvakarzinom, Cervixkarzinom, einen Hirntumor und mit Sicherheit noch mehr, an das ich mich gerade nicht erinnern kann.
Jedes Mal hatte ich wirklich Symptome, die zu der Krankheit gepasst hätten:
Bauchkrämpfe, komischen Durchfall, geschwollene Lymphknoten, Kopfschmerzen,... Bis jetzt habe ich alles überlebt
Momentan habe ich mit Angst vor MS zu kämpfen.
Meine Symptome ähneln denen von Nela, Kadi und vielen Usern hier:
Kribbeln in Händen und Füßen, Hitzegefühle, kalte Stellen, Koordinationsschwierigkeiten, verschwommene Sicht,...
Ich war schon bei zwei Neurologen, die mich ausgiebig untersucht (Reflexe, Übungen, in die Augen leuchten -- keine Auffälligkeiten) und ein MRT vom Schädel gemacht haben (alles ok, besonders die Hirnareale, die typischerweise befallen sind, waren glatt und gut abgegrenzt).
Natürlich macht man sich trotzdem Sorgen - Was ist, wenn sie etwas im MRT übersehen haben?
Oder die Herde zu klein für die groben Bilder waren? Oder die Herde nur in der Wirbelsäule sind? Oder noch keine Herde zu sehen sind, obwohl Symptome da sind?
Im Internet findet man einige MS-Erkrankte, bei denen man nichts im MRT gefunden hat, was in einem direkt die Panik aufschießen lässt. Was ist, wenn ich auch zu den Leuten gehöre, bei denen man einfach nix sieht?
Dabei muss einem klar sein: Auf einen Thread, in dem explizit nach MS trotz unauffälligen Untersuchungen gefragt wird, antworten selektiv die paar (von vielen!) Nutzern, bei denen es so war. Das verzerrt die Wirklichkeit ziemlich.
In den meisten Fällen (85-90%) sieht man auch am Anfang schon Läsionen im Schädel-MRT (siehe z.B. hier:
http://www.webmd.com/multiple-sclerosis ... ing-ms-mri ).
Und wenn man schon glaubt, eine seltene Krankheit zu haben (auch wenn MS eine häufige neurologische Erkrankung ist, ist sie mit einer Prävalenz von 0,1-0,2% immer noch selten!), wie wahrscheinlich ist es dann, dass man auch noch zu den wenigen Leuten gehört, die an den MS-typischen Stellen im MRT vom Hirn (Corpus callosum und periventrikulär) nichts haben?
Seltenes ist selten und Häufiges ist häufig, das lernen wir im Studium immer wieder.
Häufig ist bei Frauen z.B. ein Eisenmangel - das kann Kribbeln, besonders in den Füßen und Händen, gern mal auslösen (genauso Schwäche und Schwindel).
Außerdem sollte man die Wirkung von Stress nie unterschätzen. Meine Mutter hatte vor ihrem Examen eine heiße und eine kalte Körperhälfte und einen schwachen Arm.
Ihr Bruder (Neurologe) hat damals schon abgewunken und auf Stress hingewiesen. Auch wenn man das gar nicht gern hören will, das Gedankenkreisen um die Krankheit macht einen so fertig, dass der Körper macht, was er will (und auch oft genau das, was man sich mühsam an Symptomen zusammen gegooglet hat).
Noch ein Wort zu den MS-typischen Sehproblemen, die man gern bei sich beobachtet (so wie ich auch), wenn man sich vor MS fürchtet:
- Diese rühren meistens von einer Entzündung des Sehnervs her und sind ÄUSSERST schmerzhaft (schon ein sanftes Anfassen des Augapfels macht starke Schmerzen). Das ist ein großer Unterschied zu dem kleinen Pieken, was wir wahrnehmen, wenn wir unsere Augen schon stundenlang gedrückt und gedreht haben, um möglichst MS-taugliche Symptome zu erzeugen.
- Die Sehverschlechterung ist meistens nicht nur ein bisschen, sondern stark abfallend, oft innerhalb weniger Stunden. Wenn man wirklich eine Entzündung hätte, würde sich das viel deutlicher anfühlen.
VIEL wahrscheinlicher für Schleier und Schlieren ist z.B. das:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mouches_volantes Zitat von Wiki:Mouches volantes beruhen auf kleinen Ungleichmäßigkeiten in der Glaskörper-Flüssigkeit und finden sich in nahezu jedem Auge.
Meine Tipps:- Sich sagen, dass jedes Symptom zu MS passen kann. Wenn man Symptom X + MS googlet, kommt immer etwas. Daher passt auch alles.
- Sport treiben, ablenken, sich von Freunden den Kopf waschen lassen
- Akzeptieren, dass potentielle MS-Symptome einfach normal sind und zum Alltag dazugehören.
Ein Beispiel dazu: Mein Freund, der kerngesund ist, hat mal darauf geachtet, was er für Symptome im Alltag zeigt.
Im Bus war seine linke Hand sehr heiß und hat gekribbelt, danach hatte er Schlieren vor den Augen. Auch gerade, wo er auf den Bildschirm vom Fernseher schaut, hat er Sehstörungen (Das Bild schwimmt.. ganz leicht, aber wenn ich mich drauf konzentriere, doch schon mehr.). Außerdem kribbeln sein rechter Fuß, sein linker Oberschenkel und seine rechte Pobacke und seine Glieder fühlen sich schlapp an. Hörstörungen hat er generell. Er hat ganz sicher keine MS.
- Siehe oben: nicht googlen. Und wenn man nicht anders kann, das Ergooglete mit Vorsicht genießen.
- Siehe oben: sich vor Augen halten, dass MS-Symptome während eines Schubs nicht einfach kommen und gehen
Ich möchte MS-Symptome nicht bagatellisieren oder die Krankheit herunterspielen, aber
meistens ist es einfach nicht MS. Kopfschmerzen sind meistens kein Hirntumor, sondern Migräne, Stress, zu wenig Schlaf usw.
Und selbst wenn beim Ärztehopping ( ) herausgekommen sein sollte, dass es MS ist - mit der Erkrankung kann man heutzutage gut leben. Die Forschung läuft (anders als bei vielen anderen Krankheiten) auf Hochtouren; Alemtuzumab z.B. kam erst 2014 auf den Markt und ist ein vielversprechendes Medikament.
Einen schönen Abend
Emmi