Ich war einmal zwei Jahre absolut sicher, sterben zu müssen. Und, ja ein Arztbesuch hat mich dann endgültig reingerissen und alles noch schlimmer gemacht.
Da ich überzeugt war bald zu sterben, nahm ich nicht einmal mehr ein wertvolles Geschenk meines Freundes an, weil ich dachte, schade um das Geld, wenn ich das nicht lange nutzen kann. Oder ich begann zu weinen, wenn ich eine besonders schöne Landschaft sah, weil ich dachte, die Welt ist so schön, schade, dass ich sie nicht mehr lange erleben darf. Ich wurde ungerecht und reizbar. Wenn zum Beispiel jemand sagte, das machen wir später. Ich war über mich selbst entsetzt, wie aggressiv ich dann reagierte.
Diese Grenzerfahrung hat mich verändert. Es war so, als würde man als Geisel genommen und 24 Stunden ein Gewehr an den Kopf gehalten bekommen.
Ich habe seit frühester Kindheit immer einmal phasenweise Krankheitsängste gehabt, aber diese Erfahrung war zu krass. Gerade weil ein Arzt es noch erst richtig schlimm gemacht hat.
Ich habe nämlich vor Ärzten sowieso mehr Angst als vor Krankheiten.
Und dann sucht man endlich doch Hilfe, weil das ja auch der normale Weg ist und dann so etwas.
Nach zwei Jahren erwies sich der tödliche Tumor in der Augenhöhle als verstopfte Talgdrüse, er verschwand durch einen wässrig warmen Umschlag, Tipp meines guten alten Hausarztes.
Aber dieses Gefühl sterben zu müssen, zwei Jahre lang, das verändert einen Menschen.
Bei mir hat es aber auch dazu geführt, dass ich neue Symptome sehr gut ignorieren kann, nicht mehr ständig nach Veränderungen suche, weil ich ja mit dem Leben bereits abgeschlossen hatte. Schwer zu beschreiben, aber dadurch bin ich gegen diese Ängste etwas abgestumpft.
Heute sage ich mir, wenn ich mir wieder etwas einrede, na gut, dann ist das eben so, mehr als sterben kannst du nicht. Und nach wenigen Tagen ist das Symptom oder der Pickel tatsächlich völlig vergessen.
Vielleicht sollte man aufhören, jeder Unregelmäßigkeit ständig nachzuforschen.
Bei mir ist es zumindest so, dass ich die meistens am folgenden Tag bereits vergessen habe.
Ich hoffe, es bleibt so. Das ständige damit befassen, möglichst noch immer wieder sinnlos im Wartezimmer sitzen, das kostet so viel Lebenszeit.
01.02.2022 10:07 • x 1 #81