Ich kann dich absolut verstehen und mir geht es genauso.
Allerdings habe ich für mich einen Weg gefunden, der sicher nicht unbedingt empfehlenswert ist.
Mir ist die Angst vor Krebs in die Wiege gelegt oder angeboren, ich weiß es nicht...ich weiß nur, dass ich seit frühester Kindheit davor absolute Todesangst hatte und schon damals jeder Pickel ein sicheres Todesurteil war. Ich erinnere mich, wie ich die Hausarztpraxis zusammebrüllt habe ich will nicht sterben! weil meine Mutter mich einmal gezwungen hatte hinzugehen um einen Grützbeutel zu entfernen. Ich schrie solange, bis der Arzt versprach, den wegzuwerfen und nicht einzuschicken, was ja üblich wäre. Bei der Op am Bein habe ich dann ganz eiskalt zugekuckt, das hat mich nicht gestört. Es ging mir nur darum, dass ich nicht wissen wollte, dass ich sterben muss. So ist es bis heute.
Ich habe eine abgrundtiefe und unüberwindliche Angst vor allem, was mit Ärzten und Diagnosen zu tun hat. Manchmal denke ich, ich würde vielleicht lieber schnell sterben, als behandelt zu werden.
Irgendwann nahm die Angst überhand und ich entschloss mich, dagegen anzugehen, da das Leben so unerträglich wurde.
Ich fand durch Empfehlung einen superlieben Frauenarzt und erzählte ihm offen, wie es um mich steht. Er hat mich damals aus tiefer Not befreit, ich konnte mit allem zu ihm kommen, auch mit Themen, die nicht in seinen Fachbereich gehörten. Ich ging alle 6 Monate zur Vorsorge und fühlte mich relativ sicher.
Allerdings war ich drei Wochen vor dem Termin bereits krank vor Angst, starb im Wartezimmer fast, weil ich ja immer mit einem Todesurteil rechnete.
Irgendwann schaffte ich es nicht mehr.
Ich konnte die Anfahrt nicht mehr bewältigen, konnte kaum die Kupplung treten, so zitterte ich und bekam bereits bei der Parkplatzsuche Weinkrämpfe oder wurde unterschwellig aggressiv, weil ich ja sicher war, sterben zu müssen. Es ging also nicht mehr.
Dann begann eine neue Phase, mit der ich über 20 Jahre sehr gut gelebt habe.
Ich hörte auf, mich selbst zu beobachten und ging nie wieder zu einem Arzt, egal was kam.
Ich begann meine eigene Ängstlichkeit zu verachten und sagte mir Alte, entweder du glaubst an dich und lebst, oder wenn du Pech hast, gehst du ein, aber Dir bleibt der Arzt erspart.
So dumm ist diese Überlegung übrigens nicht.
Es ist erwiesen, dass Menschen, die sehr regelmäßig an Vorsorgeprogrammen teilnehmen, signifikant häufiger in Krankenhäusern behandelt werden, häufiger weiter abklärende Diagnostik und Eingriffe durchmachen müssen und das überwiegend grundlos, das heißt, sie erfuhren, dass es blinder Alarm war.
Das mag ok sein, wenn jemand damit umgehen kann. Für mich wäre das unerträglich. Denn jeder Eingriff dieser Art bewirkt ja auch etwas im Körper und birgt, wenn auch geringe, Nebenwirkungen und Risiken.
Ganz erschwerend kommt hinzu, dass alle Menschen, die ich verloren habe, vorbildliche Arztgänger waren, die immer mit dem erhobenen Zeigefinger darauf hinwiesen, wie wichtig dies ist und dass es ihr Leben sichert. Sie alle starben qualvoll, ihr Leben wurde nur um einen zu hohen Preis ein paar Jahre verlängert. Ihre Angehörigen gingen dabei seelisch zugrunde.
Mir ist klar, ich bin zynisch und bitter geworden. Ich habe das Urvertrauen verloren. Bitte nehmt mich nicht als Beispiel.
Ich meide den Blick in den Spiegel, Dusche im Dunkeln, meide Berührungen meines eigenen Körpers.
Ich durchlebe tiefe Phasen der Angst und Hoffnungslosigkeit.
Aber ich habe dazwischen auch sehr lange Phasen, wo es mir sehr gut geht.
Jeder muss das für sich selbst entscheiden und die alles entscheidende Frage ist, könnte ich damit umgehen?
Ich hatte das gesamte Jahr 2018 so einen extremen Tiefpunkt, war überzeugt etwas Tödliches zu haben.
Ich war dann doch so panisch, dass ich zu Ärzten ging um Hilfe zu suchen.
Das machte es noch schlimmer, speziell die völlig unbedachte Aussage eines Facharztes, der vor der Untersuchung am Telefon sagte, wenn er glaubt, dass es bösartig ist, würde er mir erst einmal nichts sagen und mich einfach in drei Monaten wieder bestellen.
Nach der Untersuchung sagte er: komm bitte in drei Monaten wieder.
Punkt. Noch Fragen?
Ich ging natürlich nirgends mehr hin.
Ich beschloss abzuwarten. Wenn es das wäre, was ich befürchtete, würde ich ja sehr schnell tot sein, wenn mein Verdacht falsch ist, würde ich im nächsten Jahr noch leben und das wäre der Beweis, dass mein Verdacht falsch ist.
Was soll ich sagen, ich war ein Jahr ziemlich sicher zu sterben, dann löste sich das Ding in Wohlgefallen auf.
Natürlich hat diese Erfahrung mich nachhaltig verändert. Nicht zum Guten. Das Verhalten des Arztes hat mich noch zynischer werden lassen, hat mir noch den letzen Funken Vertrauen zerstört.
Also, es gibt eben verschiedene Wege. Jeder dieser Wege könnte einen Menschen zerstören. Das ist klar.
Ich bin der Meinung Arztbesuche retten durchaus Leben, können helfen. Sie können aber auch nach hinten losgehen. Das muss jeder für sich abwägen.
Übrigens haben viele Obduktionen ergeben, dass viele Menschen, die an etwas ganz anderem verstarben, Tumore in sich trugen, von denen sie nichts wussten und die ihnen nichts getan haben, bei Entdeckung aber erhebliche Folgen für ihr Leben gehabt hätten.
Ich wünsche Euch, die auch von dieser Angst gequält werdet, dass ihr für Euch einen hilfreichen Weg findet. Ich freue mich für jeden, der Vertrauen hat und dem geholfen wird.
12.05.2020 10:43 •
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