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Hallo Bernd,

ich habe eine Frage die mich total beschäftigt. Ich bin zur Zeit bei einem Gesprächspsychotherapeut, also keinem Verhaltenstherapeut. Seit mehr als einem halben Jahr bin ich dort und komme eig. nicht vorran und möchte eine Verhaltenstherapie machen, weil überall geschrieben steht VT für die generalisierte Angststörung. Er redet die VT schlecht, da diese nur das Symptom behandelt und nicht an die Ursachen geht. Deshalb meine Frage stimmt das?

1. Heilt eine Verhaltenstherapie die Krankheit, ODER betäubt sie nur die Symptome, quasi nur ein Deckel auf dem kochenden Topf?

Ein Beispiel: Eine VT-Technik bei Patienten mit selbstverletzendem Verhalten besagt, dass wenn der Drang da ist sich zu Ritzen, soll man ein Löffel Essig essen um das Gefühl durch ein anderes zu übertönen.

Also kritisch gefragt, muss nicht die Heilung darin liegen, dass der Patient nicht mehr das Bedürfnis hat sich zu Ritzen oder soll er sein lebenlang Essig futtern?

Ist es nicht wichtig für den Patienten, dass er sich davon komplett befreit und nicht durch verschiedene Techniken ruhig gestellt wird? Denn wenn das eine Symptom beseigt ist, hat man vielleicht 1 jahr ruhe und dann kommt ein anderes Symptom, weil man die Wurzel nicht beseitigt hat?

Es sind doch eig. die Prägungen die man in seiner Lebenszeit erfahren hat, die einen Krank gemacht haben. Wenn wieder ein Schicksalsschlag einen ereilt, fällt man sofort wieder in die Krankheit zurück ?

Denn irgendwie der Gedanke, man ist auf Lebenszeit krank, sie bricht nur ab und an mal wieder aus, macht schon sehr depressiv...

Oder sehe ich das falsch?

Denn einer meiner größten Ängste, ist es nie wieder gesund zu werden.

Grüße
André

06.07.2011 19:16 • 11.07.2011 #1


1 Antwort ↓

Hallo yash,

um Deine Frage ausreichend zu beantworten, müsste ich wahrscheinlich ein ganzes Buch schreiben. Ich will versuchen - und das tue ich natürlich als Verhaltenstherapeut - darauf zu antworten. Dagegen, dass wir nur Symptome behandeln, verwehre ich mich. Das häng nämlich davon ab, wie man Krankheit und Gesundheit im psychischen Bereich sieht und erklärt. Die klassische medizinische Idee von Kranheit ist, dass es eine sog. Ursache gibt, die Symptome produziert. Verändert man die Ursache, ist man wieder gesund. Das mag für einfache körperliche Erkrankungen vielleicht noch gelten, aber schon bei komplexeren Erkrankung wie z.B. Krebs, stimmt das nicht mehr.

Die Verhaltenstherapie hat bei psychischen Erkrankungen eine andere Erklärung. Der Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens bestimmte Muster, die er in der Auseinandersetzung mit seinen Lebenserfahrungen lernt. Die meisten davon laufen mit der Zeit automatisiert ab, sind nicht mehr bewusst. Muster, die früher vielleicht einmal sinnvoll waren, können mit der Zeit aber zum Problem werden, weil man z.B. heute noch so reagiert, wie man es in einer ganz anderen Situation gelernt hatte (z.B. als Kind). Eine früher sogar sinnvolle Angst ist noch immer gerlent vorhanden, obwohl die Ursachen davon schon längst Vergangenheit sind. Deshalb versucht die VT sehr wohl zu erarbeiten, woher kommen diese Muster, die Probleme machen (was nicht immer gelingen muß), schaut aber verstärkt danach, wie kann der mensch heute anders damit umgehen, damit er weniger Probleme hat. Er muss also umlernen. Umlernen ist das zentrale bei einer VT. Dazu gehört bei Ängsten auch, dass er sich damit konfrontiert und lernt sie zu bewältigen. Dabei kann es, muß aber meist keine tiefere Ursache vorhanden sein. Es geht um bessere Bewältigung des eigenen Lebens, obwohl man vielleicht mit einem problematischen Rucksack auf die Wanderung geschickt wurde. deshalb sehen wir das Ziel auch nicht in einer allumfassenden Heilung, sondern in einer besseren Bewältigung, in einem Um- und Neulernen und in einer Verbesserung der Lebensqualität.
Aus meinen Erfahrungen heraus sollte man nicht der überfordernden Idee nachhängen, irgendwann macht es klick, und alles leid ist verschwunden - so wie das Bakterium durch ein Antibiotikum abgetötet wird. Es geht darum, die eignen Stärken und Bewältigungsmechanismen auszubauen und zu lernen, mit den Unbillen des Lebens besser zurecht zu kommen.

Ich hoffe, ich konnte meinen Standpunkt verständlich machen: es geht für mich nicht um Ursache und Symptom, sondern um den ganzen Menschen, der lernt sein Leben besser zu bewältigen als vor der Therapie.

Alles Gute für Dich

Bernd Remelius




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