ich fange einfach mal mit der aktuellen Situation an. Mittlerweile bin ich 50 Jahre alt und hatte immer ein extrem inniges Verhältnis zu meiner Mutter. Sie ist mittlerweile 84 Jahre alt, unheilbar an Krebs erkrankt und seit Bekanntwerden der Erkrankung im Januar 2023 dreht sich mein Leben nur noch um sie (ich bin auch seitdem krankgeschrieben). Mittlerweile bin ich regelrecht panisch, schlafe kaum noch, habe pausenlos Herzrasen und werde im wahrsten Sinne meines Lebens nicht mehr froh. Ich kann irgendwie akzeptieren, dass sie in naher Zukunft sterben wird, aber ich sehe mich dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass es ihr gut geht. Das ist vielleicht bis zu einem gewissen Punkt noch nachvollziehbar. Aber bei mir geht es mittlerweile bis hin zur Selbstaufgabe. Ich kann nicht mehr rational denken und agieren, sondern alles sind pure, ungesunde Emotionen.
In den letzten paar Tagen habe ich oft gedacht Alter, du musst dich irgendwie beruhigen, sonst kippst du bald tot um!.
Das Beruhigen klappt dann ein paar Minuten lang und im nächsten Moment bin ich wieder panisch. (Jetzt, wo ich das hier schreibe, geht's mir z.B. ganz gut)
Dass unsere Beziehung viel zu eng ist, ist mir seit gut 10 Jahren bewusst und ich habe es in dieser Zeit zumindest ein bisschen geschafft, mich freizumachen. Ich bin aus ihrem Einflussbereich gezogen, habe sie nur 1-2x im Monat besucht - aber zugegebenermaßen täglich mir ihr telefoniert. Sie war irgendwie noch immer von A bis Z ein extrem wichtiger Bezugspunkt für mich. Und das fällt mir jetzt krachend auf die Füße - und ich weiß nicht, wie ich mich auch nur halbwegs davon befreien soll.
Zum Verstehen vielleicht ein paar Details zu mir bzw. uns.
- Ich bin der Kleine (meine Schwestern sind 10+ Jahre älter), der einzige Junge und dazu auch noch der Behinderte (eine Körperbehinderung - für mich kein Problem)
- Ich hatte einen Vater, der jedoch Alk. und nur körperlich da war - ich habe keinerlei männliche Prägung erfahren.
- Meine Mutter war immer omnipräsent. Wenn es in der Schule Ärger gab, war sie da. Und sie ist z.B. sogar mit in die Schullandheime gefahren, auch wenn mir das als Kind schon nicht geheuer war.
- Mit Anfang 20 wollte ich dann ausziehen. Prompt starb meine Oma und meine Mutter trennte sich von meinem Vater. Sie wollte zurück ins Haus meiner Oma ziehen. Ich bin mit, weil ich wusste, dass sie das Haus alleine nicht halten und bewirtschaften konnte. (und ich es mal erben soll)
- Auch wenn es mir fast unangenehm ist - ich habe bis zum meinem 39. Lebensjahr zwei Zimmer in diesem Haus bewohnt. Ohne dass ich wirklich eigenständig leben konnte. Es war ein bisschen wie ein Leben im Kinderzimmer - Hotel Mama eben. Mir war das teilweise unangenehm, aber irgendwie war es halt auch komfortabel.
- Mit 40 habe ich dann eine Frau kennengelernt, die wörtlich sagte Du musst hier weg - gesagt, getan. Meine Mutter hat gejammert und geschluchzt - ich könne sie doch jetzt, wo sie alt und klapprig wird, nicht alleine lassen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie halbwegs damit zurecht kam.
- Sie beherrscht - bewusst oder unbewusst - perfekt die psychologische Kriegsführung und weiß ganz genau, welche Knöpfe sie drücken muss, um mich ins Straucheln zu bringen bzw. mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Das sind manchmal nur kleine Kommentare, die mich aber bis ins Mark treffen.
Mir ist die Psychologie hinter unserem krankhaft guten Verhältnis durchaus bewusst. Ich kann die Situation nur nicht durchbrechen.
Meine Mutter war von Januar bis Mitte März durchgehend (bis auf eine Woche) im Krankenhaus und ich habe sie täglich für mehrere Stunden besucht - weil ich mich dazu verpflichtet gefühlt habe und es mir andererseits aber auch gut tat. Mitte März kam sie dann nach Hause. Wir (eine meiner Schwestern und ich) haben uns 24 Stunden am Tag um sie gekümmert und bei ihr im Wohnzimmer campiert. (ich habe natürlich den Löwenanteil übernommen) Eigentlich war unsere Hoffnung, dass sie sich trotz der unheilbaren Erkrankung noch einmal ein bisschen erholt. (das war auch der Tenor der Ärzte) Geklappt hat das aber nicht, sie wurde immer weniger, ist stark sturzgefährdet und zudem auch noch hochgradig depressiv. Letztendlich wäre es erforderlich, dass pausenlos jemand bei ihr ist, weil sie nicht aufstehen, nicht frühstücken / zu Abend essen, nichts trinken würde. Da hilft auch kein Essen auf Rädern, kein Pflegedienst etc, (zumal sie fremde Leute im Haus so gar nicht haben möchte)
Auf die Frage, wie sie sich alles weiter vorstellt, sagte sie zwischenzeitlich mal, dass ich doch wieder bei ihr einziehen und mich um sie kümmern könnte. (sanierungsbedürftiges Haus, 1000qm Garten, täglich zwei Stunden Pendelzeit für mich) Nein, das werde ich keinesfalls!
Meine Schwester kam nun auf die Idee, sie zumindest erst einmal zur Kurzzeitpflege in ein Heim (dort wollte sie natürlich nie hin) zu bringen. Dort ist sie nun auch seit ein paar Tagen - augenscheinlich todunglücklich und gefühlt noch depressiver.
Und an dieser Stelle geht es mir persönlich nun schlechter als in dem letzten Monaten. Ich fühle mich elend, habe regelrecht Panik, ständiges Herzrasen. Ich denke pausenlos, ich würde sie im Stich lassen und habe keine Idee, wie ich mich von diesen (wohl unbegründeten) Schuldgefühlen befreien soll.
Meiner Ärztin habe ich schon die Geschichte unserer Verbindung erzählt. Sie versteht es aber wohl nur in Ansätzen, wie sehr ich gefangen bin.
Ich weiß nicht weiter und habe das Gefühl, dass ich die Situation nicht mehr lange aushalten kann.
Weiß jemand Rat oder hat Ideen?
Liebe Grüße und vielen Dank!
05.05.2023 16:45 • • 09.05.2023 x 4 #1