9 Monate Körper im Eimer vs. 9 Jahre Geist im EimerEine kleine GeschichteIch hatte 2012 einen
Bandscheibenvorfall im Lendenbereich. Insgesamt war ich 9 Monate krankgeschrieben, bis mein Rücken dann wieder so stabil war, dass ich wieder normal leben konnte.
In diesen 9 Monaten damals war ich bei unzähligen Ärzten und Physiotherapeuten.
Mein Hausarzt war einer der Ansprechpartner, etliche Orthopäden und zwei Neurochirurgen pflasterten meinen Weg und auch bei Physiotherapeuten und Heilpraktikern konnte ich eine ziemlich große Bandbreite bei mir in der Gegend „testen“. Während einige Ärzte einen guten Eindruck auf mich machten (z.B. eine Dame, die sich um mich in meiner ambulanten Reha um mich kümmerte), war ich von anderen sehr enttäuscht bis fast schockiert. Bei einem Orthopäden wäre ich schon drei Wochen nach Diagnose unter dem Messer gelegen, ein anderer machte mir nur dein Eindruck, als wolle er mich allein mit Schmerzmitteln über Wasser halten, bis „es irgendwann besser wird“. Ähnlich war es bei den Physiotherapeuten. Einige waren gut, hörten wirklich zu, was mein Problem war und versuchten gezielt und motiviert die Probleme zu bessern, andere spulten jedes Mal ihr Standardmassage-Programm ab, welches sie bei jedem Patienten durchziehen, egal ob Bandscheibenvorfall oder Verspannung im Nackenbereich. Einer schaffte es sogar, mich so zu verrenken, dass meine Bandscheibe dadurch noch ein kleines Stück weiter herausrutschte (stellte einige Wochen später die besagte Ärztin aus der Reha fest per nochmaligem MRT). Der eine Heilpraktiker konnte mich durch seine sehr schmerzhaften, aber offensichtlich nicht verkehrten Rolfing-Techniken vom Schmerzlevel her zumindest vorübergehend auf eine deutlich besseres Maß herunterbringen, der andere versuchte mit seltsamen „Energiewässerchen“ bestimmte Areale in mir zu aktivieren, was leider völlig nutzlos war.
In diesen 9 Monaten musste ich viele verschiedene Schmerzmittel einnehmen, mal mehr, mal weniger. Eines hatte ich jedoch von Beginn an gemacht und dies regelmäßig: Meine Krankengymnastik.
Als ich nach knapp 7 Monaten nervlich fast am Ende war, weil die Schmerzen einfach nicht besser wurden, entschied ich mich zusammen mit meinem Neurochirug letztendlich doch für eine OP. Zwei Wochen vor dem OP Termin war ich gerade dabei, meine täglichen, mittlerweile aber unfassbar lästigen Gymnastikübungen zu machen, als ich irgendwie merkte, dass da etwas anders ist als sonst. Es war nicht so, dass die Schmerzen plötzlich weg waren, aber irgendwas war ein wenig lockerer, weicher und nicht mehr ganz so stechend schlimm. Ich konnte es noch nicht richtig einordnen und bewertete es anfangs noch nicht mit Hoffnung. Stattdessen machte ich einfach mit meinen täglichen Übungen weiter, obwohl mich diese wie schon gesagt so dermaßen ankotzten, dass ich am liebsten ein Buch darüber geschrieben hätte („Die Sinnlosigkeit von Krankengymnastik bei Bandscheibenvorfällen!“). Ab da an passierte es aber. Mit jedem Tag wurden die Schmerzen ein wenig besser, nicht viel und ohne Achtsamkeit darauf, wohl manchmal kaum „messbar“, aber eben doch immer ein ganz ganz klein wenig. Mein Neurochirurg handelte damals Gott sei Dank richtig, sagte die OP sofort ab und ich erinnere mich noch gut an seinen Satz: „Bleiben sie jetzt dran, haben sie weiter Geduld, aber lassen sie es jetzt nicht schleifen, auf keinen Fall, das ist der wichtigste Punkt von allen!“.
Und so machte ich weiter, Stück für Stück, ertrug meine Ungeduld auf der einen Seite, nahm aber auf der anderen Seite war, dass es nicht mehr schlechter wurde, sondern eher immer ein klein wenig besser, von Woche zu Woche. Natürlich gab es auch mal den ein oder anderen Tag, der eher wieder doof war und wo es dann wieder mehr weh tat, aber ich dachte dann immer an die Börse: Volatilität gehört dazu, aber langfristig wird es schon nach oben gehen.
Das ging dann so seinen Weg, bis ich irgendwann dann doch so schmerzfrei war, dass ich wieder arbeiten konnte.
Natürlich war es danach nicht so, dass ich nie wieder Schmerzen oder Probleme mit meinem Rücken und der besagten Stelle hatte. Es gab immer wieder Tage oder Wochen, an denen ich einen Rückfall vermutete aufgrund starker Schmerzen, aber sie waren nie wieder so lange und so einschneidend wie damals in den 9 Monaten. Ich habe mit der Zeit dann akzeptiert, dass mein Rücken nie wieder so gesund und fit sein wird wie vor dem Bandscheibenvorfall, aber ich habe gelernt, auf diesen Schwachpunkt zu achten, zu verstehen, dass er an einigen Tagen „spinnt“, aber das ist ok so. Er beeinträchtigt mein Leben in negativer Hinsicht nicht mehr so, dass ich darunter leide.
Wenn ich nun an meine
psychische Erkrankung denke, dann ist es unheimlich, dass diese seit ungefähr gut 9 Jahren besteht. Ich erkenne viele Parallelen zu meiner Zeit aus dem Bandscheibenvorfall, welche sich für mich wie eine Art Zeitraffer anfühlt im Vergleich zu meiner Generalisierten Angststörung. Die Ärzte, Physiotherapeuten und Heilpraktiker, waren die Psychiater, Psychologen und Heilpraktiker für Psychotherapie. Die Schmerzmittel waren meine Antidepressiva. Die tägliche Krankengymnastik war meine tägliche Entspannungsübung/meine regelmäßigen, sozialen Kontakte zu meinen Freunden und allgemein der Außenwelt. Bei beiden Sachen hatte ich Zeiten, an denen ich absolut keinen Bock oder keine Kraft hatte, aber ich machte es einfach immer weiter, immer weiter, versuchte es, auch wenn es so schwer fiel und weiß mittlerweile, dass es mir hilft und je länger ich es mache, umso mehr merke ich, dass es besser wirkt und „länger hält“.
So, wie ich meine Schmerzmittel damals irgendwann nicht mehr gebraucht habe, werde ich hoffentlich meine Antidepressiva irgendwann nicht mehr brauchen (seit einiger Zeit bin ich dabei, diese komplett auszuschleichen).
Meine ganzen Therapeuten jeglicher Art kann ich insgesamt mit Schmunzeln betrachten. Es ist eben so, wie es auf der Welt immer ist und auch bei meinem Bandscheibenvorfall war. Es gibt gute, es gibt schlechte, es gibt welche, die nur aufs Geld schauen, es gibt welche, die dir wirklich helfen wollen und es gibt welche, die Opfer des Systems sind. So wie bei allem im Leben muss man ein bisschen Glück haben, darauf achten, weiterzusuchen, wenn es nicht passt und nie eine Gruppe aus der oder der Sparte pauschal verurteilen. Letztendlich ist unser Weg nur einer von vielen und ein purer Zufallspfad mit rein persönlichen Eindrücken. Andere Menschen (egal ob bei einem Bandscheibenvorfall oder einer psychischen Erkrankung) werden andere Erfahrungen und Wege erlebt haben, die aber nicht unbedingt schlechter sein müssen. Auch eine Bandscheiben OP kann gut gehen und Heilung verschaffen. Auch eine Psychiatrische Klinik kann helfen und Heilung verschaffen. Dagegen kann eine OP auch gar nichts bringen oder die Probleme sogar verschlimmern und genau so ist es auch z.B. bei Antidepressiva.
Nassim Taleb (sehr bekannter Zufallsforscher) nennt uns in einem seiner bekanntesten Bücher: NARREN DES ZUFALLS.
Irgendwann werde ich hoffentlich auch mental wieder so leben können, wie ich es auch nach meinem Bandscheibenvorfall geschafft habe. Es muss nicht sein, dass ich wieder 100% so fit bin wie früher, aber das ist ok. Wenn es ab und zu „im Kopf zwickt (= Rücken zwickt) oder „mein System spinnt“ (=Körper spinnt), dann ist das ok. Ich erwarte keine 100% Heilung. Es reicht, wenn die lästigen Tage nur so viele sind, dass sie mein Leben nicht viel negativ beeinflussen. Damit bin ich dann eigentlich ziemlich nah an der Referenz, denn seien wir ehrlich: Welcher körperlich und geistig gesunde Mensch da draußen, hat nie Rückenschmerzen oder mal Tage, an denen er total traurig, niedergeschlagen oder völlig am Ende ist mental?
Jedem noch einen schönen Sonntag Abend
Euer Hicks