Anwer
Eine Frau raste auf ihren Mann zu, einen Zettel in ihren Händen haltend.....“Schau, schau - ich habe eine Angststörung, eine Angststörung! Der Arzt sagt, alles, was ich getan habe (sie meinte damit wohl „DIR angetan habe“ Anm.) hat eine Ursache und ich kann auch nichts dafür.....Schuld ist meine Mutter!“ Nachdem mir endlich das Grinsen aus den Backen gefallen war, wurde mir klar, warum es heute so dermaßen schwierig ist, eine Angststörung zu bewältigen, hier in diesem Forum hunderte „Betroffene“ sich zuweinen und streicheln, und warum ich das Glück hatte, mich gegen diese Krankheit entschließen zu müssen. Aber dazu erst mal das Zeitrad zurückgedreht: Es war im Jahr 1986, mir ging es gut, alles war ok. Dann urplötzlich im zarten Alter von 18 Jahren die ersten Anzeichen: Große Plätze mit vielen Menschen brachten Unruhe, dann Panik und (stark zeitgerafft) das ganze Programm innerhalb eines Monats. Ich hatte keinerlei Fluchtmöglichkeiten, überall ging es mir schlecht. Pulsrasen/ Adrenalinschübe mit Schwindel etc. im Kino, Schule, beim Freundetreffen...das ganze, schöne, mürbe-machende Programm – alles scheinbar völlig ohne Grund, einfach so...aus einem 1,95m, 18 jährigen durchtrainierten Sportler wurde quasi über Nacht ein ängstliches Wrack - ihr kennt es, brauche es nicht weiter aufzuführen. Danach dann das obligatorische Arzt-Hopping, 2 Jahre lang mit den seltsamsten Untersuchungen...auch das kennt ihr......danach wußte ich zwar, dass sogar mein linker Zeh keine Durchblutungsstörungen hat und dass ich super gutes Genmaterial hinsichtlich meiner Haare zur Vererbung weitergeben könnte, aber warum ich mich ständig dem Kollaps nahe fühlte und jeden Moment zu jeder Sekunde dachte (weil eben fassbar im Körper auch so verspürte), dass ich jeden Moment tot umfalle, das konnte mir niemand sagen....Damals, 1986. Und damals, liebe Turmziegen, Feebären und Staunetariks mit innerlich wachsenden Blumen, sah dieses Leben mit einer Angststörung ganz, komplett anders aus als heute. Eine Angst-STÖRUNG gab es damals nämlich überhaupt nicht, damals hieß das noch Angst-NEUROSE. Tja, ganz anderes Wort, mit einem ganz anderen Sinn dahinter....und so wurde das Ganze auch hinsichtlich der Person eingeordnet. Man war da nicht einfach „krank“, sondern neurotisch veranlagt und psychisch-klinisch in der Unterteilung gerade mal so noch hinsichtlich einer Definitionsmöglichkeit dem Schizophrenen „von der Schippe gesprungen“. Und das ließen auch die Ärzte und Psychologen einen spüren. Heute in einer Zeit lebend, in der selbst die nur mit 2 Hirnsynapsen gesegnete Fleischereifachverkäuferin aus dem Edeka-Markt Bescheid weiß, dass es eine Angststörung gibt und das man diese ernst nehmen muss (das hat sie aus der neuen Gala); die Krankenkassen diese Krankheit nun akzeptiert und ins Programm eingegliedert hat, der terrorisierte Ehepartner mit imaginär geladener Pumpgun - zwar nicht verstehend, aber zumindest milde lächelnd und den anderen lassend - den anderen nicht auffordert, sich endlich, verdammt noch mal, zusammenzureißen und auch mal eine Sekunde an ihn und die Kinder zu denken....ja, vergleiche ich das mit früher, einer Zeit, in der niemand, keine Eltern, keine Freunde, kein Arzt und kein Psychologe einem helfen, einen verstehen konnte, noch wirklich ernst nahm, dann komme ich nur zu einem Fazit: Ihr lebt in der Hölle, ihr habt keine Veranlassung, keinen Druck, keine Möglichkeit, noch gibt es den Anspruch an euch, sich gegen diese Krankheit zu stemmen. Ich sehe in der heutigen Gesellschaft keinen Grund, den langen und erbittlichen Kampf gegen diese schlimme Krankheit anzugehen. Jeder versteht euch. Man schreibt euch krank, die Krankenkassen nehmen euch ernst, Frührente ist möglich, der Partner, die Eltern, die Freunde.....kapieren zwar zum Großteil nicht, was ihr sagt oder wie ihr euch fühlt, aber ihr spürt deswegen keine Konsequenzen. Man lässt euch, behandelt euch wie sichtbar Behinderte.....Frauen bleiben einfach zu Hause, werden bemuttert und versorgt von den Ehepartnern und holen sich das durch den Arbeitsverlust fehlende Selbstvertrauen aus dem Netz ins Bett in den Morgenstunden, wenn der Mann arbeitet, Männer bekommen den Zuspruch vom Chef und gehen gerechtfertigt in den Pu., denn so schlecht, wie es einem geht, der Arbeitstag, das ist eine Höllenleistung...da muss man sich einfach auch noch selber belohnen - und Chantall aus Zimmer 34, selbst die versteht mich und meine Angststörung........Na, wenn das nicht die Hölle ist. Jeder Leidensdruck wird heute nur auf die Charakterprobe gestellt. Oh Gott, denken da viele von euch, nicht wahr....? Sollte der Grund wirklich nur in mir zu finden sein? Das ist anstrengend....ich müsste wieder arbeiten gehen, mir würde nicht ständig alles verziehen, der Partner und die Gesellschaft im Ganzen, die finden das doch alles so in Ordnung, wie es jetzt ist. Und einen Idioten finde ich immer.....tja, hätte ich diesen grenzenlosen Zuspruch Mitte der Achtziger auch gehabt, ich würde es wohl genauso wie ihr machen, denn schließlich kann ich ja nichts dafür, dass es mir so schlecht geht...Und ja, mir wurde auch gesagt, wer alles dafür verantwortlich sein könnte, die ganze Anamnese rauf und runter....Mutter, Vater..., damals interessierte das aber niemand Mutter guckte nur dumm und Vater grinste sich ein....heute bilden sie zusammen die erste kleine Selbsthilfegruppe und fühlen sich unheimlich schlecht, Dir das angetan zu haben....und niemand, wirklich niemand nahm Rücksicht auf mich früher, niemand verstand mich, wenn ich mal wieder nach 2 Minuten aus dem Kinofilm mit 180 Puls rannte. Niemand, kein Lehrer, kein Schulleiter verstand mich, wenn ich in der Schule keine Arbeit mitschreiben konnte, nur weil ich beim Anblick von Menschen in einem Raum Herzstechen und ein Umfallgefühl bekam. Niemand half mir, als ich im Supermarkt nicht an der Kasse stehen konnte, weil es immer da am Schlimmsten war.....und ich überhaupt nicht wusste, was das Ganze soll und wieso das jetzt kam. Gestern war ich doch noch so unbeschwert....und hatte überhaupt keine Probleme. Früher war man mit einer Angststörung sozial vollkommen isoliert (dagegen ist das heute eine verschworene Gesellschaft, auch wenn ihr das zum Teil anders sehen müsst). Weder zuhause, noch sonst wo gab es Verständnis, nur Verwunderung und die Einordnung....ganz klar, ohne wirklichen Befund ist man ein armer Irrer..... Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder man gab sich die Kugel (das haben viele damals gemacht), oder man geht es an....weil man eben in dieser Gesellschaft leben will, komplett in ihr! Mensch, ich wusste doch noch, wie toll es war ins Stadion zum Fußballgucken zu gehen...und weil man ins Kino gehen will, weil man Freunde treffen will, weil man als Mensch beachtet, ernst genommen und wie ein ganz normales Mitglied in dieser Gesellschaft nur betrachtet werden will. Unauffällig, und nur an dem gemessen, was man sagt oder tut, nicht, weil man sich entschuldigt oder verständlich macht...zu 100% das zurückbekommt, das als Respons will, was man verdient und auch geleistet hat. Früher habe ich auch gedacht: Wenn ihr wüsstet, was mich das alles an Überwindung kostet, ihr würdet vor meiner Kraft und Ausdauer, von meiner Willensstärke niederknien.... Aber dieser Gedanke ist falsch....sie sehen das nicht...und man sollte auch tunlichst vermeiden, dieses einzufordern...denn das höchste an Gefühl ist wirklich, dass man ganz normal das Feedback bekommt, für das man auch nach außenhin leistet. Für das in eurem Inneren, dieser enormen Leistung, dürft ihr euch selber via Fleurop Blumen schicken, aber niemals vom Pendant einfordern. Das führt nur zu Enttäuschung. Und das ist auch richtig so....Ich habe über die Jahre (Jahre! Anders geht das nicht, ihr Lieben....) gelernt, wie man mit diesen, ich nenne das jetzt mal unkontrollierbaren Gefühlen (Angst ist nämlich das falsche Wort - lasst euch mal die Angst biologisch und chemisch erklären, die Abläufe im Körper), umgehen kann, wie man diese Adrenalin-Spirale durchbrechen kann, wie man ein Leben führen kann mit einem Verhaltensmuster, das einen sicher werden lässt, jede Situation dieser Art zu meistern. Ich habe vieles verstanden über diese Krankheit, habe sie analysiert, sie im Selbstversuch täglich dutzende Male herausgefordert, an ihnen gelernt, ein Verhaltens-Muster erschaffen. Ich habe bestimmt 5 Jahre gebraucht, um mit Baby Steps wieder ins Leben zurückzufinden. Wie das alles ging, was ich machte und wie oft ich von Rückschlägen heimgesucht wurde, weil das soeben doch Elerntgeglaubte nicht abrufbereit war und mich die Angststörung wieder voll auch in dieser Situation wieder erwischte, würde hier zu lange dauern. Das ist ja auch nicht der Punkt, den ich euch klar machen will. Ich will euch klarmachen, dass ich keine andere Wahl hatte, ich musste mich dem Sachverhalt stellen......und vielleicht ist es besser, nein - hinsichtlich der pathologischen, wirklichen Angststörung bin ich mir sogar sicher - es ist auf jeden Fall besser, dass man isoliert wird, dass man gezwungen wird sich stellen, gesellschaftlich, sowie auch persönlich.
Euer größter Feind ist das Verständnis. Ich habt keine Chance mehr einzusehen, dass ihr das früher Ziel wieder erreicht - dass ihr so wieder angesehen werdet, wie ihr es wurdet, bevor diese fiese Krankheit euch heimgesucht hat und ihr ein anderer Mensch wurdet. Ihr habt es heute schwer, sehr schwer zu begründen, dass ihr das alles auf euch nehmen wollt. Heute wären es nämlich nur charakterliche Gründe, nicht, weil ihr nicht anders überleben könntet....ihr müsst euch nur noch ändern, wen IHR den Partner nicht mehr quälen wollt, die Kinder EUCH als richtige, und nicht Trümmermütter ansehen sollen, man von der gesamten Gesellschaft wie früher wieder angesehen werden will, also der Fokus nicht mehr nur 100%ig auf mich und mein Leiden erwartet wird. Insofern ist dieser kleine Betrag hier auch an Euch, diejenigen gerichtet, die mit
Angstkranken zu tun haben. Ehepartner, Eltern, Lehrer, Freunde....und man kommt in Versuchung diesen Menschen zu raten, wenn sie noch etwas für ihre angstkranken Partner empfinden, diese nicht in Ruhe zu lassen, diesen nicht alles abzunehmen, sich von ihnen resolut zu trennen, wenn sie sich nicht ernsthaft bemühen, ihr Leben zu ändern und gegen diese Krankheit angehen, ohne sich auf diese lächerlichen Amytryptillin-Pillen zu verlassen, die aufhellende Wirkung herbeizetern und ständig rumzuleiden mit Sätzen: DIESE Pille half nicht. Keine Pille hilft......, aber dazu hatte ich ja schon mal geschrieben...Aber ich verstehe auch, dass gerade der Mann der Beschützer ist....natürlich, ich kenne das ja auch. Aber es bringt nichts, ihr könnt nur verlieren und nichts dabei gewinnen. Und ihr, liebe Frauen, sicher, ein Idiot ist immer zur Stelle....aber nur wenn ihr alleine euch durchbeißt, könnt ihr von der Krankheit Abstand nehmen und Muster gegen diese entwickeln...Charakterfrage...wie ich schon erwähnte....und vielleicht gibt das euch Auftrieb: Ich war früher komplett isoliert und fertig, hatte keinerlei Möglichkeit zu entfliehen, war nicht mal zuhause
se von Panikattacken sicher, fühlte mich 24 Stunden am Tag dem Tode nahe... Damals. Heute kann ich wunderbar mit eventuellen Panikattacken umgehen, habe verschiedene Modelle, sie sofort zu entkräften und lebe voll im Beruf, mit Spaß und Freude.......UND das wichtigste: Ich bekomme das zurück, was ich wirklich sichtbar und nach außen hin als Mensch leiste...nur meine Freundin weiß, dass ich eine Angststörung habe, nicht die Besucher im Kino, nicht die Verkäuferin im Supermarkt nicht die Kollegen am Arbeitsplatz. Und ich weiß, es hat sich gelohnt, jahrelang zu üben, niemals aufzugeben....ich hatte aber auch keine andere Wahl.....viele Grüße, Anwer
07.12.2004 15:24 • • 17.01.2006 #1